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Interview: WINTERSUN
Titel: Unermessliche musikalische Tiefe

Selbst die eisernsten Fans haben ja tatsächlich noch mit voller Überzeugung daran geglaubt, dass ein weiteres Wintersun-Spektakel überhaupt noch jemals erscheint. Da platzt die viel diskutierte Band auf einmal wieder ins Geschehen. Doch die aktuelle Veröffentlichung von „Time I“ ist beileibe nicht die einzige riesengroße Überraschung. Denn Bassist, Gitarrist, Keyboarder, Sänger und Komponist Jari Mäenpää, seines Zeichens zudem sicherlich einer der anspruchsvollsten Metal-Musiker auf dieser Erde überhaupt, erschuf dafür wahrlich ein immens faszinierendes Gesamtkunstwerk.

Der rundum tief ästhetisch empfindende Finne Mäenpää, vor Wintersun einst primär bei der Folk Viking Metal-Größe Ensiferum tätig, arbeitete beinahe seit der Veröffentlichung des 2004er Debütalbums „Wintersun“ immer und immer wieder an neuem Material. So richtig zufrieden war der Genius aber nie mit seinen Schöpfungen, was hauptsächlich an seinem schon manisch akribischen Perfektionismus und an dem Gigantismus seiner künstlerischen Visionen lag.

Und bot das Debütalbum noch Musik, die unter dem Signet „Epic Melodic Death Metal“ zu kategorisieren war, so brachte die ungewöhnlich lange Albumpause einen markant erweiterten stilistischen Wandel mit sich: Deutlich hin zu edelstählern polierter, zu fulminant orchestrierter, zu majestätischer Schönheit. In übermächtig beflügelnder Opulenz erhebt sich der spielkulturell rundum fantastische neue Output jetzt als monumental cineastisch daherkommender Epic Metal.

Während er es sich im Fun-Room des schwäbischen Plattenlabels auf einem schwarzen Ledersofa nach ausgiebigem Mittagessen gemütlich gemacht hat, beginnt ein überaus gut aufgelegter Jari angeregt zu erzählen.

„Nach den acht Jahren nach dem Debütalbum fühlt es sich wirklich sehr aufregend an, nun mit dem ersten Teil des gesamten Werkes nach draußen zu gehen, zu den Fans! Ich hätte damals, also zwischen 2004 und 2005, ja niemals gedacht, dass sich das Ganze so dermaßen lange hinziehen würde. Was ich musikalisch für den Albumnachfolger wollte, das wusste ich eigentlich schon ziemlich schnell. Ich war früher aber zugegeben noch ziemlich naiv in meinen einstigen Ansichten hinsichtlich all des benötigten digitalen Equipments, das eben unbedingt nötig ist, um solcherlei hochgradig komplexe, immens anspruchsvolle und Soundtrack-artige Arrangements und Orchestrierungen umzusetzen. Ich hatte riesige epische Symphonien vor dem geistigen Auge, welchen den Metal-Grundstock so nobel und so zeitlos als möglich ummanteln sollten. Der achtjährigen Verzögerung liegt also nicht irgendein Desinteresse von meiner Seite aus zugrunde, oder mangelnde Inspiration. Ganz im Gegenteil sogar, an nicht wenigen Tagen sprühte ich geradezu vor Kreativität! Aber all die benötigte Hard- und Software für das, was man auf ,Time I‘ nun erleben kann, ist wirklich sündhaft teuer. Als ich dann nach und nach das viele Geld für immer neue spezielle Ausstattung zusammenhatte, musste ich ja auch noch damit umzugehen lernen; und zwar bis zur Perfektion. Etwas anderes als Vollendung im Umgang damit kam und kommt für mich nämlich überhaupt nicht in Frage. Mir tut das sehr lange Warten der Fans auf ,Time I‘ sehr leid. Aber es ging leider auch wirklich nicht anders“, resümiert das begnadete skandinavische Multitalent, einen bedauerlichen Unterton dabei nicht gänzlich unterschlagend. 



