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Interview: EPICA
Titel: Kunst inspiriert Kunst

Als die populären Niederländer 2021 mit dem großartigen Output „Omega“ ihre „metaphysische Albumtrilogie“ beendeten, die 2014 mit „The Quantum Enigma“ einen überaus spannenden Anfang nahm, waren Fans und Medien gleichermaßen hellauf begeistert.

Seither stieg und stieg die fragende Spannung auf ein weiteres Symphonic-Metal-Epos in Langspielform umso mehr - welche Epica nun mit dem neuen Album „Aspiral“ ebenso umfassend wie überzeugt und damit überzeugend zu beantworten wissen.

Wie Sängerin Simone Simons zu „Aspiral“ eingangs grundsätzlich einschätzend postuliert, haben die Beteiligten für diese neue Veröffentlichung ganz bewusst den „Old-School-Epica-Sound“ - in einigen Songs sogar sehr deutlich zu hören - mit mutig angegangenen neuen Facetten kombiniert. 


„Dies insbesondere, weil wir nach unserer vielfältigen Arbeit an der eher ungewöhnlichen 2022er EP ‚The Alchemy Project‘ doch ziemlich viel - vor allem auf kompositorischer Ebene - dazugelernt haben. Die EP kam damals sehr gut an, was uns in der Intention bestärkte, fürderhin einfach so bzw. in diesem Stil weiterzumachen. Wir kultivierten gemeinsam den Gedanken weiter, sich nicht limitieren zu lassen und auch, sich nicht limitiert zu fühlen. Wenn sich die eigene Musik im Teamwork gut anfühlt, dann kann es nur richtig sein. Apropos Teamwork, diesmal haben wir viel enger zusammengearbeitet als zuvor, also nicht nur auf digitale Weise mit gegenseitig zugesandten Dateien und Daten im Kompositionsprozess etc., sondern auch hinsichtlich zwischenmenschlich gemeinsamer Präsenz.“

Wie im Weiteren dazu zu erfahren ist, begaben sich Epica dabei bereits mehrfach in ihre eigenen „Writing Camps“, wie die Band das bei sich intern nennt.

„Das war stets eine schöne und prägende, aber auch sehr kreative Erfahrung - gemeinsam frühstücken, mittags kochen, abends Wein trinken etc., um tagsüber an neuer Musik zu schreiben. Damit entsteht eine sehr intensive Gemeinschaft, um vereint an Neuem zu arbeiten. Das hat uns allen wirklich sehr gut getan, schließlich wollten wir diesmal das gewisse Etwas dazugeben. So haben wir uns dabei definitiv als Musiker, als Menschen und letztlich als Band verbessern können. Es fühlt sich prima an, und ich bin mit sämtlichen Mitgliedern in Epica sehr dankbar dafür, dass wir nach all den Jahren immer noch das machen können, was wir lieben und wofür wir so leidenschaftlich leben. Für uns ist das kein ‚Job‘, sondern es steckt uns einfach sozusagen ‚im Blut‘. Und genau das haben wir diesmal mehr denn je eingebracht: Unser Herzblut, gerade, nachdem wir in der letzten Zeit doch wieder sehr viel mehr ein richtiges Team, eine harmonische Gemeinschaft geworden sind. Exakt das macht die neue Platte auch extra tiefgründig.“

Initiiert wurden diese durchaus interessanten Camps bereits erstmalig für den Entstehungsprozess des „Omega“-Albums in 2021, erinnert sich die Stimmstarke. „Nach der Welttournee zum 2016er ‚Holographic‘-Album waren wir allesamt in der Gruppe so ziemlich fix und fertig - eine kollektive Auszeit war einfach unbedingt nötig. Letztere und die damit zur Verfügung stehende Zeit brachte dann mit ‚voller Batterie’ 2019 unsere Buch-Biografie ‚The Essence Of Epica’ hervor. Wir hatten uns auch extra darauf geeinigt, für ‚Omega’ keine großen Tourneen, sondern nur handverlesen ausgewählte, einzelne Shows zu spielen, um mehr Zeitkontingent sowie auch mehr Energie und innere Klarheit zur Verfügung zu haben, um zusammen an weiterer Musik zu schreiben. Wir realisierten zu der Zeit noch um einiges mehr, wie wichtig das physische gemeinsame Arbeiten an unserer Kunst doch de facto für uns ist, umso mehr, da wir zwischen den größeren Touren eigentlich viel zu wenig zusammen waren. Und genau das haben wir dann entschlossen und bewusst gemacht - ein Haus gemietet und uns darin regelrecht für eine gewisse Zeit ‚eingenistet‘.“

Dazu muss man wissen, dass das sechsköpfige Line-Up von Epica sich in Sachen Wohnsitz auf Sizilien, Deutschland, Belgien und Holland verteilt - was allein schon erklärt, dass gemeinsames Arbeiten an einer bestimmten geografischen Stelle eher Ausnahme als Regel ist. Zudem gibt es noch familiäre Gegebenheiten und damit verbundene Pflichten, Wünsche etc., so Simone in aller Besonnenheit weiter zu diesem Kontext.



