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Interview: GHOST
Titel: Eigene Reinkarnation

Anfang Februar deuteten die erfolgreichen schwedischen Okkult-Metal-Rocker noch die Einführung des neuen Frontcharakters an - schließlich „dankte“ Sänger Tobias Forge alias Papa Emeritus IV im letzten Jahr bei der finalen Show zum 2022er Vorgängeralbum „Impera“ offiziell ab, um nachfolgend künstlerisch verdeutlichend einem neuen Geschichtszyklus Rechnung tragen zu können, welcher bei Ghost bekanntlich mit jedem weiteren Album bedeutungsvoll inszeniert und höchst symbolschwanger eingeläutet wird.

Im Weiteren verkündete die Band wie immer ziemlich konspirativ und geheimniskrämerisch, dass es gesanglich fortan mit „Papa V Perpetua“ weitergehen wird. Da ist also wieder etwas gleichfalls Spannendes wie Ergiebiges für das kommende neue Album zu erwarten - aber, das sind eben die einzigartigen Ghost, wie man sie genau so kennt.

Der sakrale Gevatter Forge ließ dazu wissen, dass ein solcher Rollenwechsel auf die ein oder andere Art und Weise in der Tat sowohl traumatisch als auch therapeutisch sein kann. Die Fans hoffen letzteres für ihren idolisierten Papa.

Schließlich wird der findige Obergeist das kommende Zehn-Song-Werk, „Skeletá“ wieder ab April auf der folgenden „Skeletour“ 2025 erhaben missionierend repräsentieren. Am fünften März gab die Formation schon mal einen vollauf überzeugenden Vorgeschmack mit dem neuen Musikvideo zur inspirierend düsterpoppigen Volltreffer-Single „Satanized“, welche passend im Stil alter Horrorfilme aus der Schwarzweiß-Ära zu erleben ist.

„Ob das Songwriting diesmal einen echten Unterschied zum Albumvorgänger mit sich bringt? Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein“, lässt der Sänger wissen.

„Es kann durchaus sein, vielleicht ist es ja wirklich so. Ich meine, ich habe grundsätzlich versucht, eine andere Platte als ‚Impera‘ zu machen - und so sollte es auch verstanden werden. Ich möchte dazu anmerken, dass es eine einfach eine bekannte Tatsache ist, dass es auf allen vorherigen Platten von uns immer ein gewisses Maß an Kompositionen gab, die rein instrumental waren. Und in diesem neuen Fall sind es eben ganze zehn Gesangsstücke.“

Was Tobias also tun wollte, wie er mit sicherer Stimme anfügt, um ein weiteres Studioalbum zu schreiben, welches mehr Würze und Ausgewogenheit mit sich bringt, war, bestimmte Songs ganz bewusst etwas ausschweifender zu schreiben.

„Ich möchte dazu nun aber beileibe nicht ‚experimentell‘ sagen, denn das würde sich anhören, als ob ich eher ziellos und improvisierend drauflos gearbeitet hätte. Ich meine, es geht da ja nicht über ‚Free-Form-Jazz‘. Aber das neue Material weicht definitiv schon von typischem ‚Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Solo‘ ab.“

Mit „Skeletá“ legen die schwedischen Okkult-Spiritisten um die viel diskutierte Front- und Kunstfigur, welche neuerdings als „Papa V Perpetua“ im verschworenen Zirkel mit versiertem Stimmbandkönnen glänzt, also in allen Ehren und hohen Würden nach.

Und dass da nach dem 2022er Vorgängeralbum „Impera“ erneut ein enorm gehaltvolles Geister-Rock-Spektakel zu erwarten ist, verdeutlicht schon die erwähnte, vorab ausgekoppelte und massiv hitverdächtige Single „Satanized“.

Das Ersuchen des Verfassers, ob bei der Wahl des neuen Pseudonyms irgendwelche historischen Personen eine Rolle spielten, wird vom harmonisch vokalisierenden Oberpapa Forge mit eher lockerer Miene beantwortet. 