Einfluss auf das Schreiben seiner eigenen Musik nahmen laut dem vielfach versierten finnischen Multitalent etablierte Komponisten beziehungsweise sogar eher die von ihnen klanglich untermalten Kinofilme.

„Beispielsweise der Klassiker ,Star Wars‘, der einen meiner absoluten Lieblings-Soundtracks enthält. Oder die ,Alien‘-Reihe, die ist meiner Ansicht nach auch mit einer superben musikalischen Begleitmusik veredelt. Mit den Komponisten befasse ich mich dabei eigentlich eher gar nicht, ich widme mich sehr viel lieber der Soundtrack-Musik an sich. Denn dies animiert mich ungleich mehr, als mich mit den Menschen dahinter einzulassen.“ 



Wie anschließend von Jari ebenfalls in Erfahrung zu bringen ist, kommen die prägnanten, orientalisch anmutenden Querverweise auch nicht von ungefähr. Er offenbart nickend:

„Ja, in der Tat, ich habe ein sehr großes Faible für orientalische und asiatische Klänge. Und für morgenländische traditionelle Instrumente. Dabei mag ich es ganz besonders sehr melancholisch und auch sehr verträumt. Verschwenderische Gefühle, schwelgend vertont, sozusagen, das ist es, was mich dabei anspricht. Gerade die Japaner waren darin schon immer echt sehr gut. Den Soundtrack zu dem Filmdrama ,Die Geisha‘ aus dem Jahr 2005 beispielsweise erachte ich als wirklich wunderschön. Auch der Soundtrack zum 2000 erschienenen Kampfkunst-Epos ,Tiger And Dragon‘ sagt mir sehr zu, nicht umsonst wurde dieser chinesisch-taiwanische Film von Regisseur Ang Lee auch preisgekrönt.

Wie der außerordentlich auskunftsfreudige Wintersun-Frontmann interessanter Weise dazu noch ein wenig weiter ausholt, werden die großen Hollywood-Soundtracks seit einiger Zeit fast allesamt teils mit genau der selben Sound-Software komponiert, welche er auch für die neue Veröffentlichung seiner Band in die Pflicht nahm.

„Als ich das Zeug endlich bei mir zuhause hatte, konnte ich endlich das angesammelte Rohmaterial damit vollenden. Es kostete mich dann danach allein über drei Jahre harte und ausdauernde Arbeit, die ganzen Orchestrierungen damit zu erstellen. Um mich davon zu ,entspannen‘, feilte ich weiter an meinen Gitarren- und Gesangsspuren, oder erschuf weitere Melodien für die Songs. So vermied ich auf effektive Weise eine Einseitigkeit im Songwriting-Prozess.“

Und obwohl der finnische Sympathikus so außergewöhnlich lange für die Fertigstellung des Ganzen benötigte, blieb es für ihn bis zum Schluss hin immer spannend.

„Das fertige Resultat kommt meiner seit Jahren gehegten zugrundeliegenden Vision glücklicherweise sehr nahe, was mich mit gigantischer Freude erfüllen kann. Ständig ließ ich aber auch neue inspirative Eindrücke auf mein Bewusstsein wirken, welche ich für die neuen Wintersun-Songs entsprechend passend umsetzte. Innerhalb einiger Passagen habe ich mich daher sogar selbst überrascht, was ich vorher eher nicht für möglich gehalten hatte. Zuweilen gerieten mir meine Ergebnisse sogar noch besser, als ich es mir selbst zugetraut hätte. Ich fühlte mich dann wie in einem positiven Rauschzustand. Und trotzdem, wenn ich mir die fertigen Kompositionen gegenwärtig anhöre, finde ich noch immer klitzekleine Stellen, an denen ich noch etwas verbessern könnte“, verlässt es den Mund des Multiinstrumentalisten unter einem beherzten Lachen.

