Interview: | HERETOIR |
Titel: | Gekrönte Mühen |
Mit dem vierten Album „Solastalgia“ erheben sich diese Post-Metal-Meister endgültig ins erlauchte Level der Erstligisten ihres Metiers. Heretoir feilten ihren einnehmend atmosphärischen Sound so viel feiner aus, dass sogar der zuvor noch schwarzmetallische Anteil zugunsten einer betont harmonischeren Klangfülle wich.
Wie Bassist Nathanael wissen lässt, hat die Augsburger Band viel Herzblut, Zeit und Energie in dieses Album fließen lassen.
„Und an einigen der Songs haben wir tatsächlich lange Zeit hart gearbeitet. Zu sehen, wie die Stücke im Studio Gestalt angenommen haben und im Mix und Masteringprozess zu dem geworden sind was sie heute sind, war eine schöne Erfahrung. Wir sind mit dem Album mehr als zufrieden und freuen uns natürlich sehr darauf unsere Musik mit den Fans zu teilen. Das Feedback zu den ersten veröffentlichten Singles ist überwältigend positiv. Das freut uns natürlich sehr.“
Was Heretoir laut dem Tieftöner besonders an „Solastalgia“ schätzen ist dessen Vielschichtigkeit. „Es klingt wie ein zusammengehöriges Ganzes, weist aber ganz unterschiedliche Einflüsse auf, die auch in den einzelnen Songs deutlich zu hören sind. Manche Songs sind melodische Post-Metal-Stücke, andere zeichnen sich durch eine bei uns bisher kaum gekannte Härte aus - diese kommt von Modern-Metal-Einschlägen, aber auch von extremeren Blastbeats. Andere Songs sind typische Post-Rock-Tracks, die durch ihre Ruhe und Atmosphäre zum Träumen einladen, während wieder andere an Agalloch und Alda bzw. die Naturverbundenheit mancher nordamerikanischer Black-Metal-Bands erinnern.“
Innerhalb der Formation sind sämtliche Musiker auch große Fans der Stimme von Frontmann Dave, die sich ebenfalls durch ihre Vielseitigkeit auszeichnet, so Nathanael.
„Von brutalen Screams bis zu herzzerreißenden Clean-Vocals ist auf dem neuen Album der ganze Facettenreichtum seines Organs zu hören. Das bereichert die Songs ungemein. Da wir schon sehr früh dabei waren die starren Grenzen des Black Metal zu durchbrechen fühlt es sich schön an, heute Teil eines expandierenden Subgenres zu sein, das so viele verschiedene talentierte Bands hervorgebracht hat. Ich denke wir gehen unsere eigenen kreativen Wege, freuen uns aber sehr darüber, wie gut unsere Musik zu der vieler anderer Bands passt. Das bringt Chancen für spannende Konzerte und gelungene gemeinsame Tourneen mit sich.“
So wie mit Der Weg einer Freiheit auf der diesjährigen gemeinsamen Herbsttour, ein prächtiges Package!
Was den modifizierten Stil auf „Solastalgia“ betrifft - dazu ist zu erfahren:
„Generell hat sich unsere Art des Songwritings bereits mit dem letzten Album „Nightsphere“ verändert. Früher war Dave überwiegend alleine für die Musik von Heretoir verantwortlich. ‚Nightsphere‘ haben wir dann erstmals zusammen als Band geschrieben, wobei Nils, Dave und ich die Songs kreiert und später im Studio ausgearbeitet haben. Dieser gemeinschaftliche Prozess hat sich für uns sehr gut angefühlt und uns als Musiker noch enger zusammen gebracht. Dadurch, dass wir mittlerweile zu dritt an Musik arbeiten sind wir auch in der Lage mehr Songs in kürzerer Zeit zu schreiben, ohne dabei an Qualität einzubüßen. Ich denke auch, dass die gemeinsame Arbeit an den Stücken eine gewisse Frische und Vielseitigkeit in die Musik von Heretoir gebracht hat, bei gleichzeitiger Treue zum Originalsound. Wir haben alle einen recht breit gefächerten Musikgeschmack, der sich je nach Person von Black- und Death- bzw. Heavy Metal, über Post Rock, Gothic und 80s Wave, Punk, Crust, Hardcore und Metalcore bis hin zu Jazz, Neoklassik und Folk erstreckt. Verschiedene Elemente daraus finden immer wieder ihren Weg in die musikalische Welt von Heretoir.“
Das Songwriting zum neuen Album lief insgesamt recht reibungslos, wie von dem Bassisten postuliert wird.
