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Interview: ARCTIS
Titel: Ausreizung der Kontraste

Gerne authentisch naturnah, aber technisch so modern wie möglich ausgerüstet bitte - das ist das erklärte Motto dieser finnischen Modern-Metal-Newcomer. Und so fahren Arctis auf ihrem Debütalbum selben Namens auch eine pralle Breitseite an erstaunlich flüssigen, weil homogen kombinierten Gegensätzlichkeiten auf.

Letzteres bringt eine ungemein - poppige - Frische mit sich, die aus jedem Song geradezu ungestüm herauszuspringen scheint. Für die skandinavische Formation ist die Dualität ihrer programmatisch zur Schau gestellten Attitüde in der Selbstsicht völlig plausibel, wie Gitarrist Björn Johansson gut gelaunt Einblick gewährt.

„Ich liebe vor allem die nordischen Lichter und die hellen finnischen Sommernächte hier. In Finnland kann man glücklicherweise relativ leicht in die Wälder gehen, um mit sich allein zu sein und vom statischen Lärm der heutigen Welt erholsam abzuschalten.“ Technologisch gesehen haben Röhrenverstärker seines Erachtens nach in den 80er Jahren ihren Höhepunkt erreicht. „Solche Innovationen schätze ich am meisten.“ 


Drummer Mika Paananen ergänzt seinen Kollegen: „Ja, obwohl ich eigentlich jeden November aus Finnland stets aufs Neue schier wegziehen könnte, liebe ich die Natur hier immer noch. Das Wetter hier ist dann immer wie die Definition von Depression - es ist nur noch grau und dunkel wie die Hölle, während es regnet und schneit. Außerdem glaube ich, dass der extreme Lichtunterschied hier das Gehirn wirklich durcheinander bringt. Im Sommer geht die Sonne nie unter, und im Winter geht sie nie auf. Da bekommt man die Perspektive sozusagen auf die harte Tour. Dennoch, wenn wir so viel wie möglich von der Natur, die wir haben, unberührt lassen können, wäre ich glücklich. Wenn man anfängt, eine Sache für selbstverständlich zu halten, verändert sie sich in der eigenen Wahrnehmung. Moderne Technik? Wenn jemand billigere Schlagzeugstöcke, Felle und Becken entwickeln könnte, würde mich das sehr glücklich machen können.“ 


Sängerin Alva Sandström kommentiert ihre Mitmusiker zunächst wissend lächelnd, um dann zu erzählen:

„Wir wollten einen kleinen Hauch von Sci-Fi, Cyberpunk, etc. in unser Image einbringen und uns nicht nur einzig von der Natur inspirieren lassen. Das kam irgendwie von selbst, als wir anfingen, Synthesizer und EDM-Elemente in unseren Songs zu verwenden. Wir sind keine Band mit Flöten im Wald, auch wenn unsere größte Inspiration im Moment die Natur des Nordens ist. Genauso wie Pop und Metal in unserem Material miteinander verschmelzen, so wollten wir, dass Mutter Natur auch in unserem Image einige moderne digitale Vibes mit einbringt. Das ist etwas, das sich von Video zu Video ändert und sich mit der Zeit entwickeln wird, aber die nordische bzw. arktische Natur wird immer unser stärkstes und wichtigstes visuelles Merkmal sein.“

Apropos, die Beteiligten gaben sich als Eiskönigin, Kapitän, Magier, Wanderer und Weisem jeweils spezifische, möglichst charismatische Charaktere, um die künstlerische Gesamtwirkung noch zusätzlich zu potenzieren. Alva informiert: 


„Wir wollten starke Bühnenpersönlichkeiten für jedes Mitglied schaffen, um unser Image und unsere Live-Präsenz zu verbessern. Sie basieren auf unseren eigenen Persönlichkeiten und helfen uns, uns selbst und die Band als Ganzes zu stärken und zu verstärken. Und seien wir mal ehrlich, Björn kann einfach nicht der coole, moderne Gitarrist sein. Wir hatten keine andere Wahl, als diese Bühnenpersönlichkeiten zu erschaffen, damit Björn frei ist, er selbst zu sein! [lacht] Und da wir unsere Band Arctis genannt haben, muss die blonde Frontfrau natürlich eine Art Eiskönigin sein. Und das passt auch zu mir, es gibt nichts, was mich so begeistert wie die Kräfte unserer Natur um uns herum. Wenn eisige Winterwinde mein Gesicht treffen, fühle ich mich lebendig.“

