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Interview: HARAKIRI FOR THE SKY
Titel: Urschrei der Seele

Mit dem neuen Album „Mære“ können die zwei österreichischen Melodienliebhaber ihren Szene-übergreifend respektierten Status mit Leichtigkeit noch tiefer ausbauen.

Und der ungemein depressiv gestimmte sowie abgründig stimmende Post Black Metal von Harakiri For The Sky behauptet sich einmal mehr als herausragend eigenständig und souverän gekonnt.

Die zugeneigten Hörerschichten erwartet laut Einschätzung des langjährig erfahrenen Multiinstrumentalisten Matthias ‚M.S.‘ Sollak auf musikalischer Ebene grundsätzlich die aufrichtige Dokumentation einer nur natürlich vonstatten gegangenen Entwicklung.

„Dies geschah gemäß unserer vielfältigen Eindrücke aus den letzten zwei Jahren. Wie weit sich das neue Album nun von älteren unterscheidet beziehungsweise welche neuen Einflüsse am deutlichsten merkbar sind, ist für uns wirklich nur sehr schwer zu erfassen, geschweige denn zu formulieren. Am besten selbst ausgiebig anhören!“

Für das erstaunlich gut eingespielte Zweigespann, wohnhaft in Wien und Salzburg, war Musik schon immer zu einem gewissen Grad Selbsttherapie und Filter in einem, so ist weiter zu erfahren.

„Sänger J.J. [ Michael V. Wahntraum; AdA. ] verarbeitet dies in seinen Texten und ich versuche das mit meinen Melodien auf meine ganz ureigene Art und Weise auszudrücken. Wir haben zum Glück noch immer die gleiche Leidenschaft Musik zu machen ohne das es zu einem notwendigen Übel wurde - und dadurch so gar keinen Druck, etwas zu veröffentlichen, wenn wir es nicht wollen. Wenn die Kompositionen, in die wir all unser Herzblut stecken, von den Fans genauso aufgenommen werden und sie sich damit im besten Falle sogar identifizieren können, dann ist das auch für uns natürlich etwas ganz Spezielles.“

Nennenswerte musikalische Einflüsse, die in den neuen Stücken ihre Facetten haben, können ebenfalls nicht explizit genannt werden, wie zu erfahren ist. Der wuchtige Zeitgenosse schnauft lange aus, um dann ganz entspannt zu konstatieren:

„Wirklich verdammt schwer zu sagen; wir haben in letzter Zeit sehr viel Singer-Songwriter, Indie und Grunge gehört … wie viel davon jetzt tatsächlich in den Stücken zu hören ist, muss jeder für sich selbst beurteilen.“

Stößt man erstmalig auf den ungewöhnlichen Bandnamen, kommt einem der berühmt gewordene, japanische Ritualsuizid in den Sinn, den die alten Samurai etablierten. Laut M.S. stammt die Idee dafür von Kollege J.J. „Er suchte einen Begriff, der das Gefühl der Ohnmacht, welches er in bestimmten Situationen empfindet, am besten beschreibt. ‚Harakiri For The Sky‘ kam diesem Gefühl seiner Meinung nach am nächsten.“

Der eher zurückhaltende J.J., nun selbst auf den Plan gerufen, expliziert:

„Ich weiß, das liest sich recht eigentümlich. Es hat aber für mich schon eine tiefere Bedeutung. Sogar jahrelang habe ich nach einem Begriff dafür gesucht, was mich diese Ohnmacht, ausgelöst etwa durch Musik oder gewisse Umstände meines Lebens, so tief und extrem empfinden lässt. Als würde man so schnell man kann über Wiesen und Felder rennen, um sich am Höhepunkt des Songs von einer Klippe ins Meer zu stürzen - so könnte ich das umschreiben. Man sehe sich das Video zu ‚Glosoli‘ von Sigur Ros an und ich denke, man weiß, was ich meine.“

Die ebenso griffigen wie schlüssigen neuen Stücke können auf multiple Weise ungewöhnlich rasch beeindrucken. Hat M.S. bei der Bandgründung 2011 vor einer Dekade damals überhaupt gedacht, jemals so weit wie nun mit mit „Mære“ zu kommen?

