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Interview: END OF GREEN
Titel: Fragen an das Leben

Trotz einer stellenweise schier erdrückenden Fülle an Formationen im dunkel angehauchten Bereich harter Musik schaffen es immer wieder einige erlesene Acts, trotzdem noch einen ureigenen Stil zu offenbaren. End Of Green gehören zweifellos zu dieser Individualistenliga. Auf seinem neuen Album „Last Night On Earth“ stülpt dieses Stuttgarter Zermarterungsquintett sein Innerstes auf kompositorische, instrumentelle und vor allem lyrische Weise komplett nach außen.

Schon mit den Veröffentlichungen „Infinity“, „Believe My Friend“ sowie dem Albumvorgänger „Songs For A Dying World“ etablierten sich End Of Green nach und nach auf breiter Ebene, weit über ihre schwäbische Heimat hinaus.

Mittels vor tragischen Emotionen nur so strotzendem Dark Rock, welcher einen zentimeterdicken Alternative Metal-Anstrich unter sich weiß, malträtieren auch die neuen Songs dieser offenbar manisch melancholischen Schwaben den Geist bis in die letzte Hirnwindung.

Ausgelassenheit oder gar Fröhlichkeit finden hierbei keinerlei Refugium vor.

Da auch „Last Night On Earth“ wieder eine zutiefst erschüttert klingende Seelenschmerzscheibe geworden ist, vermutete ich hinter der Band abermals untherapierbare Schwerenöter.

Vom Gegenteil überzeugt mich jedoch Saitenmusikus Michael Setzer im umfassenden Dialog.

„Bei uns ist derzeit alles in bester Ordnung. Die neue Platte ist fertig und wir fangen nun endlich wieder an, live zu spielen. Es mag zwar merkwürdig klingen, aber: Uns geht es gut“, ist anfänglich von dem Gitarristen zu erfahren.

Dieser legt nun gleich noch den geographischen Standort seiner Kapelle näher dar:

„Wir kommen aus dem malerischen Schwabistan, um konkreter zu werden aus Stuttgart und aus Göppingen. Hier in unserer Gegend ist allerlei geboten“, so erzählt er.

Und Bands gibt es dort bei End Of Green wirklich an allen Ecken und Enden, so der Musikus.

„Die Fantastischen Vier, Freundeskreis, Massive Töne oder Afrob. Da wir aber sehr schlecht rappen, überlassen wir das den denen. Hier bei uns gibt es beispielsweise folgende Bands, die auch nicht schlecht sind: Undertow, Mirror Of Deception, Blue Season, Blackend, Dyin’ Julia, Unbound, Monochrome, Die Fuge Gascoine, Loretta, Tieflader, Soulstrip, Stale sowie Die Kleine Tierschau.“

End Of Green wurde von Drummer Matthias Siffermann und Sänger Michael Huber alias `Michelle Hu-burn` gegründet, welcher sich auch noch die Gitarre umhängte. Die damaligen Beweggründe hierfür waren ziemlich einfach:

„Musik machen.“ Der Meinung meines Gegenübers nach sollte man Konzepte prinzipiell von der Musik fernhalten, wie ich erfuhr: „Wenn man eine Band gründet, will man Lieder schreiben, Konzerte spielen und einen Plattenvertrag bekommen. Erst dann kommen Leute ins Spiel, die ein Konzept sehen wollen. So haben wir bis heute kein wirkliches Konzept außer `Musik machen`.“

Mich interessiert anschließend, wie mein Gesprächspartner zu seinem Instrument kam und wie er sich selbst als auch sein Spiel beurteilt.

