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Interview: TANZWUT
Titel: Rissfest verwurzelt

Dass der aktuelle August noch um einiges heißer bis überhitzig wird, dafür sorgen die erfahrenen Berliner Spielmannsrocker um Fronter Teufel mit dem neuesten Album „Achtung Mensch!“. Schließlich wird die Mixtur der Formation aus altbewährten musikalischen Mittelaltermarkt-Tugenden diesmal auch mit wuchtigen Kraftmetall-Schmiedekünsten zur höllisch effizienten Klangglut gebracht.

„Verflucht harter Stoff, das neue Zeugs“, werden sich so einige Zugeneigte dabei denken. Doch, beim relevanten Thema „Warnung vor der fatal destruktiven, rücksichtslos gierigen Abgründigkeit der menschlichen Natur“ kann es aber in Sachen Sound eigentlich gar nicht hart genug zugehen, oder? 



Der Rotgehörnte nickt selig bestätigend: „Natürlich ist der Song ‚Achtung Mensch!‘ genau das, was man als Warnung vor der Menschheit sehen kann. Er ist hart und ehrlich. Schließlich ist das menschliche Wesen auf diesem Planeten wohl das unberechenbarste und gefährlichste, was es gibt. Es gibt nichts Vergleichbares. Und doch hält sich der Mensch für intelligent und über allen Dingen stehend. Doch beim genaueren Betrachten dieser Spezies wird klar, dass es sich nicht um Intelligenz, sondern um Wahnsinn handelt. Siehe der immer wiederkehrende Wahnsinn und die immer wiederkehrenden gleichen Irrsinnigkeiten vom Anbeginn der Menschheit bis heute. Und warum dieser ewige Amoklauf nicht enden will, ist nicht logisch erklärbar. Ich vermute, dass sich das menschliche Wesen früher oder später damit selbst vernichtet.“

Da diesmal sogar Power-Metal-Querverweise (!) dabei sind, besonders in einigen kernig-schmissigen Uptempo-Passagen, hat sich der Sänger der Frage zu stellen, ob es Acts aus diesem Bereich gibt, die ihm ganz gut reinlaufen bzw. die er sogar regelrecht verehrt - und auch, ob die neue Tanzwut-Scheibe letztlich sogar von einigen beeinflusst wurde.

Jedoch: „Ich kenne mich leider mit Power Metal nicht wirklich aus. Ähnlichkeiten sind da wohl eher aus dem Bauch heraus entstanden bzw. durch die Einflüsse von Band und Produzent. Daher müsste man diese Frage wahrscheinlich eher unserem Gitarristen Robin stellen. Aber ich finde es toll, dass es Assoziationen in dieser Richtung auslöst. Das zeigt auf wie vielschichtig Tanzwut ist und wie wenig man unsere Songs in ein bestimmtes Genre stecken kann. Das war schon immer so und soll auch so bleiben. Wir wollen musikalisch vielschichtig Erlebnisse, Emotionen und Geschichten in Lieder verpacken.“

Doch das vorherig Thematisierte ist es diesmal nicht allein - in „Feuer in der Nacht“ werden von den Tanzwüterichen auch mal viel tiefere Wurzeln angepackt, nämlich die des einstigen Electronic-Faktors, der sich in NDH-Getöse sehr wohl zu fühlen scheint.

„‚Feuer in der Nacht‘ ist wirklich ein wenig an unsere Anfänge angeknüpft. Die elektronischen Elemente und die Gitarrenakkorde könnten aus den Anfangstagen von Tanzwut stammen. Für uns ist der Song ein perfekter Opener für ein Konzert. Der Song ist textlich genau das, was der Teufel dem Publikum über die Tanzwut erzählen möchte - zur Eröffnung des Abends bevor der teuflische Reigen beginnt.“

Mit dem weiteren Anhören der neuen Lieder auf diesem elften Studioalbum erschließt sich aufs Stimmigste der essentielle Mittelalter-Geist - ebenfalls einer stärksten künstlerischen Standpfeiler. Die Säcke, die sich mit den mächtig rockenden Stromgitarren vereinen, das pfundig-wuchtige Drumming - ja, dieses sich hymnisch aufbäumende „Hexenweib“ knallt gar herrlich rein, da glückte ein richtiger Festival-Hit. 


