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Interview: YE BANISHED PRIVATEERS
Titel: Klar zum Entern!

Dass diese schwedische Feuermeute um einiges aufrichtiger, echter und verschworener zu Werke geht als der Großteil der Zunft, das verdeutlichen schon allein die prächtigen Bandportraits.

Alles andere als zerlumpt geht es aber auf musikalischer Ebene zu, wie das neue und dritte Album „First Night Back In Port“ offenbaren kann.

Diese überaus variantenreiche, liebevoll gespielte und großherzig besungene Liederkollektion zählt mit zum Interessantesten und Kultiviertesten, was das Genre Pirate Folk derzeit hergibt. Seit 2008 durchpflügt die ebenso besetzungsreiche wie Live-freudige Formation die Begeisterungsmeere unter der Totenkopfflagge in dem Bereich.

Und Ye Banished Privateers konnten sich mit ihren beiden Langdrehern „Songs And Curses“ und „The Legend Of Libertalia“ einen sehr guten Namen machen. Schließlich berauscht das auch thematisch hochprozentige Gebräu aus irischem und skandinavischem Folk auf angenehm zwanglose Weise. 


Violinistin Freebird af Wærmaland, ihres Zeichens auch Sängerin bei dem bunten Haufen aus Umeå, hat ihr ganzes Dasein dem Studium der historischen Piraterie verschrieben.

„Ich denke, wir alle in der Band finden in den alten Freibeutern eine ganze Menge von uns selbst wieder. Ihre Einstellung zum Leben, zur Liebe, zur Politik. Sie gingen eigentlich unbekümmert in jeden neuen Tag. Es gibt immer noch so viel zu lernen von diesen Gesellen, und während wir das machen, lernen wir gleichzeitig mehr über uns selbst und unsere Vergangenheit.“

Dem kann und möchte sich Gitarristin und Sängerin Magda doch nur anschließen.

„Ich entdecke und erlebe so viel geniales Zeug dabei, welches mir ansonsten niemals zuteil werden würde. Jede unserer Touren ist ein großes Abenteuer! Ich verbringe viel Zeit mit Leuten, die mir gut tun und die ich sehr mag. Ich liebe meine Crew. Ich singe mir bei Ye Banished Privateers das Herz auf eine Art heraus, wie es für mich in anderen Musikstilen einfach gar nicht möglich wäre. Natürlich hat jede Art des Ausdrucks ihre Qualitäten und ihren Reiz, doch für mich kommt das Piratending einfach am allerbesten in Frage. Es ist so befreiend, all diese stimmungsvollen Klänge und feierlich-wilden Gesänge zu erzeugen. Letztere würden bei anderen Stilen meiner Auffassung nach nicht so exzellent funktionieren. Doch bei unserem Pirate Folk-Material ist dies eben ganz besonders toll“


Mandolinist Silent Jim nickt die Aussagen seiner Bandkollegen vollauf zustimmend ab. Und der gehörig Schlitzohrige, ebenfalls Leadsänger bei dem Ensemble, macht gar seine komplette Welt- und Lebensanschauung daraus:

„Ich erlebte mich selbst oft in Jobs oder Hobbies, in denen es als Schlüsselfunktion darum ging, anderen Menschen ein positives Erlebnis zu geben. Traurigerweise wird dieses Element viel zu oft unterbezahlt oder zu gering geschätzt, egal, ob man nun im Dienstleistungsbereich oder im künstlerischen Entertainment agiert. Und dieser Umstand an sich bringt mich letztlich mehr oder weniger dazu, diese authentische, piratische Attitüde zu verbreiten. Wir sind doch allesamt menschliche Wesen und wir verdienen es, unser Leben frei und glücklich gestalten zu können. Auf eine Weise, die wir für gut und richtig befinden. Und eben nicht in den Ketten der Oberschicht. Seit meinen Tagen als Teenage-Fanboy, in denen ich jede wache Stunde damit verbrachte, großartig bereichernden Heavy Metal zu hören, verspüre ich das ausgeprägte Verlangen, der Welt, in der ich aufgewachsen bin, dieses wunderbare Gefühl wiederzugeben. Jedes einzelne ‚Danke euch!‘, jedes breite Grinsen, jeder vertikal geschüttelte Kopf, alle tanzenden Füße und all die mitgesungenen Textzeilen erinnern mich an meine eigenen Jugendzeiten. Daher liebe ich es so unsagbar, mit meiner Band Musik zu machen und durch die Lande zu ziehen. Ich fühle mich extrem privilegiert, mit Ye Banished Privateers auf den Bühnen für gute Laune sorgen zu dürfen und den Leuten so glückliche Stimmungen ermöglichen zu können.“ 



