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Interview: NEMESEA
Titel: Reine Selbstverwirklichung

Mit einem der raffiniertesten und originellsten Alben im Bereich des Electro Gothic Rock schrauben sich diese beflissenen Niederländer derzeit mit rasanter Geschwindigkeit nach oben.

Und „Uprise“, der Nachfolger zum Ende 2011 veröffentlichten, dritten Longplayer „The Quiet Resistance“, zeigt die vielfach findige Formation aus Groningen auch stilsicher wie nie zuvor. Die neuen Songs von Sängerin Manda Ophuis, Gitarrist Hendrik Jan de Jong alias HJ und Bassist Sonny Onderwater erscheinen tatsächlich so vollendet, als würde man dabei auf gute alte Freunde treffen, die sich komplett neu eingekleidet haben.

2002 ins Leben gerufen, führt der ungewöhnliche musikalische Pfad von Nemesea also einmal mehr zu ebenso spannenden wie vitalisierenden Zielen. Wer sich zunächst fragt, woher eigentlich der Bandname stammt, dem hilft Sonny gerne auf die Sprünge.

„Wir wollen damit Nemesis ehren, die Göttin der Vergeltung. In der griechischen Mythologie ist Nemesis die auch die Personifizierung göttlicher Gerechtigkeit.“

Wie der Tieftöner munter weiter berichtet, erachtet er das neue Album „Uprise“ mitsamt der Band als eine gleichfalls harte wie alternative und melodische Angelegenheit in einem.

„Wir wollen damit einfach straight und effizient nach vorne rocken! Die zusätzlichen elektronischen Stimmungsbögen geben unseren neuen Nummern das gewisse Etwas.“

An das Songwriting für ihren vierten Langdreher gingen die Urheber ohne jede Erwartungshaltung heran, wie zu erfahren ist. Sonny:

„Dieses Album ist ehrlich, von Kopf bis Fuß sozusagen. ,Uprise‘ zeigt uns drei, wie und wo wir an diesem speziellen Punkt in unseren jeweiligen Leben stehen. Wir geben darauf alles, was wir haben und wir hoffen, dass die Menschen da draußen ihre Freude an unserer Musik haben werden.“



Und obwohl die aktuelle Veröffentlichung des Dreigespanns das Zeug zu einem großen kommerziellen Erfolg hat, gingen dem keinerlei entsprechende Beweggründe voraus. „Nicht im Geringsten. Wir denken ehrlich gesagt gar nicht an Verkaufszahlen, Radio-Airplay, Erfolg etc. - für uns als Musikgruppe ist viel wichtiger, dass unsere Lieder für sich selbst sprechen können!“


Da das neue Material von Nemesea auf faszinierende Weise gänzlich reibungslos ins Ohr fließt, liegt die Frage nach dem vorangegangenen Auswahlverfahren der Stücke in der Luft. Laut Aussage des Bassisten haben er und seine Truppe zwar immer wieder einige Schwierigkeiten damit, wenn mehr Songs vorhanden sind als auf ein Album passen.

„Doch wir warten da einfach stets auf die ganz speziellen Momente, in denen wir allesamt intuitiv spüren, dass eine Komposition perfekt zum Rest der ganzen Einheit passt. Es geht bei uns sowieso ganz nach Emotionalität, was die Songs anbelangt. Ein Stück muss sich für uns drei richtig und gut anfühlen, dann landet es auch sicher auf einem Album.“

Nemesea sind eben über die Jahre ein optimal eingespieltes und in jeder Hinsicht vollauf vertrautes Team geworden, so Sonny.

Auch für „Uprise“ funktionierte die bewährte kreative Formel der Holländer daher wieder bestens, freut sich der Mann mit lächelndem Antlitz.