Teufel grinst mit breiter Lippe: „‚Hexenweib‘ ist der mittelalterlichste Song auf unserem neuen Album. Tatsächlich sollte dieser Song ursprünglich als Mittelaltersong für Märkte geschrieben werden. Der Text und das rhythmische Versmaß im 7/8-Takt war aber so gut geeignet für einen Rocksong, dass wir es uns nicht verkneifen konnten diesen Song als Rocknummer einzuspielen. Und wie schon in der Frage bemerkt wurde, sind das genau unsere Wurzeln, die uns ausmachen. Geschichten zu erzählen und mittelalterliche Melodien zum Besten zu geben, dies war schon in den Anfangszeiten auf der Straße und auf Mittelaltermärkten ein wunderbarer Zeitvertreib. Egal was wir tun und wer wir sind, wir sollten unsere Wurzeln nie vergessen. Denn das ist das, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind.“

„Leichen im Keller“ zitiert in erhebend visionär erklingender Weise den Output von Eisbrecher und Oomph!, stabil eingenagelt wird das Lied mit bewährten - textlich-gesanglichen - Rammstein-Zutaten. 


„Wir alle haben ja unsere ‚kleinen‘ Leichen im Keller. Aber gemeint sind in diesem Song die ‚großen‘ Exemplare dieser Redensart. Die Leichen von denen, die Wasser predigen und Wein trinken, die uns eine schöne heile Welt vorgaukeln und gleichzeitig die übelsten und abgründigsten, grauenhaftesten Verbrechen begehen. Diejenigen, welche unter dem Deckmantel einer heilen Welt und einer scheinheiligen Fassade, ein Leben voller Abgründe und Lügen führen. Die kalten und harten Gitarrenriffs und das harte maschinenartige Trommeln des Schlagzeugs waren genau das, was dieser Song noch dazu brauchte, um dem Text Nachdruck zu verleihen.“

„Alles klar“ geht spätestens mit Einsetzen des Refrains ins Blut und dann direkt in den menschlichen Bewegungsapparat, dazu pfiffig-keck getextet, Lindemann würde prüfend grinsen - auch bei Teufels Statement zum Song: 



„Ein Lied, das mehr oder weniger aus einer Laune heraus entstand. Heutzutage gibt es immer die Erwartungshaltung, das alles positiv und gut ist. Ständig die Fragen: ‚Na, wie geht es? Alles schön? Alles wunderbar?’ Irgendwann war ich davon sehr genervt. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf dieses antrainierte Grinsen zu schauen und diese heuchlerischen Antworten zu hören oder selbst zu geben. Und überall um uns herum passieren gerade schaurige Dinge auf dieser Welt. Wir pflegen derweil unseren englischen Rasen und schneiden unsere teuren Rosenrabatten. Ich fand den Gedanken für einen Song, in dem es um diesen Kontrast geht, wunderbar. Die Strophen zeigen die Abgründe und grauenhafte Dinge auf - und im Gegensatz hört man im Refrain eine schöne Melodie mit positiver Aussage. Und mir wird es live sicher sehr viel Spaß machen am Ende des Refrains den textlich versteckten Mittelfinger zu zeigen.“

Das „Loch in der Mauer“ geht mit animierend beschwingten BlueGrass-Nuancen einher, offenbart quirlige Anleihen bei balladeskem Pirate Rock und powert sich in den Spitzen zur Uptempo-Granate hoch - kein Wunder, dass darin so viel passiert, denn, wie Meister Teufel enthüllt, hat dieser Track mit seiner Vergangenheit in der einstigen Honecker-Republik zu tun.

„Es ist natürlich eine Geschichte, die man in diesem Song nur grob anreißen kann. Ein Folksong mit einem gewissen Augenzwinkern, in der meine Vergangenheit in der DDR beschrieben wird . Aufgewachsen bin ich ja zwischen Bergarbeitern und Fabriken. Diese Welt war laut und dreckig. Alles war bestimmt von Maschinen, Lärm und Kohlenstaub. Wir wuchsen auf in einem Land, das von der sozialistischen Ideologie der DDR geprägt war. Diese Welt und diese Vergangenheit hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Man wird in dem dazugehörigen Video sogar einmal kurz die Titelseite meiner Stasi-Akte sehen. Dieses Video hat wohl von allen am meisten Spaß gemacht. Ich konnte mit einer gewissen Ironie meine Vergangenheit und Kindheit darstellen. Was daran gut oder schlecht war, sieht man mit Abstand immer etwas anders. Dass die damaligen Autoritäten in den meisten Fällen bis hin in die Staatsführung für uns eine Art Witzfiguren waren, hat sich bis heute für mich nicht geändert. Die schönsten und größten Löcher in der Mauer der Widerstände waren wahrscheinlich die Zeiten nach der Wende. Als tatsächlich die Mauer gefallen war, herrschte im Osten eine regelrechte Anarchie. Städte wie Berlin waren damals ein unglaubliches Abenteuer. Ich bin sehr dankbar, dass ich genau diese Zeit mit erleben konnte. Am besten gefielen mir die orientierungslosen Politiker und Polizisten. Wahrscheinlich wird es so etwas nie wieder geben.“