Björn freut sich: „Ja, ich bin einfach ein Mann des Meeres. Ich bin bei Arctis tatsächlich einfach nur eine verstärkte Version von mir selbst.“ Axeman Michael liebt es, wie er dazu in die Runde offenbart, verrückte Ideen zu entdecken und auszuprobieren. „Um dabei immer besser zu werden in allem, was ich musikalisch mache, so dass es eines Tages fast wie Magie erscheint!“

Befragt, an welcher Stelle der kreativen Route die Musiker ihr neues Album innerhalb der bisherigen musikalischen Reise einordnen, prescht Björn dynamisch vor: „Das ist erst der Anfang! Wir arbeiten ständig an neuem Material und schmieden Pläne für zukünftige Konzepte. Ich bin sehr stolz auf das erste Album und wie es sich entwickelt hat. Zum Zeitpunkt des Schreibens haben wir nur eine Single veröffentlicht und die wurde sehr gut von den Leuten aufgenommen. Wir haben noch viel mehr vor, also bin ich sehr aufgeregt!“ 


Michael dazu, bestätigend: „Wir sind alle stolz auf das, was wir mit diesem ersten Album erreicht haben. Wir haben seit seiner Fertigstellung viel gelernt, was wir in das zweite Album einbringen werden.“

Auch für Mika stellt „Arctis“ eine sehr lange und harte Lernerfahrung dar, wie er postuliert.

„Es fühlt sich im Nachhinein in der Tat für mich auch in etwa so an wie ein durchgeführtes Experiment. Und wir sind durch diesen Prozess als Musiker, Menschen und Songschreiber so sehr gewachsen. Wir können es kaum erwarten, diese Reise fortzusetzen und weiterhin neue Ideen zu entwickeln und zu erforschen!“


Derlei Statements werfen unweigerlich die Frage auf, wie man sich Arctis beim Schreiben, Ausarbeiten und Fertigstellen eines ihrer Songs vorzustellen hat.

Laut Michael fängt es normalerweise damit an, dass ein oder zwei Bandmitglieder ein Demo schreiben, welches dann den anderen in der Gruppe präsentiert wird. „Danach ist es eine gemeinschaftliche Anstrengung, den Song fertig zu stellen.“ 


Und dabei sind, so Schlagwerker Mika, eine Menge Überarbeitungen zu erleben, bis es den Urhebern dann schließlich nach ihrem Gusto passt.

„Wenn wir nicht weiterkommen, lassen wir den Song eine Weile ruhen und arbeiten an anderen Stücken. Und wenn wir dann zurückkommen, wissen wir normalerweise, was besser sein könnte. Aber manchmal haben wir auch das Gefühl: ‚Ja, das ist perfekt!‘ Manche Songs schreiben sich fast von selbst, und andere brauchen viel Liebe. Wenn wir das Gefühl haben, dass eine Komposition nicht gut genug ist, heben wir sie einfach für später auf. Wer weiß, wenn man sie sich in ein paar Jahren anhört, könnte sie dereinst genau richtig sein.“ 


Björn empfindet das vollbrachte Werden des aktuellen Debütalbums im Nachhinein gar ziemlich chaotisch. „Wir haben jeden Tag 18 Stunden am Stück im Studio verbracht und wie die Verrückten gearbeitet. Beim ersten Song, den wir schrieben, wurde ich aus Schlafmangel ohnmächtig und schlug mir den Kopf an Mikas Schlagzeugstuhl an! Heutzutage sind wir besser organisiert, wenn wir schreiben und aufnehmen. Wir haben den Ausdruck ‚jemand muss den Schotter fahren‘, was bedeutet, dass jemand auch die langweiligen Sachen machen muss. Es gibt Hochs und Tiefs in diesem Prozess, aber meistens macht es Spaß.“

© Markus Eck, 27.10.2024

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