„Die ersten der jetzt zu hörenden Melodien des aktuellen ersten Teils der großen ,Time Saga‘ entstanden sogar, als ich noch in einem finnischen Aufnahmestudio am Wintersun-Debütalbum arbeitete. Für den letzten Song des kommenden zweiten Teils von ,Time‘ verwendete ich ebenso eine Grundmelodie, die aus dieser Zeit stammt. Nachdem das Debüt veröffentlicht war, kniete ich mich bereits schon in die Basis-Strukturen der neuen Tracks rein. Vor allem, was die Riffs betrifft. Musik ist nun mal mein Leben und ich bin nun mal ein Arbeitstier! [grinst] Und ich tat es in dem ausgeprägten Bewusstsein, dass meine Lieder einmal mit monumentalen Orchestrierungen versehen sein müssen, wenn sie einst vollendet sind. Auf diese Weise kam letztlich alles so verblüffend homogen und einander so gut ergänzend zusammen, was die äußerst harmonische Erscheinung all dieser neuen Songs anbelangt.“

Die wenigsten unter den Hörern, merkt Jari noch an, werden sich laut seiner Auffassung letztlich wirklich vollends vorstellen können, wie unermesslich viel er an Mühe, Herzblut, Leidenschaft und Anspruch de facto in seine monumentalen Schöpfungen der „Time“-Saga investiert hat. Er spricht mit beschwörendem Blick:

„Und das gilt ebenso auch für meine facettenreich umgesetzten Gesänge. Nie zuvor habe ich so viel dafür getan; auch, was die Vorbereitungen angeht. Diesmal habe ich mich sogar in Gesangstraining für jeden einzelnen Track reingekniet, um das individuelle Maximum an die Stimmung verstärkender Emotion entwickeln zu können.“

Der Bassist, Gitarrist, Keyboarder, Sänger und Komponist erweckte ganze Epic Metal-Symphonien zu strahlend pulsierendem Leben. Dass der solchermaßen Talentierte aber überraschender Weise eigentlich ein Spätzünder ist, das gibt er ebenso unumwunden wie gerne zu.

Der sympathisch unprätentiöse Mann hat sowieso zweifellos guten Geschmack, denn er offenbart sich im weiteren Gesprächsverlauf als bekennender ABBA-Fan. Doch auch für mystische und vor allem leidenschaftliche Aspekte des Lebens hat der skandinavische Vollblutkünstler ein großes Herz, wie sich herausstellt.

„Dass ich selbst Metal-Musik mache, muss ja noch lange nicht bedeuten, dass ich den ganzen langen Tag nichts anderes als harte Sounds höre, oder? ABBA beispielsweise sind noch immer meine großen Idole, und die Nummer ,Lay All Your Love On Me‘ ist mein ewiger Lieblingssong der schwedischen Pop-Giganten. Auch die schön catchy gestalteten Songs von Lady Gaga sagen mir sehr zu“, lässt ein musikalisch aufgeweckter Jari verlauten.

Wenn er zuweilen an einem schönen Platz sitzt und das prächtige Firmament am erleuchteten Nachthimmel betrachtet, wie er weiter erzählt, dann geht ihm so manches durch den Kopf.

„Ich fühle mich dann oftmals sehr klein, im Gegensatz zu diesen unendlichen Weiten da oben. Wir Menschen wissen es bis heute nicht genau, aber ich fühle dann immer in mir, dass es weit da oben irgendetwas gibt. Irgendetwas, was sich die Menschheit nicht mal ansatzweise vorstellen kann.“

Seine allererste richtige Liebe erlebte der Musikus aus Finnlands Hauptstadt Helsinki persönlich erst im Alter von 18 Jahren.

„Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an dieses wunderschöne Mädchen. Für mich mutete das so unerklärlich an wie eine Art ,Magie‘, die mich regelrecht unsichtbar kontrollierte. Da ich schüchtern war, habe ich mich leider niemals getraut, ihr meine tiefen Gefühle zu offenbaren. Noch heute fällt es mir äußerst schwer, anderen Menschen meine Emotionen offen zu zeigen, selbst denen, die mir sehr nahe stehen. Mittlerweile ist sie eine richtige Frau geworden. Wir sehen uns zwar mittlerweile eher selten, sind aber zum Glück noch immer gute Freunde. Ich war also früher wohl exakt das, was man gemeinhin als einen ,Spätzünder‘ erachtet. Ich war ja seit Kindestagen an ohnehin ein eher introvertierter Charakter, der sich schwer tat, anderen Menschen offen gegenüber zu treten. Mit den Jahren wurde das erfreulicherweise aber viel besser. Ich begann meine Besuche von Partys daher auch erst mit 17, und zu dem Zeitpunkt konsumierte ich dann auch erstmalig alkoholische Getränke.“ [lacht]

So verwundert der 1977 Geborene auch nicht mit dem Bekenntnis, während seiner Schulzeit ein waschechter Nervösling gewesen zu sein; gerade, vor wichtigen Prüfungen oder spontanen Kurztests. Er blickt erneut zurück:

„Heute würde man solche Typen, wie ich damals einer war, garantiert als ,Nerd‘ abstempeln. Ein Sonderling in meinen jeweiligen Schulklassen, der es stets schwerer als andere hatte, das war ich aber definitiv. Jedoch waren die Zeiten damals lange nicht so hart und herzlos, wie es heutzutage ja leider allzu oft der Fall ist. So hatte ich ich das große Glück, dass ich wegen meiner diversen Auffälligkeiten niemals gedisst oder gemobbt wurde. Irgendwie habe ich das alles so gut kompensiert, dass ich irgendwo ,in der Mitte überlebte‘. Außerhalb der Schule hatte ich nämlich auch immer sehr gute Freunde, sodass ich auf eine im Großen und Ganzen eigentlich recht schöne Kindheit und Teenager-Zeit zurückblicken kann.“

Damit geht der Interview-Dialog automatisch zum Thema Freundschaften über, welche dem Finnen laut eigener Aussage unermesslich wichtig sind auf dieser Welt.

„So viele Freunde wie andere hatte ich ja ohnehin nie. Aber einige meiner heutigen besten Freunde kenne und schätze ich bereits seit frühen Kindertagen. Sie haben mich so genommen, wie ich eben bin. Und das fühlt sich einfach herrlich an. Wer gute und beständige Freunde auf seiner Seite weiß, der kommt immer leichter durchs Leben als jemand, der sich ständig in sich verkapselt. Und gerade ich weiß, wovon ich da rede“, verlässt es den Mund des vielfach begabten Multiinstrumentalisten und fähigen Komponisten unter einem beherzten Grinsen.



Letztlich, so Jari, halfen ihm seine Eltern stets in allen Lebenslagen, so gut sie konnten, und standen ihm immer zur Seite, bei Problemen aller Art. Die Miene des Wintersun-Frontmanns erhellt sich:

„Wir gingen durch dick und dünn, haben immer eng zusammengehalten. In meiner Pubertät war es sicherlich nicht leicht mit mir. Doch sie standen stets zu mir. Ich bin ihnen daher immens dankbar und werde es immer sein, so lange ich lebe. Es ist so unermesslich viel wert, mit seinen Eltern in Liebe, Harmonie und Frieden auszukommen. Ich habe meiner Mutter und meinem Vater viel zu verdanken. Als ich sechs Jahre wurde, schickten sie mich beispielsweise in den Unterricht zum Spielen mit einer elektrischen Orgel. Tja wirklich, so begann sie also damals, meine musikalische Karriere. [lacht] Da mein Vater selbst Musiker ist, bekam ich später auch noch meine eigene Gitarre und ein Vier-Spur-Aufnahmegerät. Nach und nach wurde ich immer besser und konnte meine ersten eigenen Songs aufnehmen. Und damit konnte ich meine Gefühle schon viel besser ausdrücken. Das war also gewissermaßen der Beginn von Wintersun.“

© Markus Eck, 10.10.2012

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