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Interview: SCHANDMAUL
Titel: Über alle Hürden

Mit ihrem neuesten Album sorgen die beständigen Bayern derzeit für einen noch heißeren Sommer, schließlich heizt „Knüppel aus dem Sack“ mittels überraschend feurigem Songmaterial doch gar mächtig ein! Mit all ihren aktuellen, sagenhaft taufrisch klingenden Mittelalter Folk Rock-Hits machen Schandmaul den vielen treuen Fans die Zeit seit dem 2019er „Artus“ schlagartig so sehr vergessen, als hätte es nie ein Warten darauf gegeben.

Dass sich die beiden Gründungsmitglieder, Sänger Thomas Lindner und Trommler Stefan Brunner, am - herrlich sonnigen - dritten Juni vormittags bei Kaffee und Frühstück im gemütlichen Gröbenzeller Proberaum die spielmännische Ehre geben, ist erfreulicher Garant für einen äußerst ergiebigen Gesprächsdreier.

2023 machen die unbeirrbaren Musikanten zusammen das Vierteljahrhundert voll als Musikgruppe, wozu man ihnen ganz herzlich gratulieren mag. Thomas dazu:

„25 Jahre sind eine lange Zeit. Ich bin nun quasi mehr als die Hälfte meines Lebens in dieser Kapelle. Da blickt man schon auf etwas zurück. Für mich ist es wie ein ‚Baby‘, welches man großzieht und dabei zusieht, wie es wächst und gedeiht. Stolz ist zwar ein großes und auch schweres Wort - aber da darf man schon ein wenig stolz sein, definitiv. Vor allem auch darauf, damit so lange durchgehalten zu haben - soll auch heißen, dass man es zeitlich überhaupt zustande bringt, sich dem so lange widmen zu können. Andere haben einen 40-Stunden-Job, wo dann eben gar keine Zeit mehr bleibt für eine Band, man kann eben viel zu oft beileibe nicht jedes Hobby so bedienen, wie man es gerne möchte. Da gehört also auf jeden Fall auch eine Portion Glück dazu.“

Ein sehr probates Stichwort für die weitere Unterhaltung - somit nach ‚glücklichen‘ Fixpunkten befragt, die er über die Jahre seit der 1998er Bandgründung im Gedächtnis behielt, lässt der Frontmann nach kurzer Überlegung in aller Besonnenheit wissen:

„Es war eine stetige Entwicklung, an der wir kontinuierlich arbeiteten. Die erste richtige Gelegenheit für uns, aus dem anfänglich engeren Dunstkreis erstmals so richtig nach draußen durchstarten zu können, bot uns sicherlich unsere damalige Konzertagentur. Wir saßen fast jedes Wochenende in irgendeinem VW ‚Bulli‘- oder Sprinter-Bus, was natürlich ebenso schön wie anstrengend war. Beispielsweise ging es für ein einziges Konzert nach Stralsund, daran erinnere ich mich noch genau - mal ‚ebenso so‘ 1.800 Kilometer runtergerissen für zwei Stunden Auftritt. Das war ein ‚Über-den-Tellerrand-hinausgucken‘, aus der eigenen Dorfkneipe raus, damit und mit allerlei obligatorischen Mittelalter-Events konnten wir uns langsam aber sicher einen Namen machen.“

Schlagzeuger Stefan ergänzt seinen am Schreibtisch sitzenden Kollegen, dabei nicht minder lässig, von der Couch aus: „Ich würde sagen, es ist irgendwann ganz einfach ‚implodiert‘, was letztlich aber auch nur durch den außergewöhnlich guten Zusammenhalt in Schandmaul möglich war und immer noch ist. Wichtig ist mir in dem ganzen Kontext nämlich auch zu erwähnen, wieviel Glück wir hatten, dass sich die Richtigen gleich von Anfang an fanden, um einer gemeinsamen Vision zu frönen. Dass wir also mit den wirklich wenigen, kleinen Personalwechseln, imstande waren, immer weiterzumachen, das ist für mich auch persönlich ein Riesenglück! Bei anderen Bands ging bekanntlich eine viel höhere Line-Up-Fluktuation einher.“

