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Interview: NOVEMBERS DOOM
Titel: Mentales Kartenlegen

Gestartet 1989, zählen diese wackeren US-Vorreiter definitiv zu den verdienten Pionieren des klassischen Melodic Death Doom Metal. Anfänglich noch als Thrasher am Werk, wandelte sich der Stil von Novembers Doom alsbald vor allem unter dem Einfluss von My Dying Bride.

Zuletzt karrten die Chicagoer ihren Fans in 2019 das Album „Nephilim Grove“ an, dann machte ihnen die aufkommende Pandemie fix einen dicken Strich durch die (Konzert)Rechnung. Die Enttäuschung saß tief, dann folgten dem Frust auch noch gesundheitliche Probleme von Gründer und Sänger Paul Kuhr.

Von allem erholt, veröffentlicht der Fünfer nun das zwölfte Album „Major Arcana“ - ein gewaltiger und zugleich ästhetischer Brocken von einem progressiv schleppenden Dark-Metal-Konzeptwerk.

Wie Paul zunächst mit einem sichtlich frohen Grinsen zu berichten weiß, sprang er kürzlich Gevatter Tod von der Schippe. „Ich musste mich einer Not-OP unterziehen, und war dabei sogar für eine kritische Weile klinisch tot. Ich kann jedem nur raten, gesundheitliche Belange so ernst wie möglich zu nehmen und ja nicht zu lange mit Arztbesuchen zu warten - es kann unerwartet schnell für einen zu Ende sein!“

Dementsprechend gut gestimmt, legt der Frontmann auch gleich zum neuen Output los:

„Es gibt da diese eine Band, von der ich zwei sehr gegensätzliche Songs - ‚I Found‘ und ‚5AM‘ - entdeckte, während es ans Songwriting für ‚Major Arcana‘ ging und die jedoch beide maßgeblichen Einfluss auf das neue Album nehmen sollten, vor allem auch gesanglich: Das Indie-Pop-Rock-Trio namens Amber Run. Weder ich selbst noch meine Bandkollegen hatten eine Ahnung, dass ich diese Art des betont harmonischen Singens überhaupt in mir trug. Sie sind aus England und nicht nur dort ziemlich groß angesagt. Ich kann gar nicht genau erklären, was mich da so gepackt hat, ob es nun die Vokalharmonien sind oder was weiß ich, und es ist mir auch ganz egal. So oder so, ich höre vor Beginn des kompositorischen Prozesses für Alben von Novembers Doom für ca. sechs Monate grundsätzlich ganz bewusst keinerlei Metal - denn ich möchte völlig unbeeinflusst ans Liederschreiben gehen können.“



Paul ist auch darin guter Dinge, dass er diesmal fürs neue Album auf Tour gehen kann mit seiner Combo.

„Als wir ‚Nephilim Grove’ herausbrachten, verkündeten wir dazu auch die Daten für unsere allererste Australien- und Neuseeland-Tour, das war überwältigend für uns - eine Woche später kam dann der große Lockdown! Wir bekamen also keine Chance, das Album auch nur irgendwie live zu promoten - das zerstörte uns damals schier. Wir hatten so dermaßen die Schnauze voll, dass wir für längere Zeit gar nicht mehr an die Musik auch nur denken wollten.“



Damit begann für ihn auch eine fatale mentale Misere, wie offenbart wird. „Ich wurde dermaßen unzufrieden mit allem und vor allem mir selbst, dass ich regelrecht damit begann, gegen mein Ich zu kämpfen. Ich hasste mich zwar nicht selbst, aber ich hasste alles um mich herum. Selbst als die Band mir irgendwann neue Demos zusendete, lehnte ich alles ab, wollte davon nichts rein gar nichts wissen. Ich begab mich in Psychotherapie, was mich letztlich ‚vor mir selbst rettete’. Und als ich dann eben Amber Run für mich entdeckte, fiel dies zeitgleich auf meinen bis dato größten Therapieerfolg - Bingo! Ich sendete meinen Mitmusikern alsbald den Chorus mit meinem neuen Gesangsstil zum Song ‚Mercy‘ sowie den Hook zum Titelsong, in dem mit meiner Stimme drei Stufen absolviere. Ich war sehr aufgeregt dabei, weil ich keine Ahnung hatte, wie die anderen darauf reagieren würden. Doch die Reaktionen waren fantastisch - ich hatte das ‚Go!‘, um so weiterzumachen!“

So machte sich der Sänger munter daran, den Rest des Materials mit dem Rest des Line-Ups zu co-komponieren und entsprechend neu ausgerichtet zu besingen. „Letztlich muss ich nun sagen, dass ich eigentlich schon immer genau so klingen wollte, aber ich hatte die das Gefühl oder die Sicherheit, dass es zu früheren Liedern passte. Die Zusammenarbeit war richtig spitze - wir sind nun schon so lange zusammen, dass keiner mehr dem anderen speziell etwas über sich, sein jeweiliges Befinden und eben seinen jeweiligen Beitrag im Songwriting zu erzählen braucht, um schlussendlich nach Novembers Doom zu klingen.“ [lacht] 



Damit vollzieht das Quintett laut Paul auch diesmal wieder einen weiteren entschlossenen und kontrollierten Schritt nach vorne, ohne künstlerisch auf der Stelle zu treten. „Wir wollten noch nie ein Album zweimal schreiben, uns vielmehr mit jedem Release entscheidend verbessern.“



Thematisch sind die zehn Tracks auf „Major Arcana“ vom Tarot-Spiel und damit verbundener Wahrsagerei inspiriert. „Und dies zeigt sich auch auf dem Cover-Artwork - wir haben uns selbst Karte Nummer 22 kreiert. So geht es in den Liedern um die Zahlen ‚1 bis 21‘ der ‚Großen Arkana’-Karten. Das ganze Album dreht sich um meinen persönlichen Kampf der letzten Jahre gegen meine psychische Krankheit und dem, was meine Frau mir entgegnete, als ich ihr von den einzelnen Kompositionen erzählte - sie meinte daraufhin, die einzelnen Songs könnte man als einen Stapel Tarotkarten erachten, welche ich während meiner schwersten Zeit ‚gemischt‘ hätte.“

© Markus Eck, 01.09.2025

Photo Credit: Novembers Doom

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