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Interview: ODROERIR
Titel: Tribut an die alten Götter

Im windigen Herbst des Jahres 1998 von Menhir-Gitarrist Fix vorläufig noch als reines Nebenprojekt zum musikalischen Dasein erweckt, veröffentlichte diese beseelte Pagan Folk-Gruppe im Jahr 2001 ihr zauberhaftes Debütalbum „Lasst euch sagen aus alten Tagen…“. Es traten Mitglieder der Thüringer Pagan Metal-Gruppen Menhir und XIV Dark Centuries zusammen, um der großen Band-Vision von betont stimmungsvollem und extraordinärem heidnischen Liedgut wohlklingenden Ausdruck zu verleihen.

Nun legt das historisch interessierte Sextett mit dem neuen Werk „Götterlieder“ den zweiten Langspieler vor. Textlich umgesetzt wurde das faszinierende Überwerk der altgermanischen Mythologie an sich: Das Buch der Edda.

E- und Akustikgitarrist Stickel, der auch als Sänger und Erzähler bei Odroerir fungiert, bläst dazu noch Schalmei und Flöte in dieser Vereinigung. Er gesellte sich Ende 1999 dazu, wie er berichtet.

„Wir werden uns wohl noch ein wenig in Geduld üben müssen, bevor uns die ersten kritischen Bewertungen zum Album erreichen, ist doch der Veröffentlichungstermin erst der 29.08.2005 und auch die Promos sind bisher noch nicht aus dem Presswerk gekommen. Einige wenige, die bereits eine gebrannte CD hören konnten äußerten sich bislang allerdings durchweg positiv“, weiß der langhaarige und bärtige Barde mir eingangs zu erzählen.

Grundsätzlich können Odroerir laut seiner weiteren Aussage mit jeder Form von Kritik umgehen – solange sie, so Stickel, objektiv dargebracht wird, zumal etwas Gefühlsauslösendes wie Musik bei jeder Person einem sehr individuellem Auffassungsvermögen unterliegt.

„Absolute Traumbewertungen zu unserem Debüt haben uns allerdings bisher ebenso überrascht wie 0 Punkte-Verrisse, denen jeglicher Sinn abhanden ging. Das einzige was uns wirklich bitter aufstößt, sind immer wieder aufkeimende Versuche seitens mancher Rezensenten, uns in eine politisch rechte Ecke manövrieren zu wollen. Kleingeister die eifrig damit beschäftigt sind, jegliche Verwendung überlieferter germanischer Symbolik und Aufbereitung (früh)mittelalterlicher Geschichte zu tabuisieren und politisch einzuordnen.“

Reaktionen aus den Medien stehen diese Thüringer also relativ gleichgültig gegenüber: „Es ist doch auch nicht das Ziel unserer Veröffentlichungen, möglichst viele Kritiken zu erhaschen. Vielmehr bewegt es mich persönlich, wenn sich Menschen der Musik öffnen, sich in ihrem Innern davon berühren lassen und vielleicht, wenn sie es nicht schon tun, auch auf diese Art Zugang finden zu alten Traditionen, Mythen und Geschichten weit abseits der heutigen seelenlosen Popkultur.“ Weise gesprochen.

Ich frage anschließend nach, ob Odroerir die meisten Fans eher aus dem Metal-oder aus dem Folk-Lager hat. Stickel kann das jedoch gar nicht so genau sagen.

„Da die meisten Fans, die wir kennen ohnehin Freunde von uns sind. Allerdings scheinen wir doch ein recht unterschiedliches Publikum anzusprechen. Zumindest ist es immer sehr interessant, wenn nach manchem Konzert eingefleischte Black-Metaller an uns herantreten und nach unseren Veröffentlichungen fragen – dicht gefolgt von alternden Bluesern und ganz normalen Folk/Rock/Metal-Fans.“

Das für die Band laut Stickels Aussage auf jeden Fall Beachtenswerteste war der halbjährige Studiomarathon, den das neue Album „Götterlieder“ in Anspruch genommen hat. „Und der uns wahrlich viele Nerven gekostet hat. Wir waren natürlich nicht jeden Tag mit aufnehmen beschäftigt, aber dennoch nahezu ununterbrochen in diesem Zeitrahmen im Studio präsent. Da gebührt unserem Produzenten Enrico `Löwe` Neidhardt ein riesengroßes Dankeschön, der uns mit seiner schier unüberwindbaren Geduld zur Seite gestanden hat. Erwähnenswert ist auch, dass dies die erste Aufnahme ist, bei der wir keinen Sessionmusiker für die Geigenspuren benötigten, da diese nun alle von unserem Violinisten Veit eingespielt wurden, welcher seit Anfang 2004 bei uns weilt.“

Die Lieder des aktuellen Albums entstammen den letzten vier Jahren seit 2001 und wurden ausschließlich von Komponist Fix geschrieben, der als Multiinstrumentalist und ehemaliger Schlagzeuger die Lieder auch gleich für die ganze Band arrangiert, bekundet Stickel entsprechend meiner Neugier.

