Top
Interview: XANDRIA
Titel: Auf Echtheit bedacht

Nach dem überwältigenden Erfolg ihres 2023 erschienenen Comeback-Albums „The Wonders Still Awaiting“ sprudelten die Ideen nur so aus seiner Band heraus, lässt Xandria-Gitarrist und Composer Marco Heubaum wissen.

Dieser erfreuliche Umstand führte im Weiteren zur neuen EP mit dem programmatischen Titel „Universal Tales“, welche den berauschend opulenten Symphonic Metal der nordrhein-westfälischen Formation regelrecht cineastisch überbreit erstrahlen lässt.

„Wir wollten unsere frischen Einfälle den Fans möglichst bald präsentieren, damit sie wissen, dass es bei uns auch genau so weitergeht, und uns nicht direkt die Puste ausgegangen ist nach diesem 74-Minuten-Monster. Wir wollten sie auch einfach schnell live spielen und dadurch unser Set noch einmal etwas auffrischen. Es hatte also nicht wirklich mit diesem neuen Trend an Singles etc. zu tun. Wir arbeiten bereits an Songs für das nächste Album, das dann wieder die volle Länge haben wird.“

Und Xandria sind immer noch im Glückstaumel des tosenden Beifalls zum letzten Album.

„Ja, es war wirklich unfassbar, was wir an positiven Reaktionen bekommen haben! Wir hatten schon beim Schreiben und Aufnehmen das Gefühl, dass hier etwas Besonderes und Großes heranwächst - aber man weiß ja nie, ob man damit recht hat und die Leute das ebenso sehen. Aber wir haben von sehr vielen Seiten gehört, dass es sogar das beste Album sei, was wir je aufgenommen haben. Das entspricht auch unserem Gefühl, also sind wir sehr glücklich! Natürlich gab es aufgrund der neuen Gesangstimme Fans, die sich daran gewöhnen mussten oder lieber wieder von Anfang bis Ende Operngesang gehabt hätten. Aber das ist nicht das, was wir wollen. Uns ist es wichtig, in den Songs Emotionen authentisch und sehr direkt rüberzubringen - und nach unseren Alben mit ausschließlich klassischem Gesang ist mir klar geworden, dass dieser dazu nicht immer das richtige Ausdrucksmittel ist. Daher mischen wir die Elemente jetzt so, wie es die Emotion im Song jeweils erfordert.“ 


„Universal Tales“ ist wahrlich intensiv geworden, auf so vielen Ebenen. Marco nickt: „Es war viel positive Energie, die wir durch das Feedback zum Album bekommen haben, aber auch viel, was textlich verarbeitet werden musste, ja.“ 


Diese neue EP zeigt zudem eine noch breitere Palette an Stärken und Möglichkeiten der Gruppe auf - es muss sich einfach großartig anfühlen, sich künstlerisch diesmal so dermaßen entblättern zu können. 


„Ja, wir wollten in den paar Songs, die auf einer EP sind – wobei es immerhin vier ganz neue Songs sind -, so viel Bandbreite an Elementen wie möglich unterbringen. Und auch etwas Neues probieren. Während ‚No Time To Live Forever‘ ein Geschenk an alle langjährigen Xandria-Fans ist, mit einem Song, wie er Xandria-typischer nicht sein könnte, haben wir mit ‚Universal‘ und auch den anderen Songs ein paar Sachen probiert, die neu für uns sind.“

Ambre Vourvahis, seit 2022 im Line-Up, wächst auf der neuen Veröffentlichung gesanglich regelrecht über sich selbst hinaus - sowohl Stimmvolumen als auch Vielfalt wirken vollauf fesselnd. 


„Ambre hat eine fantastische Arbeitseinstellung – sie versucht sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und ihrer Stimme immer neue Möglichkeiten zu entlocken. Sie ist tatsächlich in der kurzen Zeit seit dem Album wieder auf ein neues Level gekommen, was man auf der EP sehr gut hören kann. Das ist für mich als Songwriter natürlich klasse, weil ich so praktisch keine Grenzen habe für das, was ich verwirklichen kann.“

Marco hat auch bei der Produktion der Aufnahmen ganze Arbeit geleistet. „Wir haben alle sehr eng zusammengearbeitet, und wir waren im ständigen Austausch miteinander. Es war ein toller kreativer Prozess zusammen.“

Finale Veredelung: Mit Mix und Mastering von Jacob Hansen konnte das Ganze klanglich auf die Spitze getrieben werden.