„Ja, ‚Perpetua‘, lateinisch für ‚ewig‘ …  ganz persönlich denke ich, dass das humoristische Element von etwas, das ewig ist, darin besteht, dass nichts ewig ist. In einigen Teilen der Welt gibt es diese Art von ‚ewigem Anführer‘, was immer dann lustig wird, wenn er nicht mehr der ewige Anführer ist, weil ein neuer ewiger Anführer kommt. So wird es zu einer paradoxen Sache, die eine kurzfristige Lösung signalisiert, wenn man so will. Und wenn man sich so einen Scheiß ausdenkt, wie bei Scientology beispielsweise, ich meine auch diese vielen speziellen ‚Ebenen‘ dort, dann bleiben die Leute dabei und sagen: ‚Wir haben herausgefunden, dass es jetzt mehr Ebenen gibt, also bleiben wir dabei.‘ Karte? Ja, man kann da auch mit Karte bezahlen. Weil diese ‚Ewigkeit‘ früher oder später jeweilig zu Ende ist. Also, auf den Punkt: Ich persönlich finde es irgendwie lustig mit einem Anführer, der ‚ewig‘ ist.“

Wer daraufhin nach dem Stichwort „Perpetua“ wissensdurstig im Netz etc. sucht, wird entdecken, dass es einst eine enorm glaubensstarke, vornehme Märtyrerin im dritten Jahrhundert gab, welche mit ihrer Sklavin Felicitas im Jahre 203 des Herrn in Kathargo ihr Leben gab bzw. gemäß damaliger Verurteilung hingeben musste.

Tobias fügt an: „Es gibt dahingehend doch eigentlich immer einen androgynen Touch. Aber selbst solche Dinge haben einen positiven Beigeschmack. Ich bin sehr glücklich über den Willen der Leute, zu lesen und sich zu bilden, der unter unseren Fans wirklich gedeiht. Und sie neigen immer mehr dazu, offensichtlich haben sie das bei uns und auch von uns aufgeschnappt. In die meisten Dinge, die ich tue, fließen gar nicht so viele Studien ein, wie ich eigentlich beabsichtigt hatte, aber ich denke, das ist auch gut so. Der Geist lebt in meinem Kopf, aber er lebt in noch größerem Maße unter anderen Menschen, die ein Eigenleben führen. ‚Perpetua‘ kann also ein bisschen androgyn sein, wenn man es so haben will.“

Zu Historie und Geschichte: Die meisten der neuen Songtitel sind in Latein geschrieben. Ist der Sänger denn selbst ein passionierter und profund bewanderter Lateiner - eine nahe liegende Frage.

„Nein, so gar nicht, das ist ja der Witz dabei! Wenn ich Songs schreibe und sie aufnehme, kommen irgendwann ein paar Leute dazu, die sich meine Lieder anhören, und das mache ich immer sehr gerne wie bei einer Filmvorführung, man kennt das ja - ich will dabei die Reaktionen der Leute auf einen Song oder so erleben. Und das war wieder witzig. Kann man sich ungefähr so vorstellen: Heißt dieses Lied ‚Tränen’? Nein, es heißt ‚Lachryma‘. Heißt dieser Song ‚Liebesraketen‘? Nein, er heißt ‚Missilia Amori‘, das bedeutet Liebesraketen. ‚Satanized‘ ist da aktuell wohl eine der Ausnahmen, und ‚Spillways‘. Und, ja, ich weiß auch nicht, warum ich nicht einfach den simpleren Weg gehen kann. Es wäre so viel einfacher, den Song einfach ‚Crying‘ zu nennen.“


Des Frontmannes in sich kultivierte Liebe für Latein, sie hat einen gewissen Hintergrund, wie er preisgibt.

„Als ich als Underground-Extreme-Metal-Fan über die Jahre aufgewachsen bin, konnte man automatisch eine sehr einfache Prüfung in lateinischen Wörtern bestehen, einfach weil das Englische eine Art deutsche und eine lateinische Wurzel hat. Wenn man also nur ein paar Death-Metal-Songs und die allgemeine Death-Metal-Sprache kannte, hatte man schon einen kleinen Vorteil. Wenn man also Italienisch, Spanisch, Französisch oder Portugiesisch lernen will, versteht man schon eine ganze Menge, wenn man Death-Metal-Vokabular kennt. Und dann ist da bei mir natürlich auch noch der Einfluss all der biblischen Elemente, die man beim Anschauen von Horrorfilmen mitbekommt - aber darüber hinaus geht es nicht wirklich.“
 Hits? Gerne, aber nicht unbedingt!

Für nicht wenige wird sich „Skeletá“ im direkten Vergleich mit dem Vorgänger „Impera“ zunächst als Album mit geringerer Hitdichte offenbaren, was vom Meister bejahend abgenickt wird.

