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Interview: ANTHRAX
Titel: Live im Studio

Obwohl sie ihre allergrößten Erfolge Mitte bis Ende der goldenen 80er mit zeitlosen Alben wie „Spreading The Disease“, „Among The Living“ und „State Of Euphoria“ feierten, zählen diese 1981 in New York gegründeten amerikanischen Thrash-Urgesteine um Spaßvogel und Gitarrenprofi Scott Ian noch lange nicht zum alten Eisen, wie sie mit ihrer aktuellen Scheibe „The Greater Of Two Evils“ unter Beweis stellen.

Ganz im Gegenteil! Die ebenso beständige wie stilistisch wandelbare Band, die sich weder von ekligen Spuck-Attacken aus dem Publikum zu Anfang der 90er noch von den 2001er Attentaten mit dem gleichnamigen Milzbrand-Erreger aus der Bahn werfen ließ, scheint mit jedem Jahr als musikalische Gemeinschaft fester zusammenzuwachsen.

Neu vertont wurden für „The Greater Of Two Evils“ 14 Anthrax-Klassiker, darunter so beliebte Stücke wie „Deathrider“, „Metal Thrashing Mad“, „A.I.R.“ oder auch „Among The Living“; eingesungen von John Bush, dem ehemaligen Armored Saint-Stimmwunder, welches seinen Ende 1992 ausgeschiedenen Vorgänger Joey Belladonna seit dieser Zeit bekannter Weise bestens ersetzt.

Als ich das nachmittägliche Gespräch mit Scott Ian beginne, hat der Gute an diesem Tag bereits ganze elf Interviews hinter sich.

Trotzdem gibt es noch einiges zur Entstehungsgeschichte von „The Greater Of Two Evils“ zu berichten.

„Viele Fans baten uns über die Jahre immer wieder, doch endlich mal ältere Songs mit Johns Stimme neu aufzunehmen. Geplant war dies von uns auch schon seit langem, doch wir schoben es immer wieder auf. Die Sache sollte so demokratisch als möglich ablaufen, daher ließen wir unsere Fans letztes Jahr 2003 auf der Anthrax-Website abstimmen, welche Songs sie wirklich neu aufgenommen haben wollten. Es beteiligten sich Abertausende von Leuten daran; eine Resonanz, die uns aufzeigte, das es bereits allerhöchste Zeit für ein Album wie „The Greater Of Two Evils“ war“, berichtet mir der Gitarrist, der auf der Bühne noch immer quirlig und sprunghaft agiert.

„Nachdem fest stand, welche Tracks es auf die neue Platte schaffen würden, gingen wir ins Studio und spielten die Dinger live ein. Als abermalige Studioversionen hätten sie uns eher gelangweilt, daher gönnten wir uns die Freude und nahmen alles direkt und live auf. Mein derzeitiger Favorit auf „The Greater Of Two Evils“ ist „Panic“ von unserem 1984er Debütalbum „Fistful Of Metal“ – noch immer ein wahrer Killersong“, schwärmt der kahlköpfige Bartträger.

Da soll die Frage nach seinem ganz persönlichen Albumfavoriten von Anthrax natürlich nicht ausbleiben. Und Scott gesteht mir ohne Umschweife: „Das ist eindeutig „We´ve Come For You All“, insgesamt gesehen. Da ist wirklich alles dran und drin, was ich schon immer auf einem Album von Anthrax haben wollte.“

Im Studio verbrachte das Quintett dann lediglich nur zwei Tage. Recht flott, möchte man meinen.

„Das verwundert nicht mehr so sehr, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass wir diese Stücke mitunter schon unzählige Male live auf der Bühne gespielt haben und sie mittlerweile beinahe im Schlaf spielen können. Uns tat es total gut, endlich mal wieder so richtig schön schnell im Studio arbeiten zu können. Wir spielten einen Track nach dem anderen, ohne große Unterbrechungen, und das machte uns großen Spaß. Es gab daher keinerlei Proben zu den Songs. Wir machten die Studiotüren hinter uns zu, stöpselten die Gitarren an und los ging es. Das war ja schließlich auch der vorhergehende Grundgedanke zu diesem neuen Album: Alte Stücke, im Studio live neu eingespielt; so, als würde man zu einem unserer Konzerte gehen und die Songs dort hören. „The Greater Of Two Evils“ ist somit die ultimative Anthrax-Scheibe für unsere Fans.“

Da die spielfreudigen Jungs aus USA nun seit mehr als zwei Dekaden im Musikzirkus mit mischen, will ich wissen, wie wohl all die Veränderungen im Metal seit der Gründung seiner Band auf einen Musiker und Menschen wie Scott wirken.

Mr. Ian selbst ließen Sub-Stilistiken und allerlei schwermetallische Zeitströmungen jedoch seit jeher ziemlich unbeeindruckt, wie dieser zu Protokoll gibt.

„Um ehrlich zu sein, kann ich nicht mal so genau sagen, inwieweit sich die Dinge nun geändert haben. Ich bin ohnehin auch viel zu sehr mit Anthrax beschäftigt, um mich um die Trends im Metal und um all die neuen Bands zu kümmern, die jedes Jahr auftauchen. Davon abgesehen, könnte ich die diversen Entwicklungen ohnehin nicht beeinflussen oder kontrollieren. Also sind sie mir doch ziemlich egal. Wir in Anthrax spenden all unsere Zeit und Aufmerksamkeit, um die Band so gut wie möglich funktionieren zu lassen.“

Eine Vielzahl an Anthrax-Fans dürfte damals während der 2001er Attentate mit dem Milzbrand-Bazillus in Sorge um die Situation der Band gewesen sein. Der Gitarrist, der vor einigen Jahren von New York nach Kalifornien übersiedelte, gibt sich auch diesbezüglich völlig locker.

„Darüber spricht heute niemand mehr, den wir treffen. Auch damals hatten wir überhaupt keine Schwierigkeiten mit dieser Sache.“

Scott, der seit jeher für sein humoriges Naturell bekannt war, hatte auch in Sachen Musikgeschmack schon immer seinen ganz eigenen Kopf auf. Und daran hat sich nichts geändert.

„Meine derzeitigen Lieblinge sind Velvet Revolver. Könnte ich den ganzen Tag hören; sie haben den alten Guns N' Roses-Spirit, klingen aber doch total neu. Daneben höre ich mir wie immer eine Unmenge an musikalisch mitunter total differierenden Sachen an.“

„The Greater Of Two Evils“ – ein Albumtitel ohne jede tiefere Bedeutung, der einfach nur gut klingt und klingen soll, wie zu erfahren ist. Scott erinnert sich:

„Eines Tages hatte ich eine ziemlich spaßige Konversation mit dem Webmaster unserer Homepage. Im Laufe dieses Gespräches kam von ihm der Satz „The Greater Of Two Evils“ ins Spiel – wir lachten lauthals darüber. Der Albumtitel war somit schnell beschlossene Sache.“

© Markus Eck, 16.11.2004

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