„Wir haben parallel an Songs gearbeitet und uns danach ausgetauscht, Ideen hin und her geschoben und zusammen Stücke ausgearbeitet. Einige Songfragmente sind schon etwas älter und es hat große Freude bereitet diese typischen Heretoir-Parts zu nehmen und sie in Verbindung mit dem gegenwärtigen Sound der Band zu etwas Neuem zu machen. Die Lyrics wurden ebenfalls von Dave, Nils und mir geschrieben. Wir verfassten eine gewisse Sammlung aus der wir auswählen konnten was am besten zu den jeweiligen Songs passt. Das hat gut funktioniert und zu dem stimmigen Endergebnis geführt, das sich nun ‚Solastalgia‘ nennt.“
In welchen speziellen Stimmungen lässt man eigentlich solche bemerkenswert zeitlosen, löblich tiefgründigen Lieder entstehen, werden sich viele fragen. Etwa, nachdem man unfreiwillig massenmediale „Breaking News“ aus der so vielfach irre gewordenen Gegenwartswelt sah und daran fast verzweifelt ist?
Wie Nathanael entgegnet, versucht er sich so gut wie möglich von besagten „Breaking News“ fernzuhalten.
„Die Welt ist gegenwärtig tatsächlich komplett wahnsinnig geworden. Ich denke aber auch, dass das nicht erst seit gestern so ist. Seit der neolithischen Revolution bzw. dem Beginn der Landwirtschaft, spätestens mit der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren haben sich bestimmte menschliche Gruppen zu den Herrschern über die natürliche Welt und über andere Menschen aufgeschwungen. Die industrialisierte Wirtschaftsweise zerstört heute in Zusammenarbeit mit intensiver Landwirtschaft Ökosysteme und die letzten Wildnisgebiete. Arten sterben täglich aus, der Klimawandel rückt ungebremst voran, Menschen leben in unwürdigsten Bedingungen und neoliberale, rechte und faschistische Propaganda wird mehr und mehr salonfähig bzw. prägt bereits das Weltgeschehen. Was tun in einer so düsteren Situation? Was tun, wenn einen die Ohnmacht lähmt und alles ausweglos erscheint? Wir als Band nutzen Musik als Ventil um über Themen nachzudenken bzw. unsere Gefühle in Musikstücke umzuformen. Wenn am Ende ‚zeitlose und tiefgründige’ Lieder entstehen, dann sind wir sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Wir hoffen, dass die ein oder andere Person in unserer Musik eine Art Zuflucht findet und fühlen kann, dass es noch andere Menschen gibt, die unter den Entwicklungen der kapitalistischen Spätmoderne bzw. der Unterdrückung von menschlicher und nicht-menschlicher Natur leiden. Solastalgie bestimmt die Gefühlswelt vieler Menschen, wir als Musiker spüren sie ebenfalls stark. Daher erschien uns der Albumtitel treffend und die in den Songs verhandelten Themenkomplexe waren für uns schnell klar.“
Um eine Erläuterung des Begriffes gebeten, erläutert der belesene Musikus:
„‚Solastalgia‘, auf Deutsch Solastalgie, ist ein Neologismus aus der Philosophie, der den Schmerz beschreibt, den jemand empfindet, wenn er vom Verlust der natürlichen Welt berührt wird. Das Wort setzt sich aus lateinisch solacium (Trost) und der griechischen Wurzel -algia (Schmerz) zusammen. Mich persönlich begleitet Solastalgie seit langer Zeit. Mich schmerzt wie der industrialisierte Teil der Menschheit mit der Natur umgeht, ich empfinde große Trauer und auch Wut, wenn ich daran denke, dass täglich zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aussterben, Waldgebiete gerodet werden, um Raum für Tagebaue oder landwirtschaftliche Nutzflächen zu schaffen und ganze Ökosysteme der Gier der kapitalistischen Produktionsweise zum Opfer fallen. Viele Menschen glauben noch immer daran, dass der technologische Fortschritt alle Probleme lösen wird. Der Glaube, dass die global entstandene Zivilisation die ‚höchste‘ und ‚beste‘ Form des menschlichen Daseins ist, ist noch immer weit verbreitet. Wer sich mit den entsprechenden wissenschaftlichen Forschungen befasst erkennt schnell, dass Zivilisation in erster Linie Verdrängung der Wildnis bzw. der natürlichen Welt bedeutet. Es handelt sich bei sogenannten ‚zivilisierten‘ Gesellschaften um alles zerstörende Megamaschinen, die die Welt vernichten, auf die im Übrigen nicht nur die nichtmenschlichen Bewohner des Planeten angewiesen sind, sondern letzten Endes auch der Mensch selbst.“
Heretoir waren schon immer eine Band, so führt der Tieftöner weiter aus, die sich mit emotionalen Themen und der menschlichen Gefühlswelt innerhalb der entfremdenden Post- bzw. Spätmoderne befasst hat.
