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Interview: TIAMAT
Titel: Satanische Philosophien

Dieser Mann hat bisher als Künstler schon einen sehr weiten kreativen Weg beschritten. So erwandert Johan Edlund, besser bekannt als der geistige Kopf hinter der schwedischen Band Tiamat, auch auf dem neuen Album einige bisher von ihm unbetretene stilistische Pfade. Das wertvolle Werk mit dem plakativ-provokanten Titel „Judas Christ“ weist ihn und seine musikalischen Mitstreiter erneut als sich ständig weiterentwickelnde Nonkonformisten aus.

Tiamat gilt in der sumerisch-mesopotamischen Mythologie als babylonische Meeresgöttin und wird dort als riesiger Drache beschrieben. In den alten Mythen der Babylonier verkörpert sie grenzenloses Chaos und das Böse. Vom Kriegsgott Marduk im Kampf erschlagen, wurde sie von diesem nachfolgend in zwei Hälften geteilt, aus denen dann schließlich Himmel und Erde entstanden. Wir wollen auf letzterer bleiben und gleich auch noch ein wenig in der Vergangenheit schweifen: Johan gründete seine Formation 1988. Zu einer Zeit, als sich weltweit erstmals so richtig auf breiter Fläche die ersten schwarzen Horden der Finsternis zu gar bizarren und teuflischen Klangmissionen aufmachten.

Unter diesem Einfluß schrieb er auch das Material für sein den damaligen Zeitgeist schlicht perfekt reflektierendes 1990er Debütalbum „Sumerian Cry“. Es enthielt bodenständigen und ehrlich gespielten Death Metal, der seine Urheber als aufrichtige Überzeugungstäter enttarnen konnte. Für den schon ein Jahr später erscheinenden Albumnachfolger „The Astral Sleep“ hatte sich Johan dann in Form von erstmals bei Tiamat zu vernehmenden Keyboard-Melodien von Studiogastmusiker Jonas Malmsten eine Überraschung für seine Anhänger ausgedacht.

Schon kristallisierte sich erstmals ein unverwechselbarer und auch einmalig-unkonventioneller Stil in dieser Formation heraus, der bis heute die Geschicke dieser reizvollen Band zu dominieren scheint.

Sie etablierten sich mit diesen beiden starken Alben nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in ganz Europa. Sehnsüchtig harrte eben dieses Europa nach dem dritten Album, welches wiederum ein Jahr später erschien.

Und „Clouds” sollte dann auch die funkensprühende Initialzündung für einen sich erstmals einstellenden breiten Erfolg sein. Es ließ aber auch gleichzeitig als Nebeneffekt die einstigen kompromißlosen Tiamat-Fans hinter sich zurück, denn: Auf diesem zweifellos prachtvollen Stück Musik kündeten nur noch wenige verbleibende schwermetallische Klangmodule von den einstigen dunklen Intentionen Edlunds.

Seine „neue“ Band, - Johan tauschte fast alle Musiker aus -, hatte nun die neue Direktive des Meisters vor Augen: Stark atmosphärischen und betont eher emotionalen Düster-Rock, der mit vielen schmeichlerischen Melodien und harmonischen Keys um die Gunst seiner Hörer rang. Dies kennzeichnete auch das 1994 erschienene Werk „Wildhoney”, auf dem Tiamat diese Art des Vortrags erstmals zu ihrer eigenen Reinkultur herauf kultivierten. Doch kaum meinte man, ihnen auf die kreative Schliche gekommen zu sein, wurde man mit dem 1997er Release „A Deeper Kind Of Slumber” schnell eines besseren belehrt. Denn darauf hielten nun vermehrt elektronische Gestaltungselemente Einzug, die alsbald einen immer größer werdenden Raum beanspruchten. Wieder verlor Johan einige einstige Anhänger, die er mit „Clouds“ gewonnen hatte.

Davon unbeirrt und von sich überzeugt, gewährte er den genannten innovativen Modifikationen auch auf dem vorletzten Album „Skeletron Skeletron” freien Lauf, welches 1999 die Öffentlichkeit erblickte. Es war natürlich schon noch definitiv Tiamat, doch die alten düster-atmosphärischen Zeiten schienen für immer vorbei zu sein. Nun steht mit „Judas Christ” der neueste Albumstreich ins Haus, auf dem es erfreulich wieder ein wenig atmosphärischer zugeht als noch in der jüngeren Vergangenheit. „Judas Christ“ erinnert stellenweise sehr erfreulich an „Wildhoney“. Eine gute und ausgewogene Mischung aus allen Trademarks der letzten Alben und doch auch völlig neuartig: Schwärmerischer, gotisch-psychedelisch anmutender Gitarrenrock von stellenweise stark spiritueller Ader. Mitunter mit bitterbösen und sarkastischen Lyrics, die jedoch individuell interpretiert werden wollen.

