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Interview: LACRIMAS PROFUNDERE
Titel: Ganz besonders

Seit dem 2010 erschienenen Album „The Grandiose Nowhere“ haben sich die bayerischen Düster-Enthusiasten umfassend um möglichst stimmige neue Goth Rock-Songs gekümmert.

Diejenigen, welche von der seit 1993 beständigen Band als gut genug auserwählt wurden, schafften es nun auf den neuesten Langdreher „Antiadore“.

Letzterer zeigt das Schaffen des Quartetts auf so einigen neuen Leveln. Dies geschieht aber ohne, dass Lacrimas Profundere ihr ureigenes musikalisches Gesicht verloren haben, für das die weltweiten Melancholiker unter den Rock-Fans sie seit jeher außerordentlich hoch schätzen.

Laut Gitarrist Oliver Nikolas Schmid lief der Kompositionsprozess zum aktuellen Album-Dreher im Großen und Ganzen super entspannt. „Wir wollten ja eine Platte für den Kopf, die Seele und die Eier haben. Also haben wir mit Hiili Hiilesmaa, bekannt durch seine Arbeiten mit Sentenced, Apocalyptica und HIM, in der Vorproduktion ausgesiebt und intensiv geschaut dass ,Antiadore‘ so besonders wie nur möglich werden konnte. Er war also für den Kopf zuständig. Die Seele des Albums haben wir dann zusammen mit Corni Bartels als Engineer und Produzent erarbeitet. Corni hat ja bereits bei Bands wie beispielsweise End Of Green sein hervorragendes Gespür für diese Art von Musik mehrfach bewiesen.“ 



Dann ging das Material zu Tue Madsen.

„Weil wir nach jemandem gesucht hatten, der eben alles, nur keinen Gothic Metal macht. Bei Heaven Shall Burn, Moonspell und The Haunted hat Tue seine Kompetenzen ja bereits umfangreich bewiesen. Er hat uns dann diesen ultraharten und fetten Sound gebastelt, also sozusagen die Eier verpasst.“ [lacht]

Und neben all den anderen Gästen wie dem Produzenten und Songwriter Benny Richter, bekannt durch seine Jobs für Letzte Instanz, Emil Bulls und Moonspell sowie dem Erik Damköhler von A Life Divided empfand Oliver den ganzen Prozess als eine sehr erfrischende Reise, wie er impulsiv anfügt.

Spannend und aufregend ist dabei immer alles für ihn, so der enorm lässige Axeman mit quirliger Stimme. „Das erste Mal mit Hiili und Tue zusammen zu arbeiten und eben mit Ricky Warwick, das war schon etwas ganz besonderes! Die Aufnahmen selbst finde ich immer nicht so prickelnd, ich hasse es einfach, Teile immer und immer wieder zu spielen. Ich werde nie vergessen, wie das damals beispielsweise bei unserer ,Burning: A Wish‘-Platte war. Gut, da war auch alles noch komplizierter. Heutzutage mit der digitalen Technik kann ja jeder, der weiß, wie herum man eine Gitarre halten muss, eine halbwegs hörbare CD aufnehmen. Aber früher, als das alles noch auf Band aufgenommen wurde, war es schon hart, wenn man sich verzockt hat und gerade kein passender Einstiegspunkt zu finden war, obwohl die komplette Minute vorher einfach perfekt war, man aber alles nochmals von vorne spielen musste. Ja, das war schon hart! Bei einem bestimmten Part, das war so eine superschnelle und cleane Sache, habe ich mal einen kompletten Studiotag verhunzt. Ich habe diesen Part einfach nicht hinbekommen. Da hast du Bock, wenn du am nächsten Morgen aufwachst und weißt, es geht genau bei dem Part wieder von vorne los! Aber was soll ich sagen? Wir lieben diesen Scheiß einfach, denn wenn das Album fertig ist, gibt es kein vergleichbares Gefühl auf der Welt!“

Das neue Lacrimas Profundere-Werk bietet den Hörern laut Oliver simpel gesagt mehr Metal, mehr Melancholie, mehr Brett.