„Neues Spiel, neues Glück“ trumpft sich als weitere gelungene Nummer in die Lauscher des Verfassers - da fragt man sich, wer in dieser tanzwütigen Band-Gemeinschaft eigentlich die Lieder schreibt und wie gut das funzt. 


„Die Vorgehensweise beim Songschreiben ist unterschiedlich. Doch bin ich am Anfang mit Text und Idee meist der treibende Keil. Allerdings schreiben wir keine Lieder in einem Bandcamp oder auf dem Lande. Ich finde es nicht so gut einen Monat lang zusammen zu schreiben. Besser ist es die Songs nach einer gewissen Weile mit Abstand zu betrachten und mit einer gewissen Distanz neu darauf zu blicken. So schreiben wir die Stücke immer über eine längere Zeit mit größeren Pausen und Abständen.“

Nochmals zu „Neues Spiel, neues Glück“ - nicht wenige richten bekanntlich ihre ganzen Leben danach aus, ob nun im Glücksspiel oder am Rechner bei allerlei E-Sport-Games. Teufel, ebenfalls ein Spieler? 


„Computerspiele interessieren mich eher weniger. Ich habe immer das Gefühl, wenn ich wirklich einmal am Computer gespielt habe, das ich meine Zeit sinnlos vertue. Brett- oder Kartenspiele sind von Zeit zu Zeit schon eher unterhaltsam, wenn die Runde, mit denen man spielt, lustig und ausgeglichen ist. Ich mag es nicht, wenn der Spaß dabei verloren geht und es zum ‚erbitterten Kampf‘ wird. Ich habe deshalb sehr selten um Geld gespielt. In ‚Neues Spiel, neues Glück‘ geht es für mich eher darum, dass ich mich von Zeit zu Zeit zurückziehe um nachzudenken und mich neu zu finden. Das ist dann wie eine Art Verpuppung. Und wenn die Hülle schließlich wieder aufbricht, ist man wie ein neuer Mensch. Ich finde es gut, wenn man sich ab und zu neu erfindet. Es gibt viele neue Dinge und viele neue Wege, die man dann gehen kann. Es ist nicht gut zu stagnieren und sich nicht zu verändern. Wenn man neue Dinge ausprobiert und sich neu erfindet, dann kann man, so glaube ich, das Spiel des Lebens besser meistern. Klingt ein wenig esoterisch, ist es auch, aber auch wieder nicht. Neues Spiel, neues Glück, die Kugel rollt weiter und wir sind mit einer neuen CD zurück.“

„Noch eine Flasche Wein“ verleitet rasch zum tieferen Sinnieren, also gut getroffen, wertes Teufelchen! Trockene französische, spanische, italienische, griechische und südafrikanische Weine beflügeln seine Gedanken schon seit ewigen Zeiten, lässt der Musikus wissen.

„Der Song ‚Noch eine Flasche Wein‘ ist bei Ausbruch des Ukraine-Krieges entstanden. Er ist wohl einer der tiefgründigsten und bewegendsten Songs auf diesem Album. Ich habe mehrere Leute weinen sehen beim Vorspielen dieses Stückes. Es ist ein sehr emotionaler Song, der trotz aller negativen Gedanken Hoffnung geben soll. Denn nur die Kunst und die Liebe können diese dem Untergang geweihte Welt retten. Wir haben zu diesem Lied ein Video gedreht, welches eine sehr poetische und romantische Welt darstellt: Eine Künstler-Boheme in einer Abgeschiedenheit, fast wie ein Traum. Mir war es wichtig, dass dieses Video kein positives Ende hat. Aber man sollte trotzdem das Gefühl haben, dass alles gut ist. Ein Schock am Ende des Songs, da die alles zerstörende Bombe explodiert. Reaktion zu provozieren und Emotionen zu erzeugen ist das, was ich will. Das gelingt aber nur, wenn es auch eigene echte Empfindungen und Emotionen sind.“

„Roter Mohn“ ist ein ganz besonderer, ein sehr persönlich erscheinender Song, das hört, merkt und spürt man sofort - definitiv eine der besten Kompositionen auf „Achtung, Mensch!“, inklusive dezent einher flirrender, Rammstein'scher Mädchenchor-Einsprengsel. 


