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Interview: FIDDLER’S GREEN
Titel: Da steppt der Santa!

Köstlich zackig, sprudelnd quirlig und gewohnt spielfreudig hoch zehn - ja, so kommen auch die Gute-Laune-Weihnachtssongs der Erlanger Speedfolker angeflitzt! Geplant war das neue Christmas-Album „Seven Holy Nights“ laut Bassist Rainer Schulz schon länger, nun endlich wurde es angemessen umgesetzt.

Gleich mal befragt, wie er den heiligen Abend als Kind persönlich so erlebt hat, kommt der Gute sofort in Stimmung: „Als Kinder mussten wir am 24.12. am späten Nachmittag die Wohnung verlassen damit das Christkind Zeit hatte den Baum zu schmücken und die Geschenke zu bringen. Fasziniert hat mich daran dass wir selbiges nie gesehen haben – nur meinen Vater der als einziger im Wohnzimmer geblieben war. Schön war auch die Mischung aus Hitze und Sauerstoffarmut durch die vielen Kerzen im völlig überfüllten Wohnzimmer.“

Ein schönstes Präsent kann der Tieftöner nicht nennen. „Wenn ich so nachdenke waren es eigentlich immer sehr sehr schöne Weihnachtsgeschenke. Ein einzelnes kann ich da kaum hervorheben. Ob es die Modelleisenbahn war, neue Skier, eine amtliche Spiegelreflexkamera oder später auch Zigaretten und Whiskey - es hat mir alles sehr große Freude bereitet.“

Der humorige Rainer hat sogar heute noch noch einige Spielzeuge. „Allen voran die guten alten LEGO-Steine die nun auf die nächste Generation warten. Alles andere hat die Zeit leider nicht überdauert. Speziell die Modelleisenbahnhäuser und -autos sind meinem späteren Hobby, Katastrophenfilme auf Super-8 zu drehen, zum Opfer gefallen.“

Das klassische Für-und-wider-Thema soll auch hier nicht zu kurz kommen.

„Die Kommerzialisierung ist schon sehr extrem. Plötzlich meinen wieder viele Musiker unbedingt ein Weihnachtsalbum veröffentlichen zu müssen. [grinst] Jeder Einkaufsgang wird zum Höllentrip durch fragwürdig dekorierte Ladengeschäfte mit grauenhafter Hintergrundbeschallung. Auch die permanente Verfügbarkeit von erbarmungslosen Leckereien kann sehr nerven wenn man gerne Bauchfett verlieren würde. Das Schöne am Weihnachtsfest ist sicherlich die Ruhe die einkehrt!“

Einst fast völlig immateriell zelebriert, ging über die Jahrhunderte bekanntlich ein massives Schwinden der spirituellen & auch natur-ideellen Bedeutung dieses christlich massiv adaptierten Festes in der Gesellschaft einher - wie sehr ist Rainer dazu kulturhistorisch im Bilde?

„Ich kenne mich leider nicht sonderlich mit Sonnengöttern oder auch mit der Geschichte des Weihnachts- bzw. Julfestes aus. Ich bin in der 70ern christlich geprägt aufgewachsen und hatte selbiges nie hinterfragt.“

„Seven Holy Nights“ - die ersten Ideen hierzu kamen in der Band tatsächlich schon vor vielen Jahren:

„In den 90ern haben wir mal bei einem Radiointerview spontan ‚Jingle Bells‘ gespielt. Die Sleighbells wurden damals täuschend echt durch einen Schlüsselbund imitiert. Jahre später kam dann auch immer wieder die Idee auf ‚Stop The Cavalry‘ aufzunehmen. Leider kam immer wieder irgendetwas dazwischen – bis wir dank des Lockdowns plötzlich recht viel Zeit hatten.“

Begonnen wurde bereits im Januar des Jahres mit der Auswahl der Songs. „Somit waren wir noch quasi in Weihnachtsstimmung. Bis alles fertig war wurde es dann draußen zwar auch schon recht warm, aber die bizarre Situation im Hochsommer in Weihnachtsstimmung zu kommen blieb uns zum Glück erspart. Bei manchen Songs war es zum Glück recht einfach. ‚White Christmas‘ zum Beispiel war von Anfang an klar als Punkrocknummer angelegt. Bei anderen Stücken war es deutlich schwieriger da die Fiddlers-typischen Versionen rauszukitzeln. Wir haben uns tatsächlich wie früher alle zusammen in einen Raum gestellt und angefangen miteinander die Situation auf uns zukommen zu lassen. So sind dann recht schnell die Versionen entstanden die wir dann kurze Zeit später ‚richtig‘ aufgenommen haben.“