„Auch bei unserem aktuellen Album wurde mit denselben stilistischen Mitteln gearbeitet wie beim Debüt: Akustische und elektrische Gitarren, klare Gesänge und die Verwendung von Natur-Instrumenten, wobei inzwischen die Geige aufgrund unseres letzten Band-Zuwachses Veit einen höheren Stellenwert erhalten hat. Was auf „Götterlieder“ wegfiel, war der aggressive Gesang, der einfach nirgendwo so recht passen wollte – allerdings existieren auch neue Stücke in denen das `Gekeifze` wieder integriert ist.“

Nennenswerte musikalische Einflüsse kamen für dieses neue Album eigentlich keine zur Geltung, wie dann zu erfahren ist. „Aber unbewusst verarbeitet wohl jeder Musiker seine eigenen Hörgewohnheiten. So führt beispielsweise unsere Liebe zum guten alten Heavy Metal zu den in fast jedem Lied präsenten Soli. Fix als Komponist hat seinen eigenen, einst durch Bathory inspirierten, Stil längst gefunden und der Rest von uns fügt sich anschließend in die bestehenden Songstrukturen ein.“

Wir gehen zu den aktuellen lyrischen Einflüssen über, und der gute Stickel hat hierbei erwartungsgemäß so einiges zu berichten. Da es sich bei „Götterlieder“ seines Bekundens um eine Interpretation der Götterlieder der Edda handelt, wurden lediglich verschiedene Übersetzungen dieses Werkes als Inspiration für die Lyrik verwendet.

„Die einzelnen Liedtexte sind eigentlich alle selbsterklärend und sollen durchaus auch den geneigten Hörer dazu animieren, selbst einmal die Edda in die Hand zu nehmen und in dem Kompendium der nordischen Dichtkunst zu lesen – was allerdings viele die sich mit diesen Themen und der Musik beschäftigen, schon längst getan haben. Eine ausführliche Erläuterung inklusive des Eingehens auf den immer wieder präsenten schamanischen Unterton – seien es die Runenzauber im Skirnirlied oder auch die Art und Weise der Menscherschaffung – würde mit Sicherheit beinahe dein ganzes Online Magazine füllen.“

Einen kurzen Abriss möchte er dennoch geben. „Weltenanfang“ erzählt, wie der Name schon sagt, von der Geburt der Riesen, des Göttergeschlechtes der Asen und der Genese der Welt. In jene neu erschaffene Welt gelangt der erste Krieg, als die zauberkundige Gullweig in den Asen die Gier nach Gold erweckt. Erbost darüber, da man sie im Unklaren lässt wie das Gold zu beschaffen sei, durchstoßen die Asen Gullweig mit dem Ger und versuchen sie dreimal zu verbrennen. Voller Grimm ziehen daraufhin die Wanen gen Asgard und nach erbittertem Kampfe versöhnen sich die Göttergeschlechter durch Geiselaustausch. Um den Frieden endgültig zu besiegeln versammeln sich Asen und Wanen und erschaffen aus ihrem Speichel Kwasir, den weisesten Mann der Welt, der es vermag auf alle Fragen zu antworten. Jener wird jedoch durch die Zwerge Fjalar und Galar ermordet, die gegenüber den Göttern beteuern, er sei an übermäßiger Weisheit erstickt, da sie ihm keiner wegfragen konnte. Sein Blut vermischen sie mit Honig und bereiten daraus den Skaldenmet namens „Odroerir“ zu, welcher von Odin geraubt zu den Asen gelangt. „Ask und Embla“ sind das erste Menschenpaar, welche von Odin, Wili und We aus angeschwemmten Hölzern und der Zugabe von Blut, Seele und Sinnen erschaffen wurden. Zum Wettstreit der Schmiedekunst in „Zwergenschmiede“ kam es durch Loki, der heimtückisch vollbrachte, Sif all ihr Haar abzuschneiden. Als der Listenreiche von Thor ergriffen wird, schwört er die Schwarzalben dazu zu bringen, Sif ein Haupthaar aus Gold zu fertigen. In einem darauf folgenden Wettstreit entstehen die wertvollsten Kleinode der Asen wie beispielsweise Odins Ger Gungnir und auch der mächtige Hammer Mjöllnir. „Skirnirs Fahrt“ erzählt von der wunderschönen Riesin Gerda welche von Skirnir im Auftrag des Gottes Freyr umworben wird. Nicht durch Geschenke, sondern durch Drohungen und Runenzauber ergibt sie sich ihrem Schicksal und wird trotz der Feindschaft zwischen Asen und Riesen Freyrs Frau.“