„Die Riffs und Melodien stehen eindeutig im Vordergrund. Wir wollten neu Grooves zugelassen, ja, haben diese sogar herbeigesehnt und uns bei einigen Parts sogar an meinen absoluten Lieblingsdrummer Shannon Larkin von Godsmack herangewagt! Selbst die Balladen sind härter, auch wenn wir versucht haben diesen Gänsehaut Faktor in der Tradition von Anathema einzufangen. Wir wollten uns öffnen und einfach alles zulassen, was uns in den letzten 20 Jahren geprägt hat, von At The Gates über Paradise Lost bis hin zu Katatonia. Wir haben uns Mühe gegeben, wie beispielsweise beim Stück ,Abandon‘, so richtig untypisch wie Godsmack meterhohe Riffgewitter einzubauen. Beim ,Remembrance Song‘ habe ich auch schon Vergleiche zu Iron Maiden gehört und manche unserer neuen Balladen könnten so auch bei Anathema durchgehen. Man nehme die Essenz aus dem ganzen und man hat annähernd das neue Album. Auch bei der Reihenfolge der Lieder haben wir uns große Mühe gegeben. Es sollte von vorne bis hinten knallen wie bei meinem absoluten Lieblingsfilm ,Shoot ´Em Up‘. Knappe 90 Minuten ohne Längen, ohne unnötigen Ballast. Einfach auf die Fresse und so ist das Album nun auch geworden. Wir haben neue Songs kreiert, die mich wie beispielsweise ,All For Nothing‘ auch nach dem 100. Durchlauf noch mit offenem Mund dasitzen lassen. Diese aggressive Bridges und dann dieser Chorus, der dir einfach in die Birne knallt. Oder nimm das Anfangsriff des Titeltracks oder beispielsweise von ,Abandon‘, wie auch ,What I´m Not‘, auf welche ich einfach unglaublich stolz bin. Ich gehe immer noch voll ab, wenn ich ein Killer-Riff schreibe! Für mich gibt es keine bessere Droge. Leider kommen einem solche Ideen nicht jeden Tag! Ich schweife ab, sorry, aber du siehst, meine Begeisterung für die Scheibe ist noch immer ungebrochen, obwohl wir drei Jahre damit verbracht haben. Ich könnte jetzt jeden Song aufzählen, also um zum Schluss zu kommen: Die Platte rockt, Punkt!“

Auf eventuelle prägnante Unterschiede der aktuellen Veröffentlichung zum Album-Vorgänger in rein musikalischer Hinsicht angehauen, entgegnet der von seinem Tun mal wieder restlos überzeugte Idealist:

„Auf jeden Fall. Wir haben ja erstmals seit es uns gibt ganze drei Jahre an dem Album geschraubt. Es hat wieder mehr Dreck, mehr Ecken und Kanten. Ich finde sogar, es ist unser emotionalstes Werk geworden. Man hört irgendwie den Staub der Straße und förmlich wie man sich ins Studio gesetzt hat, die Gitarre einstöpselte und den Amp anmachte! Keine Ahnung, jede Band schwärmt doch immer von ihrer aktuellen Platte. Aber auch wenn es sich jetzt kitschig anhört, von diesem Album haben wir immer geträumt! Sorry, anders kann ich es nicht erklären. Wir haben einfach das gemacht worauf wir gerade Bock hatten und nach unserem Auftritt in Wacken vor zwei Jahren sind wir mit der aktuellen Ausrichtung, in welcher der Metal wieder Einzug gehalten hat, mehr als zufrieden!“

Die neuen Songs hat er fast alle im Alleingang geschrieben, so der Griffbrett-Hengst.

„Bis auf ,A Sigh‘, der ist von Erik Damköhler von der Band A Life Divided, und ,Head Held High‘ den ich zusammen mit Ricky Warwick geschrieben habe.“

Beeinflusst für seine neue Musik haben ihn ziemlich viele Acts, so Oliver. Wir erfahren:

„Ich bin ja sehr offen in meinem Musikgeschmack und stehe aktuell sehr auf die neue Platte von Neaera. Die Scheibe von Bring Me The Horizon ist auch ein Killer und was ich aktuell von meinem Kumpel Alex und seinen Heaven Shall Burn gehört habe, ist auch genial! Andererseits greife ich auch immer zu meinen All-time-faves wie beispielsweise Overkill, Mötley Crüe oder den Sisters Of Mercy. Und manchmal muss es sogar auch Manowar sein. Einige Passagen auf unserem neuen Album sind aber sehr von Godsmack beeinflusst, die ich unglaublich schätze.“

Die angeregte Unterhaltung schwenkt über zu den Lyriken der neuen Kompositionen von Lacrimas Profundere. „Einige Geschichten sind tatsächlich passiert. Aber natürlich übertreiben wir dann immer etwas … manches davon könnte passieren und andere Texte wiederum sind komplett erfunden. Es gibt ja dieses Klischee, dass sich im Rock‘n‘Roll die Texte immer nur um ein Thema drehen á la ,my baby left me...‘. Wir sagen, ja, nur in unseren Texten kommt noch das ,but now I don´t care anymore…‘ hinzu und dies findet man irgendwie in jedem der Songs. Leider sind Texte wie ,Wild Child‘ von W.A.S.P. oder ,Don´t Eat Yellow Snow‘ von Frank Zappa ja schon geschrieben, also was gibt es da noch groß zu erzählen?“ [lacht]

Es wird im Weiteren auch über das weltweit vorhandene Genre Gothic Rock an sich gesprochen beziehungsweise darüber, wo Oliver seine eigene Band Lacrimas Profundere darin erachtet.

