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Interview: NAILED TO OBSCURITY
Titel: Mit persönlicher Note

Für das dritte Album „King Delusion“ haben die Niedersachsen ihren Stil abermalig verfeinert. So erschallt der stockfinstere Melodic Doom Death Metal des Quintetts um Vokalist Raimund Ennenga auf beängstigende Art verdichtet.

Das neue Werk der Band verbindet in hörenswerter Weise skandinavische Depressionsstimmungen auf verspielt-melodische Art mit teutonischer Death Metal-Wucht. Auch atmosphärisch wabernde Anklänge an frühere Paradise Lost sorgen für einnehmende bis fesselnde Momente.

Und der beeindruckende, lückenlose Tiefgang der Platte kommt nicht von ungefähr. Laut Raimund haben die Beteiligten wirklich viel Zeit, Energie und Herzblut in das neue Material investiert. „Wir sind auch alle sehr zufrieden mit dem Erreichten. Mehr noch, die ganze Truppe ist stolz auf das Resultat, dass unserer Meinung nach eine offenkundige Steigerung zum 2013er Vorgänger ‚Opaque‘ darstellt.“

Er selbst würde vielleicht nicht unbedingt von Depressionsstimmungen sprechen, wie er offenbart, sondern vielmehr von einer nachdenklichen Melancholie, die sich durch die Musik und auch die Texte zieht.

„Dass diese die Wurzeln in Skandinavien haben, würde wohl niemand von uns abstreiten, da wir alle sehr stark von der dortigen Musikszene beeinflusst sind. Der Hang zu Melodien und zu eben genannten melancholischen Momenten kommt in dieser Art Musik wohl am besten zu tragen. Ob ich nun eine wirkliche Verortung von ‚teutonischen‘ Einflüssen bei uns sehe, kann ich gerade gar nicht sagen, aber alles in allem sind hier einfach unsere familiären Ursprünge und so wird sich das vielleicht auch in der Musik wiederfinden. Was vielleicht typisch Deutsch an uns ist, ist wohl die Ordnung mit der wir an die Terminierung von Proben usw. gehen. Dies ist aber auch notwendig, da wir alle nicht ganz so nah beieinander wohnen“, entgegnet der Frontmann mit einem Grinsen im Gesicht.

Seit „Opaque“ haben Nailed To Obscurity laut Gitarrist Jan-Ole Lamberti versucht so viel wie möglich live zu spielen. „Und es waren mit Wacken, SummerBreeze, einigen Shows mit Arch Enemy und Paradise Lost einige wirklich fette Highlights für uns dabei. Wir haben aber die ganze Zeit parallel auch an neuen Songs gearbeitet. In 2016 haben wir dann aber komplett zurückgefahren, was Konzerte angeht und haben tatsächlich nur einen Gig in der ganzen Zeit vor dem Studiotermin gespielt. Der Grund war einfach, dass wir das Album fertig bekommen und uns auf das Songwriting fokussieren wollten. Und da wir uns nur an den Wochenenden zu Proben und Songwriting treffen können, konnten wir in der Zeit nicht zusätzlich noch Konzerte spielen. Die Entscheidung war gar nicht so leicht, war aber im Endeffekt der richtige Weg.“

Wie Ole konstatiert, haben er und seine Jungs sowieso einen Hang zu melancholischer Musik. „Sonst würden wir sie wohl auch nicht so machen. Und das passt gerade auch sehr gut zur Jahreszeit. Mir fällt es eigentlich nie schwer, mich darauf einzulassen, zumal bei der eigenen Musik ja tatsächlich persönliche Gefühle und Gedanken eingeflossen sind, was das Hören mit etwas Abstand sogar noch interessanter macht. Wir alle hören das Album immer noch rauf und runter.“



Kollege Raimund ergänzt, dass er selbst - mit dem nötigen Abstand - mittlerweile manchmal sogar regelrecht überrascht ist, wie gut das neue Material die Stimmungen der Urheber letztlich doch eingefangen hat.