Mich interessiert noch, ob ihre neue Klangscheibe insgesamt nach Vorstellung der Band ausgefallen ist. Stickel muss leider verneinen.

„So gibt es doch nach abschließender selbstkritischer Betrachtung schon wieder 1.000 Dinge, sowohl in produktionstechnischer wie auch musikalischer Sicht, die wir im Nachhinein gerne anders hätten – aber dafür wird es schließlich in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft „Götterlieder II“ geben“, blickt der vielseitige Klampfer in die Zukunft.

Er knüpft dem an: „Mit den diversen chor-artigen Passagen haben wir uns selbst überrascht, natürlich klingen drei Personen, die verschiedene Tonlagen einsingen, nicht wie ein 30 Mann starkes, ausgebildetes Chor-Ensemble. Aber wir sind mit dem Ergebnis doch recht zufrieden. Die Lieder sollten natürlich die jeweils erzählte Handlung akustisch unterstreichen, was insgesamt zu komplexeren, epischeren Songstrukturen geführt hat. Zwar fehlt den Stücken nun zum Teil der Mitsing-Faktor unseres Debüts, aber insgesamt gibt es in den einzelnen Stücken nun wesentlich mehr Spannungsbögen.“

Im Albumtitel „Götterlieder“ verstecken sich weder mystische Bedeutungen noch geheime Botschaften. „Er bezeichnet einfach den von der Gruppe vertonten Teil der Edda: die Götterlieder.“ Und nicht nur die Musik der Thüringer, auch ihr neues Albumcover gefällt mir sehr gut. Wie mein Gesprächspartner mir dazu mitteilt, offenbarte ein alter Freund namens Spitz ihnen schon vor Jahren seine Liebe zur Ölmalerei. „Nachdem wir einige seiner Werke gesehen hatten, stand für uns fest, wie in Zukunft unsere Front-Cover aussehen würden. Verarbeitet er doch in seinen Bildern Thematiken über welche wir singen, und so entwickelte sich seit unserem Debüt eine Zusammenarbeit, die uns zur Ehre gereicht und die wir hoffentlich noch lange fortsetzen können.“

Wie manche Hörer vielleicht vermuten mögen, leben Odroerir aber nicht als Einsiedler in irgendwelchen Wäldern und sie genießen laut Stickels Statement auch allesamt die Vorzüge des technologischen Fortschritts.

„Seien es Computer, die elektrische Gitarre oder auch das Automobil, welches gezwungener maßen allgegenwärtig ist. Furchtbar ist nur die lapidare Handhabung der Technologien. Eine Rücksichtslosigkeit gegenüber Mutter Natur, die in der immer schneller voranschreitenden Industrialisierung gipfelt, welcher hemmungslos ganze Wälder geopfert werden. Erst kürzlich waren Fix und ich mit dem Fahrrad unterwegs. Nach dem Durchqueren eines Biosphären-Reservates durchfuhren wir ein eigentlich wunderschönes Tal, in dem sich nach einer Wegbiegung jedoch plötzlich riesige Betonpfeiler erhoben. Umgeben von abgeholzten Waldstrichen kündeten sie von der bevorstehenden Autobahn und der weiteren Zerstörung eines Refugiums der Natur. Auch ist es erschreckend zu sehen, wie ein Volk vehement seine eigene Kultur verleugnet, in einer Gesellschaft, die dem moralischen Werteverlust nahezu gänzlich erlegen ist.“ Wer stimmt dem nicht unumwunden zu?