„Zunächst gingen wir die grundsätzlichen Themen der Songs an sich an. Basistexte entstanden. Erst anschließend daran begann HJ damit, die jeweilige Musik dafür zu erarbeiten. Das mag einem zunächst nonkonform erscheinen. Für uns aber ist es der richtige Weg der gemeinsamen Arbeit geworden. Im Weiteren haben sich die Songs erneut stetig verändert. Melodien wurden fallengelassen und durch neue ersetzt. Selbiges gilt übrigens ebenfalls für die Lyriken, Songtempi oder sogar für die Keyboards, da wird ständig gefeilt und verbessert, wenn es nötig scheint.“



Der Dehner der dicken Saiten ergänzt zu dem Kontext, dass Nemesea oberbegrifflich nach einer gewissen Spannung in der Musik trachten, die den Beteiligten eine angenehme und begeisternde Stimmung ins Gemüt zaubert.

„Daher starteten wir im Sommer 2014 zunächst mit einer Vorproduktion, die nur eine relativ kleine Handvoll an Liedern im Fundus für ,Uprise‘ zurückließ. Die zweite Vorproduktion zogen wir dann 2015 auf, bevor es für uns final ins Studio zu den eigentlichen Aufnahmen gehen sollte. Wir konnten dadurch nicht zuletzt auch prima erleben, wie die auserwählten Songs sich dynamisch weiterentwickelten zu dem, was man heute auf dem Album hören kann.“


Am attraktiven Soundgewand der neuen Platte hat Produzent Guido Aalbers massiven Anteil. „Wir haben seiner umfangreichen Kompetenz und den vielfältigen technischen Möglichkeiten seines Giesound Studios enorm viel zu verdanken. Durch die sehr enge Zusammenarbeit mit Guido ging uns der dortige Prozess für ,Uprise‘ auch erfreulich produktiv von der Hand. Wer aufmerksam hinhört, der wird diesmal bemerken, dass Nemesea nicht nur insgesamt, sondern auch hinsichtlich der clever inszenierten und betont abwechslungsreichen Arrangements einen gehörigen Zacken zugelegt hat. Diesmal kam es uns sowieso vor, als ob der Ideenfluss noch spontaner und zugleich natürlicher als je zuvor vonstatten ging. Wir sehen im primären Songwriting schon einen prägnanten Reiz, aber die eigentliche Herausforderung erachten wir dann im komplett machen und in der Finalisierung der Tracks. Das eindeutige Endziel dabei ist es, dass jeder von uns dreien restlos glückselig mit dem neu Erschaffenen ist. Allerdings dauerte es diesmal schon eine Weile, bis dieser Zustand eintrat und wir hatten auch Stress mit diversen Deadlines im Studio. Wir sind nämlich nicht so einfach zufriedenzustellen, was eigene Songs und Performance betrifft.“

Der Bassist nimmt das Kompliment demzufolge hocherfreut auf, dass Nemesea es abermalig geschafft haben, sich seit 2002 nicht nur nachvollziehbar und interessant weiterzuentwickeln, sondern darüber hinaus auch kontinuierliche Qualität zu liefern imstande sind.

Nach dem Geheimnis dafür befragt, lässt Sonny wissen:

„Uns geht es seit jeher darum, etwas zu kreieren, dass uns aus dem tiefsten Innersten kommt und was uns die Tage auf Erden verschönert. Und da wir drei uns als Menschen natürlich durch eine Vielzahl an Einflüssen ständig verändern, entsteht somit auf ganz natürlichem Wege auch immer individuelle und spezielle Klangkunst. Das ist alles, mehr gibt es dazu nicht groß zu sagen“, überzeugt er auf sympathische Weise mit beachtlichem Understatement.

„Mit unserer Sängerin Manda haben wir aber schon auch einen riesengroßen Glückstreffer gelandet“, so wird dazu mit merklichem Respekt im Tonfall ergänzt, „und dieser wichtige Faktor heizt den schöpferischen Geist von Nemesea immer wieder verdammt mächtig an. Ich und Gitarrist HJ wissen sie und ihre einzigartige Stimme wirklich sehr zu schätzen. Mandas eindringlicher aber auf allen Ebenen doch auch harmonischer Gesang macht unseren Sound letztlich noch viel spezieller als er es ohnehin schon ist. Dass wir uns privat die unterschiedlichsten Sorten von Musik anhören, macht sicherlich auch einiges für die Eigenständigkeit der Songs von Nemesea aus. Vor allem HJ als unser Maincomposer ist auf dieser Ebene äußerst freigeistig und neugierig. Ob das am holländischen Wasser liegt, vermag ich allerdings nicht zu sagen“, scherzt der Bassist ausgelassen.

