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Interview: GRAVEWORM
Titel: Mutiger Neuanfang

Mit ihrer letzten 2003er Veröffentlichung „Engraved In Black“ gelang diesen immens beliebten Südtirolern eine große Steigerung zum zwei Jahre zuvor erschienenen Vorgängeralbum „Scourge Of Malice“.

Dem Release von „Engraved In Black“ schlossen sich zudem so einige höchst erfolgreich absolvierte Touren an, zahllose begeisterte Anhänger feierten ihre Helden entsprechend ab. Ja, die Black Death Metal-Erstligisten Graveworm schienen auf dem vorläufigen Zenit ihrer Karriere angelangt – ein respektabler Status, allseits angestrebt. Aber auch eine oftmals urplötzlich einsetzende Erfolgssituation, welche Musiker beinahe jedweden Charakters erfahrungsgemäß bisher noch immer das Äußerste an Einsatzkraft abverlangte.

Und nur zu viele scheiterten und scheitern genau an diesem schwierigen Punkt ihrer Laufbahn. Seltsam, beinahe ein Paradoxon, möchte man meinen: Endlich an der Spitze der Karriereleiter angekommen, flüchtet so mancher umjubelte Star plötzlich wieder ganz schnell nach unten, weil es ihm da oben zuviel wird.

Auch Graveworm blieben in dieser Hinsicht nicht verschont: Drummer Martin ,Maschtl‘ Innerbichler entzündete sich aufgrund von Überbelastung den Arm, sodass er für längere Zeit auf ärztliche Anweisung zu pausieren hatte.

Moritz Neuner erwies sich jedoch als tatkräftige Teilzeit-Vertretung.

Axeman Steve Unterpertinger beispielsweise verließ gar die Band, für ihn kam mit Lukas Flarer würdiger Ersatz.

Noch ein Neuzugang, nämlich das einstige Gründungsmitglied Harald ,Harry‘ Klenk meldet sich aktuell am Tieftöner zurück.

Klenk entlastet nun Gitarrist Eric Righi an den vier Saiten.

Und das frische kreative Blut in ihrer Mitte können die sympathischen Südtiroler auch gut gebrauchen, denn das neue und fünfte Album „[N]Utopia“ schießt gerade mit Volldampf aus seinen Startlöchern.

Aus diesem Anlass heraus lud die nun neuerdings sechsköpfige Erfolgsband am Samstag, den 13. November 2004 diverse neugierige Schreiberlinge in die einschlägig bekannte Innsbrucker Metal-Bar namens Abyss ein. So führte mich auch mein Weg auf mal wieder schier endlos scheinenden Schienensträngen nach Innsbruck, wo ich an diesem nasskalten Tag frühnachmittäglich von überaus neblig umwaberten Bergketten empfangen wurde. Zu sehen gab es dadurch also nicht gerade viel.

Da hieß es doch schnell mit dem Taxi ins Hotel zu gelangen und Quartier zu beziehen.

Gegen 15:00 wurde ich vom Abyss-Team abgeholt, nach kurzer Fahrt durchschritt ich dann endlich die Pforten dieses löblich stilvoll eingerichteten Metal-Schuppens in der Amraser-See-Strasse 5.

„Geschlossene Gesellschaft bis 19:30“ war an der Tür angeschlagen. 'Mann, da fühlte man sich ja gleich richtig Eck´s-klusiv', so dachte ich mir scherzhaft schmunzelnd.

Graveworm samt Nuclear Blast-Promoter Markus Wosgien waren bereits zugegen, welche den Neuankömmlingen einen überaus herzlichen Empfang bereiteten.

Genuss hingegen bereiteten auch etliche bereitgestellte Snacks und kalte Platten. Nach dem allseits nachfolgenden obligatorischen Smalltalk überraschte Bruder Cle, einer der beiden Bar-Inhaber, dann die circa 30 Anwesenden mit den neun neuen Tracks von „[N]Utopia“.

Und gleich der erste Song „I-The Machine“ stellte deutlich klar: Hier hat sich ordentlich was getan, und das nicht nur in Sachen Line-Up. Ein wenig moderner sind sie geworden, nennen wir es mal zeitgemäßer. Im Anschluss sorgte der Titeltrack „[N]Utopia“ für erstaunte Gesichter, auch die nachfolgende Komposition „Hateful Design“ machte da keinen Unterschied.