Einig sind wir zwei uns nachfolgend auch über die leidige Tatsache, dass es wohl keine Institution gibt, welche die Geschicke der Menschheit nachhaltiger und über einen längeren Zeitraum beeinflusst hat als die Kirche. Stickel:

„Gewaltverbrechen und politische sowie religiöse Dogmen der monotheistischen Religionen reihen sich bis in die heutige Zeit aneinander, von Verklärung und Hetze bis zu Sklaverei und Völkermord. Bedauerlich, wenn in der heutigen Zeit noch immer Tausende von Menschen in die Kirchen strömen, unwissend der Herkunft ihrer zu feiernden Feste oder der unaussprechlichen Gräuel die im Namen ihres Glaubens und dem Vorsatz von frommer (Schein)Heiligkeit anderen angetan wurde und immer noch wird. Man sollte ja meinen, ein in der heutigen Zeit gebildeter Mensch müsse es besser wissen, aber leider ist auch die in der Schule gelehrte Geschichte nicht objektiv und umhüllt heidnische Kultur ebenso wie die christliche Vergangenheit mit einem Deckmantel des Schweigens und der Unwissenheit.“ Meine Rede.

Ich bitte darum, mir noch einige musikalische Vorlieben von Odroerir aufzuzählen. Doch: „Das würde den Rahmen bei weitem sprengen, reicht der Musikgeschmack in der Band doch von allen möglichen Spielarten des Metal, Folklore und Rock über ein sehr weites Spektrum, ohne das wir uns da merkwürdige Einschränkungen auferlegen. Bei mir beispielsweise lief eben noch die „Stormwatch“ von Jethro Tull, vorhin Summoning´s „Stronghold“ und gestern mal wieder „Spiritual Healing“ von Death.“

Was kommende Live-Auftritte anbelangt, so können Odroerir es kaum noch erwarten. „Natürlich, steckt doch ein jeder von uns ziemlich viel Herzblut in die Auftritte, ganz zu schweigen von unseren Fans, die immer wieder unser Lied „Iring“ hören und singen wollen. Neben einigen Konzerten im Sommer, darunter das Rock For Roots-Festival in Nauen sowie einem Benefiz-Konzert zum Erhalt der Runneburg bei Weissensee, haben wir nach der Veröffentlichung von „Götterlieder“ eine kleine Tour angedacht, für die es im Moment allerdings noch keine konkreten Pläne gibt.“

Und Stickel kennt die Bühnen-Stärken seiner Truppe ganz genau. „Zuerst einmal sind wir natürlich sehr gut darin, unsere Spielfehler durch kurze Improvisationen zu kaschieren“, lacht der Gitarrist. „Des weiteren müssen natürlich unser absolut verlässlicher und stets groovender Schlagzeuger Philipp sowie unser Geiger gelobt werden, durch deren Unterstützung wir es endlich schafften, dieses überaus grässliche Keyboard über Bord zu werfen – was zudem den Vorteil hatte, das sich unsere Ivonne nun intensiver dem Gesang widmen konnte.“

Bei fast jedem Konzert präsentieren Odroerir einen kleinen Teil ihrer Reenactment-Ausrüstung, lässt Stickel abschließend wissen. Reenactment ist der Versuch, wie ich mich erkundigt habe, eine vergangene Epoche für kurze Zeit historisch so korrekt und so lebendig als möglich darzustellen. Reenactment wird primär als Hobby betrieben. Nur wenige spezialisierte Handwerker und Händler sind in der Lage, hauptberuflich davon zu leben. Die Wurzeln davon findet man in Großbritannien. Daher werden häufig Anglizismen verwendet:

„Die Verwendung unserer Reenactment-Ausrüstung auf der Bühne kommt in erster Linie der Atmosphäre der Lieder zugute und unterstützt sie auch optisch. Dabei sind wir zumeist um archäologische Authentizität bemüht und nicht darum, den nächsten Conan-Film ausstatten zu wollen. Seit letztem Jahr studieren wir neben unserem normalen, Metal-lastigen Set auch ein reines Akustikprogramm ein, in welchem die Lieder ein wenig anders arrangiert sind und nur mit Akustikgitarren, Mandoline, Flöte, Geige, Schlagwerk und natürlich Gesang dargeboten werden. Ein kleiner Wunschtraum von uns für die Zukunft ist eine Akustiktour durch die Musik-Pubs und beziehungsweise oder die Burgen Europas.“

© Markus Eck, 12.07.2005

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