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Interview: LACRIMAS PROFUNDERE
Titel: Gereift durch Wesentlichkeitsbewusstsein

Wer loslässt, kann wieder greifen: Mit ihrem neuen Album „Fall, I Will Follow“ verfolgen die einstigen Gothic Metal-Protagonisten Lacrimas Profundere bemerkenswert linientreu ihre mit dem 2001er Vorgänger „Burning: A Wish“ neu eingeschlagene musikalische Richtung, ja, haben sie sogar noch um einiges vertieft.

So mutet auch das neue Material erst stark introvertiert an, um aber dann während des Entdeckungsprozesses der aktuellen Songs in das exakte Gegenteil umzuschlagen. Eine erneut interessante Hörangelegenheit also, etwa im Stile neuerer Pyogenesis, nur um einiges resignativer und sich spielerisch perlender in die Ohren ergießend.

Bereits zum dritten Mal begab ich mich daher in einen regen Gedankenaustausch mit Saitenkommandeur Oliver Nikolas Schmid, welcher seinem Instrument auch auf dem neuen Werk wieder so einiges an selbstverlorener Hingabe gewidmet hat.

„Burning: A Wish“ kam im Großen und Ganzen doch ganz gut an bei den Fans, wie ich eingangs erfuhr.

„Ja wir waren sehr zufrieden mit den Reaktionen, vor allem im Ausland wie beispielsweise Frankreich und Mexiko. Dort waren die Verkäufe und vor allem die Gigs sehr gut. In Deutschland sind wir knapp an einem Chart-Einstieg vorbeigerutscht.“ Was laut Oliver auch an der Mentalität der einheimischen Bevölkerung liegt, und er sprach unseren gemeinsamen Landsleuten nicht gerade ein Lob aus. „Nach unseren Gigs in Mexiko vor mehr als 5.000 Leuten wollte ich unbedingt eine komplette Live-taugliche Scheibe einhämmern. Jeder Song sollte live sofort zünden und `in die Fresse` gehen und genau so ist die Scheibe auch geworden `Straight forward` und direkt ins Gesicht. Die Leute hier in Deutschland sind einfach zu reserviert. Die können fast jeden Tag eine Band bewundern. In Mexiko ist das anders. Somit feiern diese Leute bei einem Gig auch eine riesige Party. Das würde ich mir in Deutschland auch wünschen. Wenn wir spielen oder ich einen Gig einer andern Band besuche kommt nie eine solche Welle rüber wie im Ausland. Ich verstehe das nicht, weil wenn ich soviel Kohle für den Eintritt bezahle, möchte ich doch auch meinen Spaß haben. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich bin mit den Konzerten in Deutschland auch zufrieden, nur gehen die Leute einfach nicht so aus sich heraus was ich persönlich sehr schade finde.“

Auch die neustilistische, etwas rockigere Direktive, welche schon auf „Burning: A Wish“ zu hören war, scheint von der Anhängerschaft akzeptiert. „Ich habe eigentlich nur wenig Kritik erfahren. Es waren einzelne Die Hard-Fans der ersten Stunde, die sich nach wie vor ein härteres Album in dem Stil unserer ersten Veröffentlichungen erhofften und somit natürlich enttäuscht waren dass die Grunts zurückgefahren wurden. Jedoch reden wir hier von CDs die 1994 eingespielt wurden. Keiner kann erwarten, dass wir über acht Jahre die komplett selbe CD immer wieder neu veröffentlichen, wir sind ja nicht AC/DC. Außerdem hat Kunst auch mit Entwicklung zu tun.“

Als wir auf die musikalischen Einflüsse zur neuen Platte zu sprechen kommen, offenbart Oliver sehr Persönliches:

„Die sind eigentlich größtenteils dieselben wie auf `Burning: A Wish`. In all den Jahren habe ich gelernt wie man schlüssige, eingängige Songs komponiert. Am Anfang fühlte ich mich wie ins kalte Wasser geschmissen und wollte daher so viele verschiedene Bestandteile als möglich in die Songs integrieren, um ein neuen und vor allem sehr eigenständigen Sound zu erreichen. Aber bereits auf dem `Memorandum`-Album haben wir uns von den zehnminütigen Tracks entfernt und kamen schneller auf den Punkt. Um es kurz zu machen: Alle Fans von Katatonia oder Anathema können auch bei unserer neuen Veröffentlichung nach wie vor bedenkenlos zugreifen. Bei `Fall, I Will Follow` aber zusätzlich noch die riff-rock-orientierten Fans, da die Scheibe noch mehr in die rockigere Schiene geht als der Vorgänger. Rock´n´Sad, das bringt es wohl auf den Punkt.“

Auf letzterem landet auch sein nachfolgend ergänzendes Statement.

