Top
Interview: HÄMATOM
Titel: Mit aller Liebe

Dieses Schicksalsjahr hätte eigentlich primär unter dem Zeichen des Feierns der Musiker zu ihrem 20-jährigen Bandjubiläum stehen sollen. Doch als der große Publikumsliebling, Bassist WEST am 15. August 2023 nach kurzer und schwerer Krankheit tragisch verstarb, standen die dadurch maximal erschütterten Hämatom regelrecht unter gänzlich fassungsloser Schockstarre.

An ein Weitermachen war da für eine quälende Zeitspanne lang überhaupt nicht zu denken - doch die drei Verbliebenen des 2004 gegründeten Modern-Metal-Erfolgsquartetts, Sänger Nord, Gitarrist Ost und Schlagzeuger Süd waren sich dann einig, dass sie ihre Band nicht beenden wollten. So stürzten sie sich in eine intensive „Eigentherapie“, welche neben neuem Songmaterial auch den Einstieg von Gitarristin Annika „Rose“ Jaschke hervorbringen sollte.

Ehrten sie ihren verlorenen langjährigen Freund, Seelenbruder und Mitmusiker bereits Ende 2023 auf dem dafür veranstalteten „West Fest“, so würdigen sie ihn jetzt fest verbunden mit dem neuen Album, entsprechend „Für dich“ betitelt, welches 14 individuell erlesene Kompositionen enthält.

Zur gänzlich geglückten Überraschung mittels eines solch’ belebend gehaltvollen als auch durch und durch hochdynamisch aufgebauten und damit umwerfend facettenreich erschallenden Albums an sich gesellt sich seit Mai des Jahres die neue Saitenschrubberin - die vakant gewordene Bass-Position sowie die Himmelsrichtung West sollte nicht ersetzt werden. 


Drummer Süd erinnert sich: „Nach einiger gemeinsamer Überlegung entschieden wir uns, eine Frau an der Gitarre in die Band holen zu wollen, was schon einen signifikanten Schritt für Hämatom darstellt. So schrieb ich Annika im Frühjahr über ihren Instagram-Account an, dem viel Beachtung zuteil wird - mit ihren über 100k an dortigen Followern ist sie ja schon als Influencerin einzustufen. Sie antwortete mir allerdings zunächst einige Tage nicht; ich dachte schon, ‚das wars dann wohl‘. Dann plötzlich meldete sich Annika, wir telefonierten und es fühlte sich gleich richtig gut an - und da sagte sie uns auch direkt zu. Sie musste es wohl erst mit sich selbst innerlich abmachen, aber als ihre Entscheidung dann stand, ging es auch wie von selbst mit ihr vorwärts, völlig ohne irgendwelche Schwierigkeiten.“

Und dieser erste Eindruck sollte sich laut dem Schlagwerker dann auch beim ersten gemeinsamen Jammen auch voll und ganz bestätigen. „Also, ich bin ja jemand, der sich menschlich null verstellt, von daher konnte ich mir ganz sicher sein, dass es mit ihr passt. Es freut uns nun umso mehr, denn wir hatten ohnehin nicht groß nach Ersatz gesucht. Die entstandene Lücke im Line-Up fühlte sich eben einfach übermächtig an.“

Am 23. Mai 2024 gaben Hämatom dann zur Freude der Freaks, wie Hämatom ihre Fans nennen, Annika als neues Mitglied offiziell bekannt. Live ist und wird WEST weiterhin allgegenwärtig mit dabei sein, überlebensgroß dargestellt – im Bühnenbild mit eingebaut, als überlebensgroßes Einhorn aufgestellt oder auf Videoleinwand. Ost dazu: „So ist er immer bei uns dabei, seine Bassspuren kommen dabei digital. Mit dem Titeltrack ehren wir unseren WEST auf höchste Weise - er wird immer ein innig geliebtes Familienmitglied bei Hämatom sein.“

So richtig neu in die Vollen ging es nach der Neubesinnung mit dem verständlich rundum heftigen Song „Gott muss ein Arschloch sein“. Ost blickt andächtig zurück: „Wir befreiten uns damit aus einem emotionalen schwarzen Loch. Im Studio bemerkten wir dabei relativ schnell, dass wir den grausam erlittenen, unmenschlich schmerzenden Verlust gemeinsam am besten bewältigen können - der Text des Liedes spricht eine absolut deutliche Sprache!“

Apropos, das Musikvideo dazu, welches am 13. Oktober 2023 präsentiert wurde, fand entsprechend viel Aufmerksamkeit: Mittlerweile hat es über eine Million Aufrufe, die eine ebenfalls deutliche Sprache spricht, nämlich vollsten Zuspruch von Seiten der vielen Fans.