Angefangen hat er laut eigener Aussage damit, weil er Kiss sehr beeindruckend fand:

„Und weil meine Mutter meinte, es wäre doch mal was, ein Instrument zu spielen. Auf der Blockflöte war ich ein Desaster. Mein Gitarrenspiel würde ich mal als katastrophal aber leidenschaftlich beschreiben. Zu End Of Green bin ich durch eine Schnapslaune nach dem zweiten Album `Believe My Friend` gestoßen. Es wäre allerdings schon etwas vermessen von mir, wenn ich meinen Charakter beschreibe. Ich würde das nur beschönigen wollen. Das können andere vermutlich treffsicherer beschreiben. Eine Freundin nannte mich mal einen launischen Dickschädel.“

Und seine Neigung zu dunklem, melancholischen Rock und Metal hat dieser launische Dickschädel schon sehr früh an sich registriert, wie er sich nun erinnert:

„Immer wenn ich jemandem ein Lied vorgespielt habe, das mir sehr gut gefiel, sagten die Leute entweder: `Ganz schön brutal` oder `Das ist aber traurig`. Schon von den Beatles fand ich `Eleanor Rigby` interessanter als `I Want To Hold Your Hand`. Das erste Mal gefürchtet habe ich mich vor Musik, als ich mit zwölf Jahren auf dem Walkman `Black Sabbath` von Black Sabbath gehört habe. Wir hatten damals ein paar große Typen auf der Schule, die uns Kassetten ausgeliehen haben.“ Ein ehrliches Bekenntnis.

Weltanschauung hat Michals Meinung nach immer etwas mit der jeweiligen Tagesform zu tun, wie er im Weiteren preisgibt.

„Manchmal hasst man Menschen, manchmal nicht und manchmal fragt man sich was der ganze Mist überhaupt soll. Aber weil zum Leben nun mal zwangsläufig der Tod gehört, darf man dem durchaus mal realistisch gegenübertreten.“

Apropos Realismus: Beauftragten Rezensenten fällt es mitunter nicht leicht, die eigenwillige musikalische Schöpfung der emotionalen Schwaben treffend zu umschreiben. Der Gitarrist legt in diesem Kontext dar:

„Bei uns hat sich irgendwann die Umschreibung `Depressed Subcore` eingebürgert. Ich finde, dass dies recht gut zutrifft. Hart, tief und mit Seele. Ich habe allerdings auch schon schöne Umschreibungen wie `Schlechtwetter Rock` oder `Melanchollica` gehört. Wir sind da offen. Obgleich es manchmal doch sehr nervt, wenn die tausendste Band mit der tausendsten Genre-Kreation aufwartet.“

Da mir der Name seiner Band schon seit jeher gut gefallen hat, fragte ich hinsichtlich seiner Bedeutung nach. Das Ende allen Grüns? Somit das Ende aller Hoffnung?

„Der Name kommt von unserem ehemaligen Bassisten, der heute bei Living Large spielt. Und es stimmt schon: Grün ist die Farbe der Hoffnung. Aber die stirbt bekanntlich zuletzt. Was das `Green` angeht habe ich auch mal Post von den Grünen aus Stuttgart bekommen, die fragten, ob dies bitteschön ein politisches Statement sei. Ob die CDU allerdings Cradle Of Filth anschreibt, entzieht sich meiner Kenntnis“, scherzt Michael verschmitzt.

So gehen wir zum aktuellen Albumtitel „Last Night On Earth“ über – und der redefreudige Six-Stringer erläutert ihn:

„Die Frage ist doch die: Werde ich je erfahren, wann die letzte Nacht anbricht, es sei denn, ich beschließe das? Die Gedanken um diese eine Nacht können einen an schlechten Tagen ganz schön zu schaffen machen. Michelle's Texte sind sehr persönlich und drehen sich mitunter um diesen einen Moment, in dem man beschließt, dass es das nun war.“

Mit dem betont ästhetisch gehaltenen Albumcover für „Last Night On Earth“ gelang eine der Musik adäquat gerecht werdende Verhüllungsoptik. Idee, Ausführung und der Rest stammen laut Michael von End Of Green-Gitarrist Oliver.