„Wir haben mit Jacob lange an allen Einzelheiten geschliffen, bis alles so war, wie wir uns das vorstellen. Und das ist gar nicht so einfach bei den vielen Sound-Elementen in unseren Arrangements. Man will am liebsten jedem Detail die Aufmerksamkeit schenken, die es verdient, und es ist manchmal harte Arbeit, sich dem Optimum anzunähern. Das hört sich am Ende alles so leicht an, ist es aber nicht.“

In der Tat, insbesondere die orchestralen Song-Versionen auf „Universal Tales“ werfen schließlich die Frage auf, in welchen speziellen Stimmungen man so derart üppige, teils wirklich majestätisch monumental erschallende Klangbilder entstehen lassen kann.

„Diese Arrangements sind genau die, die in den vollen Songs sind. Dies war unsere Möglichkeit, auch kleinere Details, die man im Mix nicht so gut wahrnimmt, hörbar zu machen. Denn es gibt unheimlich viel zu entdecken, in den Orchesterarrangements, dem echten Chor, oder den keltischen Instrumenten, die auch alle echt sind – Fiddle, Whistles, da haben wir wie immer keine Samples benutzt.“

Die Acoustic-Movie-Score-Version von „The Wonders Still Awaiting“ ist erhebend anzuhören. Viele werden sich dabei fragen, welche Vorlagen hierfür wohl als Basic-Inspiration dienten - und wie umfangreich und schwierig die individuelle Umsetzung eines solchen Vorhabens eigentlich für eine Metal-Band wie Xandria ist.

„Wir haben den Song einmal spontan auf einem Konzert in Akustikversion darbieten müssen, weil unser Schlagzeuger wegen eines Notfalls nach Hause fahren musste. Da haben wir in den paar Stunden vor der Show im Backstageraum gesessen und ein paar der Songs akustisch umarrangiert. Und dies war einer der Songs. Da es sehr schön war, speziell diesen Song in diesem Soundgewand zu hören, so pur und direkt, haben wir das einmal so für alle Fans aufnehmen wollen. Wir haben dann noch etwas Orchester dazu arrangiert und es ist wirklich sehr schön geworden, denken wir!“

Die Song-Widmung der Band an die medial mannigfaltig gewürdigte Jina Mahsa Amini mittels „Universal“ - Liebe ist eine universelle Kraft, und das Stärkste, was Menschen empfinden können … wie auch die Liebe zur Freiheit. Aminis Story ist hochgradig bewegend. 


„Ja, ich musste einfach über sie schreiben. Es ist mir sehr nahe gegangen, was mit ihr passiert ist, und ich habe eine große Wut empfunden über die Ungerechtigkeit, der die Menschen im Iran ausgesetzt sind, und gegen die sie sich aufgelehnt haben. Leider hat sich nichts geändert, aber ich hoffe auf die Zukunft. Bis dahin finde ich, müssen wir den Menschen sagen, dass wir sie nicht vergessen haben, und wir müssen den Mächtigen in diesen Ländern sagen, dass wir nicht wegschauen. So können wir unseren Teil dazu beitragen, ihnen zu helfen.“

„No Time To Live Forever“ ist auf der neuen Veröffentlichung ein programmatischer Songtitel. Und ja, die Vernunft, sie scheint wirklich vom Aussterben bedroht zu sein in diesen unseren Tagen. Wie erklären Xandria sich das? Will die Menschheit nichts dazu lernen? Darf sie es am Ende nicht, weil die Mächtigen dann einfach weniger mächtig sein würden? 