Als die Unterhaltung in Richtung Freibeuter-Filmkunst tendiert, hebt Drummer und Leadsänger Black Pyte den Humpen mit aller Entschlossenheit in die Sonne.

Er raunzt dabei mit unrasierter Miene und aus raubaukenhafter Kehle:

„Yeah! Die moderne Vorstellung, wie Piraten aussehen, sprechen und sich verhalten, ist so schwer von diversen Kinofilmen beeinflusst. Man kann sich schier gar nicht aller guten, durchschnittlichen oder gar miesen Werke entsinnen, die es da so bislang auf die Leinwände dieser Welt geschafft haben. Alle reden immer über Errol Flynn, was die - vielleicht sogar schlussendlich fragwürdige - Pionierarbeit angeht. Doch meiner Meinung nach sollte da viel eher der Brite Robert Newton genannt werden! [ Berühmte Rolle als ‚Long John Silver‘ in ‚Die Schatzinsel‘ (1950); A.d.A. ] Er erfand nicht nur den entsprechend etablierten ‚Yaaaarrr‘-Ausruf, sondern prägte mit seinem übertriebenen, westlich-provinziellen Akzent auch die Imagination davon, wie man sich sprechende Piraten vorzustellen hat. Er spielte in zahllosen Piratenstreifen - und natürlich verstarb er an schwerem Alkoholkonsum, gerade mal 50-jährig.“




Wie der Kerl weiter erzählt, haben Ye Banished Privateers dem großen Kinoerfolg der „Fluch der Karibik“-Reihe und dem damit schlagartig wiedereingeläuteten Piratenboom sehr viel zu verdanken. Black Pyte freut sich derb, aber herzlich lachend:

„Ja, mit der größte Grund, warum wir überhaupt so weit umherreisen und so viel köstliches Freibier genießen können! Der signifikante Nachteil dieser Filme ist allerdings, dass, sagen wir es mal so, die davon geprägte Vision in den Köpfen der Leute mittlerweile viel vom Wissen über, ja mehr noch, fast alle bisherig bekannten Details der Piratenwelt mit viel Spektakel verwischt und neu belegt hat. Jeder ruft ‚ Jack Sparrow!‘ hinter mir her, als hätte ein viel offensichtlicherer Typ wie Blackbeard nie existiert.“



Und was er in sämtlichen, populär gewordenen Darstellungen des gesamter Spektrums der legendären Freibeuter vermisst, so Black Pyte, ist die korrekte, authentische Darstellung der wahren sozialen Realität.

„Alles wird immer in farbenprächtig-opulenter, heroisch geprägter Abenteuermanier gezeigt. Piraten führten aber in der Regel kurze, brutale Leben. Ein bekannter Pirat wie Blackbeard konnte eine ‚lange‘ und sehr erfolgreiche Laufbahn verbuchen, er nahm um die 300 Schiffe ein. Tatsächlich segelte der Kerl gerade mal circa zwei Jahre unter der schwarzen Totenkopfflagge. Ich denke, die US-amerikanische TV-Serie ‚Black Sails‘ machte diesbezüglich vieles richtig. Sie zeigten die Piraten außerhalb des Disney-Modus und nahmen sich die Zeit, politisch geprägte Stories zu erzählen, ohne die ständige, fiktive Säbelschwingerei zwischen der Takelage der Masten. Doch, wenn man der Wahrheit über diese Typen näher kommen will, warum nicht zu einem guten Buch greifen? Man lese bei Gelegenheit nur mal William Dampiers ‚A New Voyage Round The World‘ aus dem Jahr 1697! Es liefert Information über die eigentlichen Piraten aus erster Hand!“