Johan Edlund ist mittlerweile 30 geworden und siedelte 2001 nach Hamburg über, weil seine Freundin – sie sind seit fünf Jahren zusammen – hier zu arbeiten begann. Der sehr sensibel und gefühlsbetont wirkende Gitarrist und Sänger stülpte im folgenden Interview für mich sein Innerstes nach außen.

„Als ich damals anfing, Musik zu machen, gab ich mein Bestes, um möglichst böse zu wirken. Das war eben damals mein Feeling, welchem ich Ausdruck verleihen wollte. Das ist mittlerweile auch schon wieder fast 14 Jahre her. So war es aber damals wie auch heute immer wieder so, daß ich mit meiner Kreativität stets tief in mir schlummernde Gefühlsregungen ausdrücken wollte. Deswegen ist jedes Tiamat-Album eine identische Reflektion meines Innersten“, trägt Johan zu Anfang meiner Feststellung Rechung, daß er sich mit „Judas Christ“ kaum weiter von seinen musikalischen Ursprüngen hätte entfernen können.

Er knüpft an: „Die gesamte Musik auf unserer neuen Veröffentlichung wurde erneut völlig ohne marktstrategisches Kalkül geschrieben und umgesetzt. In mir gingen in der vorhergehenden Zeit viele verschiedene Dinge vor, welche die Songs einfach entstehen ließen. Diesen gehorchte mein kreativer Geist. So war es schon immer bei Tiamat. Auf jeder Platte passierten Veränderungen. Schließlich hatten wir auch immer einige Line-Up-Wechsel, die jeden Release prägten. Während andere Bands des öfteren daran zu zerbrechen drohen, tat mir aber das frische Blut immer wieder sehr gut und stillte meinen Durst nach Veränderung.“

Das hat er schön gesagt. Mehr: „Dies kam auf `Clouds` erstmals so richtig zum Vorschein. Die Platte war zum damaligen Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung einzigartig und sie ist es in gewisser Weise noch bis heute. So etwas hatte man noch nicht gehört. Ich spürte instinktiv, auf dem richtigen künstlerischen Weg zu sein. Und so wollte ich es auch zukünftig beibehalten. Denn der Erfolg gab mir schließlich auch Recht.“

Johan ließ sich deswegen nachfolgend auch von einigen realitätsfremden und nicht selten an der Wahrheit völlig vorbei geschrammten negativen Kritiken hinsichtlich seiner futuristischsten Alben „A Deeper Kind Of Slumber“ und „Skeletron Skeletron“ in keinster Weise beirren:

„Viele der eher abwertenden Reviews dieser beiden Platten spiegelten eine völlige Hilflosigkeit der betreffenden Schreiberlinge wider, unseren Sound mit ihrem unbedarften Vokabular auch nur annähernd zu erfassen. Ich meine, wenn heute mal etwas Neues auf den Markt kommt, wozu keine zusammengeklauten Satzbausteine greifen, dann sieht man doch oftmals erst so richtig, welcher Schreiber wirklich etwas auf dem Kasten hat und Musik völlig individuell zu `be-schreiben` weiß. Es ist ein leidiges Thema, denn viele wirklich innovative Bands, auch in der um einiges weiter zurückliegenden Vergangenheit, hatten so schon zu leiden unter der Unfähigkeit vieler Musikkritiker. Und lösten sich oftmals trotz stellenweise sogar vorhandener Genialität nach einer vernichtenden Serie von schlechter Presse auf.“

Nicht so Tiamat, denn mit Johan hat die Band eine starke und leistungsfähige Triebfeder hinter sich. „Ich ließ mich davon noch nie aus dem Konzept bringen, denn ich stehe vollkommen hinter meiner jeweiligen Musik. Alle unsere Alben durchzieht somit trotz immer wieder stattgefundener Stilwechsel ein gewisser roter Faden, an dem man unweigerlich erkennt, daß wir es waren, die sie gemacht haben. Ein Fan von uns erkennt schließlich immer recht schnell, wenn ein Song von uns ist – wie mir schon von vielen unserer Anhänger nach jedem neuen Release bestätigt worden ist. Das ist es, was für mich letztendlich auch zählt.“

