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Interview: SHADOWCAST
Titel: Stilistisch zwischen den Stühlen

Musikvisionär Clemens Mayr und seine Band Shadowcast sind immer für eine Überraschung gut, wie schon das innovative Debütalbum „Desperate Accuse Dimensions“ in aller Offenheit aufzeigte. Dessen stark futuristisch orientierte Klangmischung aus Pop-, Elektro-, Industrial- und diversen Metal-Bestandteilen zeugte bereits von ausgeprägtem kreativem Weitblick.

Mayr und Band selbst nennen das Ganze „Cyber Classic Space Metal“. Nicht minder experimentell mutet nun auch das aktuell geschmiedete Zukunftsschwermetall an, welches die Band derzeit mittels des Albumnachfolgers „Near Life Experience“ den Hörern vorstellt.

„Bei uns ist derzeit alles in Ordnung. Ich habe kompetente Musiker um mich geschart und mit der neuen Veröffentlichung das Optimale dessen erreicht, was ich mir für dieses Mal als Ziel gesetzt hatte. Während man die Debüt-CD noch als Soloprojekt mit Gastmusikern sehen konnte, ist Shadowcast inzwischen zu einer richtigen Band gewachsen, die heiß darauf ist, den Space Metal auf das nächste Level zu hieven“, lässt Bandgründer und Maincomposer Clemens Mayr eingangs verlauten.

Laut dem österreichischen Tasten- Saiten- und Gesangsmann lief das Debüt von den gesamten Reaktionen her gesehen mehr als zufrieden stellend, hinsichtlich der der Verkaufszahlen jedoch leider weniger gut:

„Die Zeit war anscheinend noch nicht reif für Shadowcast“, lacht er, und fügt an: „Dies ist wohl einfach darauf zurückzuführen, dass wir uns stilistisch sehr zwischen den Stühlen bewegen und daher wohl für Kritiker interessanter sind als für den potentiellen Käufer. Ich halte `Desperate Accuse Dimension` nach wie vor für ein gutes, aber gewagtes Experiment, mit dem ich mich stilistisch von jeglichem Trend entfernte und mir meine eigene Nische im Metal-Bereich suchte. Da mir dies auch in zahlreichen Reviews zugestanden wurde, ist die CD von der Idee her auf jeden Fall gut gelaufen. Selbstverständlich hätte ich aber nichts dagegen, wenn Käufer des Debüts auch das neue Album noch für sich entdecken.“

Positiv wurde besonders aufgenommen, dass Shadowcast sich in einer sehr eigenen Sparte des Metal bewegt und stilistisch das Ganze sehr schwer einzuordnen ist. Clemens hierzu: „Ich denke aber nach wie vor, dass `Space Metal` unsere Musik treffend beschreibt und unser Stil auch gar nicht so `abgefahren` oder `eigen` ist. Kritisiert wurden hingegen im Wesentlichen die programmierten Drums und mein cleaner Gesang; zu Recht, denn beides hätte man mit Sicherheit besser machen können. Aus diesem Grund hat sich vom Line-Up her auch gerade in diesem Bereich inzwischen das meiste verändert, somit waren diese negativen Kritikpunkte äußerst konstruktiv für die Entwicklung der Band.“

Wie sieht mein Gesprächspartner das Debütalbum im Nachhinein aus heutiger künstlerischer Eigensicht? „Ich bin im Großen und Ganzen noch immer zufrieden damit, wenngleich der Sound wohl etwas zu steril war. Ansonsten gibt es wenig zu bemängeln, da `Desperate Accuse Dimension` zu seinem Zeitpunkt das widerspiegelte, was ich mir unter Shadowcast damals vorstellte und was ich umsetzen konnte. Sicherlich gäbe es im Nachhinein einiges zu verbessern, aber was soll’s? Verbessern kann ich mich, indem ich neue Songs schreibe, warum sollte ich Altes verändern wollen? `Desperate Accuse Dimension` ist für mich ein gutes Debüt, nun geht es mit `Near Life Experience` in die nächste Runde.“

