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Interview: NERTHUS
Titel: Hass auf die Moderne

Sie spielen geächtete gute Melodien auf gesellschaftlich weitgehend geächteten Instrumenten und sind daher bei mir umso angesehener.

Und obwohl sie ihren stark mittelalterlich anmutenden Black Metal um einiges ehrlicher und vor allem hingebungsvoller als ein Großteil oftmals identitätsloser Konkurrenten kreieren, ist es diesen Vorarlbergern mit ihrer dunklen Kunst bisher leider nicht gelungen, eine größere Popularität zu erreichen. An der Musik kann dies nicht gelegen haben, denn die war seit dem Debütalbum „Escape From Suction“ vom Start weg sowohl in kompositorischer als auch handwerklicher Weise sehr gut anzuhören und zudem löblich eigenständig dargeboten.

Hauptschuld tragen da schon eher die seit jeher abschreckenden Bandfotos der Österreicher, welche sie in bestürzend alltäglicher Straßenoptik zeigen. Hier verhindert Sturheit eindeutig einen möglichen größeren Erfolg. Dieser leidige Fakt wiegt aus meiner Sicht umso bedauerlicher, als es sich bei Nerthus um eine der äußerst rar gestreuten authentischen Bands handelt, welche die ehrenvollen Philosophien ihres Sounds nicht nur nach außen tragen, sondern auch privat in aller Konsequenz ausleben. Wohl nur sehr wenige eingefleischte Black Metal-Fans stoßen sich bei Erstkontakt an diesen profanen Portraitierungen nicht ab, die mir leider einen Großteil der durch die Musik erzeugten großartigen Atmosphäre zerstören.

Denn gerade primär stimmungsvolle Klänge wie die von Nerthus nähren die Hörer zum Großteil durch ihre einzigartig zivilisationsfeindliche Anmut, welche mit allen möglichen Mitteln potenziert werden sollte. Derzeit haben Nerthus ihr drittes Album „Black Medieval Art“ am Start. Der Titel spricht Bände. Ich hingegen spreche mit Saitenspieler Alex K. H., dessen Interview-Statements wiederum mir zeitweise zutiefst aus der Seele sprechen.

„Nachdem Anfang 2002 unser Zweitwerk „Scattered To The Four Wainds“ erschienen war, betätigten wir uns erst einmal bis Mitte des betreffenden Jahres gar nicht musikalisch, sondern gönnten uns eine Schaffenspause. Ich selbst hörte zu dieser Zeit viel Musik aus dem Mittelalter, um ein besseres Gespür für das Songwriting in dieser Stilrichtung zu bekommen, denn ich wollte, dass in unseren nächsten Liedern mehr Einflüsse aus der Alten Musik zum Tragen kommen würden, als dies bei den bisherigen Stücken der Fall war.“

Gegen Mitte des Jahres 2002 wurden dann so allmählich Ideen zusammengetragen und neue Gitarren-Riffs sowie Keyboardstücke erarbeitet, welche bis Jahresende bereits zu fertigen Songs arrangiert waren.

„Anfang 2003 nahmen wir die Instrumente für das neue Album auf. Im Frühling wurden die Lyrics verfasst und im Sommer ergänzten wir schließlich die Aufnahmen mit Gesang. Da unser Label die Scheibe zuerst schon Ende 2003 herausbringen wollte, erledigten wir bis in den Herbst hinein noch die restlichen Dinge wie Mix, Mastering, Bandfotos und grafische Sachen für die CD-Produktion. Aus irgendwelchen Gründen verschob sich dann jedoch der Veröffentlichungstermin und nun ist die neue Scheibe „Black Medieval Art“ endlich erhältlich“, berichtet mir der Anführer der Band über die Ereignisse der letzten Zeit aus dem Bandlager von Nerthus.

Das neue Album wurde mit demselben Vierergespann wie das letzte Werk erarbeitet und eingespielt, wie zu erfahren war. Alex knüpft an: „Zur Stimmung in der Band ist zu sagen, dass wir bis vor Kurzem sogar ganz aufhören wollten Musik zu machen. Schließlich haben wir uns dann aber doch nicht unserer inneren schwarzen Überzeugung erwehren können und uns noch einmal aufgerafft und all unsere Geisteskraft aufgewendet, um diese dritte Scheibe herauszubringen. Wir werden unseren eingeschlagenen Weg auch unbeirrt weitergehen, zumal wir inzwischen schon wieder eine Menge Ideen für die nächste CD beisammen haben.“