„Ja, das kann gut sein. Ich habe grundsätzlich zwar nichts gegen das Format ‚Radio‘ und ‚Radiohits‘ - als Songwriter bin ich sogar daran interessiert, ‚Hitmusik‘ zu schreiben, schließlich bin ich ja sozusagen mit dem Radio aufgewachsen. Daran ist also nichts Schlechtes. Aber solange wir mit Ghost so etwas wie einen Mainstream-Erfolg hatten, bei dem das Radio ein Element war, durch das ein noch größerer Erfolg erzielt werden konnte, blieb dabei stets auch noch ein kleines Fragezeichen. Was ist es nun genau? Beziehungsweise, welches sind spezifische Elemente, die für den Erfolg grundlegend erforderlich sind? Und ich glaube, das größte Überraschungsmoment war vor einigen Jahren, als ich einen Song geschrieben und aufgenommen hatte - ich zeigte ihn dem Label und fragte: ‚Wie wäre es damit?‘ Und sie sagten: ‚Es ist ziemlich gut. Sogar auch meinem Kind gefällt er. Und sie ließen mich weiter wissen: ‚Okay, es ist ein guter Song, aber es ist eher wie eine B-Seite. Er ist nicht für, du weißt schon …’. So war das Lied für die erste Zeit nur wie ein Fragezeichen. Wie auch immer, ich entschied, diese Nummer live spielen zu wollen. Also fingen wir sofort an, den Song auf der Bühne zu spielen, als er herauskam, und ich dachte: ‚Wow, das ist unglaublich. Einer der besten Songs, die ich je geschrieben habe, ist nur eine B-Seite. Schön.’“


Ein paar Jahre später stellte sich laut Tobias heraus, dass es sogar der bisher größte Song seiner Karriere werden würde.

„Das hat in der Welt der Labels viele Köpfe verdreht, denn sie mussten sich etwas eingestehen und gaben zu: ‚Oh, Scheiße! Das wussten wir nicht.’ Und was es mir sagte, war: Sie haben keinen Plan. Ich habe auch keinen Plan, also werde ich dem nicht nachjagen. Ich werde Songs schreiben. Ich werde sogar die besten Songs schreiben, die ich je schreiben kann, und wir werden sehen, was damit passiert - denn es gibt keine klare Möglichkeit, genau zu sagen, wie es zu einem Song wird, der vom Standpunkt eines Hits aus gesehen etwas wert ist. Und ich habe das Gefühl, dass das gar nicht mal so schlecht ist, weil ich sowieso in einer guten Position bin. Denn ich kann eine Platte mit Songs machen, die vielleicht zu hart sind, oder vielleicht zu viel von diesem, oder zu wenig von jenem, oder die auch einfach thematisch zusammenpassen. Wenn es ein Hit ist, wird es sich schon zeigen. Es wird sich materialisieren. Wenn es kein Hit ist, ist das auch in Ordnung. Wir können dann ja auch die anderen Hits spielen. Wir sind ‚gesegnet‘, ich sage das in Ermangelung eines besseren, passenderen Wortes, dass wir auf Tournee gehen können. Und wir haben eine Menge Fans - und wir haben sowieso eine Menge Unterstützung. Und genau das hat mich ein wenig von dem Stress befreit, weil ich nicht noch einem großen Hit hinterher jagen werde.“


Darauf angesprochen, dass „Skeletá“ insgesamt nicht nur härter, sondern auch düsterer bis dunkler daherkommt, wirft sich Papas Stirn zunächst in fein konturierte Falten.

„Ich weiß es nicht so recht. Ich meine, aus lyrischer Sicht, wo es definitiv einen Unterschied gibt, ganz sicherlich. Sämtliche meiner Platten waren ja eigentlich immer eher gezielt dunkel angelegt, außer vielleicht die erste, aber alle danach hatten ein gewisses Maß an leicht introspektiven oder ‚zweifelhaften‘ Songs, die eben gewollt von zweifelhaft-mystischer Natur sind. Es soll so aussehen, als ginge es um das, aber eigentlich bedeutet es etwas anderes. Auch auf „Skeletá“ gibt es gewisse Aspekte davon, aber ich glaube, es ist diesmal geradliniger. Und da das Gesamtthema eigentlich lebensbejahend ist, aber auf eine Art und Weise erklärt wird, die auf den Tod hindeutet, und die signalisiert, dass die Dinge im Moment nicht in Ordnung sind, aber dass es sich lohnt, das durchzustehen, weil es gute Dinge im Leben gibt, erscheint es dunkler, glaube ich.“

© Markus Eck, 19.03.2025

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