Die Idee für das aktuelle Cover war in erster Linie an den Titel der CD angelehnt, wie Clemens nun erörtert. „Das Grundkonzept war eine Kombination aus Mensch und Technik, ohne dabei ein Fear Factory-Cover zu reproduzieren zu wollen. Gestaltet wurde es von einem befreundeten Grafiker, dessen Ideen wunderbar mit meinen harmonierten. Er selbst ist noch in der Band Sternenstaub tätig. Wichtig war mir dabei vor allem, einen roten Faden zu Texten und Musik zu bekommen, und ich denke, das haben wir erreicht. Außerdem halte ich die zugrunde liegende Farbgebung für sehr interessant. Den meisten Bezug hat das Artwork zum Song `Snow Crash`. In diesem geht es darum, wie die Grenzen zwischen Realität und Computerwelt immer weiter verwischen, in dem wir uns durch Virtual Reality zunehmend aus dem realen Leben entfremden. Inspiriert wurde der Text durch das gleichnamige, absolut empfehlenswerte Buch von Neal Stephenson.“

Endlich hat Clemens mit Landsmann Moritz Neuner einen „richtigen“ Drummer gefunden und die Zusammenarbeit klappt hervorragend, wie zu erfahren war:

„Ich war mit Moritz schon lange in Kontakt. Und da unser Lukas mit der aktuellen Veröffentlichung den Schlagzeugerposten aufgab, um als Sänger in die Front aufzurücken, vergab ich den Platz an Moritz, weil er schon vor dem Debüt Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet hatte. Zwar wohnen wir etwa 500 km voneinander getrennt, das ist aber halb so schlimm. Denn da unser neuer Gitarrist Simon ebenfalls aus Innsbruck stammt, während Lukas und ich in Wien ansässig sind, ergibt dies demnach eine gute 2-2-Aufteilung. Mit Moritz habe ich einen tollen Musiker in eigenen Reihen, der sich vor allem auch um Live-Auftritte kümmert, weil er ganz versessen auf Gigs ist!“

Die Verpflichtung Neuners hat laut Clemens keinen direkten Einfluss auf die aktuellen Songs von Shadowcast genommen, denn die meisten Stücke waren bereits entstanden, bevor konkrete Pläne mit Moritz hinsichtlich einer Zusammenarbeit ausgearbeitet waren: „Somit programmierte ich ihm meine Vorstellung von Drums, und er hat sich daran orientiert, um anschließend noch eigene Ideen und technische Spielereien mit einzubringen. Was sich aber dadurch natürlich schon verändert hat, ist der Sound der CD, da `Near Life Experience` viel natürlicher und grooviger klingt als sein Vorgänger.“

Das aktuelle Material ist im Wesentlichen zwischen März und Oktober 2002 entstanden. Also, nachdem „Desperate Accuse Dimension“ fertig gestellt war, wie in Erfahrung zu bringen war. Clemens blickt zurück auf den Prozess des Songwritings: „Mit neuen Equipment ausgestattet, hatte ich zahlreiche Ideen. Ideen, welche ich sofort in die Tat umsetzte und nicht einfach `brachliegen` lassen wollte, sodass relativ schnell konkrete Pläne für `Near Life Experience` heranwuchsen. Ich habe Shadowcast ins Leben gerufen und bin auch der, der (bislang) sämtliche Fäden dahinter gezogen hat. Aus diesem Grund stammen auch – bis auf ein paar Gesangslinien – alle Songs und Texte aus meiner Feder. Das hat aber weniger den Grund, dass ich das Ruder nicht aus der Hand geben wollte, sondern vielmehr, dass ich erst jetzt ein Line-Up gefunden habe, mit dem ich Shadowcast auch als demokratische Band weiterführen kann. Es gibt kein grundsätzliches Konzept, aber ich möchte mit Shadowcast meine Vision von `Space Metal` umsetzen, abseits von Trends meine Ideen verwirklichen und die Band zu einem ernstzunehmenden Teil der österreichischen Metal-Szene machen.“