Zu letzterem schaltet sich Thomas wieder ein: „Es fanden sich Leute zusammen, die unbedingt Musik machen wollten. Und dieser spielfreudig geprägte Konsens als Antrieb macht auch heute noch den kreativen Kern in Schandmaul aus. Zugute kam uns anfänglich sicher auch, dass wir uns schon vor Schandmaul alle - auch als Musiker - näher kannten. Wir mussten daher überhaupt kein ‚Casting‘ für Mitmusiker machen und neue Leute ‚auswählen‘.“

Die personellen Geschicke sind somit eher geflossen als dass sie geschoben wurden. Thomas stellt konkretisierend klar:

„Unterm Strich ging es bei uns eigentlich immer schon einzig ums Menschliche. Alles war von Anfang an auf Freundschaft gebaut, wir wuchsen alle zusammen in der Band ‚heran‘. Niemals mussten wir sagen ‚Du bist kacke an deinem Instrument, wir müssen uns deshalb einen Ersatz für dich suchen!‘. Darüber sind wir schon sehr froh - in unseren 25 Jahren hatten wir gerade mal sage und schreibe zwei Wechsel in der Besetzung.“

Stefan macht das Thema noch rund: „Ja, wir ‚ticken‘ zwar alle ziemlich unterschiedlich, aber: wenn es um prinzipielle Sachen geht, beispielsweise, wie man miteinander umgeht, da sind sich alle in Schandmaul absolut ähnlich! Klar gibt immer wieder Phasen, wo es auch mal knirscht und raucht, aber das sehen wir als ganz normal an.“

In der Tat - ein Gewitter klärt die Luft, so spricht der Volksmund, und da stimmt Thomas dem Autoren auch fix zu, woran Stefan wiederum anhängt:

„Zusammen Musik zu machen, das ist eben auch etwas sehr Emotionales, da entstehen allerlei Stimmungen in den Beteiligten. Wie jeder weiß, hat die Corona-Krise auch seit dem Frühjahr 2020 überall fatal viel verändert, auch bei uns. Da entsteht dann schon mal ‚Druck im Kessel‘. Aber, wir können es einfach miteinander, daher werden wir unser Jubiläum nächstes Jahr mit noch mehr Freude im Herzen feiern - es ist dazu bereits so einiges in Planung, man darf sich somit vielfältig überraschen lassen.“

Damit in der Gegenwart angekommen, dreht sich der Trialog im Weiteren angeregt um den Titelsong des neuen Werkes, welcher der Fanbase auf Youtube erstmalig - als neues musikalisches Lebenszeichen - am zehnten März des Jahres präsentiert wurde.

„Das war endlich unsere Rückmeldung nach längerer Zeit, die ‚Katze aus dem Sack‘ sozusagen“, so postuliert Thomas, „die Nummer wurde bewusst dafür auserwählt. Wenn man ein neues Album macht, geht man nach Fertigstellung natürlich immer mal wieder die Tracklist durch und wir fanden dahingehend, dass der ‚Knüppel‘ sowohl musikalisch - definitiv die härteste Nummer des neuen Albums - als auch von der Titelgebung her optimal dafür passt. Polarisiert natürlich auch nicht wenig, das gute Stück, weil es eher ungewöhnlich anmutet, aber das darf es doch auch gerne - das Lied verdient das doch vollauf, schließlich hat es sinnbildlich danach geschrien, in ein solches Gewand gekleidet zu werden. Doch alle, die zunächst erschrocken aufblickten, sind mittlerweile auch wieder beruhigt bzw. dürfen beruhigt sein - denn das neue Album beinhaltet alle Facetten, die uns ausmachen, die typisch für uns sind und welche sowohl wir als auch unsere Anhängerschaft innig lieben.“

Der Vokalist nennt das Titelstück nachfolgend durchaus ungewöhnlich.

„Überwiegend ‚sprechender Gesang‘ darin, das ist schon mal eine andere Sache bei Schandmaul. Hatten wir so auch nicht so oft gemacht bisher.“

Das Musikvideo dazu war überdies ein ‚außergewöhnlich lustiger Dreh‘, so entsinnt sich der Stimmgewaltige.