„Er hat das auch schon beim Vorgängeralbum `Songs For A Dying World` übernommen. Was solche Dinge angeht, sind wir sowieso ein Familienbetrieb. Alle Belange der Band werden entweder von uns selbst oder von guten Freunden erledigt. Unsere Musik ist so persönlich, dass es keinen Sinn ergeben würde, jemanden außerhalb der `Familie` damit zu beauftragen. Ein direkter Bezug des neuen Album-Frontcovers zu unseren aktuellen Liedertexten war nicht beabsichtigt oder geplant. Es ist aber zugegebenermaßen auch nicht allzu schwer, da eine Brücke zu schlagen.“

Wir beiden bleiben im Weiteren noch ein wenig beim Thema Albumcover.

Damals, als es neben Musikkassetten noch ausschließlich großformatige LPs gab, waren sie sicher noch viel wichtiger als heute, wie Michael zustimmt:

„Cover sind mir nach wie vor sehr wichtig, da bin ich bekennend oberflächlich. Sicherlich waren in Zeiten der Vinylformate die Cover weit wichtiger als heute, aber es ist nicht einzusehen, eine übel aufgemachte CD in den Laden zu stellen, weil sie ohnehin kleiner als eine Langspielplatte ist. Ich habe mir die `Trust Us` von Motorpsycho beispielsweise extra auf Vinyl gekauft, weil ich die Aufmachung wunderschön finde. Klar, wenn die Musik nichts bringt, dann ist auch das Cover egal. Ich will aber beides. Kennst Du das Gefühl, eine tolle Platte in der Hand zu halten, die leider komplett dämlich aussieht? Das kann mir den Tag versauen.“ Mir auch.

Den Tag versüßen kann dem Autoren hingegen ein so tiefsinnig angelegtes Album wie „Last Night On Earth“.

Dessen Songwriting hat einige Zeit in Anspruch genommen, wie mein Interviewpartner mitteilt:

„Im Groben und Ganzen würde ich mal sagen: Ein Jahr. Wir waren in den vergangenen Monaten sehr eifrig im Songwriting. Wir machen das gerne. Ich möchte allerdings damit nicht sagen, dass wir künftig alle drei Monate eine Platte veröffentlichen werden. Fließbandarbeit ist dann doch nicht unser Steckenpferd.“ Wie sieht Michael das damalige Debütalbum „Infinity“ denn im Nachhinein aus künstlerischer Sicht – und was würde er heute anders daran machen? „Da ich damals noch nicht in der Band war, darf ich eigentlich gar nichts dazu sagen. Aber warum eigentlich nicht? Ich würde nichts ändern oder anders machen. Jede Platte beschreibt einen gewissen Moment oder Zeitraum in der Geschichte einer Band. `Infinity` beschreibt unseren Beginn. Sicher gibt es einige Dinge, die wir heute anders angehen würden, aber lediglich weil wir mittlerweile etwas reifer sind. Ich schäme mich für nichts und die Tatsache, dass wir immer noch Lieder von `Infinity` live spielen, sagt eigentlich alles. Vielleicht machen wir ja irgendwann eine Platte mit neu aufgenommenen Oldies unserer Songs.“

Hinsichtlich der Vorgängeralben von End Of Green ist von dem Gitarrenschrubber mit dem rot gefärbten Bart zusätzlich zu erfahren:

„Was die Verkäufe angeht, würde ich mal sagen: Zu wenig zum Leben und zum Sterben zu viel. Ich freue mich viel mehr, bei Konzerten Menschen zu treffen, die sich mit Liedern von uns identifizieren können. Da ist es dann letztendlich egal, ob `Believe My Friend` damals vielleicht nur 500 Exemplare verkauft hat. Wenn jemand sagt, `Eternity` oder `My Friend` wären große Lieder, dann ist das für uns einer Top Ten-Platzierung gleichzusetzen. Plattenfirmen sehen das gewiss anders und wir hätten theoretisch auch nichts dagegen, Linkin Park oder Dieter Bohlen in den Arsch zu treten. Aber Erfolg nur an Verkaufszahlen zu messen ist gefährlich. `My Heart Will Go On` von Celine Dion mag zwar mehr verkauft haben, aber `In Bad Dreams` von The God Machine war für mich trotzdem ein wertvolleres Lied. Man merkt schon bei uns: Da spricht eine Band, die nicht wirklich `Topseller` genannt wird.“

Gruppen, die behaupten, ihnen sei es egal, was andere über ihre Platte denken, sind für Michael gottverdammte Heuchler.