„Wir wollten so ein Camp daher auf jeden Fall auch für ‚Aspiral‘ umsetzen, und so geschah es. Erneut wurde ein großes Haus angemietet, worin jeder sein eigenes Zimmerchen hat, worin wiederum kleine Home-Studios untergebracht sind. Wir kamen da dreimal für je eine Woche zusammen, was sich über mehrere Monate hinweg zog. Auch unser Produzent Joost van den Broek war motiviert mit dabei, und zunächst setzten wir uns einfach alle zusammen und besprachen, was wir diesmal eigentlich genau wollten, während wir die Songs in der jeweiligen Rohform etc. anhörten und fortlaufend weiter ausdiskutierten. Erwähnenswert ist mir dabei, dass ich dort eng zusammen mit Joost an meinen Gesang bzw. vielen einzelnen Vocal-Lines und allerlei Textideen für die Songs werkte, die ja von fünf Epica-Musikern komponiert wurden - ohne abgelenkt zu werden von meinem Haushalt oder Kofferpacken für die nächsten Auftritte! Und: Wir aßen alle viel zu viel Schokolade - und so einige Bier- und Weinflaschen mussten auch dran glauben! [lacht] Unser Keyboarder Coen Janssen organisiert in diesem Haus gelegentlich seine Familientreffen usw. Es gab in dem Zeitraum zwar drei Gigs, wozu wir einfach nicht nein sagen konnten, aber ansonsten waren wir in unserem sehr ländlichen Camp - ‚in the middle of nowhere‘, zwischen so einigen Hühnern, die nicht selten sogar im Haus herumliefen und ihre geruchsstarken Hinterlassenschaften für mich einmal zu einem ‚Überraschungsei der besonderen Art‘ werden ließen. Doch ich denke mit warmen Gefühlen zurück an diese Zeit und hoffe, dass wir als Band dort etwas Tolles erschaffen haben.“

Entstanden sind die neuen Kompositionen für „Aspiral“ in einem längeren Zeitraum, lässt die langjährige Vokalistin wissen.

„Ich weiß, dass die Jungs jeweilig immer mal wieder, wenn es ihnen die Zeit und Muse erlaubt, an ihren Liedern für Epica schreiben. Unser Leadgitarrist Isaac griff sogar ein Lied wieder auf, welches damals ursprünglich für ‚Omega‘ konzipiert war, und arbeitete daran weiter. Bassist Rob hat auch einige Songs für diese neue Platte geschrieben, wie ich weiß.“

Einer ihrer Lieblingssongs auf dem neuen Release ist definitiv „The Grand Saga Of Existence - A New Age Dawns Part IX“, so lässt Simone verlauten.

„Darin ist einfach alles vertreten, was Epica insgesamt ausmacht - ich liebe diese ausgeprägte Komplexität darin. Auch ‚Obsidian Heart‘ und den Titelsong mag ich wirklich sehr inniglich. Denn die beiden drehen sich darum, dass man sich aus der - eigenen - Tiefe hocharbeiten soll zu seinen ganz eigenen Zielen. Und vor allem ‚Obsidian Heart‘ beleuchtet die dunkle Seite, die ein jeder Mensch in sich birgt - sei es nun Melancholie, Angst etc. Viele Künstler können ja wirklich ‚ein Lied‘ von der Melancholie singen - letztlich aber zählt, wie man sich damit arrangiert. Es kann einen für sich selbst weiter bringen, aber man kann sich auch fatal darin verlieren. Und bei ‚Aspiral‘ bekomme ich sowieso jedesmal sofort eine Gänsehaut - wir haben das Lied neben zwei anderen der neuen Songs bereits auch schon live gespielt, sogar mit Chor und Orchester, und es fühlte sich für uns sinnbildlich an wie ein Riesengeschenk.“

Als das erfreulich aufgeschlossene Gespräch auf die Intentionen zum aktuellen Albumtitel kommt, erläutert die Frontfrau rückblickend zu „Aspiral“:

„Als wir 2022 mit Sabaton auf Tour waren, sagte Rob irgendwann zu mir, sieh’ dir mal auf Netflix diese Dokumentation namens ‚Struggle: The Life and Lost Art of Szukalski‘ an - was ich tat, denn auf Tour hat man viel Zeit für derlei, auch ich ziehe mir da gerne Filme und Serien rein. Ich fand die Doku toll, weil sie primär sehr ästhetisch gemacht ist und Rob meinte daraufhin, er kenne die Leute, welche sie gemacht haben und er möchte diese gerne besuchen und ob ich mitkäme - was ich gerne bejahte, um mal aus dem Tourbus rauszukommen und um dabei neue, möglichst inspirierende Leute zu treffen und näher kennenlernen zu können. Die beiden Filmemacher erwiesen sich als sehr nette und angenehme Menschen, was Rob final dazu animierte, eigene Musik dazu erschaffen zu wollen. Zunächst nicht unbedingt für Epica, doch da führte dann schließlich eins zum anderen - und ich machte nicht minder ambitioniert mit. Als wir im Camp eines Tages wieder unsere Ideen und Songs besprachen, kam eben auch Robs Stück ‚Aspiral‘ auf den Tisch - ich fand den Werdegang ohnehin schon sehr ansprechend, da ich ja kontinuierlich neue Versionen davon auf WhatsApp von Rob bekam. So landete das Lied nicht nur auf dem Album, sondern wurde gleich auch noch dessen Titelgeber; ich schrieb den Text dazu, inspiriert von einer ganz bestimmten bronzenen Szukalski-Skulptur aus dem Jahr 1965. Ich habe mir mehrere von seinen Kunstwerken angesehen und sie auch tiefer studiert, doch daneben faszinierte Rob und mich auch die Lebensgeschichte des Mannes, dessen Leben auf beeindruckende Weise höchst markant von erfolgreichen Höhen und tragischen Tiefen gleichermaßen geprägt war. Er war meiner Meinung nach ein Wunderkind und ein wenig rebellisch - letzteres blieb ihm lebenslang. Er hat mehrmals alles verloren und fing wieder komplett von vorne an, insgesamt eine sehr ertragreiche Person, wenn man sich profund in sie und ihr Wirken einliest - so hat auch seine Kunst höchsten Wiedererkennungswert.“

Diese Statue des verstorbenen polnischen Künstlers, sie steht bekanntlich für die Themen Erneuerung und Inspiration, hatte es Simone ungemein angetan, wie sie zu offenbaren weiß.

„Das sind beides signifikante Schlüsselwörter, die Epica im Jahr 2025 definieren. In Szukalskis Werk ist selbst jedes kleine Detail ein Kunstwerk für sich - und es steckt stets mehr dahinter, als man zunächst noch denken möchte. Wir sponnen diesen Faden zusammen weiter, um schließlich darin eine geradezu perfekte Analogie für die Entstehung dieses neuen Albums zu finden: Jedes der Lieder steht für sich mit seiner eigenen Stimmung und Bedeutung, während sie sich zusammen zu einer monumentalen Leistung be- und auch verstärken. So etwas nennt man gemeinhin Gruppendynamik, und wir haben diese voll ausgelotet, indem wir uns anhaltend gegenseitig in aller Entschlossenheit künstlerisch herausgefordert haben. Um noch ein wenig bei der Statue und ihrer breiten symbolischen Aussagekraft zu bleiben: Es ging uns für ‚Aspiral‘ darum, etwas zu kreieren, das insgesamt einfach größer ist als die Summe seiner Teile. So stellen dementsprechend auch die Lyriken des neuen Albums eine Verbindung zwischen Chaos, Leid und auch schönen neuen Gegebenheiten und Dingen her, die daraus entstehen können. Wie es bei Szukalski eben auch der Fall in seiner oft abenteuerlichen Vita war. ‚Aspiral‘ beschreibt dies alles in einem einzigen, relativ einfachen Wort.“

Mit der neuen Musik von Epica möchte Simone alles das möglichst intensiv und ausdrucksstark nach draußen bringen, begeistern, Mut machen, mitreißen, aber auch zum Nachdenken, Innehalten und Sinnieren animieren, konstatiert sie.

„Ja, nach einem echt niederschmetternden Tiefschlag oder einer großen persönlichen Niederlage widerspenstig zu sein und dabei erfindungsreich zu bleiben, das ist eine herrliche Eigenschaft im Menschen - für uns war die eingehende Beschäftigung mit diesem weitläufigen Bereich wie eine Art eigene ‚Therapie‘. Die Texte für das Album zu erarbeiten, war für mich selbst sogar in etwa wie als wenn ich Tagebuch schreibe, nur eben mit schöner formulierten Wörtern und Sätzen - sehr, sehr lohnend und überaus lehrreich.“

Immens aufschlussreiche und damit lesenswerte Statements, doch Simone weiß sogleich noch mehr Fesselndes zu erzählen.

