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Interview: EWIGHEIM
Titel: Geborgenheit im Leichenwagen

Operierte ihr 2002er Debütalbum „Mord nicht ohne Grund“ noch in härteren musikalischen Gefilden, leben diese beiden Musikanten auf dem neuen Werk „Heimwege“ jetzt ihre feinsinnigere künstlerische Wesensseite aus.

So scheinen sich Yantit von den Morbidschwarzmetallern Eisregen und Grabtenor Allen B. Konstanz aus der Horrorgarde The Vision Bleak, im Duo besser bekannt unter dem Namen Ewigheim, auf ihrem zweiten Album sämtliche kreative Freiheiten herauszunehmen, vom düsteren Electronic Dark Metal aktuell hin zum nihilistischen Electro Rock im edelstählernen Klangkorsett.

Schlagzeuger Yantit legte irgendwann im November 1999 seine Sticks beiseite und hängte sich eine Gitarre um. Ungewöhnliche Todeslieder wie die von Ewigheim hatte er dabei im Kopf. So wurden hochsarkastische, stellenweise verachtend zynische Textspiegelungen einer durch und durch von Dekadenz infizierten Wohlstandsgesellschaft rasch zum signifikanten Wahrzeichen dieses desillusionierten Doppels.

Wie Yantit feststellt, ist Ewigheim ebenso als Nebenprojekt zweier nach Neuem strebender Musiker sowie als vollwertige Band zu sehen, mit der man dauerhaft zu rechnen hat.

„Im Studio sind wir mehr ein Projekt, da nur Allen B. und ich kompositorisch tätig sind, zusätzlich unterstützt von diversen Gastmusikern. Von der Bühnenpräsenz her gesehen sind wir jedoch mehr eine richtige Band, mit Proben und allem, was dazu gehört. Zu hören bekommt man von Ewigheim aber auch in Zukunft ganz sicher.“

Ewigheim: Laut Aussage des Saitenspielers ein räumlich und greifbar gemachter, 24 Stunden am Tag – zum Beispiel durch Selbstmord – zu erreichender Tod. „Für mich etwas, dass mir persönlich alle Angst vor dem Leben nimmt.“

Wirklich negative Reaktionen haben die beiden bisher für ihre tiefsinnigen Songs nicht bekommen. „Obwohl es einige Leute gab, die nicht sofort verstanden, was wie gemeint ist. Ich glaube, dass Ewigheim, aus einem falschen Blickwinkel betrachtet, viel Angriffsfläche bietet. Es ist an uns, den Leuten zu zeigen was dahinter steckt. Ist dies erst mal geschehen, gibt es immer auch eine Ebene, auf der man sich verständigen und dem Anderen mit Respekt begegnen kann. Richtig negativ ist für mich eher eine unsachliche Abhandlung der Gegebenheiten.“

Das neue Album “Heimwege“ ist laut Labelinfo zu dem Zeitpunkt, wo es erscheinen wird, gleichermaßen Bekenntnis und Statement zur Weltlage, die einen entweder verzweifeln oder in schallendes Gelächter ausbrechen lassen kann. Doch:

„Die große, weite Welt interessiert mich nicht. Wirklich wichtig sind die kleinen Dinge im engen Umfeld. Auf `Mord nicht ohne Grund` brachten uns diese Dinge noch zum Lachen, welches auf `Heimwege` im Hals stecken blieb. Es war wohl unsere größte Tugend über so vieles, wenn auch nicht immer mit Freude, lachen zu können; bleibt nur zu hoffen, dass es noch nicht gänzlich der Vergangenheit angehört.“

Die unglaublichsten Charakterzüge vieler Menschen: Yantit könnte nicht selten ganze Tage damit verbringen, deswegen zu kotzen, wie er vorgibt.

„Ohne Rücksicht auf Verluste wird alles zerstört, was nicht selbst in der Lage ist, sich zu schützen. Eine besondere `menschliche Gabe` ist es wohl, diese Schwächen zum eigenen Vorteil zu nutzen, um sich dann am fremden Elend zu ergötzen. Ich bin mir aber ebenso sicher, dass es etwas wie `das jüngste Gericht` geben muss, um diese selbstverständliche, maßlose Überheblichkeit aus den Leben vieler Menschen zu entfernen. Sachen wie Seuchen oder Naturkatastrophen sind da kein schlechter Anfang.“

Ewigheim haben trotz musikalischer Modifikation ihren Charme sowie das Moment schierer Groteske bewahren können, wie sie selbst verlautbaren.

