Interview: | JARBOE |
Titel: | Kultivierte Exzentrik |
Eine wie keine: Dieses in Sachen Eigenständigkeit enorm aufwertende Persönlichkeitsprädikat trifft auf die amerikanische Ultra-Individualistin Jarboe vollauf zu.
Mitte der 80er Jahre kehrte die als Performance-Chamäleon bekannte Künstlerin einem gutbürgerlichen Dasein endgültig den Rücken, um sich fortan als Sängerin und Keyboarderin der Vertonung ihrer ausufernden kreativen Visionen hinzugeben.
Letzteres vollzog sich anfangs bei der stilistisch passend autark agierenden Post Punk-Combo Swans, mit deren Bandleader sie bei der Gelegenheit auch gleich eine abwechslungsreiche private Liaison einging.
Ab 1991 trat Jarboe dann mehr und mehr mit ihren Soloveröffentlichungen in düsteres Rampenlicht.
Und nachdem sich die Swans einige Jahre später sowieso auflösten, hatte die mitteilungsfreudige Vokalistin endgültig ihre schöpferische Linie gefunden.
Über die Jahre bereicherten eine ganze Menge an Gastmusikern die Jarboe-Platten, darunter sogar Blixa Bargeld, Larry Seven, Jim Thirlwell, Joseph Budenholzer und Kid Congo Powers.
Das neue Studioalbum „Mahakali“ zählt mit Sicherheit zum Ungewöhnlichsten dieser Tage in Sachen Musik überhaupt.
Denn es vereint so unterschiedliche Gestaltungselemente wie harte Dark Rock-Gitarren, anmutige Akustik-Intermezzi, surreal avantgardistische Jazz- und Ethno-Versatzstücke, deftige Grunge-, Ambient- und Noise-Packungen nebst festen Electro Metal-Verschnürungen.
Gewissermaßen gekrönt wird dieser mutige aktuelle Klangteller von oftmals richtig verstörend wirkenden Stimmdarbietungen, wie sie wohl einzig nur von Miss Jarboe selbst kommen können.
„Das, was ich musikalisch so veranstalte, ist auf jeden Fall irgendwie ziemlich extrem und auch heavy, und das ganz besonders in Bezugnahme auf all die enthaltenen Dynamiken. Ich liebe es nach wie vor, die ganze Bandbreite auszuloten: Also den Bogen von sanft zu laut und von akustisch bis elektrisch zu spannen. Dabei koste ich es noch immer enorm aus, nach Belieben exzentrisch zu sein, denn mir hat das schon immer sehr gut gefallen“, berichtet die in Atlanta, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Georgia residierende Stimmbandhexe mit zögerlichen Worten.
Lauscht man ihrem neuen Output „Mahakali“, so eröffnet sich dabei eine unfassbar große Zahl an Einflüssen.
Die außergewöhnlich vielseitige Sängerin erläutert zu diesem Kontext mit aller Ruhe:
„Persönlich lasse ich mich zwar von Vielem beeinflussen, aber: Meine noch immer gigantische Freude am Experimentieren stellt dabei wohl den größten Gestaltungsrahmen dar. Für mich ist es immer wieder aufs Neue ein tolles Erlebnis, neue Stimmungen in meiner Musik zu entdecken und zu erweitern beziehungsweise zu verfeinern.“
Wie Jarboe im Anschluss erläutert, baut sie ihre tendenziell avantgardistisch ausgerichteten Kreationen nicht zuletzt auch auf starke Stimmungsbasen auf.
„Dabei dient mir meine Stimme als tragendes Instrument. Ich favorisiere es zwar, furios und rau zu singen, doch kann ich auch mit eher moderateren Nuancen Kraftvolles ausdrücken. Da ich bekanntermaßen auf der Bühne ohnehin sehr publikumsnah auftrete, lasse ich mich beim Singen ohne Probleme stets von meinen innersten Eingebungen leiten – so trage ich meine Lyriken eben immer so vor, wie es zur jeweiligen Stimmung eines Songs passt, ganz egal, wie tief oder hoch. Und meine Lieder sind auch auf `Mahakali` enorm strukturen- und gefühlsreich.“
Der Titel des neuen Albums bezieht sich auf die berühmte und mythische asiatisch-indianische Gottheit, so die Frau weiter.
„Der Begriff stammt aus dem Hinduistischen. Sie, die große Kali, ist die Göttin des Todes und der Zerstörung, beschrieben wird sie beispielsweise in der Mahabarata und anderen indianischen Epen. Die Idee, einer derartigen Göttin der Zerstörung musikalisch zu huldigen, trage ich schon seit ziemlich langer Zeit mit mir herum. Mein Bassist Cedric Victor kam während der Aufnahmen zur neuen Scheibe mit der Idee zu Mahakali an, als er all die thematischen Übereinstimmungen bemerkte, welche das von mir zu diesem Zeitpunkt bereits geschriebene neue Material dazu aufwies. Mir gefiel der Gedanke dann auch immer besser, je mehr wir an den neuen Kompositionen arbeiteten – so kam letztendlich zusammen, was zusammenkommen musste. All die von Mahakali verdeutlichten Eigenschaften, insbesondere die große Kraft steckt auch in meinen Liedern.“
Dazu artikuliert sich die im Wesen nicht gerade leicht zu erfassende Ausnahmefrau bisweilen auch sehr gerne im Narrativ. Und ihre dabei auch vorgebrachte Interpretation einer Nietzsche-Weisheit besticht durch enorm homogene Authentizität in der Erscheinung.
„Ja, am meisten fasziniert mich seine philosophisch wertvolle Erwägung, dass, wenn man ein Monster bekämpft, man aufpassen muss, dass man nicht selbst zum Monster wird. Eine gewichtige Botschaft, auch nach all den vielen Jahren ihrer Existenz.“
© Markus Eck, 16.09.2008
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