Für den amerikanischen Professor und Historienforscher Marcus Rediker hat Master Pyte einiges übrig. „Er vergleicht die großartigen Kaperschiffe aus der alten Zeit, nicht selten mit mehreren Kanonendecks aufgerüstet, sogar mit den heutigen Atombomben. Das Problem war, dass die historischen ‚Atombomben‘ von einer unterdrückten Unterschicht bedient wurden, die sich ihrer potenziellen Kraft eher langsam bewusst geworden sind. Das coole an ihnen ist, da gehe ich vollauf konform, dass Piraten sehr viel mehr waren als romantisch verherrlichte Räuber. Sie wählten Kapitäne, Seerouten und wichtige Entscheidungen an Bord nur in vielen Instanzen. Niemand hatte zudem auf See bessere Verpflegung als auch Schlafquartiere. Und ihren - wenigen - Regeln entsprang sogar ein hochwertigeres Gesundheitssystem. All das ist letztlich das exakte Gegenteil von den regulären Gegebenheiten des Daseins des Großteils der Seefahrer in dieser Ära, die ja eher eine brutale Klassengesellschaft in Miniatur darstellten.“ 



Mit „First Night Back In Port“ debütiert der schwedische Musikantenverband beim österreichischen Label.

Silent Jim, als hätte er schon darauf gewartet, ergreift sofort das Wort, als das Thema Einzug in die angeregte Unterhaltung findet.

„Bei den Aufnahmen zu diesem neuen Album waren mehr Personen als je zuvor in der Historie von Ye Banished Privateers involviert. Für uns stellt dieser Fakt auf symbolische Weise auch die Gleichberechtigung und das Chaos dar, was wir in der wild zusammengewürfelten Mannschaft auch kontinuierlich weiter ausarbeiten wollen. Jedes einzelne der mittlerweile 30 Crewmitglieder, und nicht nur die reinen Musiker an sich, die bei den Aufnahmesessions mitwirken wollten, konnten dies tun. Wir ermutigten uns sogar noch gegenseitig dazu, scheißegal, wer was dazu beitragen konnte. Uns allen war es doch völlig schnuppe, wie hart und chaotisch das Prozedere auch werden würde. Jeder der Beteiligten ist schließlich individuell wichtig bei Ye Banished Privateers, wir legen großen Wert auf größtmöglich ausgeprägte und produktive Kollektive!“



Black Pyte hängt an: „Wir versuchten, die Lieder in verschiedene Kapitel zu unterteilen, was auf der Platte auch durch differierende Soundlandschaften und multiple Gefühlsebenen reflektiert wird. Das Ganze spielt sich im fiktiven ‚Cooper’s Inn‘ ab, einer jamaikanischen Kolonie um das Jahr 1715 herum.“




Auf die verdammt ungewöhnliche, weil zahlenmäßig immens hohe Gruppenbesetzung angesprochen, vermeldet Perkussionist Monkey Boy mit einem markanten Augenzwinkern: „Das entstand durch schlechten Geschmack, ein lausiges Urteilsvermögen und dem starken Willen zum Überleben“, und lautes Lachen untermalt auch sein folgendes Statement:

„Daneben ist ein großes Netzwerk an Inspiration und inspirierten Musikern dafür verantwortlich, das über Schweden hinausreicht. Wir sind gewillt, die Charts zu entern und die Lücken in unserem Leben mit Touren zu füllen.“



Silent Jim scherzt zur Frage, ob man künftig mit noch mehr Mitgliedern zu rechnen hat, erwartungsgemäß frei von der Leber weg:

„Natürlich ist es sehr hart, mit einer so großen Crew über stürmische Wogen zu segeln, ohne dass ab und an einige über Bord fallen. Und nicht zuletzt bergen umso mehr Mann an Besatzung ja bekanntlich auch das Seuchenrisiko auf dem Schiff, von Skorbut erst gar nicht zu reden! So ist es schon sehr wahrscheinlich, dass es nicht so viele neue Gesichter bei uns zu sehen geben wird.“


Der köstlich verschmitzte Akkordeonist und Vokalist Mr Bellows gewährt schließlich noch Einblick darüber, wie der trinkfreudige Haufen eigentlich dauerhaft zusammengehalten wird.