Ernster wird der Mann, als er seine letzten persönlichen Jahre im Weiteren Revue passieren lässt. „Wir hatten alle nicht wenig durchzumachen, was nicht nur charakterlich prägend wirkte. Das Songwriting wurde davon mit Sicherheit tief geprägt. Doch wir versuchen stets, es exakt so anzustellen, dass die Hörer ohne Mühe eine Verbindung von unseren Liedern zu ihrem eigenen Dasein beziehungsweise zu ihrer individuellen Perspektive herstellen können. Es geht ja nicht nur um unsere eigene Geschichte, sondern auch um dass, was alle Menschen irgendwann zu erleben haben. Jeder muss lernen, sich im Leben so gut wie möglich zurechtzufinden. Nicht zuletzt ist darin auch der Grund zu sehen, warum wir im Songwriting wie erwähnt zuallererst mit den Lyriken beginnen. Wir werden das daher auch genau so beibehalten.“


Die Frage, ob sich die neuen Lieder eventuell mit denen irgendeiner anderen Band vergleichen lassen, um neugierigen Nemesea-Startern einen ungefähren Anhaltspunkt zu geben, lässt zunächst dicke Runzeln auf der Stirn des Bassisten entstehen. Dann fängt er an zu lachen:

„Ich denke, dies haben nicht wir festzulegen! Fans des Genres werden uns bestimmt auch 2016 wieder mit so einigen Acts vergleichen beziehungsweise stilistische Verknüpfungen anstellen. Wir sind aber schon ziemlich gespannt darauf und lassen uns diesbezüglich sehr gerne überraschen. Ich beispielsweise liebe es immer sehr, mit was die Leute hinsichtlich Vergleichen so alles ankommen. ,Uprise‘ hat nämlich von allen unseren Alben den bislang reinsten Klang maßgeschneidert bekommen, was so einige markante Sound-Facetten freilegen kann.“



Nemesea legten für „Uprise“ mit den vordersten Fokus darauf, so Sonny mit Nachdruck in der Stimme, dass man jeden einzelnen Musiker deutlich spielen hört anstatt das Ganze sozusagen ,überproduziert‘ zu haben.

„Das Ding ist für unsere Verhältnisse sehr heavy, aber bietet mehr Dynamiken und weist mehr Klangfarben auf als der Vorgänger. Vor allem letzteres bringt die verarbeiteten Emotionen transparenter als je zuvor hervor. Insgesamt tendieren die neuen Stücke durch gezielt angehobenen Variantenreichtum sogar auch mehr in die Alternative Rock-Direktive.“

Als das Gespräch erörtert, ob es für ihn und seine Bandkollegen bei der Riesenzahl an weltweit guten Bands jährlich härter wird, originell und konkurrenzfähig genug zu bleiben, wirft Sonny erstmal ein zackig-spontanes „Ja und nein!“ ein.

„Sicherlich ist es mittlerweile immer schwerer geworden, die Leute auf sich als Band aufmerksam zu machen beziehungsweise von der eigenen Musik zu überzeugen. Schließlich ist die Zugänglichkeit zu neuer Musik die letzten Jahre immer noch leichter geworden. Um noch herauszustechen, muss man sich schon was eigenes und interessantes einfallen lassen. Vor 20 bis 30 Jahren stand zu diesem Kontext ja noch eine völlig andere Story zur Debatte, es hat sich so vieles geändert. Und diese Entwicklung geht auch immer schneller und vielfältiger weiter. Es bleibt also sehr spannend! Auf der anderen Seite darf man aber nicht vergessen, dass seit jeher auch ein großer Bedarf an ehrlicher und leidenschaftlicher Musik vorhanden ist. Und dies treibt auch uns wiederholt aufs Neue dazu an, möglichst einzigartig und originell zu sein.“

© Markus Eck, 17.04.2016

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