„Never Enough“ machte den Anschluss, diesem Song folgte das Lied „Timeless“. An diesem Punkt konnte bereits eine erste Bilanz gezogen werden: Trotz eingebrachter modernerer Gestaltungselemente sind Graveworm zwar noch immer typisch Graveworm, also klanglich hochintensiv, instrumentell sehr versiert und kompositorisch mit routinierter Reife versehen.

Doch die neu verwendeten moderneren Einflüsse samt mitunter massiven Death Metal-Tendenzen sind nicht mehr von der Hand zu weisen.

Weiter ging es mit „Which Way?“ und „Deep Inside“, zwei wirklich hochintensiven Stücken. Von „Deep Inside“ ging es zu „Outside Down“, dieser Song sowie das Lied „MCMXCII“ bildeten den Abschluss des laut erschallenden Reigens.

Nach der Premiere dieser neuen Kompositionen fand erstmal eine ausgiebige Foto-Session statt, die von Graveworm äußerst geduldig absolviert wurde.

Meine daran anschließende Unterhaltung mit der Band gewährt mir so einige Einblicke ins tiefe Innere ihrer jüngsten Kreativitäten.

„Ich war einer der Mitbegründer von Graveworm und war Gitarrist bis zum 1999er Album „As The Angels Reach The Beauty“. Ein Umzug nach Deutschland, genauer gesagt nach Schwäbisch Gmünd, bedingte dann meinen Ausstieg aus der Band. Natürlich hat mich meine Heimat Südtirol nie losgelassen und so besuchte ich die Band hin und wieder an den Wochenenden oder in den Ferien von meiner Schule als Grafik-Designer, bis sie mich eines Tages fragten, ob ich nicht Lust hätte, wieder bei ihnen einzusteigen“, meldet sich der neue Bassist Harry Klenk eingangs zu Wort.

Sein Kollege, Sänger Stefan Fiori ergänzt ihn in diesem Kontext: „Diese lieb gewonnene ganz spezielle Chemie zwischen uns beziehungsweise das gute alte familiäre Feeling war irgendwie nicht mehr in der Band vorhanden, das stand fest. So entschieden wir uns für den Lukas als neuen Gitarristen. Er war der einzige, der dafür in Frage kam, um ehrlich zu sein. Er ist nicht nur ein super Musiker, den wir bereits seit langer Zeit kennen, sondern auch ein toller Mensch, den wir vollkommen ins Herz geschlossen haben. Gerade Letzteres ist bei uns von entscheidender Wichtigkeit.“

Weiter stellt Stefan fest: „Denn wir sind keine Band, die in erster Linie Musik macht um damit Geld zu verdienen. Sondern es macht uns einfach einen Riesenspaß, auch nach all den Jahren noch. Wir spielen gerne live, wir lieben es zu komponieren, ins Studio zu gehen und unsere Lieder zu produzieren.“

Der weitere Gesprächsverlauf brachte die interessante Tatsache ans Licht, dass die etwas modifizierte musikalische Ausrichtung auf dem neuen Werk „[N]Utopia“ ihren Ursprung im vollzogenen Line-Up-Wechsel hat. Stefan berichtet mir:

„Lukas bewährte sich für das neue Album als einer der Hauptsongwriter an sich, er hat beinahe 80 % der aktuellen Tracks gemacht. Von daher merkt man das unseren neuen Liedern natürlich im Gesamtsound schon an. Früher war ja der Steve unser Main-Composer, der zusammen mit unserer Keyboarderin Sabine die allermeisten Graveworm-Stücke schrieb. Mir beziehungsweise uns war schon klar, dass wenn wir neue Leute in die Band holen, dass sich so einiges verändern wird.“

Und Lukas ging vom Fleck weg mit großem Enthusiasmus, mit großer Entschlossenheit an die Sache heran, wie Stefan weiter erzählt:

„Wir waren echt beeindruckt: Er kam mit neuen Songs an, die er im Alleingang kreierte und sagte uns ganz genau, wie er sich das Ganze vorstellte beziehungsweise wie es klingen soll – wir waren schlichtweg begeistert von seinen Ideen. Da Lukas ein Typ ist, der eine Idee zu 200 % durchzieht, entwickelte die Sache dann eine recht kräftig ausgeprägte Eigendynamik und so kamen die neuen Tracks zustande. Er arbeitete sogar die Schlagzeug-Sachen aus. Obwohl wir alle letztendlich natürlich noch gemeinsam an den neuen Stücken feilten, machte Lukas doch fast alles komplett alleine, samt den Texten. Selbst ich schrieb dieses Mal lediglich zwei Songtexte, und zwar für „Hateful Design“ und „MCMXCII“.“