Auf „Seven Holy Nights“ finden sich nahezu alle Klassiker englischsprachiger Weihnachtssongs - da es die nicht gerade im Übermaß gibt, fiel die Auswahl nicht ganz so schwer, möchte man meinen. Und so ist es:

„Manche sind ein wenig sehr ausgelutscht und auch als Coverversion sehr schwer bis überhaupt nicht erträglich: Mariah Carey und ‚Last Christmas‘ war von vornherein ein NoGo. Da sind die Grenzen des guten Geschmacks ab der ersten Note überschritten. Wir haben uns dennoch auf die Suche nach nicht ganz so alltäglichen Songs begeben. Zumindest in unserem Dunstkreis sind ’12 Days Of Christmas’ oder ‚I Saw Three Ships‘ nicht ganz so gängig. Ansonsten gibt es natürlich einige sehr phantastische Weihnachtsalben deren Versionen schwer zu toppen sind.“

Das Erarbeiten und Einstudieren der teils kolossal bekannten Christmas-Evergreens geriet den Beteiligten laut dem Bassisten unterhaltsam anders. Rainer resümiert:

„Es war sehr beruhigend dass es sich nicht peinlich oder ausgelutscht angefühlt hat. Wir hatten großen Spaß Verschiedenstes auszuprobieren – und im Laufe der Zeit waren wir selbst überrascht dass wir auch sehr ernsthafte Versionen entwickelt haben. Also nicht immer nur das simple Rezept alles schneller und härter zu spielen und somit zu veralbern - bei vielen Songs war es uns eher wichtig richtig geile Versionen hinzubekommen.“

Als der Dialog dazu übergeht, welche der auf dem neuen Album enthaltenen Klassiker er auch in der Originalversion am liebsten hört und was sie ihm dann individuell vermitteln, ist Interessantes zu erfahren:

„Ich muss ganz ehrlich sagen dass ich beispielsweise ‚God Rest Ye Merry, Gentlemen‘ vor unseren Aufnahmen gar nicht kannte. Offenbar ganz im Gegensatz zu Sting als er ‚Russians‘ schrieb. Nachdem das ein Traditional ist gibt es natürlich keine Originalversion an sich - aber das ist durchaus einer meiner Lieblingssongs.“

Auch „Mull Of Kintyre“ wird sicherlich viele - insbesondere ältere Semester - ganz besonders freuen. „Der Song ist aus der Feder von Paul McCartney - er hat ihn zusammen mit den Wings aufgenommen und damit 1977 seinen damaligen Wohnort besungen. Für uns war es natürlich eine sehr große Herausforderung diese Nummer aufzunehmen. Colin, unser Flötenmeister hat ganz alleine alle Dudelsäcke eingespielt. Es war sehr beeindruckend wie dadurch der Song immer mehr an Emotionen dazu gewonnen hatte.“

An „Stop The Cavalry“ - weltberühmt geworden 1980 durch Jona Lewie - hatten sich die Fiddlers bereits vor über zehn Jahren mal versucht. „Damals waren wir aber nicht wirklich zufrieden und hatten den Versuch wieder eingestellt. Dieses Mal sind wir etwas frischer an die Sache rangegangen und haben endlich die ‚Nuss geknackt‘ um eine Fiddlers- typische Version hinzubekommen. Wichtig war da glaube ich dass wir den Schlittenglöckchenenteil tanzbarer gemacht haben.“

Überraschung: Mit „7 Holy Nights“, dem Titelsong, ist sogar eine Nummer aus eigener Hand mit im Schlitten. „Der Song stammt in erster Linie aus der Feder unseres Akkordeonisten Stefan Klug. Auch vom Text her ist eindeutig seine Handschrift zu erkennen - er ist immer für das eher etwas Bizarre bei uns zuständig, natürlich nur rein musikalisch.“ [lacht]

Den ein oder anderen Song werden die Jungs bald live spielen. „Aber sicherlich nicht mit Nikolausmützen. Das wäre dann doch deutlich zu albern.“

Am kommenden Heiligen Abend wird der geschmückte Baum bei Rainer anständig beschallt: „Ich bin mir wirklich sicher dass das komplette Album bei uns zuhause nicht nur einmal laufen wird.“

© Markus Eck, 20.11.2022

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