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Interview: DRACONIAN
Titel: Der Preis der Erleuchtung

Nasskalte und beklemmend abgründige Düsternis mittels ebenso tonnenschwerer wie anmutiger Verzweiflungsklänge beinahe plastisch erfahrbar zu machen, das gelingt nicht vielen Verfechtern dieses Sektors.

Doch genau dafür sind diese schwedischen Schwermütigen seit einigen Jahren sehr bekannt. Die kompositorisch kompetente Gothic Doom Metal-Band um den zutiefst einfühlsamen Todesbarden Anders Jacobsson versteht es immer wieder blendend, selbst den vorstellbar negativsten Emotionen mit vollkommen entrückt erscheinender Depressionsmusik ein adäquates Profilierungspodium zu bieten. Auch mit dem aktuellen dritten Vollzeitwerk namens „The Burning Halo“ wird hochgradig tragische Trauerkunst vom Allerfeinsten zelebriert, so, als gäbe es nichts Schöneres auf diesem geschundenen Planeten.

Die instrumentalstarke Septett-Besetzung des sehr gut aufeinander eingespielten Ensembles ermöglicht es den suizidalen Schwedenseelen, den Konsumenten beeindruckend echt gefühlte Klangtiefen mit ihrem leidschwangeren Schaffen zu vermitteln.

Meiner erneuten Interview-Kommunikation stellt sich Sänger Anders diesmal allerdings erst spätnachmittags.

Und das, nachdem er wieder mal beinahe den ganzen Tag verschlafen hat, wie er mit einiger Verlegenheit in der Stimme zugibt.

„Das war schon lange mal wieder fällig, ich fühle mich nun rundum hervorragend. Obwohl, ich schlafe eigentlich immer ziemlich viel; auch, wenn es draußen so immens heiß ist wie heute. Mir macht diese verdammte Sommerhitze ohnehin arg zu schaffen“, beginnt der dunkellanghaarige Sangesmann mit dem ernsten Blick unseren Dialog.

„Das Frontcover-Artwork zur neuen Platte stammt einmal mehr von Travis Smith, welcher das Bild nach meinen An- und Vorgaben gemacht hat. Das war darin begründet, dass er gleich vorab ein derzeitiges massives zeitliches Defizit geltend gemacht hat. So hat Smith diesen Job für Draconian nur unter der Bedingung meiner massiven konzeptionellen beziehungsweise thematischen Mithilfe angenommen. Ich begleitete die Entstehung des aktuellen Frontcovers somit ständig in allen Formen der Entwicklung, wir schrieben uns fast unzählige Emails hin und her, bis schließlich alles passte. Mir persönlich war dies allerdings nur recht, denn so konnte ich meine grafischen Visionen bestmöglich verwirklicht sehen. Davon abgesehen hat mir die enge Kooperation mit Travis große Freude verschafft. Das großartige Endergebnis ist das bisher beste Cover, dass der amerikanische Ausnahmekünstler bislang für uns erschaffen hat. In Sachen Booklet-Gestaltung sieht es bei `The Burning Halo` nicht anders aus, auch diese wurde perfekt nach meinen beziehungsweise unseren Vorstellung absolviert. So könnte es eigentlich sehr gerne immer laufen, wenn wir eine neue Veröffentlichung auf den Markt bringen“, erzählt mir der Vokalist, ein allzu seltenes Lächeln auf dem Antlitz dazu offenbarend.

Wie er weiter ausführt, steht das optisch Präsentierte auf der Hülle von „The Burning Halo“ in sehr enger Verbindung zum aktuellen lyrischen Inhalt des Werkes.

„Es zeigt einen niedergeschlagen gestimmten und weinenden Engel, dessen Heiligenschein lichterloh brennt. Ein Heiligenschein repräsentiert meiner Auffassung nach etwas sehr Spirituelles, etwas sehr Erleuchtetes. Spinnt man den Faden weiter, so hat man – und das nicht nur in der heutigen Welt – ja als menschliches Individuum ja umso mehr zu leiden, desto mehr man an spiritueller beziehungsweise geistiger Erleuchtung dazu gewinnt. Im Klartext: Je schlauer man wird, desto mehr sieht man auch das Schlechte und Unvollkommene auf dieser Erde. Genau dies wollte ich mit dem Frontcover der neuen Scheibe ausdrücken. Ich persönlich fühle nicht selten so, was mich immer wieder sehr traurig macht. Es steckt aber auch etwas Gutes darin: Denn je mehr Schmerz man gegenüber einer Sache empfindet, desto bewusster nimmt sie der Geist wahr und umso besser versteht man gewisse Zusammenhänge. Zusammenhänge, welche einem sonst vielleicht sogar verschlossen geblieben wären.“

Im Nachfolgenden preist der mental eigentlich ziemlich zerbrechlich wirkende Jacobsson mit einigem Selbstbewusstsein seiner Ansicht nach gewichtige Vorteile des Älterwerdens. „Ich beschäftige mich viel mit solcherlei Thematik. Und Älterwerden, ein unausweichlicher Prozess, den man eher akzeptieren anstatt fürchten sollte, hat für mich überhaupt nichts mit Verfall zu tun. Im Gegenteil: Einerseits kann man seine Freunde und persönlichen zwischenmenschlichen Kontakte viel besser auswählen und auf der anderen Seite wird man wie gesagt immer cleverer. Vorausgesetzt, man stellt es richtig an. Klar, der Seelenschmerz durch gesteigertes Empfindungsvermögen nimmt ja schon während der Pubertät stetig zu, aber das ist eben der Preis, den man für Erleuchtung zu zahlen hat.“ Nichts ist umsonst.