„Ganz ehrlich? Ich sehe uns als das Beste, was aktuell am Markt ist! Vieles in dem Metier finde ich langweilig, vieles einfach zu krass weich gespült und das meiste darin einfach nur peinlich. Ich frage mich dabei wirklich täglich, was die Leute für einen Geschmack haben. Eventuell bin ich auch nur zu kritisch, aber Musik ohne Herz geht bei mir halt nicht zusammen! Wenn etwas melancholisch ist, dann muss ich einfach runtergezogen werden. Ist hingegen ein bestimmter Part ultra-heavy, dann muss ich das Gefühl haben, unbedingt mitbangen zu müssen. Und rockt ein Song, so kann ich nicht stillsitzen und dann muss ich mitklopfen! Wenn eine Band mir das nicht vermittelt, interessiert es mich nicht. In Deutschland fristet der typische Gothic Rock und -Metal, wie wir ihn spielen, ja seit einiger Zeit ein Mauerblümchen-Dasein. Viele echt geile Bands wie Charon aus Finnland lösen sich andererseits auf, von Entwine beispielsweise habe ich auch schon ewig nichts mehr gehört usw.! Der Hype ist definitiv vorbei und leider schrumpft sich die Szene meiner Meinung nach auch nicht gesund, sondern eher ins Abseits. Und ich habe große Angst, dass am Ende der Scheissdreck übrig bleibt und die Perlen, wie so oft, mangels Kohle und Deals aufgeben müssen! Ich denke aber, alle Stile kommen und gehen. Denn wenn ich durch die Musikläden ziehe auf der Suche nach etwas das mich so kickt wie damals Type o Negative, Pantera oder ganz frühe Metallica, werde ich leider sehr selten fündig und bekomme meistens Fastfood-Music, deren Haltbarkeitsdatum wie ein Stück Brot nach vier Tagen abgelaufen ist und bevor es schimmlig wird in die Tonne gehauen wird! Heute ist alles nur eine Modeerscheinung. Bands kommen und gehen und tun eben das was sie tun! Optik und Schminke sind wichtiger als die Musik und ich kann nur hoffen, dass die Leute endlich aufwachen! Castingshows gibt es in jedem Land gefühlte hundert, aber wo ist da die wirkliche Geschichte, die, die 20 oder 30 Jahre überdauert? Das Music-Biz wird einfach immer härter. Umso mehr freue ich mich, überhaupt bis heute 20 Jahre ,überlebt‘ zu haben. Was bleibt mir aber auch anderes über: Ich liebe Musik!“

So können Lacrimas Profundere, laut Aussage von Oliver eben von ganz anderem Kaliber, trotz zwei Promille im Blut noch immer spielen. Der Mann scherzt dazu ausgelassen:

„Dann stehen zwar nicht mehr, aber Songs, welche nicht mit Fingerakrobatik zu tun haben, kriegen wir allemal hin. Wir stellen dann einfach die Setlist um und beschränken uns auf die einfachere Kost! Nein im Ernst, ich finde, wir sind eine Band zum anfassen. Wir freuen uns auf jeden der unsere Gigs besucht. Wir versuchen ständig in Kontakt mit den Fans zu sein, ob vor, während oder nach der Show. Und wir werden nie vergessen, wer uns die 20 Jahre Band-Existenz ermöglicht hat. Das war kein Label, welches große Kampagnen gefahren hat, an uns geglaubt und etwas riskiert hat, denn das hatten wie nie. Und das war auch kein Radiosender, oder TV, oder ein Manager, der an uns geglaubt hat. Wir haben uns jeden einzelnen Tag und jeden einzelnen Käufer unser Alben hart erarbeitet und erspielt und wir wissen ganz genau, bei wem wir uns zu bedanken haben, nämlich bei unseren Fans!“


Die bayerische Formation kommt mit dem aktuellen Langspiel-Release zwar noch vor den Festivals raus, so der Saitenreißer, aber auch schon wieder so spät, dass die meisten davon bereits dicht sind, was das Billing anbelangt.

„Wir hoffen jedoch immer auf coole Gigs und wir wollen noch für eine lange Zeit gemeinsam Musik machen. Ich denke und ich hoffe, dass einem, wenn man ein Lacrimas Profundere-Fan ist, dieses neue Album Spaß machen wird, und mehr muss 2013 ja auch gar nicht unbedingt sein!“

© Markus Eck, 19.05.2013

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