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Interview: VAMBERATOR
Titel: Präsente Absenz

Zeit wurde es: Mit dem Debütalbum „Age Of Loneliness“ trösten sich Jemaur „Jem“ Tayle und der ehemalige The Cure-Drummer Boris Williams nicht nur gegenseitig über den tragisch frühen Tod ihrer Shelleyan Orphan-Bandkollegin Caroline Crawley wirkungsvoll hinweg, sondern sie leisten mit diesem Werk auch einen relevanten Beitrag in Sachen mutig-unerschrockenem Eklektizismus.

Vamberator ist musikalisch nämlich eine ganz spezielle Baustelle. Tayle ist seit Mitte der 1980er für seine hungrig-innovativen, betont ausgefeilten Arrangements bekannt, was sich mit Vamberator überraschend nonkonform fortsetzt - insbesondere eben für alle „Shelleyans and Cureheads“, wie sie es selbst ganz gerne kultig benennen.

„Auf diesem Album werden wir von einer ganzen Reihe an Interpreten und Instrumentalisten unterstützt, wobei ich die zentrale Rolle des Songwriters, Bandleaders und Multiinstrumentalisten ausfülle“, so erzählt der Brite. „Gesang, Gitarren, Bass, Banjo, Klavier, Synthesizer - ich gebe unseren sehr persönlichen Liedern alles das, was sie grundsätzlich zum Leben brauchen. Rhythmisch abwechslungsreich zusammengehalten werden diese Stücke von Boris, der mit seinem hochmusikalischen Gespür auf elegant zurückhaltende Weise Schlagzeug und Perkussion ausführt.“

Auch der musikhistorische Background der Beteiligten gibt - neben der Musik an sich - berechtigten Anlass zu einigem Interesse.

„Den Bass auf ‚Age Of Loneliness‘ teile ich mir mit meinem großartigen Shelleyan Orphan-Kollegen Charlie Jones, den man von The Cult her kennt - der Gute hat auch schon mit Robert Plant, Page & Plant sowie Siouxsie Sioux und anderen gespielt.“

Besonders am Herzen für das Album lagen Jem die von ihm üppig arrangierten Streicher- und Bläser-Arrangements, die von dem italienischen Archimia String Quartet voll zur Geltung gebracht werden.

„Doch es gibt noch so viel mehr: Joe Northwood am Tenorsaxophon und Joe Bentley an der Trompete leisteten wunderbare Beiträge. Oder die beiden Posaunisten Pete Johnson und Angelo Conti als auch Luca Etzi an der Oboe, welche den Songs äußerst attraktive Nuancen verleihen. Es ist aber auch sogar eine exotisch klingende Sitar zu hören, prächtig gespielt von Rebecca Magri!“

Perfekt ergänzt werden die Kompositionen durch den gefühlvollen Gesang von Jo Nye und Annie Barbazza, die mit ihren sanften Tönen für so manchen Wohlfühltrip sorgen, wie der Mainman berichtet. Obwohl sich lediglich ein Song - „Zebra Butterfly Swallowtail“ - auf dem neuen Vamberator-Album ausdrücklich zu Caroline Crawley bezieht, sind sowohl ihre Anwesenheit als auch Abwesenheit gleichermaßen durchgehend auf dem Release spürbar, so offenbart der Meister.

„Wie der Titel andeutet, da dreht sich vieles um Verlust und und Einsamkeit. Diese Themen manifestieren sich von Song zu Song allerdings ganz unterschiedlich, was sich vom Tod geliebter Menschen über die Isolation im Älterwerden bis hin zum Aussterben ganzer Arten zieht. Der Verlust des eigenen Selbstbewusstseins und des Identitätsgefühls spielen dahingehend auch eine Rolle in den Stücken.“

Nach Carolines Tod wurde ihm zunächst angeboten, so der Vielseitige, ein Soloalbum zu machen.

„Tatsächlich hatte ich ja immer wieder an neuen Songs geschrieben, ohne mich großartig auf etwas Spezielles damit zu konzentrieren - es geschah eher so nebenbei. Das alles zunächst im Alleingang zu machen, war in der Tat neu für mich, daher auch das eher sekundäre Arbeiten. So tat es mir sogleich gut, mit Boris zu kooperieren, der sozusagen zur Familie gehört. Wir zwei haben jahrelang live und im Studio immer wieder zusammen mit Shelleyan Orphan gespielt, so dass es sich für uns wirklich ganz natürlich anfühlte, gemeinsam an diesem neuen Album zu arbeiten. Endlich hatte ich wieder jemanden an meiner Seite, an dem ich mich künstlerisch abreagieren konnte.“

Die enge und innigliche Beziehung der beiden außergewöhnlichen Musikerseelen geht vor allem auf die für sie einzigartige Zeit zurück, als Jem und Caroline 1989 zusammen mit Produzent David „Dave“ Allen „Century Flower“ aufnahmen, das zweite Shelleyan Orphan-Album für das legendär gewordene Indie-Label Rough Trade - zur gleichen Zeit nahm nämlich Boris mit The Cure deren wichtiges Album „Disintegration“ auf, und zwar ebenfalls mit Dave Allen.

Auf diese sich überkreuzende Weise wurden The Cure letztlich richtige Fans von Shelleyan Orphan, die Robert Smith mit The Cure einluden, sie auf ihrer Tournee zu begleiten.

Zwischen beiden Bands entwickelte sich auf der anschließenden „Prayer Tour“ eine feste Freundschaft. Die sich nachfolgend daraus entwickelte Geschichte dieser Konstellation als rührend zu umschreiben, trifft es sicherlich: Als Caroline 2016 nach langer Krankheit verstarb, widmeten ihr Smith & Co. einige Tage später während ihrer Tournee in Helsinki den Song „Last Dance“.

© Markus Eck, 22.10.2024

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