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Interview: ORPHANAGE
Titel: Leidenschaftliche Rollenspiele

Das farbintensive Frontcover ihrer neuen Scheibe signalisiert schon im Vorfeld eine gewisse Gegensätzlichkeit der Dinge. Ein erster Eindruck, welchen Orphanage auch auf ihrem neuen Werk musikalisch nach künstlerischen Kräften vertiefen. Das zu Beginn der 1990er gegründete niederländische Gothic Metal-Sextett aus Utrecht, dessen emotional geprägte Kreationen sich auch neuerdings widerwillig jedwedem Vergleich entziehen, zählt seit jeher zu den eigenwilligsten Vertretern dieses musikalischen Metiers.

Ob „Driven“, der Titel ihres aktuellen und vierten Albums, im Sinne von „abgefahrenem“ Sound steht, sollte ein ausführlicher Dialog mit Schlagzeuger Sureel in Erfahrung bringen.

„Für uns ist es nach wie vor nicht von entscheidender Wichtigkeit, dass unsere Musik mit einer bestimmten Bezeichnung versehen wird. Wir komponieren unsere Songs ausschließlich aus bestimmen Gemütsstimmungen heraus, daher sind sie wohl allesamt so verschieden“, berichtet der Holländer eingangs mit schmunzelnd verschmitzter Miene.

Und Sureel spricht weiter:

„Wir legen als Band in erster Linie darauf, dass die Songs von Orphanage gut ausgewogen sind, denn bei sechs Mitgliedern mit differierenden Musikgeschmäckern kommt man sich des Öfteren schon arg in die kreative Quere. Während in den meisten Bands ein oder zwei Personen dafür zuständig sind, darf bei uns jeder in der Band seine Einflüsse und Ideen in die Kompositionen einbringen. Ich persönlich höre überaus gerne die technisch komplexen Death Metal-Songs der Schweden Meshuggah, ziehe mir dann und wann aber auch indianische Folklore rein, wenn ich in der richtigen Stimmung dazu bin. Mit typischem Gothic Metal kann ich hingegen nicht so viel anfangen. Man kann sich so nur zu leicht vorstellen, welche zwischenmenschlichen Spannungen da mitunter bei uns während der Bandproben entstehen.“

Schwer vorstellbar scheint es hingegen, warum die Band ihre Fans nach dem letzten 2000er Album „Inside“ dermaßen quälend lange auf einen neuen Output warten ließ. Der Drummer erklärt mit wohltuend sanfter Stimme:

„Die Ursachen hierfür sind verschiedenartiger Natur. Wir hatten jedoch in erster Linie mit diversen nervigen Line-Up-Wechseln zu kämpfen; so verließen gleich drei Mitglieder Orphanage. Dafür adäquaten Ersatz zu finden, der dann auch noch miteinander harmoniert, war schon eine nervenaufreibende Angelegenheit. Ich war zum Glück einer der ersten dieser drei Personen, welcher als ersetzender Neuzugang rekrutiert wurde, was Vieles für mich leichter machte. So war ich schon einigermaßen mit dem Material der Band vertraut, als die anderen beiden Musiker neu hinzukamen.“

Auf den gegenwärtig noch immer anhaltenden Erfolg der ebenfalls niederländischen Shooting-Stars Within Temptation angesprochen, freut sich mein Gesprächspartner mit seinen Landsmännern: „Sie sind seit Jahren sehr beflissen bei der Sache und können außergewöhnlich gute und griffige Songs schreiben, dazu verfügen sie noch über eine wirklich fantastische Sängerin. Wir gönnen ihnen den großen Erfolg aus tiefstem Herzen.“

Gleichwohl die Orphanage-Songs von deren hitverdächtiger Eingängigkeit meilenweit entfernt sind. Doch das soll laut Taktgeber Sureel auch genau so sein. Dafür sind die auch auf „Driven“ zu hörenden Vokalduelle zwischen George Ooshoek und Rosan van der Aa auch nicht zu verachten, wie wir uns einig waren:

„Die Intensität ihrer gesanglichen Darbietungen liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich beide in ihre jeweiligen Rollen extrem hineinsteigern können. Dazu arbeiten George und Rosan sehr hart an ihren Stimmen.“

Doch das Interessante daran ist, dass hier nicht nur das obligatorische „Monster gegen Schönheit“-Gesangsklischee bedient wird: „Wir haben einen Song namens `Black Magic Mirror` auf dem neuen Album, in dem sie die Figur einer bitterbösen und ebenso durchtriebenen Hexe verkörpert. Auch hier lebte sie sich vollkommen in die gespielte Rolle ein. Die Story des Stücks handelt davon, die Bedeutung und den eigentlichen Sinn des Lebens hinter einem von ihr verhexten Spiegel zu finden.“

Wir gingen noch in die Tiefe, was den lyrischen Gehalt der aktuellen Songs seiner Truppe anbelangt. Sureel erläutert: „Für den Titelsong schrieb ich ausnahmsweise mal einen Text. Darin geht es im eigentlichen Sinne um eine imaginative Person, welche überwiegend sehr zerstörerisch denkt und daher im täglichen Leben auch danach handelt: Ein vollkommen unglückliches und rundum mit seinem Leben unzufriedenes Wesen. Tief in seinem Inneren glüht trotzdem die unstillbare Sehnsucht nach Licht und Wärme, was der fiktiven Figur in tragischem Maße zu schaffen macht. Er weiß intuitiv ganz genau, dass das Böse in ihm am Ende nicht gewinnen wird, trotzdem hält er an seinem verbitterten Lebenskurs fest. Solcherlei gesellschaftlich weit verbreitete Verhaltensweisen wollte ich mit diesem Text beschreiben. Und damit meine mit zahlreichen Mitmenschen gemachten Erfahrungen verarbeiten.“

Wie mir der Schlagzeuger im Weiteren offenbart, kommen solcherlei Betrachtungsweisen seiner Zeitgenossen nicht von ungefähr.

„Ich beschäftige mich sehr viel mit Zen-Buddhismus, daher sehe ich das Leben an sich mit ganz anderen Augen als der überwiegende Großteil der Menschheit. In dieser gehalt- und ebenso friedvollen Lehre, welche ich mittlerweile zu meiner Lebensmaxime gemacht habe, steckt soviel Weisheit und Hoffnung. Sie füllt meine Seele vollkommen aus.“ Das glaubt man dem mit außergewöhnlich beruhigender Stimme erzählendem Niederländer nur zu gerne, auch wenn die abwechslungsreichen Songs von Orphanage nicht immer so ausgesprochen friedvoll klingen.

© Markus Eck, 25.03.2004

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