„Auch für mich als Texter ist es eine regelrechte Zeitreise, da einige Textideen bzw. grobe Fragmente dafür bereits zwei Jahre alt sind und auf Gefühlen und Emotionen basieren, die zum Teil noch weiter zurück liegen. Am Ende des Tages macht es aber einfach nur Spaß das Album zu hören, weil es nach einer solch langen Zeit endlich fertig geworden ist.“


Was die Auswahl der Songs für das neue Album betrifft, so erläutert Ole, dass an allen Kompositionen parallel geschrieben wurde.

„Und wir haben auch nur dann weitergemacht, wenn wir davon überzeugt waren, dass die Songs stark genug für das Album sind. Wir verwerfen grundsätzlich viele Ideen, die uns nicht von Anfang an zu 100 % überzeugen, bevor wir versuchen daraus etwas Brauchbares zu machen. Deswegen war eigentlich schon relativ früh klar, welche Songs es auf das Album schaffen werden. Und nur an denen haben wir intensiv gearbeitet, sodass am Ende gar keine Auswahl mehr stattfinden musste.“

Laut Raimund verhielt es sich mit den Texten für „King Delusion“ sogar ganz ähnlich. „Ich habe über eine gewisse Zeit Ideen gesammelt und sie aber nur dann für Songs genutzt, wenn diese passten. Als die Stücke dann langsam Form annahmen, habe ich überhaupt erst angefangen, meine Ideen den Instrumentalen zuzuordnen. Während die anderen dann an den Songs geschrieben haben, habe ich im Nebenraum an den Texten gearbeitet, bevor dann unser Bassist Carsten Schorn und Ole und manchmal sogar die komplette Band noch Einwände und Anregungen eingebracht haben. So war es weniger eine Songauswahl, die am Ende zu treffen war, sondern vielmehr ein dynamischer, ganzheitlicher Prozess, gezielt an den zuvor definierten Ideen zu arbeiten.“

Viele werden sich dabei fragen, ob Nailed To Obscurity auch aus eher nachdenklich gestimmten, in sich gekehrten Typen besteht. Oder ob diesen Musikern ihr Sound als Ventil dient, um von negativen, dunklen Empfindungen geläutert zu werden? Ole schafft Klarheit:

„Wir schreiben die Songs alle in Gemeinschaft. Der zweite Gitarrist Volker Dieken und ich schreiben die Grundgerüste und an denen arbeiten wir dann gemeinsam weiter. Insofern tragen die Lieder eine persönliche Note von jedem einzelnen von uns in sich. Und natürlich spiegelt die Musik auch wider, wie wir so ticken. Ich denke wir sind alle etwas ruhigere Typen. Und natürlich denken wir auch über vieles nach. Allerdings ist das eben nur ein Teil von uns, den wir in der Musik aber besonders gut ausleben bzw. zum Ausdruck bringen können.“ 



Raimund ergänzt: „Ich würde auch sagen, dass die Musik schon ein wichtiges Ventil für unsere nachdenkliche Seite ist. Daraus schöpfen wir enorm viel Kraft für unseren Alltag. Aber natürlich findet sich in der Musik eben auch viel von uns, was es eben so besonders macht, genau d-i-e-s-e Songs zu spielen und zu hören.“

Das Klangbild des aktuellen Drehers ist echt bombig geworden. „Ja, das sehen wir auch so. Der Sound ist fantastisch und rückt unsere Songs wirklich ins perfekte Licht“, so Ole, „dafür verantwortlich ist Victor ‚Santura‘ Bullok, der nicht nur Produzent ist, sondern auch bei Dark Fortress und Triptykon spielt. Die Zusammenarbeit hätte nicht besser laufen können. Victor ist ein unglaublich netter und ruhiger Typ. Und er hat von Anfang an verstanden, wie wir klingen müssen und hat dementsprechend das Beste aus uns herausgeholt. Wir hatten eine gute Zeit bei ihm im Studio und waren regelrecht traurig, nachdem die drei Wochen Studio vorbei waren und wir in den Alltag zurück mussten.“

Der Frage, was es seiner Ansicht nach erwähnenswertes Neues in der aktuellen Musik gegenüber den Album-Vorgängern gibt, was vorher so nicht bei Nailed To Obscurity zu hören war, entgegnet Ole:

„Ich finde, dass das Album insgesamt düsterer geworden ist, als die Vorgänger. Außerdem haben wir dieses Mal viel mit Gesängen experimentiert. Es gibt mehr Cleangesänge und auch mehr Variationen bei den Growls. Zum ersten Mal haben wir die Songs auch bewusst so geschrieben, dass sie dem Gesang mehr Raum geben und das haben wir, denke ich, ganz gut hinbekommen, ohne auf Dinge verzichten zu müssen, die für uns typisch sind. Auch haben wir zum ersten Mal einen Blastbeat eingebaut, was wir schon immer machen wollten, aber nie so richtig funktioniert hatte. Grundsätzlich würde ich auch sagen, dass wir es geschafft haben, unsere Stärken besser auszuspielen. Wir haben immer auf Atmosphäre und viele Melodien gesetzt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir das bisher noch nie so gut umsetzen konnten, wie bei diesem Album.“

Der Gitarrist fügt an: „Ich würde sagen, dass uns ein gewisser Tiefgang am wichtigsten war. Wir wollten ein Album schreiben, in das man sich gegebenenfalls etwas mehr reinhören muss, auf dem es dafür aber umso mehr zu entdecken gibt und das auch nach mehrmaligen Durchläufen immer noch interessant für den Hörer bleibt. Eigentlich war das aber schon immer unser Ansatz, allerdings war uns von Anfang an klar, was wir im Gegensatz zu den Vorgängern einige Sachen anders umsetzen wollten.“

Raimund hierzu: „Neben aller Melancholie ist es wohl das Verträumte und das Nachdenkliche, das uns an der Musik zum einen wichtig ist und uns darüber hinaus auch besonders gut an unserer Musik gefällt. Wir wollen keine Musik machen, die man nebenbei laufen lässt, sondern welche, bei der man hinhören muss, um sich mitreißen zu lassen. So entwickelt man als Hörer einen gewissen eigenen Zugang.“

Der Albumtitel wirkt bitter-zynisch, wenn man sich die derzeitigen Nachrichten so anhört. Wie genau ist „King Delusion“ eigentlich zu verstehen? Raimund informiert:

„Die Texte sind zwar stark von Alltäglichem beeinflusst, aber weniger von politischem Zeitgeschehen, sondern vielmehr von gedankenvoller Melancholie oder nachdenklichen Momenten im Allgemeinen. So steht ‚King Delusion‘ für mich als Metapher mehr für den Zustand, in dem man sich befindet, wenn man durch irgendeinen Trigger die Kontrolle verliert. Sei es eine Ohnmacht oder auch ein Stressausbruch. In diesem Zustand macht oder sagt man häufig Dinge, die einem im Rückblick betrachtet gar nicht ähnlich sehen. Es fühlt sich dann so an, als hätte da jemand anderes gehandelt oder eben jemand, der unter dem Einfluss von jemandem steht. Diesen Einfluss symbolisiert ‚King Delusion‘, dem man sich in solchen Momenten unterwirft, wie einem König aus längst vergangenen Tagen. Es geht in den Texten also mehr darum, dass man gewissen Emotionen Symbole gegenüberstellt.“

Die Texte sind laut Raimund insgesamt ohnehin sehr persönlich, sollen aber eher zum Nachdenken anregen, als dass man immer direkt nach der Verbindung zu der Person sucht, die diese geschrieben hat.

„Deshalb ist mir auch wichtig, dass die Texte eine besonders bildhafte Form haben. Der Hörer soll seinen eigenen Zugang dazu ‚zwischen den Zeilen‘ finden. Gerade deshalb ist es auch so wichtig, dass man den Songs auch zuhört, ohne sie nur nebenbei laufen zu lassen. Die Inspiration dafür ist also mehr der Alltag, wobei man ja auch in der Fiktion emotionale Aspekte finden kann, weshalb man im übertragenden Sinne auch sicher von einer Form der Fiktion sprechen kann, wenn man Gefühle und Emotionen durch Bilder ausdrückt. Häufig findet man ja auch in der Fiktion derlei Metaphern. Letztlich versuche ich einfach die Augen offen zu halten, die Gedanken kreisen zu lassen und so findet man gerade in höchst emotionalen Momenten starke Inspiration. In den Texten geht es schlussendlich um Ohnmachtszustände, den Verlust des Kontaktes zu seinem inneren Selbst oder eben auch den Weg zu einem Neuanfang nach schweren Schicksalsschlägen.“

