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Interview: SHRINES OF DYING LIGHT
Titel: Seelenkompass

Die Schweizer konnten mit ihrem stimmungsvollen 2018er Debütalbum „Insomnia“ ein erstes Ausrufezeichen setzen. Nun präsentieren Shrines Of Dying Light ihren ausgefeilten Melancholic Doom Metal mit einem weiteren Langspieler: „Sadness“.

Julian, seines Zeichens Sänger, Rhythmusgitarrist und Bandgründer, legt dar: „Unser Selbstverständnis ist nicht vom Außen geprägt. Wir haben als reines Nebenprojekt begonnen und waren daher nie in der Pflicht uns wirklich einzuordnen. Wenn ich versuche uns dennoch in ein Verhältnis zu rücken, würde ich uns am ehesten als sehr intim und herzlich beschreiben. Mir fallen dennoch Bands ein, die ähnliche musikalische Dynamiken nutzen, aber auf eine andere Weise. Stilistisch stehen wir irgendwo in einem Dreieck zwischen Saturnus, Clouds und Warning. Unser Fokus liegt klar auf dem emotionalen Aspekt der Musik.“

Gerade in 2020 ist den Beteiligten der Faktor ‚Künstlerische Identität' als Musikgruppe sehr wichtig, so der Frontmann. „Nicht nur, dass uns die Corona-Krise wichtige gemeinsame Zeit geraubt hat - wir befinden uns auch in der Phase, in welcher wir uns finden müssen. Bisher waren wir zwar ambitioniert, hatten aber keinen Druck von außen. Das ändert sich mit dem neuen Album. Derzeit befinden wir uns als Band an der Schwelle zu unserem nächsten Schritt und diese Zeit ist geprägt von der Suche nach einer künstlerischen Identität. Ich glaube, wir haben diese Identität mit einigen neuen Songs bereits gefunden.“

In der aktuellen Bandbesetzung ergänzen sich die Beteiligten sehr gut und vereinen verschiedene Polaritäten unter einem gemeinsamen Ziel, wie zu erfahren ist.

„Jeder hat irgendwo andere Stärken und bringt diese voll in die Band ein. Roman an der Lead-Gitarre beispielsweise ist als Toningenieur für alle Aufnahmen und Spurbearbeitungen vor Mixing und Mastering verantwortlich. Er hat hunderte Stunden im Studio verbracht und aufgenommen, geplant, gemischt, bis alles perfekt war. Unser Bassist Roger hat hervorragende Kontakte und unsere Releaseparty mit seiner zweiten Band Disgusting Fist organisiert. Und Schlagzeuger Michael hat innerhalb von wenigen Tagen unsere Bandfotos eingefangen und bearbeitet. Wir sind unterschiedlich und als Einheit sehr stark.“

Shrines Of Dying Light haben mittlerweile eine gewisse Routine und arbeiten daher auch gut zusammen, so wird weiter berichtet.

„Die einzigen wirklichen Reibungen ergaben sich durch fehlende Proben durch die Geburt meines Sohnes und den Lockdown im Frühjahr. Die Zeit wurde immer knapper und wir haben im Sommer tatsächlich daran gezweifelt, ob wir es wirklich schaffen würden, das Album noch dieses Jahr fertig zu bekommen. Musikalisch gab es nur beim Song ‚Farblos‘ eine Meinungsverschiedenheit. Da wir alle erfahren genug als Musiker sind und auf menschlicher Ebene harmonieren, war das aber schnell gelöst.“

„Sadness“ ist zu einem Konzeptalbum geworden, dass sich mit persönlichem Wachstum, psychischer Gesundheit und der Hoffnung im weitesten Sinne beschäftigt. Julian: „Das Album ist fast gänzlich aus persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen entstanden und ist damit eine Anknüpfung an ‚Insomnia‘. Dennoch haben wir uns musikalisch und technisch massiv entwickelt. Diese Entwicklung ist deutlich hörbar. ‚Sadness‘ ist teilweise beinahe progressiv, partiell etwas düsterer und auf jeden Fall aber erwachsener. Wir möchten Menschen dazu einladen, sich mit uns auf eine Reise in sich selbst zu begeben.“

So geht es bei Shrines Of Dying Light aktuell darum, Dinge im eigenen Inneren auszudrücken und zu verarbeiten. „Unsere Gesellschaft hängt die Seele mehr und mehr ab. Manchmal fällt es schwer als empfindsamer Mensch inmitten der Seelenlosigkeit zurechtzukommen. Alle Lieder, die wir in unserer Diskographie haben, beschäftigen sich im weitesten Sinne genau damit. Für uns ist Musik kein Selbstzweck, sondern ein wichtiges Werkzeug zur Expression.“

Es fällt dem Vokalisten schwer, seine Einflüsse klar zu benennen:

„Natürlich sind da von Paradise Lost über Draconian die klassischen Doom Metal-Vertreter. Ich schätze zudem einiges an Prog Metal und mag gerne Blackgaze und Atmospheric Black Metal. Insbesondere letzteren hört man im neuen Material teilweise deutlich. Die Songs sind zudem komplexer und vielfältiger geworden.“

Eine wichtige Inspiration neben den genannten sind für Julian die Werke von Patrick Walker, bekannt von den Bands Warning und 40 Watt Sun, den er für einen sehr unterschätzten Musiker hält.

„Unser neuer Sound hat aber auch einen greifbaren Grund. Ich habe eine andere Gitarre mit längerer Mensur genutzt, die sich für mich natürlicher anfühlt.

Das wichtigste, was es über die neuen Songtexte zu sagen gibt, ist, dass sie alle dazu dienen, etwas zu verarbeiten, so der Frontmann.

„Ich schreibe viel und gerne und versuche damit den Wirren in meinem Kopf und meiner Seele Ausdruck zu verleihen. Alle Texte auf ‚Sadness‘ haben miteinander zu tun und bauen aufeinander auf. Diesmal ist das größte Thema persönliches Wachstum und im weitesten Sinne Hoffnung.“

Die wohl grösste Inspirationsquelle ist sein persönliches Empfinden, sagt er, welches er einfach am besten mit Musik ausdrücken kann. „Dabei ist manchmal Realität und Fiktion ein relatives Konstrukt. ‚Flowers‘ ist beispielsweise ein Liebeslied für meine - damals schwangere – Ehefrau, während sich ‚Tragedy In The Woods‘ mit dem Tod einer Geliebten befasst. Das musste ich glücklicherweise nicht erdulden und doch ist die lyrische Widmung eine Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten. Kurz: alles kommt aus mir, vieles ist wahr, manches ist eine bewusste Konfrontation mit eigenen Emotionen anhand eines Gedankenexperiments.“

Von Zwist und wirklich verletzten Gefühlen in der Band sind diese Eidgenossen zum Glück bisher verschont geblieben. „Wir respektieren uns alle und haben klare Rollen. Dabei ist klar, dass wir jeden einzelnen unverzichtbar an Bord brauchen. Mit Meinungsverschiedenheiten gehen wir erwachsen um und lösen sie konstruktiv. Das geschieht auch deswegen so gut, weil wir einfach das Glück haben miteinander zu harmonieren. Wenn sich doch mal künstlerische Differenzen ergeben, wird die betreffende Idee meistens verworfen.“

© Markus Eck, 03.10.2020

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