So entschied er sich auch niemals nicht, speziell nach schlechten Kritiken, direkt dazu, die jeweilige stilistische Ausprägung zu verlassen, sondern es entwickelte sich einfach in Johans Geist. „Ich dachte wirklich noch niemals auch nur eine Sekunde daran, mich an der Presse zu orientieren. Ich wollte schon immer bisher ausschließlich meinen eigenen Ansprüchen genügen. Wenn ich mich dann doch dabei ertappte, mich musikalisch zu verändern, lag dies in der Regel auch zum Großteil persönlichen Erlebnissen zugrunde, welche mich mehr oder weniger beschäftigten und schließlich prägten. Ereignisse, wie sie nicht nur im täglichen Leben passieren, sondern auch auf Tour oder auf Reisen. Das war auf jedem bisherigen Tiamat-Album schon so; von den Anfängen bis hin zu `Judas Christ`. Meine Lieder sind immer schon sehr persönlicher Natur gewesen. Und das wird sich mit Sicherheit auch nicht ändern, auch wenn unsere Musik sich von Veröffentlichung zu Veröffentlichung ändert.“

Klingt überzeugend. Johan verlor über die Jahre auch einen großen Teil seines Drangs nach aggressionsgeladener Musik, der man schon auf den ersten Hörer ihre Attitüde anhören kann. „Ich bin der Überzeugung, daß man nicht unbedingt lauthals und bestialisch schreien muß, um Böse und aggressiv zu klingen. Man kann auch ganz schon dunkel und gewalttätig erscheinen, wenn man den Lyrics eine angemessene Bedeutung zukommen läßt. Was die Angelegenheit dann oftmals sogar noch um einiges diabolischer machen kann, weil eine subtil-psychotische Gesamtstimmung kreiert werden kann. Wie auf unserem Song `Scapegoat` vom `Clouds`-Album beispielsweise. So kann man meiner Meinung nach wirklich böse Musik auch machen, ohne es sich auf den ersten Eindruck anmerken zu lassen.“

Eine interessante These, die Johan da vertritt. Er ist sowieso ohne Zweifel ein musikalischer Individualist von seltener und löblicher Erscheinung, den ein bezwingendes und manisch-reizvolles Charisma umgibt. Eine leuchtende Aura des Besonderen in einer leider immer gleichgeschalteteren Welt. Er hält an sich fest. Und sein Erfolg mit Tiamat gibt dem zugereisten Schweden Recht, dem gerade „Wild Honey“ den ganz großen künstlerischen Durchbruch ermöglichte. Johan:

„`Wild Honey` war unser bisher erfolgreichstes Album. Wir bauten den auf `Clouds` gefundenen Stil noch einmal weiter aus und reduzierten die Gesamthärte doch um einiges, was der Platte eine große Massentauglichkeit verlieh. Und uns als Band viele wichtige Türen öffnete. Denn `Wild Honey` schien irgendwie jedem zu gefallen, ob nun Metalhead oder auch nicht. Es war darauf für jeden was dabei, der auf dunkle oder dramatisch-melancholische, rockige Sounds steht.“

Das kann man unterschreiben. Und während mach andere Kapellen erst aufgrund eines mehr oder weniger den aktuellen Trends angepaßten Demos unter Vertrag genommen werden und ihren Stil dann oftmals unter dem Einfluß des jeweiligen Labels noch weiter „erarbeiten“, sieht die Sache bei Johan & Co. doch etwas anders aus:

„Wir hatten uns in dieser Richtung noch nie etwas vorschreiben lassen, das wäre ja auch noch schöner! Wir arbeiten an den Songs – die eben immer unsere jeweiligen Gefühle während einer gewissen Songwriting-Periode reflektieren, und legen diese dann erst nach Fertigstellung der Plattenfirma vor. Natürlich gehen wir mit dieser unbeirrbaren Arbeitsweise auch immer ein gewisses Risiko ein – aber wir könnten es gar nicht anders. Sonst wäre die Band nicht mehr Tiamat. Und da wir schon sehr früh von unserer jetzigen Company unter Vertrag genommen wurden, haben sich bei uns daher auch niemals irgendwelche band-internen Konsequenzen aus einer Label-Erwartungshaltung heraus breit machen können.“

Johan ist wirklich ein starker Charakter. Er ist daher wohl auch der einzige Verbleibende seiner Band aus den Gründungstagen. Und bleibt trotzdem bescheiden: „Ja, ich bin als einziger übrig. Dennoch möchte ich nicht `das Gehirn der Band` genannt werden. Ich habe das nun schon so oft irgendwo über mich gelesen und mich dann und wann auch schon mal ein klein wenig darüber geärgert. Auch wenn ich erneut die meisten Songs und auch wieder einen Großteil der Lyrics für `Judas Christ` geschrieben habe, sehe ich mich selber nicht als eine Art Leitfigur von Tiamat.“