„Hedi Xandt, der unser großartiges neues Album-Artwork erstellte, ist tatsächlich ebenfalls ein Fan von Szukalski - ich lernte ihn über einen gemeinsamen Freund kennen. Hedi lebt und arbeitet in Deutschland, hat aber skandinavische Wurzeln. Eine große, charismatische Erscheinung, und er sieht auch schon gleich sehr belesen aus, wie ich finde. Wir beide hatten sofort den gewissen ‚Klick‘, um es mal so zu benennen. Mit Hedi arbeitete ich erstmalig für mein Soloalbum ‚Vermillion‘ zusammen, was echt großartig funktionierte - sein daraus entstandenes Artwork ist einfach toll. Er arbeitete bereits auch schon mit Ghost und Parkway Drive und gab mir damals die Info, dass eben diese beiden Bands gar kein Logo oder einen Albumtitel auf ihren Frontcovern mehr bringen wollen würden, um künstlerisch aus der Masse herauszustechen. Bei den ganz ‚Großen‘ unter den etablierten Bands habe sich dies mittlerweile gar als ‚normal‘ entwickelt. Bei ‚Vermillion‘ fühlte sich das zu der Zeit für mich - es ist ja mein Solo-Debüt - allerdings noch nicht richtig an, schließlich musste ich mich ja zunächst noch als Simone Simons etablieren, die Leute kannten mich ja bis dato einzig von Epica.“

Als Rob, Mark, Simone und auch Hedi für „Aspiral“ des Öfteren angeregt miteinander telefonierten, kamen sie zusammen auf den Dreh, so bilanziert die Sängerin weiter, dass die Zeit nun auch reif sei für ein Epica-Frontcover ohne Bandlogo - und in aller Konsequenz dann eben auch ohne eingebrachten Titel.

„Wir wollten uns ohnehin diesmal ein Stückweit erneuern bis ‚modernisieren‘ und fanden den Versuch wert, ihn zu wagen. Wir gaben ihm all unser Vertrauen - und wir ließen Hedi mit all unserem ihm übergebenen Input zum Album dann im weiteren Verlauf ‚einfach mal‘ machen und warteten ab, wie es uns gefallen würde, was da von ihm so kommt. Da Hedi aber eben auch bekennender Szukalski-Fan ist, hatten wir schon gleich ein rundum gutes Gefühl dabei. Im Fokus stand dabei, dass das Artwork ein markanter und prägnanter ‚Eyecatcher‘ sein sollte, denn da heute so viel an Musik ja eigentlich nur noch gestreamt wird, sollte unserer Meinung nach all den Artworks umso mehr Interesse, Aufmerksamkeit und auch Liebe zuteil werden, um das Ganze auch im Hier und Jetzt noch so persönlich und individuell wie möglich sein zu lassen. Das reine Bild oder Motiv eines solchen Cover-Motivs kommt tatsächlich ohne Logo und Titel sehr viel besser zur Geltung, das wurde mir und der Band sehr schnell sehr klar.“



Mit dem fertigen, unbestreitbar prächtig geglückten, visuell völlig abnutzungsfreien Ergebnis waren Epica zurecht überwältigt und glücklich, wie sich Simone merklich gebannt entsinnt. Der Verfasser sah sich mit diesem einzigartigen Bild schlagartig an die weitreichend bekannte „Himmelsscheibe von Nebra“ erinnert - und wie sich herausstellen soll, ist der Vergleich damit auch gar nicht mal so weit entfernt.

„Einfach großartig sieht das aus. Der Symbolismus kann natürlich auf vielfältige Art interpretiert werden, aber im Zentrum ist in der Tat eine Sonnenscheibe, soviel kann ich sagen. Sie steht für Licht, für Leben, für Hoffnung. Es sind neun Hände darauf, weil es unser neuntes Album ist. Mehr möchte ich dazu auch gar nicht preisgeben, denn dieses wunderbare Bild verdient es so sehr, auf möglichst vielfache Weise und in möglichst viele Richtungen des Daseins und der damit verbundenen Dinge und Philosophien gedeutet und erachtet zu werden. Ich glaube, direkt dazu befragt, würde es auch jedes einzelne Mitglied unserer Band ganz persönlich, völlig individuell und letztlich anders be- und umschreiben. Wir hatten ja schon einen längeren Vorlauf, wie wir unsere ‚Eigen-Erneuerung‘ insgesamt nun so genau gestalten wollten, und Hedi hatte uns in dem Zeitrahmen mehrere seiner Entwürfe vorgelegt. Das Artwork, welches schließlich von uns ausgewählt wurde, ist dasjenige, womit wir uns allesamt in Epica am meisten identifizieren können.“

Š Markus Eck, 12.03.2025

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