„Beispielsweise den Charme des Leichenwagens, in den sich fast jeder gerne legen möchte, da er einem in einer immer nur noch kälteren Welt die scheinbar größte `Geborgenheit` schenken kann. Viele Menschen suchen nach einem Plätzchen, an dem sie einfach sie selbst sein können; ein Leichenwagen ist so ein Ort.“ So ist das oft in den Songtexten auftauchende Käferrad sinnbildlich auch als Leichenwagen zu sehen.

„Würde ich vorgeben, wie wir uns Ewigheim interpretiert wünschen, würde ich ja jede mögliche andere Interpretation kaputt machen. Mir reicht es zu wissen, dass es ein paar Leute gibt, die sich damit beschäftigen. Es ist die eigentliche Freude an Ewigheim, im Verlauf der Zeit immer mehr Reaktionen und Interpretationen zu erhalten, auf die wir zum Teil selbst noch nicht gekommen sind. Ein Fakt, an den wir bisher kaum zu glauben wagten und der gleichfalls unser Beitrag wie auch unser Lohn ist.“

Durch die Kombination von düster klingender Elektronik, einfachen, aber zu Türmen aufgeschütteten Gitarrenharmonien und der klaren Gesangsstimme entstand mit der Zeit eine einzigartige Klangwelt.

Yantit will sich darauf aber keinesfalls festlegen lassen, wie er klarstellt:

„Wir mussten und müssen auch weiterhin lernen die richtige Mischung zu finden, da diese Mischung am Ende den Sound bestimmt. Ist er dieses Mal noch düster und `pianoschwanger` kann er auf der nächsten CD durchaus wieder elektronischer geraten und sich ohne sein Grundgerüst zu vergessen immer weiter wandeln.“

So spielte das Piano schon in der Entstehung des neuen Outputs „Heimwege“ eine tragende Rolle, da über die Hälfte der Stücke an ihm entstand.

„Es beeindruckt mich immer wieder aufs Neue, wenn ich sehe, wie ein Stück, dass sonst von einer ganzen Band gespielt wird, von einem einzigen Instrument interpretiert ans Herz gehen kann. Denn ein Klavier klingt – richtig und vor allem richtig langsam gespielt – nach Selbstmord.“

Ans Schreiben ihrer neuen Ewigheim-Stücke gingen die beiden Todesschergen nicht mit einem künstlerischen Vorsatz heran, wie Yantit relativ unbekümmert offenbart.

„Durch die sehr lange, durch mehrere Zwangspausen unterbrochene Aufnahme hatten wir immer wieder die Möglichkeit, Dinge wie die Streicher und andere Gastmusiker zu integrieren. So hatte das Album fortwährend die Zeit sich zu entwickeln und uns aufzuzeigen, was ihm noch fehlt. Und die Scheibe hat alles bekommen“, lässt er mit Nachdruck verlauten.

„Insgesamt sind wir sehr zufrieden damit, soweit ich das heute, fast zwei Jahre nach Entstehung der Stücke, überhaupt noch objektiv beurteilen kann. `Heimwege` war für Ewigheim sowohl kompositorisch wie auch soundtechnisch der größte mögliche Schritt nach vorn und ich bin selbst gespannt wie es uns gelingt, diesen noch zu steigern.“

„Heimwege“, ein Albumtitel, dessen unheimliche Bedeutung aufgrund der suizidalen Konzeption von Ewigheim schnell zu erahnen ist. Yantit:

„Er steht dafür, wie viele unterschiedliche und aufregende Wege in den Tod führen.“

Daher ist das neue Album ein Konzeptwerk, was das Sterben betrifft.

„Der Tod ist der rote Faden in `Heimwege`, wie auch in Ewigheim. Was sich ändert, ist einzig der Punkt von dem aus der Tod betrachtet und kommentiert wird.“

So stammen die Inspirationen für all die Texte der neuen Songs aus der Zeit nach „Mord nicht ohne Grund“, in der Yantit seinen Beitrag dafür fast wie in ein Tagebuch geschrieben und später in Textform gebracht hat.

„Ich war zu dieser Zeit wirklich froh um jede Möglichkeit, mir die Sachen von der Seele zu schreiben, um nicht einsam mit ihnen wahnsinnig zu werden. Wenn ich die Stücke heute höre, ist es für mich nicht selten befremdlich zu sehen, was damals in meinem Leben vor sich gegangen ist. Doch ich muss auch dankbar sein, da es die Texte, so wie man sie heute vernehmen kann, ohne die damaligen Umstände nicht gegeben hätte.“

Am 25.09.2004 findet die Release-Party zu „Heimwege“ statt, bei der die Umgebung in einem Hotel mitten im Thüringer Wald schon der schönste Effekt ist. „Danach werden wir sehen was sich ergibt.“

© Markus Eck, 22.08.2004

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