Das macht ihn zudem noch ernorm sympathisch. Apropos Lyrics, diese unterscheiden sich trotz etwaiger spezifischer Neuigkeiten laut Johan nicht besonders von den bisherigen philosophischen Auswürfen aus seiner von talentierter Hand geführten Feder:

„Meine Texte behandeln über kurz oder lang die selben Themen wie auf den vorherigen Alben. Denn im Grunde hat sich nichts daran geändert, was mir beim Texten so im Kopf herumgeht. Wenn sich also überhaupt etwas in meinen Songtexten geändert haben sollte, dann auf irgendeine Weise die Art, wie ich darüber schreibe und wie ich gewisse Dinge zu erklären vermag. Denn meistens verarbeite ich dunkle und abgründige Eindrücke aus meinem Seelenleben, um aber daraus im Endeffekt dann doch noch eine positive Message für die Hörer entstehen zu lassen.“

Vorbildlich. Während „A Deeper Kind Of Slumber“ eine mythologische Bedeutung hat und „Skeleton Skeletron“ alleine für sich selber steht, hat Johan den neuen Albumtitel hingegen aus ganz anderen Beweggründen ausgesucht.

„`A Deeper Kind Of Slumber` basierte auf der uralten sumerisch-mesopotamischen Überlieferung des Kampfes zwischen der Göttin Tiamat und dem grausamen Kriegsgott Marduk. Sie trugen ein großes Duell zweier mächtiger Titanen aus – in welchem Marduk schließlich durch seine rohe Gewalttätigkeit gewann und Tiamat niederstreckte. Aber sie starb nicht, sondern verfiel in einen todesähnlichen Zustand. In welchem sie nachfolgend über lange Zeit schlummerte und auf ihr Erwachen wartete. `Skeletron Skeletron` hingegen steht vollkommen für sich selbst. Ich kann mich nicht einmal genau daran erinnern, wie wir damals eigentlich darauf gekommen sind. Ich glaube, wir mochten ganz einfach dieses coole Wortspiel, welches mir auch heute noch sehr gut gefällt. Und `Judas Christ` wiederum soll einfach nur provozieren. Die christliche Religion hat sich doch über die Jahrhunderte mittlerweile selbst verraten und auch längst überholt, aber keiner ihrer mitunter fanatischen Anhänger will dies anscheinend wahrhaben. Die anfänglich nicht nur gepriesenen Ideale und Werte sind doch heutzutage nur noch leere Wortphrasen, die von den allerwenigsten auch gelebt werden. Das meine ich eigentlich mit `Judas Christ`: Christus hat sich mittlerweile selbst verraten, wie einst Judas ihn verraten hat.“

Das bei beiden Verrätern das Geld die große Rolle spielt, ist mehr als nur eine tragisch anmutende und auch beschämende Randnotiz. „Die ganzen weltweiten christlichen Sekten werden doch jedes Jahr noch heuchlerischer und vieles dreht sich doch im Endeffekt nur ums Geld, daß sie ihren bemitleidenswerten Schäfchen abgaunern. In Amerika ist dies mitunter am gravierendsten. So schleudern wir ihnen doch eigentlich mit dem neuen Plattentitel nur das ins Gesicht, zu was sie sich alle selbst gemacht haben. Wer heute nicht an Gott glaubt und seine eigenen Gedanken preist, wird von denen doch fast immer als Satanist bezichtigt. Wenn ich also meinen bisherigen Weg stolz und gleichzeitig unbeirrbar weitergehen will und mich auf diesem weiterhin keinerlei christlichen Devotionalien beuge, bin ich in deren Augen also ein Satanist. Von mir aus, dann bin ich eben einer, wenn sie so wollen!“

Gerade mit dem ersten Song auf „Judas Christ“ hat Johan seiner Sicht der Dinge verstärkt entsprochen. „`The Return Of The Son Of Nothing` kündet von der seit Beginn der Zeitrechnung an von den Christen herbeigepredigten Wiederkehr ihres Erlösers. Doch wo bleibt Jesus denn nun? Wie sinnlos ist es doch, sein Leben lang auf etwas zu warten, daß man dann oftmals bis zu seinem Tod noch nicht einmal gesehen hat. Und sie warten und warten. Und warten. Immer weiter. Ich kann `sie` einfach beim besten Willen nicht verstehen und werde es auch niemals begreifen.“

Wie recht der Mann damit doch hat. Seit mehr als 2.000 Jahren lebt diese religiöse Weltanschauung in einer permanenten Lüge und wer dies hartnäckig bestreitet, dem ist der Weltblick auch ziemlich erfolgreich von ihr vernebelt worden.

© Markus Eck, 30.01.2002

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