„Ach, eine besondere, leitende Hand ist da gar nicht nötig. Wir geben schlicht einfach alle nur zu gerne unser Bestes für Ye Banished Privateers! Einer steckt den anderen an mit neuen, guten Ideen und fröhlicher Spiellaune. Wir haben längst eindeutig zusammen entschieden, dass wir zwar für lange Zeit in der Gruppe bleiben möchten, aber auch als Gegenwartsmenschen im realen Leben überleben müssen. Die Band kann also demnach nicht immer an erster Stelle stehen. Und das funktioniert bestens, frei von unnötigen Zwängen und Vorstellungen. Diejenigen in der Band, die Zeit und Energie für das Ruder haben, machen es einfach. Und denen, welche sich die Zeit für Ye Banished Privateers sinnbildlich aus den Rippen schneiden müssen, für einzelne Rehearsals beispielsweise, ist eine gewisse kreative Langsamkeit oder selteneres Erscheinen durchaus auch erlaubt. Diese Verfahrensweise bringt allerdings schon auch die arbeitsreiche Tatsache mit sich, dass Einzelne aus der Crew immer wieder aufwändig auf den neuesten Stand der Songentwicklungen und -Arrangements gebracht werden müssen.“




Bei der Anzahl an Männlein und Weiblein auf so engem Raum bleibt es in der Tat nicht aus, so Gevatter Jim, scheint es unvermeidlich, dass Liebesbeziehungen entstehen. Er plaudert in diesem Punkt merklich nur zu gerne tiefer aus, und man erfährt auch gleich, warum.

„Wer kann sich schon dauerhaft animalischer Emotionen erwehren!? Auch wir sind da nicht gänzlich immun dagegen. Aus dem Stegreif fallen mir zwei stabil gebliebene Partnerschaften ein. Aus einer davon entstand gar eine Großfamilie, die sich mittlerweile für eine Piratenpause entschieden hat, um eigene Abenteuer zu erleben. Und, die zweite, zarte Bande habe ich selbst geknüpft. Kürzlich segelte ich im Zuge dessen zu euch nach Deutschland rüber, mit einer der am härtesten arbeitenden Piratinnen aus unserer Mannschaft. Absolut nicht unerwähnt bleiben sollte dabei doch auch, welch’ riesengroße Liebe am Boden einer Buddel Rum gefunden werden kann“, platzt es unter einem schallenden, sich beinahe überschlagenden Lachanfall aus dieser salzigen Seeseele heraus, „und die anderen können ganz sicherlich auch was darüber enthüllen!“



Blitzschnell ist Oberfilou Black Pyte schon wieder zur Stelle:

„Ich erinnere mich genau daran. Unser vorheriger Mandolinist verknallte sich Hals über Kopf in ein verdammt cooles, deutsches Weibsstück, die nachfolgend sogar direkt zu uns in die Crew musterte. Sie hat mittlerweile die verantwortungsvolle Aufgabe allerlei, meistens schwererer Transporte wie Instrumente etc. bei uns übernommen und brachte überraschenderweise typische, ‚deutsche Ordnung‘ in unseren chaotischen Verein. Wir haben ihr dafür auch restlos vergeben, dass sie den besagten Mandolinist damals regelrecht entführte und den Tropf in Süddeutschland ausgesetzt hat, wo sie aus ihm einen gefestigten Jungen und Weinbauern gemacht hat. Sachen gibt’s …“



Fidelfrau und Vokalistin Freebird nimmt es ebenfalls ohne Gefühlsduselei: „Auf der Bühne entsteht schon immer wieder eine solch gigantische, unweigerlich packende Euphorie, die mich pro Konzert jedesmal in mindestens ein Bandmitglied verlieben lässt“, so kommt es offenherzig über ihre Lippen, „was allerdings genauso schnell wieder vergeht, wie es kam, wenn wir danach nebeneinander in irgendeinem Kofferraum schnarchen, und am nächsten Tag aufwachen, mit schwarzem Mist in unseren Gesichtern und eine Atemluft haben wie ein alter Krake.“ 


© Markus Eck, 01.07.2017

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