„Aufgrund der Umstände hatten wir gleich drei Videos auf einmal an einem einzigen Wochenende zu drehen. In alles stark reduzierenden Covid-Zeiten eigentlich ein Riesenglück - und es geriet für uns auch noch zu einem Riesenspaß!“

Zunächst galt es noch, allerlei organisatorische Belange zu arrangieren, zu bewerkstelligen und zu meistern, wie Thomas rückblickend bilanziert.

„Wir hatten alle diejenigen, welche je nach individuellem Einsatzschwerpunkt irgendwie mitwirken, sozusagen punktuell an einen einzigen Fleck zu kriegen - auch das Filmteam mit all dem ganzen Equipment! Ein Termin ist ja oft schon ziemlich schwer zu managen - aber dieses Wochenende verlangte uns allen ein echtes Maximum an Organisation etc. ab. Es war hochgradig arbeitsintensiv, aber es hat sich gelohnt - wir haben durchgepowert!“

Stefan erinnert sich, wie überrascht er und die Schandmäuler dabei zunächst einmal von der zu Hilfe genommenen Technik waren. Absolviert wurde das komprimierte Vorhaben im Nürnberger Raum, geografische Details werden bewusst verschwiegen.

„Das war doch sehr interessant für uns, wir drehten quasi für einer sehr großen Leinwand, dahinter befanden sich riesige Projektoren, welche das Filmmaterial eingespielt haben. ‚Performance-Videos‘ nennt man das. Übel war jedoch: es war echt arschkalt! Es war wirklich noch so dermaßen kalt an diesen zwei Tagen im März, dass wir oft mit Wärmesohlen und mehreren Pullis übereinander agierten. Wo genau wir da zugegen waren, darf ich gar nicht sagen. Es ist eine geheime Lokalität, an der ein Film gedreht wird, der erst noch verkündet wird - und wir hatten das große Glück, all die dortige Technik für uns nutzen zu dürfen! Da kam uns definitiv das viel zitierte ‚Vitamin B‘ zugute. Da wir schon so lange dabei sind, kennen wir natürlich eine Unmenge Leute, so führte eins zum anderen. Die Videos sind schon echt großartig geworden, ein richtiges Privileg. Wir hätten es in diesem Jahr ohnehin ja niemals stemmen können, natürlich auch durch Corona bedingt, an drei verschiedenen Wochenenden so drehen zu können, das auch was Anständiges dabei herausgekommen wäre. Ich entsinne mich noch der wiederholten, leidigen Situation dort mit den ständigen Teststreifen etc., den Regisseur beispielsweise hat es dann auch noch kurz vor Drehbeginn erwischt - er war aber genau zum eigentlichen Start dann wieder freigetestet. Kostet ja alles nicht wenige Nerven.“

Doch Schandmaul und Crew ackerten sich entschlossen und belastbar durch, so proklamiert Thomas.

„Wir hatten unser Ziel ja ständig vor Augen - und abschließend dann auch ordentlich was im Köcher, genau das war der Plan.“

Stefan grätscht impulsiv rein und lobt auch noch die Kameraleute.

„Das war ein ambitioniertes Zweimann-Team, die echt ganze Arbeit leisteten. So etwas hat man garantiert im einheimischen (Musik)Bereich noch nicht gesehen, das sucht absolut seinesgleichen - wer sich auch das Video zu ‚Königsgarde‘ ansieht, wird dabei schnell verstehen, wie ich es meine. Da kann man den Jungs wirklich nur auf die Schulter klopfen - wir haben ja letztlich nur ‚rumgezappelt‘! [lacht] Dass wir diese einzigartige Möglichkeit letztlich überhaupt vom Schicksal bekommen hatten, ist, so denke ich, dem Umstand zu verdanken, dass sich über die Jahre einfach herumgesprochen hat, dass Schandmaul gut und nett zu den Menschen sind. Da kriegt man irgendwann doch auch etwas zurück.“

Als die Gesprächsdirektive schnurstracks in Richtung den jüngst fürs neue Album bewerkstelligten Songwritings geht, sprudelt es aus Maincomposer Thomas regelrecht heraus. „Einen Beginn und ein Ende für ein Album gibt es so gar nicht. Es ist vielmehr ein ständiger Prozess. Bei uns in der Gruppe sind neben mir ja auch noch andere Musiker maßgeblich beteiligt am Liederschreiben, allein von daher herrscht auch ein ständiger Ideenfluss vor. Auch für ‚Knüppel aus dem Sack‘ war wieder ein reichhaltiger Fundus von circa 20 Liedern vorhanden, und die passendsten wurden eben für die neue Platte von uns ausgewählt. Das war eigentlich auch schon immer so und hat sich bewährt, daher behalten wir das genau so bei. Wir lassen die Dinge halt am allerliebsten zwanglos und natürlich reifen, so könnte man sagen.“