„Ich finde die neuen Songs sind die offensten und direktesten die ich je komponiert habe. Dies liegt wahrscheinlich an meiner Familie. Man ändert seine Gedanken und natürlich auch sein Leben in gewisser Weise, wenn man ein Kind hat. Mein Sohn wird nun bald drei Jahre alt und ich habe mich einfach entfernt von den ewig traurigen Kompositionen. Ich sehe nun nicht nur schwarze Wolken am Himmel sondern gelegentlich auch mal einen Sonnenstrahl.“

Doch ist „Fall, I Will Follow“ deswegen noch lange keine absolut nach neuerlichen strengen Komponiergesichtspunkten konstruierte Klangangelegenheit. Oliver: „Nun, es war noch keine Platte von Lacrimas Profundere beabsichtigt, `so` oder `so` zu klingen. Unsere Songs entstehen nach wie vor ungezwungen und das Endergebnis ist immer sehr verblüffend. Wir reden immer vor dem Studiotermin miteinander und versuchen in Erfahrung zu bringen, welches wohl der beste Song auf der jeweilig kommenden CD werden wird, jedoch lag ich da noch immer falsch mit meinen Vermutungen. Denn wenn ein Song erst mal komplett aufgenommen und die Vokalarrangements komplett ausgearbeitet und ausgefeilt sind, erweist sich doch meistens ein Song als Hit, der im Proberaum eigentlich immer als gut aber nicht als `der Hit der Scheibe` bezeichnet wurde.“

Der neue Albumtitel „Fall, I Will Follow“ wirft doch einige Fragen hinsichtlich der offengelassenen Folgerichtung sowie seiner tieferen Bedeutung auf den Plan. Oliver beantwortet alle mit einem Schlag:

„Das ist wie immer dem kranken Hirn meines Bruders Christopher, unseres Sängers, entsprungen. Ich interpretiere daraus einfach `tu was du willst – ich folge dir`, also die absolute Hingabe. Andererseits ist es aber auch eine Aufforderung an die Fans, die uns bis heute die Stange gehalten haben und die, die uns auch weiterhin folgen werden.“

Der Gitarrenmann übernahm seit jeher einen überwiegenden Grossteil des Songwritings bei Lacrimas Profundere, was sich auch auf dem aktuellen Erzeugnis niederschlug.

„Sämtliche Songs, bis auf zwei Stücke, die unser Keyboarder Christian komponiert hat, wurden wieder von mir geschrieben. Dann schreibt Christopher die Texte und macht sich seine Gedanken über die Gesangslinien, welche auf dem neuen Output extrem geil ausgefallen sind. Es ist immer sehr überraschend wenn er mit seinen Ideen auf meine Songs ankommt, da ich beim Komponieren der Stücke oft an komplett andere Gesangslinien denke. Bei ` Fall, I Will Follow` hat Christopher wie gesagt superbe, schon fast geniale Ideen mitgebracht. Wir haben diese eigentlich im Studio nur noch gemeinsam verfeinert und gelegentlich einige Parts verworfen und zusammen neue verfasst. Wie bereits erwähnt trug ich bisher auf jeder Veröffentlichung den Löwenanteil der Kompositionen, nur dass ich diese CD sogar auch noch produziert habe.“

Der Gitarrist vertieft sich: „Meistens habe ich komponiert wenn ich vom Job nach Hause kam und meine Freundin mit dem Kleinen noch nicht zuhause war. Aber es klappt bei mir sowieso in den wenigsten Fällen, wenn ich mich hinsetze und etwas erzwingen will. Meistens kommen mir die Ideen von selbst in den Sinn, beispielsweise in der Arbeit, beim Fernsehen oder beim Lesen etc. Auch Zeitdruck hilft bei mir dabei ungemein.“

Da geht es ihm wie so vielen Musikern und beim Schreiben der Lyrics verhält es sich ebenso.