In diesem Kontext wünscht sich der kreative Herr Mayr eigentlich keine großartigen Visionen in den Köpfen seiner Hörer, sondern vielmehr: „Dass diese meine Musik nachvollziehen und sich dafür begeistern können. Shadowcast kämpft noch immer damit, dass wir mit unserem schwerverdaulichen Stil auf Verwirrung stoßen. Hoffentlich wird sich das ja bald ändern. Sit back and relax – and enjoy the `Near Life Experience`. So möchte ich genau jenes Publikum ansprechen, welches mit meiner Musik auch etwas anfangen kann. Leider habe ich bislang selbst noch nicht herausgefunden, wem der Shadowcast-Sound gefällt. Für extremen Metal sind wir wohl zu `wimpy`, für Gothic Metal-Fans eher zu heavy und für alle anderen Bereiche wohl auch ungeeignet“, scherzt der Österreicher, und hängt rasch an: „Nein, im Ernst: Wer an elektronischem Metal im Stile von Pain, The Kovenant oder auch Theatre Of Tragedy Gefallen findet, wird auch Shadowcast mögen. So hoffe ich doch sehr, dass wir wieder ein paar Leute mehr von unserer Musik überzeugen können und auch zahlreiche Konzertangebote bekommen, denn die `Near Live Experience` hat erst begonnen!“

Meine anschließend gestellte Frage nach aktuell verarbeiteten musikalischen Einflüssen brachte anhaltendes Runzeln auf Meister Mayrs Stirn hervor:

„Das ist immer am schwersten zu beantworten, da ich im Wesentlichen niemandem nacheifere beziehungsweise das wohl eher unbewusst passiert. Es gibt keine Vorbilder oder Formeln, nach denen ich einen Shadowcast-Track schreibe. Wenn jemand diese oder jene Einflüsse auf `Near Life Experience` hört, so mag das schon stimmen. Und es wäre wohl gelogen, würde ich behaupten, völlig unabhängig zu Werke zu gehen. Grundsätzlich wollte ich aber eine stimmungsvolle Kombination aus Elektronik, Metal, Eingängigkeit und Aggression – und ich denke, das ist uns gelungen.“

„Near Life Experience“ ist beziehungsweise war eine Bezeichnung, welche Clemens laut eigener Aussage eigentlich bereits für das Debütalbum verwenden wollte, wie sich im Nachfolgenden auftat:

„Aus irgendwelchen Gründen verwarf ich diese Idee damals. Als ich im Zuge der Vorbereitungen zum neuen Album alte Texte und Grafiken durchforstete, tauchte der Titel wieder auf und ich entschloss mich, ihn diesmal zu verwenden. Für mich verkörpert die `Near Life Experience` Gedanken und Impressionen am Rande des Lebens. Texte wie von `Permanent Crackdown` oder `Antisense` zeigen die Doppelmoral und all das Widersprüchliche, das in unserer Gesellschaft herrscht, auf. Ohne dabei jedoch political correct zu sein oder Ähnliches. Ich weise auf Schwächen der Menschen hin, weiß aber meist selbst leider keine Vorschläge, wie man sie verbessern könnte. Trotzdem können die Lyrics ein paar Denkanstösse liefern, Weltverbesserer werde ich dadurch aber wohl zu keinem werden“, stellt er selbstzynisch fest.

Clemens´ Meinung nach sind Schubladenbezeichnungen bis zu einem gewissen Grad nötig, zumal er in einem Review etc. eine ungefähre Vorstellung von einer ihm unbekannten Band haben möchte. „Viele Bands sind stolz darauf, sich gängigem Schubladendenken entziehen zu können. Okay, das spricht vielleicht für Eigenständigkeit. Trotzdem sollte ein Leser eine ungefähre Vorstellung haben, wie er sich den Stil einer Band vorzustellen hat. Ich tituliere Shadowcast nach wie vor gerne als `CyberClassic Space Metal` und liefere somit gleich meine eigene Schublade. Wer aber bspw. Electro Metal daraus macht, dem lasse ich das natürlich auch durchgehen. Wenn ich aber, wie damals bei `Desperate Accuse Dimensions` in einem Review von `reinem Gothic Metal` lese, dann stellt es mir schon die Haare zu Berge. Da helfen nicht mal Schubladen – denn derjenige Schreiber ist eindeutig an der Platte gescheitert.“

Abschließend gewährte mir der Shadowcast-Kopf noch einen kleinen Einblick in private und stilistisch scheinbar recht offene Hörvorzüge: „Bei mir rotiert derzeit vor allem End Of Green, die meiner Meinung nach das Sommeralbum des Jahres 2003 geliefert haben, außerdem die Wahnsinnsscheibe von Chimaira, sowie das Soloalbum von Depeche Mode-Frontmann Dave Gahan. Auch die neue Graveworm-Scheibe ist ziemlich groovy geworden. Ansonsten ändert sich mein Geschmack eigentlich ohnehin laufend.“

© Markus Eck, 23.05.2003

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