Ein faires und demokratisches künstlerisches Zusammenwirken ist den beliebten Bajuwaren dabei stets oberste Direktive, gewährt der Sänger weiter Einblick. „Neue Ideen werden somit von den Einzelnen in der Band regelmäßig vorgestellt, und sei es auch nur mit der ‚Schraddelgitarre‘ - da geht dann der sinnbildliche Daumen entweder rauf oder runter. So einfach machen wir das. Steht dann erstmal ein ‚Gerippe‘, dann machen wir uns weiter drüber her. Erst dann beginnt es, dann holt jeder sozusagen sein eigenes Gewürz raus und gibt dazu, was er so kann. Der große ‚Topf‘ wird dann solange umgerührt, bis irgendwann eine Schandmaul-Nummer dabei herauskommt. Im weiteren werden dann noch mehr Köche hinzu geholt, sprich, der Produzent schaut auch vorbei und gibt seinen Senf etc. dazu usw. Unter Umständen wird dann final noch mal umarrangiert, um jedem Lied das ihm zustehende Optimum an Hinwendung zu geben. Irgendwann ist man dann soweit und möchte das Material ‚in Beton‘ gießen und für ein Album zusammenbringen - dann geht’s ans Aufnehmen ins Studio.“

Zu letzterem Themenkontext verwandelt sich die Miene des Sängers rasch wieder in eine merklich kritischere Richtung - denn auch da kam den Musikern natürlich Corona nicht gerade wenig ins Gehege.

„Wir mussten unsere Abstände einhalten, wir durften kein Rudel bilden etc. Es wurde mehr oder weniger in Kleingruppen mit dem Produzenten alleine aufgenommen. Das war doch sehr ungewohnt! Klar, einspielen und aufnehmen kann immer nur einer aus der Band, doch der Rest saß ja dabei. In vergangenen Zeiten saßen wir da gemütlich lümmelnd auf irgendeiner Couch herum und wechselten uns entspannt im Studio ab - konstruktive Gespräche taten ihr - wichtiges - Übriges zwischen jeder Aufnahme-Session. Diesmal wurde erstmal ins ‚Blaue‘ hinein aufgenommen und am Abend wurden dann die entsprechend abgespeicherten Files versendet zur Besprechung etc. Feedback erhielt man dann von den mehr oder weniger weit entfernten Bandmitgliedern. Letztlich musste das so funktionieren und das hat es auch. Ist wie so oft alles Sache der richtigen Einstellung dazu.“

Produzent Simon Michael, der seit 2005 auch Drummer bei Subway To Sally ist, wirkte beim Vorgängeralbum bereits als Co-Producer und Drum-Coach mit - somit war die Produktion für „Knüppel aus dem Sack“ um einiges leichter vonstatten zu bringen unter den eher widrigen Umständen. Michael ist froh drum:

„Es hat sich mit ihm fürs neue Werk einfach so ergeben, wir wollten auch sein gut ausgestattetes Studio nutzen. Mit dem römischen Produzenten Fabio Trentini, vor Simon unser Main-Producer, wäre es diesmal wegen den ganzen Covid-Restriktionen auch eher aufwändiger und insgesamt beschwerlicher für uns gewesen primär zu arbeiten. So kam eins zum anderen, es hat sich quasi gedreht - Fabio wirkte nur als Co-Producer mit. Der saß da in den Dolomiten und hat per Skype seinen Senf dazugegeben, in Italien waren die Covid-Regeln zu der Zeit ja besonders streng. Glücklicher Umstand war dabei, dass Simon und Fabio auch persönlich gut miteinander befreundet und vernetzt sind - da fand somit ein harmonischer und produktiver Austausch statt, was dem Album doch enorm zugute gekommen ist.“

© Markus Eck, 10.06.2022

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