„‚Roter Mohn‘ ist die Erinnerung an eine Zeit, die mit den Texten von François Villon einher ging und diesem unglaublichen rothaarigen Mädchen. Ein verrückter Sommer, wie ein Traum. Ich war ein junger Dichter und Spielmann der dreimal am Tag über seinen eigenen Schatten sprang. Ich konnte alles sein in diesem Sommer.“


Der Text von „Wenn du betrunken bist“ gibt Anlass zu Spekulationen. „Man kann in diesen Song viele Geschichten hineininterpretieren. Und das möchte ich auch gerne allen, die ihn hören, selbst überlassen. Ich bin vielen Leuten begegnet, die so zugeknöpft waren und so steif, dass man das Gefühl hatte, dass ihr Atem ein eisiger Hauch war. Schön war, wenn sie unter dem Einfluss von Alkohol plötzlich ihr wahres Gesicht zeigten. Wenn das passierte, war es manchmal auf eine gute Art und Weise, aber manchmal kamen dämonische Abgründe zum Vorschein, die mich zeitweise erschreckten, faszinierten oder gar schockierten. Ich halte es für gut, wenn der Mensch ab und zu seine Hüllen fallen lässt und seine allzu glatte Fassade verliert. Wenn dann die perfekten Lebensläufe plötzlich nicht mehr wichtig sind. Mir gefällt es, wenn Leute sich gehen lassen und dadurch wieder zu echten, nicht perfekten Menschen werden. Also hoch die Tassen ihr dressierten Affen.“

„Wir sehen uns wieder“ kann vollauf happy machen, es könnte klassischer und nostalgischer nicht aufgezogen sein, das bewegende Stück - hört sich glatt an wie die Coverversion eines uralten, von allen geliebten Herzschmerz-Gassenhauers, und kann damit wohl als einer der am meisten aufwühlenden Songs der neuen Tracklist überhaupt beim Autoren punkten.

Teufel schwelgt dazu: „Schön war’s auf den Dächern von Sankt Petersburg. Schön war’s auf den Dächern von Ost Berlin. Schön war’s auf den Dächern in Mexico City. Es war schön, all die Verrückten kennen zu lernen, die wie wir vom Zauber der Freiheit geküsst wurden. Viele sind von uns gegangen, doch sie sind auf ihre Art doch irgendwie bei uns geblieben. Wir werden uns wieder sehen. Eines Tages tanzen wir wieder auf den Dächern. Dann werden wir brennen wie römische Laternen in der Nacht, bis wir verglühen.“

„Zauberland“ offenbart dann primär, wie gut konditioniert, profund selbstkennend und stimmlich multipel austrainiert er als Sänger über all die Jahre doch eigentlich geworden ist.

Stimmlich gekonnt zu singen, ist das Eine. Aber, das Herz dann auch noch auf den Stimmbändern tanzen zu lassen, das obliegt nur den inbrünstigsten unter den Überzeugungstätern. 


„Ich glaube, dass man alles, was man macht, auch mit Herz und Seele machen sollte. Dann ist es ein Teil von einem selbst, welches man an andere weitergeben kann. Das ist genau der Zauber, den wir alle suchen. Alles was wir tun beruht auf Begegnungen und Ereignissen. Mich hat vieles beeinflusst und geprägt, auf gute wie auch auf schlechte Weise. So ist alles ein Resultat meiner Vergangenheit. Und dazu gehören auch die letzten fast 40 Jahre ohne Mauern und Beschränkungen. Wir konnten viel von der Welt sehen und ich hatte das Glück viele Menschen und viele Musiker kennenlernen zu dürfen. Ich bin dankbar dafür, diesen Weg gegangen zu sein, wenn es auch manchmal hart und schwer war. So ist es doch genau richtig gewesen.“

Meister Rothorn fühlt sich sowieso einfach glücklich mit dem neuen Album „Achtung Mensch!“. „Es ist für mich rundum gelungen. Es hat ein super Artwork. Es hat Spaß gemacht mit allen an der CD Beteiligten zusammenzuarbeiten und gemeinsam an dem Gesamtwerk zu arbeiten. Jetzt wird es Zeit, dass wir veröffentlichen und im Herbst auf Tour gehen können um endlich die Songs live zu spielen.“

© Markus Eck, 02.08.2024

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