Interview: | SKÁLD |
Titel: | Mit einem Bein im Altertum |
Als der französische Komponist und Produzent Christophe Voisin-Boisvinet 2018 die drei Kehlenkünstler Justine Galmiche, Pierrick Valence und Mattjö Haussy um sich scharte, markierte das den Beginn einer höchst erfolgreichen Kooperation.
Skáld, im Bereich der altnorwegischen Skalden-Folklore aktiv, avancierten zuerst zu Youtube-Stars, dann zu Publikumslieblingen. Denn das Dargebotene weiß auch auf auf der Bühne großartig zu überzeugen. Dem 2019er „Vikings Chant“, ihrem weltweit erfolgreichen Debütalbum, lassen die Beteiligten nun den Nachfolger „Vikings Memories“ nachfolgen.
Wie Sänger Pierrick Valence zu berichten weiß, nimmt er das Ganze gerne sehr ernst. „Mir hat es die ‚ganz alte‘ Musik schon seit jeher absolut angetan. Ich habe ein riesengroßes Interesse an allerlei historischen Instrumenten - doch darüber hinaus interessieren mich auch die Geschichten dahinter sowie Überlieferungen zu einzelnen Kompositionen. Ich unternehme daher hin und wieder extra Reisen zu Instrumentenbauern und Künstlern, die mir davon künden können. Bestimme Lieder wurden beispielsweise zu Feiern zelebriert, andere zu Bestattungen etc.“
Wie der herzliche Barde weiter angeregt erzählt, sieht er in dem Kontext auch die Beziehung, welche die Menschen vor so langer Zeit auch zur Musik an sich hatten.
„Musik diente einst primär zur Anrufung von Göttern oder zu schamanischen Zwecken, das besagen viele uralte Überlieferungen - mich fasziniert das hochgradig. Heute wird Musik ja natürlich ganz anders gehört beziehungsweise ganz anders konsumiert. Wir wollen mit Skáld dem alten Gefühl neues Leben verleihen, mit unseren Stücken den Geist längst vergangener Epochen in die Gegenwart transformieren.“
Wie automatisch geht der Dialog nachfolgend über zur innigen und religiösen Naturverehrung der Vorfahren. „Ich halte dies für einen der am meisten einnehmenden Aspekte in der Betrachtung historischer Musiker und ihrer von so vielen Wünschen, Sehnsüchten, Emotionen usw. erfüllten Lieder. Wie unser Bandname schon ausdrückt, sehen wir uns in der Tradition der Skalden, welche im mittelalterlichen Skandinavien als höfische Dichter und Liedermacher am Werk waren. Norwegen und Island kennt die meisten Berichte davon. Vieles von dem, was die Skalden hervorbrachten, trug visionäre, ja, geradezu seherische Züge. Eine ganz eigene, eine absolut geheimnisvolle Welt für sich!“
Was die Verehrung und Huldigung von Mutter Natur angeht, da hat der Gute auch so einiges vorzutragen. „Jeder, der mit wachem Geist lebt, weiß um den schlimmen Umgang der Menschheit mit der Natur und den natürlichen Ressourcen. Schon die Skalden besangen den respektvollen Umgang mit der Schöpfung, und kultivierten den spirituellen Umgang damit. Wir von Skáld sind allesamt immens naturverbunden. Interessant, dass wir vor Ausbruch des Covid-19-Virus tatsächlich nicht gerade selten darüber philosophierten, dass die Erde sich die Ausplünderung und Überbelastung durch den Menschen nicht ewig gefallen lassen würde. Im Altnordischen ist diesbezüglich vom ‚Ragnarök‘ die Rede, also vom Untergang - der aber auch einen Neuanfang mit sich bringt. Die letzten Jahrzehnte über trieben es die industriell machtvollen Teile des Homo Sapiens bekanntlich immer übler mit der Schändung der großen Erdenmutter, und den daraus resultierenden Schaden konnten die vielen globalen Umweltbewegungen und Öko-Aktivisten trotz mannigfacher Bemühungen nicht effizient lindern geschweige denn aufhalten. Als wir dann die Lieder des neuen Albums fertig hatten, kam die weltweite Pandemie. Uns schien es wie die Erfüllung uralter Prophezeiungen.“
Als es an die stilistische Einflussbandbreite geht, die auf „Vikings Memories“ zu hören ist, gerät der Mann wieder ins Schwärmen.
„Das angesprochene Mongolische gefällt mir darin wirklich sehr, schamanischer und beschwörender kann Musik ja eigentlich gar nicht klingen, so finde ich. Auf mich wirkt das immer wieder aufs Neue geradezu heilsam, und ich bin mir sehr sicher beziehungsweise existieren auch Legenden dazu, dass derlei bis heute bei den Mongolen und ähnlichen Naturvölkern ganz generell als heilendes Element eingesetzt wird. Ich weiß, wovon ich rede, denn auf mich wirkt derlei Klangreigen überaus heilsam. Seelische Verletzungen, allerlei Ängste, Sorgen etc. können damit nicht nur wirksam überwunden werden, sondern bei den Betroffenen auch wichtige und nachhaltige Kraftreserven aktivieren. So sollte eigentlich jede Art von Musik bei den Hörenden aufgenommen, verstanden und genossen werden!“
So richtig erstaunlich wurde es für die ganze Gruppe, so ein überzeugter Pierrick, als sie im Zuge des Entstehungsprozesses für „Vikings Memories“ mit ansteigender Aufmerksamkeit bemerkten, wie nahtlos es sich ins Ganze zu fügen schien - was sich mehr und mehr bestätigte.
„Ich denke, das liegt vor allem daran, dass Skandinavier und Mongolen, also Asiaten, in archaischen Zeiten eine artverwandte Weise entwickelten, schamanische Geisterheiler-Klänge und -Rhythmen zu erzeugen. Es sollte eine Verbindung mit den Ahnen aufgenommen werden, man wollte sich - in Trance singend - sozusagen ‚zurück-rhythmisieren‘. Dass dies zutiefst in Seele und Geist des Menschen hineinwirkt und Veränderungen bewirkt, wird davon bewiesen, dass es so in beiden Kulturen noch heute ausgeübt wird - sogar in ‚künstlichen‘ Zeiten wie diesen mit ansteigender Tendenz. Ja, die Zahl der Menschen, die Sehnsucht nach einer Rückbesinnung haben, wächst und wächst. Und das ist gut so. Wir müssen die Vergangenheit schließlich kennen, respektieren und vor allem auch verstehen, um unser aller Zukunft vernünftig und gesund gestalten zu können.“
Die aktuellen Kompositionen entstanden trotz der vermeintlichen Schnelle des Arbeitsprozesses tatsächlich komplett ohne Eile, Hektik oder Druck, so der Sänger. „Das mag auch daran liegen, dass wir nicht nur rundum prima miteinander harmonieren in Skáld, sondern dass wir die Musik strikt an den Lyrics ausrichten; heißt, zuerst entstehen bei uns die individuellen Texte, welche dann erst zum reinen Komponieren führen. Ein richtig guter, ausgefeilt gehaltvoller Text ist immer dazu imstande, eine ganze Menge an Emotionen und Geschehnissen vor dem geistigen Auge des kreativen Künstlers auszulösen. Und je stärker dies vonstatten geht, umso intensiver, fesselnder kann die Kompositionen letztlich als Ganzes werden. Und das selbst in folkloristisch ausgerichteter Kunst wie der unseren.“
© Markus Eck, 18.09.2020
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