Der Vorarlberger Individualist beschreibt sich im Weiteren auf meinen Wunsch hin selbst: „Ich bin ein stiller, kleingewachsener und hagerer Typ, der mit den meisten Leuten gut auskommt. Ein Einzelgänger, der sich lieber in seine vier Wände zurückzieht und sich ein paar CDs anhört, als auf Konzerte zu gehen. Hier unterscheide ich mich übrigens von meinen drei Mitstreitern Mirko, Clemens und Daniel, welche sehr gerne auf Konzerte gehen. Ich bin einfach einer, der nicht das Gefühl hat etwas zu versäumen, wenn er nicht unter die Leute geht; einer der gerne seine Ruhe hat.“

Alex streift da schon lieber gelegentlich durch die Wälder seiner Heimatregion und schaut sich die Burgen beziehungsweise deren Überreste an, die es in seinem Land in annehmbarer Dichte gibt. Er bekundet: „Diese Orte haben etwas ganz Besonderes und Mystisches an sich. Sie ziehen all meine Aufmerksamkeit auf sich, schärfen meine Sinne, lassen meine Gedanken frei werden und abschweifen in längst vergangene gute Zeiten – und mich dabei all die Qualen vergessen, die mir mein elendes Dasein in der heutigen hektischen, krankmachenden Konsum- und Leistungsgesellschaft beschert.“

Weise und wahre Worte, in aller Gelassenheit dargelegt – ich schließe mich ihm an. Black Metal ist für Alex genau die Musik, mit der man Hass am besten ausdrücken kann. „Es liegt eine enorme gedankliche Macht im Black Metal und viele Bands dieser Stilrichtung leben für diese Musik und stehen voll dazu, was auch unerlässlich ist, um diesen Sound gut machen zu können.“

Den einstigen Einfall, die Band Nerthus zu nennen, hatte Bandmitglied Clemens. Wir erfahren: „Nerthus ist eine germanische Göttin der Lebensfreude und Vegetation. Nerthus steht in unseren Augen für eine intakte Natur, die wir heute leider nicht mehr vielerorts antreffen. Nerthus steht dafür, mit der Natur zu leben und der jämmerlichen krankhaften Zivilisation den Kampf anzusagen. Früher zählten noch die inneren Werte, während in der hektischen Neuzeit die korruptesten Arschkriecher-Schweine mit der großkotzigsten Klappe am weitesten kommen und so mancher edle Mensch, der wirklich was auf dem Kasten hätte, durch den Rost fällt. Gegen diese Zivilisation lehnen wir uns auf, daher nennen wir unsere Band Nerthus und ziehen mit unseren Songs in die trostlosen Lande ein.“

Was vergangene und zukünftige Reaktionen auf ihr Schaffen aus dem In- und Ausland anbelangt, machen sich die Österreicher keinerlei Illusionen.

„Nun ja, wenn man als Black Metal-Band nicht schon in den frühen 90ern ein Album herausgebracht hat, hat man's wohl schwer, gute Kritiken zu erhaschen. Bekannter Weise kriechen Rezensenten altbekannten Bands förmlich in den Arsch mit guten Statements, und das oft für grauenvolle Alben. Ich kenne eigentlich nur Reaktionen aus dem Ausland, da wir in Österreich ja keine eigenen Metal-Zeitschriften haben – zumindest sind mir keine bekannt. Unsere bisherigen zwei Longplayer, von denen beide dem nunmehr Dritten in keinster Weise nachstehen, wurden teils gut, teils schlecht kommentiert. Manche Reviews entbehrten jeder Objektivität; vor allem jene von diversen Heavy Metal-Magazinen – wenn du denen nicht mit schwulen Eierkneif-Vocals aufwarten kannst, hast du wohl eh schon verloren. Arg war etwa eine Stellungnahme zu unserer ersten CD „Escape From Suction“, in welcher sich jemand über unser Logo lustig machte. Ein anderer äußerte sich damals negativ über die Drums – sie würden alles zerhacken und wären ständig aus dem Takt. Hierzu ist zu erwähnen, dass bei dem zweiten Song auf dieser CD die Snare-drum zu laut abgemischt wurde, welche bei Blastbeats auf „und“ spielt, wodurch beim unaufmerksamen Hörer leider der Eindruck entsteht, als ob sie verpatzt gespielt wäre; unsere Drums passen aber genau. Es gab auch positive Meldungen, wobei ich mich an dieser Stelle bei dir bedanken möchte, da du stets sehr korrekt auf unsere Werke eingegangen bist. Positive Kommentare bezogen sich bei den bisherigen zwei CDs vor allem auf die Eigenständigkeit des Sounds, die man uns von vielen Seiten bestätigte. Auch der Gesang wurde meist positiv erwähnt. Resümierend würden wir uns wünschen, dass die Schreiberlinge weniger nach ihrem persönlichen Geschmack urteilten und sich intensiver mit unseren Werken auseinandersetzten.“