„Sämtliche Texte der neuen Scheibe stammen von Christopher, nur `Sear Me Pale Sun` haben Christopher und unser Keyboarder Christian gemeinsam verfasst. Auf der `Burning: A Wish`-Scheibe wurde ein Text sogar erst im Studio verfasst. Aber die Atmosphäre, die Stimmung etc. müssen trotzdem einfach stimmen.“

Nachdem ich erfahre, dass es in den neuen Songtexten hauptsächlich nur um Sex geht, wenden wir uns dem aktuellen, postmodern ausgerichteten und stark stimmigen Albumcover zu. Zeigt es eine im Seelenschmerz geleerte Flasche Hochprozentiges?

„Ja, könnte man so sagen. Ich bin schon ewig ein Fan der Arbeiten von Travis Smith der u. a. die genialen Covers von Katatonia, Anathema und Nevermore, aber auch Iced Earth, Overkill und Devin Townsend geschaffen hat. Also wollte ich unbedingt mal mit diesem Typen zusammenarbeiten. Das Bild soll offen lassen, ob die Person, deren Wohnzimmer zu sehen ist, Selbstmord gemacht hat oder nicht. Und die Pillen darauf sind auch kein Viagra.“

Die Arbeit daran gestaltete sich für den guten Travis nicht gerade einfach, wie Oliver bekennt. „Nachdem uns Travis unzählige Covervorschläge unterbreitet hat und auch sehr geile Motive dabei waren, aber nicht der `das ist es`-Entwurf, mailte mich Travis an und fragte: `Was willst du denn eigentlich?`. An dem Tag hatte ich dann diese Idee mit der leeren Flasche und den umgefallenen Tabletten in dem leeren Raum. Travis mailte mir dann das Bild und ich bat ihn, er solle es doch noch ein bisschen zerkratzen und so entstand nach und nach dieses Cover. Auch das Booklet und die Rückseite sind super geworden. Wir stehen alle komplett hinter dem Cover und ich würde auch sagen, dass es perfekt zur Musik passt. Meiner Meinung nach sollte man auf Covers in erster Linie bereits, ohne den Namen der Band zu lesen, erkennen können um welche Art Musik es sich handelt. Somit möchten wir mit dieser Art von Hüllengestaltung auch fortfahren. Die Leute sollen sofort am Cover erkennen können, dass dies eine neue Lacrimas Profundere-CD sein muss. Das Cover sollte das was wir bei der Musik empfinden widerspiegeln, ob nun durch die Farbe oder das Motiv. Dies ist Travis meiner Meinung nach alles hervorragend gelungen.“

Jetzt, wo Lacrimas Profundere mit „Fall, I Will Follow“ die ihrer Meinung nach ultimative Live-Platte geschrieben haben, können sie es kaum erwarten, auf die Bühnen zu kommen. „Als nächstes steht im November eine Mexiko-Headliner-Tour auf dem Plan um dann eventuell Anfang nächsten Jahres 2003 auf die Napalm Records-Europa Tour aufzuspringen. Jeder Goth Rock-Fan, aber auch andere, die auf riff-orientierte Mucke stehen und sich gelegentlich mal einen `schädeln` wollen können mal ein Ohr riskieren. Ich raste jedenfalls schon vor meiner Anlage bei unserer neuen CD immer regelrecht aus. Wir haben mit Christian einen neuen Rhythmusgitarristen in der Band, der uns hoffentlich auch auf der geplanten Europatour begleiten wird.“

Oliver ist schier nicht zu bremsen, doch auch das längste Interview geht zu Ende. „Ich bin derzeit auch in einem absoluten kreativen Hoch und habe bereits mit dem Songwriting für die nächste Platte begonnen. Sechs Songs sind bereits grob fertiggestellt. Checkt unsere neue CD am 25. November 2002 und unter www.lacrimas.com unsere neue Website! Freischnaps für alle – aber die nächste Runde zahlst du!”

© Markus Eck, 07.11.2002

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