Ost bilanziert zu „Gott muss ein Arschloch sein“ weiter: „Der Text zu dieser ersten Single aus dem Album ging wirklich sehr schwer von der Hand, weil es inhaltlich für uns als Band gar so bedeutungsvoll ist - jedes Wort darin sollte eben grenzenlos würdigend sein.“ Selbiges brachte auch Frontmann Nord dazu, gesanglich sozusagen über sich selbst hinauszuwachsen - so gut und so begeisternd wie diesmal hat er laut Ost noch niemals zuvor vokalisiert. 


Weiter ging das dementsprechend entschlossen umgesetzte Songwriting, Lied um Lied wurde erschaffen, für das große Vermächtnis wie auch der gedenkend ehrenden Zukunft von WEST in allen ihm verbundenen Herzen.

Laut Band das „schwierigste, aber gleichzeitig auch emotionalste Album“ in der eigenen Historie. Ost ergänzt:

„Unser erklärtes Ziel war, ihm ein Album zu schreiben, welches einfach besser und relevanter sein sollte, als alles, was wir bislang überhaupt an den Start brachten - ‚Für dich‘ eben.“ Der Titel ist damit vollauf Programm. Wir nahmen zahllose Demos auf, es entstand sehr viel Material. Daraus wählten wir dann die 14 besten Songs auf, die es auf das neue Album schafften. Darunter auch ‚Ein' auf den Tod - Zwei auf das Leben’ - eine Art Brückenschlag zwischen immensem Trauerschmerz und der nachfolgenden ‚Nun-erst-Recht-Aufbruchsstimmung‘. Wir fanden dafür sogar passende Bass-Spuren in unseren Aufnahme-Archiven, die wir langsamer machten und dann ins Lied einbrachten. Das Musikvideo dazu kam Anfang Mai dieses Jahres.“

Auch in dessen Videobeschreibung ist berührend formuliert zu lesen: „Gewidmet unserem lieben Freund und Bassisten WEST, der am 15.08.2023 verstarb. Du wirst immer ein Teil dieser Band bleiben Peter, bis wir irgendwann wieder vereint sind.“

Eine verdiente Freude machten sich Hämatom auch mittels der Kooperation mit Saltatio Mortis im Song „Erzähl es meinem Mittelfinger“, wie Ost wertschätzt: „Sie sind schon länger unsere Buddies, wir hatten wichtige Aufmunterung bei dieser Zusammenarbeit. Ich telefoniere ab und zu mit deren Luzie, dann quatschen wir herrlich einen.“

Noch eine Besonderheit: Zum ersten Mal in der Bandgeschichte arbeiteten Hämatom mit zwei (!) Produzenten: Hannes Kelch in den Berliner Mixedberlin Studios und Julian Breucker aus Hamburg wurden auserwählt, um „Für dich“ mit ihrer Erfahrung und ihrem Gespür die richtige Klangnote zu geben - markant modern, gezielt eingängig, aber dennoch typisch hart und typisch Hämatom. Wie Ost dazu sagt, war das dabei auch erlebte „Sich-ins-Großstadtleben-stürzen“ genau das für diesen Zeitpunkt Richtige.

Am 23. Januar 2025 startet die „20 Jahre für euch - Jubiläumstour“ im Osnabrücker Hyde Park, zwölf Stationen werden es sein. Live bekommt Ost stets schier gar nicht genug, so ist zu erfahren. „Die Touren und Gigs scheinen für mich immer viel zu schnell zu Ende zu sein, ich liebe es so sehr. Es ist natürlich schön, Platten zu machen - aber erst auf der Bühne lebe ich mit der Band so richtig auf. Wenn das nicht genau so wäre, würde ich gar keine Musik mehr machen. Auf Tour zu sein, ist für mich auch nicht so anstrengend, wie viele denken würden - ich bin, was Alkohol angeht, eher in der Mitte, trinken also nicht zu viel und achte generell auf meine Gesundheit, von daher lauge ich auch nicht aus auf Konzertreisen. Ich liebe es, auf Tour früh aufzustehen und entspannt bei den ersten Aufbau-Aktivitäten zuzusehen. Und ich finde es spannend, in einer mir noch ziemlich fremden Stadt zu joggen. So freue ich mich schon riesig auf die anstehenden Konzerte.“

© Markus Eck, 13.12.2024

[ zur Übersicht ]

All copyrights for image material are held by the respective owners.

Advertising

+++