Das neue Album von Nerthus verfügt über mehr Sequenzen, die im mittelalterlichen Stil komponiert sind, was mich neugierig auf den Entstehungshintergrund machte. Alex erläutert: „Zum altbewährten Instrumentarium haben wir diesmal noch Maultrommeln hinzugenommen, die sich – wie wir finden – sehr passend in den Gesamtsound einfügen und den Songs eine besondere Note verleihen. Wir haben wieder voll auf Mirkos böse tiefe Grunts und Daniels wütende kehlkopffeindliche Kreischstimme gebaut, wobei Mirko diesmal den Hauptpart des Gesangs übernahm und auch mit seiner derben Black Metal-Stimme zu überzeugen wusste. Alle Instrumente wurden wieder, wie gehabt, von mir und Clemens eingespielt. Wie schon beim Zweitwerk, wurde auch diesmal nicht auf Chorgesang und Flüsterstimmen verzichtet. Die Lyrics stammen nun von mir und sind von rein mittelalterlicher Thematik, während jene der beiden Vorgängerwerke von Clemens verfasst sind und mit betont metaphorischer Sprache unserem Hass auf die Moderne Luft machen.“

Für die neuen Songs wurden hauptsächlich Einflüsse aus der Musik des 14. bis 16. Jahrhunderts verwendet, wie der nachfolgende Dialogsverlauf an den Tag förderte. Alex erinnert sich: „Stücke von beispielsweise Francesco Landini, Claude Gerprise, Bononcini sowie von diversen unbekannten Musikern aus dieser Zeit, haben zweifelsohne großen Einfluss auf unser Songwriting fürs neue Album ausgeübt.“

Auf diesem drücken Nerthus wie schon erwähnt hauptsächlich ihren Hass gegen die Moderne mit all ihren lebensunwürdigen egoistischen Menschen aus, die mit ihrem Hang zum materiellen Reichtum die Natur aus Habgier und Neid mehr und mehr zerstören. „Diesen Leuten gehört der Garaus gemacht. Auch haben wir was gegen den immer größer werdenden Leistungsdruck in der Arbeitswelt, wo Menschen nur noch zu funktionieren haben, worauf sie das Schulsystem schon in jungen Jahren hinmanipuliert. Wer in der heutigen Leistungsgesellschaft nicht mithält, landet schnell in der Gosse – während gutes altes Handwerk nach und nach verschwindet. Wir wollen mit unserer Musik zum Kampf gegen all diese Missstände aufrufen und ein Zurückbesinnen zur Natur bewirken.“

Daraufhin gingen wir zum Gehalt der aktuellen Songtexte über. „Unsere Wertschätzung der Natur gegenüber zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche unserer Werke. Beim neuen Album „Black Medieval Art“ haben wir all diese gerade genannten Emotionen in ein mittelalterliches Gewand gehüllt. Der Kampf gegen die Moderne wird hier, ehrenvoll und stolz, mit den Waffen aus längst vergangenen Zeiten ausgefochten. In einem Song wird etwa das Rüsten zum großen Gemetzel beschrieben, ein anderer Song schildert die Atmosphäre vor dem Endkampf, ein weiterer wiederum die Schlacht selbst, welche glorreich geschlagen wird, usw. Da wir uns nicht durch selbst aufgezwungene Vorgaben in unserer Kreativität beeinträchtigen lassen wollen, haben wir unsere Lieder zwar wie immer ohne Konzept geschrieben, trotzdem zieht sich das Thema um diesen Kampf irgendwie durchs Gesamtwerk hindurch.“

Mit dem von Alex für das neue Werk gezeichneten Frontcoverbild sind alle Bandmitglieder sehr zufrieden. Er bekennt in diesem Kontext: „Das Zeichnen war schon immer eine meiner Stärken; in letzter Zeit zeichne ich zwar nur selten, hab es aber offensichtlich nicht verlernt. Auch Clemens, der übrigens mein Bruder ist, hat in Sachen Zeichnen voll den Dreh heraus: Im Inlay unserer CD „Scattered To The Four Wainds“ etwa, ist eine seiner Zeichnungen zu sehen. Wir arbeiten vorzugsweise mit Bleistift oder Tusche. Weil du es schon erwähnt hast, möchte ich an dieser Stelle auch gleich anmerken, dass es uns reizen würde, für interessierte Bands auf Wunsch zu fairen Preisen Coverzeichnungen anzufertigen.“

© Markus Eck, 09.03.2004

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