Leider tendiert die „moderne“ Gesellschaft laut folgender Aussage des Sängers immer mehr dazu, äußerlich jünger wirken zu wollen, anstatt das Innere in Ruhe älter und weiser werden zu lassen.

„Heutzutage wissen ja ohnehin nur noch die Allerwenigsten, wer sie selbst wirklich sind beziehungsweise sein wollen. Es herrscht eine gigantische Identitätslosigkeit und damit einhergehende gegenseitige Ignoranz in den verschiedenen Völkern, an welcher die Massenmedien gezielt und massiv mitarbeiten. Und genau das ist die eigentliche große Tragödie in der Welt. Auch die ganzen Politiker sind in überwiegender Form auf diesen profitablen Zug aufgesprungen. Die Weltbevölkerung soll, ständig beziehungsweise immer mehr durch allerlei Horrornachrichten und -Szenarien verängstigt, schließlich ja immer leichter zu manipulieren sein. So kommt wiederum die Industrie mit ihren unzähligen Massenprodukten zum Zug, welche den Politikern wiederum den Wahlkampf sponsert. Ein verhängnisvoller Kreislauf, dessen Ende so schnell nicht in Sicht ist. Im Gegenteil. Diverse Religionen tun ihr Übriges dazu, die Leute von der geistigen Selbstständigkeit abzuhalten. Ich verabscheue Religionen auf das Äußerste. Normalerweise müssten die Menschen weltweit doch längst aufgewacht sein aus ihrer benebelten Lethargie, doch neben den Religionen von den Medien ständig neu geweckte Pseudo-Bedürfnisse und das hastige Hinterherhecheln danach halten die Leute vom Innehalten und Nachdenken ab. Mich jedoch nicht.“

Und von genau jenem Kontext handeln auch die meisten der neuen Song-Lyriken, so Anders.

„Ich habe die Geschicke der Welt und ihrer Gesellschaft gelernt zu akzeptieren, seien sie auch noch so dämlich und sinnlos. Aber ich respektiere dieses konsumgeile und oberflächliche Treiben nicht im Geringsten. Und ich benutze Werkzeuge wie Draconian dagegen – gerade die Band ist für mich ein perfekter Weg, um immer wieder zu innerer Harmonie und Ausgeglichenheit zu gelangen. Draconian ist meine persönliche Eigentherapie, könnte man sagen. Ein sehr großer und gedanklich weit auslaufender Weltschmerz plagte mich ja schon 1994, als Draconian gegründet wurde. Das hat sich bei mir nicht im Geringsten verändert. Genau genommen ist es sogar noch viel schlimmer geworden. Im selben Atemzug werde ich aber auch immer noch rebellischer. Über diesen ganzen von mir angeklagten Scheiß zu singen, tut mir und meiner Seele immens gut. Am meisten tut es mir auf der Bühne gut, wenn wir live auftreten – dann lebe ich meine Lyrics regelrecht.“

Auf der neuen Veröffentlichung sind bekanntlich drei neue und drei alte beziehungsweise neu eingespielte Draconian-Kompositionen vertreten. Textlich stehen sich diese sämtlich jedoch in nichts nach, wie Anders abschließend noch zu Protokoll gibt.

„Die `alten` neuen Stücke stammen von einem Demo namens `The Closed Eyes Of Paradise`, welches wir zu Beginn des Jahres 1999 aufnahmen. Die lyrische Konzeption dafür war schlicht dieselbe wie immer bei Draconian: Es geht um Trauer, Schmerz, Verzweiflung und Resignation. Es geht mir als Lyriker der Band im Prinzip primär stets darum, das (ver)blendende Licht und die ausgeprägte Heuchelei der Religionen, insbesondere der christlichen, anzuklagen, dagegen mit Worten zu rebellieren. Was die neuen Stücke anbelangt, die sind textlich eigentlich etwas flexibler ausgefallen, doch den roten lyrischen Faden habe ich dafür natürlich nicht gekappt. Es sind eindeutig Draconian-Texte. Gerade der Opener `She Dies` verdeutlicht dies in Vollendung – es geht um die innigliche Liebe eines gefühlvollen Mannes, der weiß, dass seine Liebste, die Liebe seines Lebens, schon sehr bald das Zeitliche segnen wird. Die Traurigkeit darüber raubt ihm beinahe die Sinne. Zugegeben, es ist schon sehr bedrückend, sich so was vors Gemüt zu führen. In dem Genre, in dem wir uns als Künstler bewegen, dürfen wir uns jedoch erlauben, solcherlei Themen anzuschneiden, zumal sie exzellent zu unserer intensiven Musik passen. Oftmals verfasse ich meine Zeilen ja auch gar aus der imaginären Sicht gefallener Engel, die sich gegen Gott wenden, weil sie so grenzenlos von ihm enttäuscht worden sind.“

© Markus Eck, 31.07.2006

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