„Absolut nicht! Wir haben damals als eher kleines Projekt begonnen und wollten nur ein paar Songs aufnehmen, uns einfach primär selbst verwirklichen. Wir waren damals ja noch nicht mal sicher, ob wir diese Lieder denn auf einem Album rausbringen würden … wir haben damals bekanntlich alles einzig über Youtube rausgehauen. Im Laufe der Zeit sind dann jedoch immer mehr Leute an uns herangetreten mit der Frage, ob es die Songs denn nicht auf Vinyl oder CD gäbe - und in dem Atemzug haben wir uns mit Sven von AOP Records zusammengetan und die ersten fünf Stücke als Album veröffentlicht. Darauf kamen nachfolgend immer mehr Fragen, ob es die Band auch live zu sehen gäbe. Somit haben wir uns schließlich Session-Musiker für Konzerte gesucht und von dem Zeitpunkt an hat sich alles recht langsam aber stetig entwickelt.“

Viele Formationen stiegen nach den ersten namhaften Erfolgen von Vorreitern des Genres wie Agalloch, Alcest, Wolves In The Throne Room etc. motiviert in diesen Stil ein - viele verließen ihn allerdings auch wieder. M.S. lässt dazu gelassen verlauten:

„Da sind wir schon wieder bei diesen Szenebezeichnungen und dem Mythos, dass atmosphärische und melancholische Musik mit härterem Einschlag ein Phänomen der letzten paar Jahre sei. Natürlich gab es Bands die dem Ganzen durch einen besonders eigenständigen Sound einen Stempel aufgedrückt haben wie beispielsweise Alcest - aber ich denke, dass es kein Trendphänomen ist, da braucht man sich nur die alten Katatonia anzuhören. Wir sehen das recht gelassen, werden ja auch oft als Melodic Death Metal- oder Progressive Black Metal-Band bezeichnet usw. Am Ende des Tages halte ich es ausschließlich für wichtig, dass man die Musik macht die einem am Herzen liegt, was sich ja im Laufe der Existenz einer Band ja auch verändern kann.“

Daraufhin befragt, ob es Post Black Metal-etc.-Bands gibt, zu denen Harakiri For The Sky über die Jahre ihrer Aktivität eine Freundschaft aufbauen konnten, informiert er weiter:

„Selbstverständlich, man lernt auf Touren und Konzerten immer andere Musiker und Bands kennen und mit einigen entwickelt sich auch eine enge Freundschaft, wo man sich auch abseits der musikalischen Tätigkeit trifft, sofern es aufgrund der Distanz möglich ist. Da ist es auch immer schön, wenn man irgendwo fernab von zu Hause spielt und dann die dort wohnhaften Leute auf unseren Shows wieder trifft und vice versa. Besonders auf Festivals ist sowas immer ganz nett, wenn man mit einer Band zusammenspielt die schon mal bei einer Tour mit dabei war. Da können auch schon mal ein paar Jahre vergangen sein und es ist trotzdem wieder ein bisschen das Feeling von der Zeit dabei.“

Wer aufgrund der gebotenen Musik vorschnell darauf schließt, dass dieses Duo aus naturnahen, spirituell suchenden Einzelgängern besteht, erfährt hier mehr:

„J.J. und ich sind in vielen Belangen sehr unterschiedlich und in anderen dagegen wieder sehr ähnlich. In den letzten Jahren hat sich auch sehr viel verändert, da gab es einige gute und auch schlechte Zeiten für uns, die uns sicherlich geprägt haben. J.J. beispielsweise war schon immer sehr naturnah, bei mir hingegen hat derlei jedoch erst vor nicht allzu langer Zeit an Wichtigkeit gewonnen. Unsere Persönlichkeiten kann und will ich jetzt hier aber auch nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen. Wenn man sich unsere Musik und die Texte zu Gemüte führt, dann kann man sich zum Teil schon ohnehin ein Bild dazu machen.“

Der Faktor ‚Künstlerische Identität' ist den beiden als Musikgruppe auch 2021 so wichtig wie in jedem anderen Jahr auch, so konstatiert M.S. mit aller merklichen Entschlossenheit, um noch lauter die Gegenfrage anzufügen: „Wann ist das jemals nicht wichtig?“

© Markus Eck, 27.01.2021

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