„Ein Beispiel dafür ist die Stelle ‚diese grauen Bauten sind meine Zuflucht, doch sind sie auch das Gift in meinen Adern‘, die mittlerweile 15 Jahre alt ist. Im Prinzip sind wir unseren frühen Texten thematisch treu geblieben. Wir schreiben noch immer über zwischenmenschliche Gefühle und Emotionen, die viele gegenwärtig spüren. Was jedoch seit dem letzten Album mehr zum Tragen kommt, ist die Rolle der Natur bzw. die Zerstörung der Natur, die uns und eine wachsende Zahl an Menschen weltweit psychisch belastet und zum Nachdenken bringt. Solastalgie als Konzept bringt die Ebene der menschlichen Gefühlswelt mit einem Reflektieren über das Verhältnis von Natur und destruktiv agierender Menschheit zusammen. Natürlich müssen Songtexte per definitionem verkürzte Betrachtungen sein, sie sind zeitlich und räumlich begrenzt und können nicht mit der Tiefe eines Buches, Vortrags oder einer Dokumentation mithalten. Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass wir mit unseren Songtexten den ein oder anderen Gedanken anstoßen können, Empathie oder Respekt den nichtmenschlichen Wesen gegenüber induzieren können oder einfach zum ganz individuellen Nachdenken über die Rolle, die man auf dieser Erde einnehmen kann und will, anregen können. Letzten Endes schreiben wir die Texte aber auch um unseren eigenen Schmerz in etwas Schönes oder Bedeutendes umzuformen, was uns das Leben wieder ein wenig erträglicher werden lässt. Wenn das Endergebnis zusätzlich auch noch für andere etwas Wertvolles in sich birgt, dann ist das vielleicht ein kleiner Lichtblick in einer finsteren Welt.“
Das neue Cover-Artwork ist „schonungslos existenziell“, so könnte man dazu sagen. Das Bild mag vordergründig irgendwie nicht so sehr zur vermeintlichen, eher jubilierend-zelebrierenden Schönheit und Ästhetik der Lieder passen.
„Das Albumcover ziert ein seit vielen tausend Jahren ausgestorbener Vertreter der Phorusrhacidae, gemeinhin als Terrorvögel bekannt. Er verzehrt ein erbeutetes Urpferd, während ein kleiner Singvogel durch das Bild fliegt. Wir sehen also eine typische Naturszene mit verschiedenen Tieren. Zentral ist, dass dieses Szenario so nicht mehr existiert. Die zu sehenden Arten sind allesamt ausgestorben. Das verleiht dem Ganzen einen flüchtigen bzw. existenzialistischen Unterton. Die Tiere werden zu Geisterwesen, denn sie existieren in Fossilien und der Gedankenwelt der Menschen weiter, sind aber als Lebewesen aus der natürlichen Welt der Gegenwart verschwunden. Sie sind ‚Geister des Aussterbens‘. ‚Ghosts of Extinction‘ ist der Untertitel des Albums. Im Booklet finden sich noch weitere Beispiele für Tiere, die aus unterschiedlichen Gründen ausgestorben sind. Interessant ist auch, dass sich - je nach Betrachtungsweise - die Natur selbst durch eine gewisse Unbarmherzigkeit, eine existenzielle Kälte auszeichnen kann. Denn die Lebewesen kommen und gehen, die Welt existiert aber weiter. Schon In Flames sangen ‚Species come and go, but the Earth stands forever fast‘. Es gilt dann jedoch zu fragen, ob die moderne Menschheit nicht doch zu große Schäden hinterlässt, die evtl. tatsächlich die Welt bzw. die ökosystemaren Zusammenhänge langfristig zum Negativen verändern können. Der Albumtitel ‚Solastalgia‘ schlägt die Brücke zur menschlichen Gegenwart. Viele spüren den Schmerz, wenn sie an das Verschwinden bzw. die Zerstörung der natürlichen Welt bzw. ihrer Heimat oder bestimmter Tier- und Pflanzenarten denken. In diesem Themenkomplex bewegt sich das Albumcover - und auch einige der Songs. Es lädt damit ein über das Aussterben bzw. die Vergänglichkeit des Lebens und der eigenen Existenz nachzudenken. Evtl. kann man auch den Perspektivwechsel machen und sich fragen, ob Aussterben nur für andere Tiere relevant ist oder ob dies der modernen Menschheit ebenfalls und evtl. früher als gedacht bevorsteht, wenn sie weiterhin so destruktiv mit der Welt umgeht, wie sie es momentan bzw. bereits seit etwa 10.000 Jahren tut. Ich denke die Musik unterstreicht die soeben beschriebene Stimmung, denn nicht alle Songs auf dem Album ‚jubilieren‘ und preisen ausschließlich die ‚Schönheit‘. Es zieht sich meiner Meinung nach eine tieftraurige Note bzw. eine Form von durchdringender Melancholie durch das Album. Wir haben versucht ein Artwork zu finden, dass diese Stimmung ebenfalls in sich trägt. Ich denke das ist gelungen.“
© Markus Eck, 13.08.2025
Photo Credit: Anne Catherine Swallow
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