Da Lukas laut Aussage von Stefan bei sich zuhause ein eigenes Studio hat, kann er somit nach Lust und Laune an neuen eigenen Songs herumwerken. Wir erfahren:

„Als wir die neuen Lieder dann endlich von ihm bekommen hatten, fanden wir sie vom Fleck weg total geil. Schon der erste Song hat uns voll gepackt, auch wenn das Material ein wenig von unseren sonstigen Sachen abweichte.“

Trotzdem, ein gewagter Tritt, die „neue“ Stilistik. Fiori bleibt selbstbewusst:

„Wir waren uns vollauf bewusst, dass wir mit diesem Schritt so einige unserer Fans gehörig damit überraschen würden. Aber wir waren uns schnell ziemlich sicher, dass wir ihn machen möchten. Schließlich wollten wir ja auf gar keinen Fall „Engraved In Black, Pt. II“ aufnehmen, sondern wir wollten uns weiterentwickeln. Stagnieren will ja schließlich kein Künstler. Somit war der gegangene musikalische Schritt zwar schon mehr oder weniger extrem, aber er war nach unserer Ansicht gut so.“

Mir war schon irgendwie klar, dass so was in der Richtung auf die Graveworm-Fans zukommen wird. Schließlich signalisiert der Albumtitel, das Wortspiel „[N]Utopia“, zwei Begriffe: „New“ und „Utopia“. Stefan bejaht:

„Es ist für uns in gewisser Art und Weise auch ein Neuanfang als Band. In diesem Atemzuge wurden die Texte auch von der Fantasy-Thematik mehr in Richtung Realität hin abgeändert. So steht „New“ ganz klar für die neuen Elemente in Graveworm, „Utopia“ hingegen steht für Utopien, denn es ist ja noch immer im Endeffekt definitiv Graveworm. Wo Graveworm draufsteht, ist auch immer Graveworm drin, obwohl wir für neue musikalische Sachen schon ziemlich offen sind. Wir fahren als Band also lieber ereignisreiche Kurven, als auf der geraden Straße dies und das mitzunehmen.“

In diesem Atemzuge schaltet sich Harry auch mal wieder ein. „Mein Musikgeschmack beispielsweise hat sich nicht geändert, er hat sich lediglich erweitert, sagen wir mal so. Ich stehe definitiv noch immer sehr auf unser „As The Angels Reach The Beauty“-Album, aber ich höre mir neben Black- und Gothic Metal neuerdings auch vieles anderes aus dem Metal-Bereich an: Machine Head, Korn etc. Solange diese Musik gut gemacht ist, natürlich. Neuere In Flames beeinflussten uns ganz massiv, wie in den neuen Stücken ja auch sehr deutlich zu hören ist.“

Er wird ergänzt von Stefan, der sich impulsiv einbringt:

„Klar hat jeder bei uns seine eigenen Bands, die er persönlich liebt und worin sich unsere Geschmäcker auch überschneiden, beispielsweise Dimmu Borgir und Cradle Of Filth, die gefallen uns allen. Auch Katatonia hören einige von uns sehr gerne. Speziell unser Gitarrist Eric Righi und Lukas stehen daneben aber auch sehr auf Metalcore, was mir persönlich auch ganz gut taugt. Cataract und Caliban beispielsweise halte ich für sehr gute Bands aus dieser Richtung. Auch Heaven Shall Burn haben ordentlich was zu bieten. Die Sounds dieser Bands flossen ganz klar auch in die neuen Kompositionen von Graveworm ein. Wir wollten sie sicherlich nicht bewusst kopieren, aber im Unterbewusstsein geschieht dies wohl ganz automatisch.“ Das erklärt natürlich so einiges, wie ich meine.

Um 19:30 öffnete das gemütliche Abyss dann die Türen für reguläre Besucher, die wie gewohnt mit fortlaufender Zeit immer zahlreicher hineinströmten. Bruder Cle und Stefan Fiori fungierten im Weiteren als kompetente Metal-DJ's, die mit heißen Scheiben nur so um sich warfen.

Und während der gute Cle seinen ausgesprochenen Hang zu traditionellem Metal mit großer Lust äußerte, legte Stefan in der zweiten Hälfte deutlich modernere Klang-Scheite ins stellenweise überaus laut lodernde Sound-Feuer. Die dortigen Boxen krachten jedenfalls noch mächtig in dieser langen Nacht.

© Markus Eck, 06.12.2004

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