So spricht er erneut im Namen seiner Band:

„Wir haben natürlich die Hoffnung, dass so viele Menschen wie möglich etwas mit unserer Musik anfangen können. Es ist ja niemandem geholfen, wenn nur wir uns gut finden. Ich wünsche mir eigentlich nur, dass sich jemand Zeit für unsere neue Platte nimmt. `Last Night On Earth` in diesen gewissen Stunden des Tages anhört und ein bisschen beruhigter ist, weil es da auch andere Menschen gibt, die ähnlich wie er denken. Das wäre ein Kompliment.“

Die musikalischen Haupteinflüsse für End Of Green kommen aus dem Grunge- und Metal-Bereich, wie im Weiteren aus Michael hervorzulocken ist: „Hauptsächlich deswegen, weil wir in dieser Zeit groß geworden sind. Alter Goth Rock der Marke The Cure oder The Cult hat da zudem einiges beigetragen. Metallica auch.“

Letztere waren während ihrer Albumanfänge auch bei mir eine sehr große Nummer. So schwelgen wir erneut einige Minuten in der Vergangenheit – und Michaels erstem Vinyl-Eigenerwerb:

„Meine erste Metal-Platte war definitiv `Creatures Of The Night` von Kiss, die hat allerdings noch meine Mutter bezahlt. Meine erste Single war `Come On Eileen` von Dexy’s Midnight Runners. Das war aber kein Metal. Lass mich mal überlegen; selbst gekauft und Metal: Metallica's `Kill `Em All`, glaube ich. Da war die Platte aber schon eine Weile auf dem Markt.“

„Kill `Em All“ kann man aber heute noch gut hören.

An ihr Label Silverdust sind die Stuttgarter Melancholiker auf dem Abtsgmünder Summer Breeze-Open Air geraten, wie sich mein Gegenüber nun noch erinnert.

„Wir haben uns kennen gelernt, als wir dort das erste Mal gespielt haben, was damals noch in einem Zelt geschah. Der Veranstalter Achim erzählte uns, dass er beabsichtigt ein Label zu gründen. Und dass er uns gerne unter Vertrag nehmen würde, weil er unsere ersten beiden Platten sehr mag. Anfangs haben wir das nicht wirklich ernst genommen, weil es damals wie heute Tausende von Menschen gab, die so was machen wollten. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass Achim uns damit aus einem sehr tiefen Loch geholt hat. Er hat wirklich keinen Blödsinn erzählt und ich wünsche jeder Band ein Label wie Silverdust Records.“

Zu Michaels Zukunftsplänen gehört neben dem Verlangen nach so vielen Konzerten wie möglich auch ein unerwarteter Wunsch: „Ich möchte mir ein Autogramm von Doro Pesch holen. Mit der spielen wir demnächst nämlich gleich dreimal zusammen. Und wenn ich allen Mut zusammen nehme, werde ich ihr sagen, dass wir alle im Zeltlager als pubertierende Jungs von ihr geschwärmt haben. Wahrscheinlich boxt sie mich dann windelweich.“

Das will keiner hoffen. Mein abschließender Wunsch nach einigen obligatorischen Worten an alle End Of Green-Fans macht den Gitarristen dann doch etwas verlegen: „Seid nett zu euren Freunden. Falls ihr Amerikaner seid, wählt bitte einen anderen Präsidenten. Und alle anderen: Hört euch mal eben unsere neue Platte an. Was soll ich sagen? Ich bedanke mich bei allen, die uns in den vergangenen Jahren unterstützt und an uns geglaubt haben.“

© Markus Eck, 16.04.2003

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