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Interview: VARG
Titel: Gesprengte Ketten

Schlicht, einfach und hinsichlich der umstrittenen Attitüde der Band auch noch frech, dieser Plattentitel: „Guten Tag“ haben diese anhaltend stark polarisierenden Wolfsjünger ihr neues und viertes Album in zynischer Weise betitelt.

Stilistisch bleiben sich Frontmann Freki und sein lautstarkes Rudel darauf weitgehend treu, wenn auch bei der optischen Band-Präsentation diesmal deutliche Abgrenzung zum Pagan- und Viking Metal-Einheitsbrei vorgenommen wird.

So eruptiert der mächtig giftig erklingende Mix des hartnäckigen Coburger Viergespanns auch glühende Melodic Death Metal-Brocken heraus, denen ein inhaltlich langer Rauchschweif aus Deutschrock- und NDH-Essenzen anhängt.

Und mit ihren neuen lyrischen Aufmüpfigkeiten wissen Varg innere Zustände der Unaufgeräumtheit in den Hörern zudem mehr denn je effektiv zu beseitigen.

„Ich könnte jetzt so etwas antworten wie ,Das kann jeder für sich selbst interpretieren, an wen oder gegen wen er den neuen Albumtitel gerne richten möchte‘, aber, B-u-l-l-s-h-i-t! Wir fanden den Titel geil, er ist provokant, witzig, sarkastisch, zynisch. Der Titel kann alles. Und jeder zerreißt sich das Maul darüber. Mission accomplished“, äußert sich Varg-Bassist und Co-Songwriter Managarm.

Seine beiden Song-Lieblinge auf dem neuen Dreher sind, wie der Tieftöner offenbart, ganz eindeutig „Horizont“ und „Blut und Feuer“.

„Das liegt wohl schlicht daran, dass ich diesmal nicht nur an der Musik, sondern auch den Texten beteiligt war und diese beiden Lieder mir einfach aus der Seele sprechen.“

Darauf angehauen, was genau ihn und seine Band noch immer am allermeisten zu ihrem musikalischen Tun antreibt, entfährt es dem Viersaiten-Schrubber:

„Wir wollen touren, feiern und Leute rocken! Wenn ich keine Musik machen und dabei auf der Bühne nicht völlig am Rad drehen würde, dann wäre ich wahrscheinlich längst Amok gelaufen. Also nicht falsch verstehen, wir sind keine verrückten Psychopathen, aber ich denke mal, in jedem Mitglied von Varg schlummert etwas, das im Alltag nicht herausgelassen werden darf.“

Er selbst will, wie Managarm nachfolgend offenbart, mit den neuen Songs von Varg eigentlich gar niemandem sinnbildlich in die Fresse hauen.

„Ich möchte geile Mucke machen, die mir selbst gefällt und anderen auch. Mucke, die dieses ganz bestimmte Gefühl beim Hören auslöst, bei dem man sich absolut unnahbar, unverwundbar und berührt fühlt. Und Musik, bei der man dann, je nach Stimmung des jeweiligen Songs, vielleicht auch jemandem direkt in die Fresse hauen will! [lacht] Im Internet fällt man halt immer noch über die eine oder andere Gedankengrütze bezüglich Varg. Auch wenn es uns persönlich mittlerweile eher kalt lässt, wissen wir, dass es unsere Fans teils nicht leicht haben, sich mit einem Varg-Shirt zu zeigen, da sich manch einer wohl sehr an uns und unserer Position in der Metal-Szene stört und dies überheblich auf die Hörerschaft projiziert. Aber das Schöne daran ist, dass wir diesen Affen tatsächlich sinnbildlich in die Fresse hauen, indem wir ihnen immer mehr Futter für ihr dämliches Gezeter liefern, mit dem sie sich weiterhin selbst lächerlich machen.“

Der weitere Dialog widmet sich dem tendenziell ansteigenden Verfall beziehungsweise unübersehbaren Wandel des Pagan- und Viking Metal-Booms. Der Tieftöner konstatiert diesbezüglich:

„Ich bin nicht sicher ob wir den Wandel vorhergesehen oder vielleicht sogar mit verursacht haben. [!] In jedem Fall haben wir selbst diesen Wandel auch persönlich als Menschen vollzogen, denn mal ehrlich: Das ist jetzt unser viertes Album, und im Pagan/Heiden-Genre wurde so ziemlich jedes Thema, jede Geschichte bereits hundertfach besungen. Wir haben definitiv keine Lust uns zu wiederholen. Es ist einfach an der Zeit für etwas frischen Wind, und den bringen wir!“

Der Varg-Bassist expliziert anschließend ganz unumwunden zu dieser Thematik:

„Dieses ganze Pagan-Universum ist in seinen Inhalten einfach sehr schnell ausgeschöpft. Wir haben uns einige Jahre damit beschäftigt, bis es aber einfach nicht mehr genug spannende neue Themengebiete mehr gab, mit denen man sich hätte beschäftigen können. Wir wollten etwas handfestes, etwas echteres haben, das man auch in seinem alltäglichen Leben gebrauchen kann. Diese Entwicklung hat schon auf ,Blutaar‘ begonnen, allerdings noch nicht so stark wie jetzt. ,Alter Feind‘, ,Viel Feind viel Ehr‘ oder ,Seele‘ waren gekennzeichnet von der Gegenwart. ,Guten Tag‘ ist die logische Weiterführung unseres bisherigen Schaffens. Ich denke das Wichtigste ist, innerhalb dieser Entwicklung seine eigenen Wurzeln nicht zu vergessen. Varg ist im Herzen eine Pagan-Band. Und das ist auch im Jahre 2012 noch der Fall. Wer dies nicht glaubt, darf sich mit Songs wie beispielsweise ,Gedanke und Erinnerung‘ gern selbst davon überzeugen. Dieses Lied hätte so wie es ist gut und gern 2007 auf das ,Wolfszeit‘-Album gepasst.“

Managarm nennt noch die Rezeptur seiner Horde für intern anhaltende Begeisterung zum Weitermachen. „Indem wir einfach viele der früheren Themen in die heutige Zeit übertragen. Das ist für uns selbst interessant und für die Hörer hoffentlich auch. Klar gibt es auch weiterhin weniger tiefgründige Songs bei uns über Schlachten und Gemetzel, ohne das wäre es auch langweilig. Ich war erst letztens im Kino und hab mir ,The Expendables 2‘ angesehen, der Film ist auch alles andere als tiefgründig. Trotzdem ein verflucht geiles Erlebnis! Die Mischung macht‘s eben.“

Das Songwriting zum neuen Album „Guten Tag“ lief laut Aussage des Bassisten genauso wie immer bisher bei Varg ab.

„Philipp und ich haben uns zusammengesetzt und Songs geschrieben. Viele an der Zahl, vielleicht 20 Stück. Die unserer Meinung nach besten Lieder davon sind auf dem Album vertreten. Bei den letzten Alben haben wir uns eigentlich immer für zwei bis vier Wochen irgendwo eingegraben und die Alben am Stück geschrieben. Diesmal gab es öfter auch mal Pausen zwischen den einzelnen Songwriting-Phasen. Wahrscheinlich ist dieses Album daher letztlich so vielschichtig geworden.“


Was Vorrang beim Komponieren und Einstudieren des neuen Materials genoss, das ist laut Managarm ganz eindeutig zu hören. Er lässt verlauten: „Wir haben die stilistischen Ketten gesprengt, in die wir uns früher selbst gelegt hatten. Keiner von uns hört den ganzen Tag die gleiche Musik. Und keiner von uns will erst recht nicht immer und immer wieder die gleiche Musik machen. Oberste Prämisse bei ,Guten Tag‘ war: Alles ist möglich! Wenn man will, ist ,Guten Tag‘ also ein ziemlich egoistisches Album“, platzt es lachend aus dem Kerl heraus.

Der Songwriting-Prozess für „Guten Tag“ war dennoch eindeutig ziemlich anstrengend, wie ebenfalls in Erfahrung zu bringen ist.

„Philipp und ich waren oftmals nicht einer Meinung und mussten dass dann untereinander ausfechten. Letztlich hat es sich aber eindeutig gelohnt. Für mich persönlich ist ,Guten Tag‘ das beste Album, dass Varg bisher geschrieben haben. Aber sagt man das nicht immer, wenn etwas gerade neu ist? Scheißegal, mir gefällt es. Frag‘ mich doch einfach in einem Jahr noch mal!“

Varg leben ihre Lust am Wandel jedenfalls ganz offen aus.

Schon zu Zeiten des „Blutaar“-Albums wurde die Coburger Formation daher teilweise gar als die „Böhsen Onkelz des Pagan Metal“ betitelt, so der Tieftöner rückblickend.

„Wahrscheinlich kommt der Gedanke daran eher durch die moderneren Texte und den von mir gelegentlich eingebauten Klargesang. In Zeiten, in denen Bands wie Freiwild oder Betontod die Top Ten der Charts entern und stark auf Metal-Festivals vertreten sind, steigt natürlich auch der Unmut von den Die-Hard-Metalfans, welche dies nicht begrüßen. Wenn dann auch noch eine so stark polarisierende Band wie Varg spezielle Titel wie ,Guten Tag‘ oder ,Frei wie der Wind‘ veröffentlicht, dann ist der Vergleich zu den aktuell präsenten beziehungsweise verteufelten Bands schnell mal gezogen. Klar haben wir hier und da ein etwas rockigere Schiene eingeschlagen, aber mal ehrlich: Das ganze Album ist in keiner Weise Deutschrock. Es ist durch und durch ein Metal-Album mit einer Mischung aus vielen extremen Bereichen, genau so wie es unsere Fans bisher von uns gewohnt waren. Entgegen dem Stillstand und entgegen dem Einheitsbrei - das ist ,Guten Tag‘!“

© Markus Eck, 15.09.2012

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