Spezielle Lyrik in den neuen Songs, die ihm als Vokalist besonders unter die Haut geht, ist für ihn nur mühevoll zu offenbaren. „Es fällt mir sehr schwer hier explizite Beispiele zu nennen, weil ich natürlich zu allen Texten eine sehr emotionale Verbindung habe. Aber aktuell würde ich tatsächlich ‚Memento‘ hervorheben, gerade weil diese transzendentale Erfahrung als Bild für den Weg zurück zu sich selbst etwas sehr Besonderes hat. Diese Selbsterkenntnis in Bildern, die wie Schnappschüsse auf der Seele zu finden sind, aber viel zu oft ignoriert wurden, mag ich immer noch sehr.“

Das gesamte Songwriting bzw. Ausarbeiten des neuen Materials nahm einige Zeit in Anspruch, so Ole: „Eigentlich haben wir über die letzten drei Jahre verteilt permanent am Album gearbeitet. 2016 haben wir uns dann bis auf eine Ausnahme eine Live-Pause gegönnt, um den Fokus vollständig auf das Songwriting zu lenken und das Album fertigstellen zu können. Das Problem bei uns ist, dass wir teilweise sehr weite Wege zum Proberaum haben - bei mir sind es über 300 Kilometer - und wir uns deshalb nur an den Wochenenden zusammensetzen können. Wir machen uns zwar auch in der Zeit zwischen den Proben Gedanken zu den Songs, aber ausgearbeitet wird immer im Kollektiv. Das kostet viel Zeit, ist für uns allerdings der einzige funktionierende Weg. Es wird natürlich viel diskutiert und man ist nicht immer einer Meinung. Aber wir sind dann doch immer an den Punkt gekommen, an dem alle zufrieden waren. Und dementsprechend würde ich sagen, lief die Zusammenarbeit sehr gut. Besser als jemals zuvor, wenn ich mal genauer darüber nachdenke.“

Nailed To Obscurity haben in der Vergangenheit viel dazugelernt, was das Songwriting betrifft, berichtet er ergänzend.

„Und bevor wir uns an die neuen Songs gesetzt haben, haben wir erstmal analysiert, was wir in der Vergangenheit gut gemacht haben und was wir verbessern könnten. Somit ist das Ergebnis in meinen Augen insgesamt ausgereifter und stärker geworden als alles, was wir zuvor gemacht haben. Außerdem haben wir viel mehr Arbeit in die Gesänge gelegt und auch das hat sich meiner Meinung nach ausgezahlt. Der Gesang setzt dem Ganzen noch einmal die Krone auf.“

In erster Linie wollen Nailed To Obscurity einfach gerne live spielen, so der Axeman. „Und das wollen wir einfach genießen und Spaß dabei haben. Wir haben aber auch einen hohen Anspruch an uns selbst und wollen spielerisch und auch vom Erscheinungsbild eine gute Show abliefern. Da sind wir sehr selbstkritisch und versuchen uns permanent zu verbessern.“

Und wie Raimund dazu beisteuert, ist den Bandmitgliedern neben den genannten Punkten aber eben auch wichtig, dass sie durch eine gute Show eine besondere Atmosphäre kreieren können, mit der sie die Leute in den Bann ziehen können.

Ole finalisiert: „In erster Linie hoffen wir, dass andere Leute unser Album genauso gut finden werden, wie wir selbst es tun. Wenn man so viel Arbeit in ein Album steckt, dann hofft man natürlich darauf, dass es gut angenommen wird und man damit auch jemanden erreichen kann. Wir werden sehen, ob sich in diesem Jahr neue Möglichkeiten für uns ergeben werden, aber das wird sich zeigen. Jetzt sind wir erstmal gespannt, wie die Reaktionen auf das Album sein werden.“

© Markus Eck, 11.01.2017

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