„Der Titel ist eine Anspielung darauf, dass Religionen das ewige Leben im Jenseits versprechen. Es wäre allerdings wichtiger, die begrenzte Lebensspanne für etwas Sinnvolles zu verwenden, anstatt es dieser leeren Versprechung zu widmen und unter Umständen damit sogar seinen Mitmenschen das Leben auf diesem Planeten schwer zu machen. Der Song ist eigentlich sehr passend kurz vor dem siebten Oktober erschienen. Es ist unfassbar grauenvoll, was da vor einem Jahr im Namen der Religion Menschen angetan worden ist. Unschuldigen Menschen, die einer freien, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft angehörten. Neben der Trauer um diese Menschen muss uns das zu denken geben, denn das sind die Werte, die hier angegriffen worden sind. Es geht hier um den Kampf um die richtige Weltanschauung, es geht um Freiheit, um alles, was wir uns durch Aufklärung und Abschaffung totalitärer Herrschaft erkämpft haben - und es geht der anderen Seite darum, dies wieder rückgängig zu machen. Es ist wie das letzte Aufbäumen des mittelalterlichen Zeitalters, in welchem die Menschen nach der philosophischen Blütezeit der Antike in Dunkelheit geworfen waren, bis nach 1.500 Jahren mit der Aufklärung der Fortschritt der Menschheit endlich fortgeführt werden konnte.“

Mit „Live The Tale“ gibt die Formation einen positiven Ausblick auf das positive Potential der Menschheit - in der Tat, trotz aller Miseren, Krisen und Kriege auf diesem Planeten oder gerade deswegen gibt es so viele Menschen zu erleben, wenn man es - in sich - zulässt, die bewusst so viel mehr Liebe und mehr liebevolles Verhalten für die Gemeinschaft kultivieren wollen.

Sieht Marco momentan überhaupt einen wirklich realistisch umzusetzenden Weg für diese, unsere Welt, um sich gesellschaftlich entscheidend zu verbessern? Das Gegenteil scheint leider im Großen und Ganzen des Weltgeschehens eher die Oberhand zu gewinnen … Also, beispielsweise Smart-Phone mal öfter aus, Herz mal öfter an? 


„Ich denke schon, dass die Kräfte der Vernunft, des aufgeklärten, wissenschaftlichen Denkens, am Ende stärker sein werden. Und dass auch eine offene, pluralistische Gesellschaft am Ende doch stärker sein wird als die diktatorisch geführten, totalitären Gesellschaften. Denn diese lassen nur eine Art zu denken zu, es gibt keine vielfältigen, neuen Ideen, und das wird ihnen immer dann zum Verhängnis, wenn sich Umstände in der Welt ändern. Unsere von Vielfalt und Freiheit des Denkens geprägten Gesellschaften können da viel besser drauf reagieren.“

Der Gitarrist dazu, wie die Zusammenarbeit mit Subway To Sallys Ally Storch für „200 Years“ entstand, wie lief das Ganze ablief und wie es zur Idee der thematischen Umsetzung bzw. Vertonung des Buch- und TV-Klassikers „Outlander“ kam: 


„Ich bin zum ersten Mal in Schottland gewesen, ein Land, das mich mit seiner Geschichte, seiner Kultur und Musik immer begeistert hat. Das hat mich sehr inspiriert. Ich bin an ein paar von den Orten gewesen, die in ‚Outlander‘ eine Rolle spielen, und die auch sehr wichtig für die Geschichte Schottlands sind, wie zum Beispiel das Schlachtfeld von Culloden, oder der urzeitliche Steinkreis, der in der Geschichte die Kraft hat, Menschen in Vergangenheit reisen zu lassen. Ally Storch kennen wir, weil sie mit Rob - unserem anderen Gitarristen - schon in einer Band gespielt hat. Sie hat mit ihrem großartigen Violinenspiel – oder in diesem Fall Fiddle – zusammen mit Albi, einem alten Freund von mir, der schon lange für Xandria Whistles einspielt, hier ganz wundervolle Arbeit geleistet! Sie sind beide auch im Video zum Song zu sehen.“

Abschließend befragt, ob er selbst noch Interessantes und Wissenswertes anfügen möchte, sagt Marco freudig: „Musik ist etwas, was uns auch nach dieser langen Zeit immer noch so unglaublich begeistert, kreativ zu sein, neues auszuprobieren. Das ist uns sehr wichtig, und das ist etwas, was es für uns wertvoll macht. Da gibt es unheimlich viele Dinge, von denen man erzählen könnte und über die man diskutieren kann. Vielleicht ja schon sehr bald, denn jetzt freuen wir uns gerade darauf, unsere Fans auf der anstehenden Tour im November wiederzusehen! Wir hoffen, sie alle zu treffen, vielleicht auch ein paar neue Gesichter, die neugierig geworden sind? Das wäre sehr schön!“ 


© Markus Eck, 04.11.2024

[ zur Übersicht ]

All copyrights for image material are held by the respective owners.

Advertising

+++