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Interview: DORNENREICH
Titel: Andächtig gefauchte Melancholikerpoesien

Lange Zeit hat man nichts mehr von diesen beiden Tiroler Mitternachtspoeten vernommen, genauer gesagt nahezu fünf geschlagene Jahre.

Nun erhalten die treuen Anhänger des österreichischen Avantgarde Black Metal-Duos Dornenreich, die deren letztes Albumwerk „Her von welken Nächten“ aus dem Jahr 2001 nur allzu gut in Erinnerung haben, erneut Gelegenheit, den emotional intensiven Kreativergüssen ihrer Lieblinge teilhaftig zu werden. Denn das neue Studioalbum „Hexenwind“ ist endlich fertig gestellt: Ein überraschend bedächtig dargebotenes und auffallend melancholisches Stück Düstermusik, dessen besonnene Fußnote zu tiefgehendem Innehalten animiert.

Mittels ihrer mit hypnotischer Anmut auf die Hörersinne einwirkenden Dämmerungslieder zeigen sich Dornenreich also diesmal von einer eher ruhigeren Seite. Sänger Evíga bezieht Stellung zur aktuellen Veröffentlichung.

„Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass die Erleichterung groß ist. Dieses Album kann man mit Fug und Recht als `schwere Geburt` bezeichnen. Umso mehr freut es mich nun, dass wir `Hexenwind` endlich frei lassen können“, spricht er sich anfangs von der Künstlerseele.

Dieser Tage fällt es Evíga beileibe nicht leicht, sich selbst zu beschreiben, da er sich laut eigenem Bekunden in einer Phase grundlegender Neuorientierung befindet, die durch einschneidende persönliche Erfahrungen während der vergangenen zwölf Monate eingeleitet worden ist.

„Eine quälende Zeit völliger Selbstinfragestellung liegt hinter mir. Diese Periode brachte mich gefährlich nahe an einen persönlichen Nullpunkt. Als ich diesen Punkt jedoch schließlich hinter mir lassen konnte, erlebte ich jeden Sinneseindruck, jede Empfindung, jede Einsicht als ein Geschenk, ein Geschenk aus einer Tiefe des Lebens, die mir – oder vielmehr – der ich bis dahin verschlossen geblieben war. In gewisser Weise fühle ich mich, wie neu geerdet und neu geboren. Freilich gibt es konstante Grundzüge: So bin ich beispielsweise nach wie vor ein recht gegensätzlicher Mensch, der genauso starr, ernst und dickköpfig wie verspielt, kindlich und albern, aber auch genauso mitteilsam wie verschlossen und genauso gesellig wie eigenbrötlerisch sein kann. Ein von Sehnsucht zu immer neuen Ufern gelockter Träumer, der durchaus viel Zeit für schwärmerisches Betrachten und Sinnen braucht, bin ich und werde ich im Herzen wohl immer bleiben.“

Die lange Veröffentlichungspause war von dem Tiroler Doppel natürlich in keiner Weise so geplant. Evíga: „Wir haben schlicht und ergreifend sehr lange mit dem Album gerungen, ausgiebig experimentiert, vieles verworfen, vieles entdeckt und mit eingebunden. Es war uns wichtig, den kreativen Prozess auf allen Ebenen bis zuletzt offen zu halten, um das Album möglichst authentisch fließen zu lassen. Wir sind in der Zwischenzeit den verschiedensten Jobs nachgegangen, haben uns mit Literatur, Musik, Film, Malerei, Hörspiel und digitaler Aufnahmetechnik auseinandergesetzt und, ja, haben schlicht und einfach gelebt.“

„Hexenwind“ ist für die beiden Musiker eine Metapher für ein spezielles Bewusstsein, so der Sänger. Interessant:

„Denn so wie der Wind eine `unsichtbare Realität` darstellt, die sich ständig wandelt und im Grunde nur an den Auswirkungen auf die Umwelt erfahren werden kann, so sind auch menschliche Gedanken, Ideen, Gefühle, Träume und Wünsche zunächst unsichtbar, doch bilden sie einen gewichtigen Grundpfeiler unseres Handelns und materialisieren sich darin – und sie sollten frei sein wie der Wind. In der Gestalt der Hexe personifiziert sich für uns Fantasie beziehungsweise Vorstellungskraft in all ihrer Gegensätzlichkeit. Denn so wie sich im Begriff `Hexe` Vorstellungen von böswilligen (Märchen- und Traum-)Wesen mit solchen von wirklich weisen und naturkundigen Menschen vermischen, so können unsere menschlichen Fähigkeiten der Fantasie und der Vorstellungskraft genauso verzehrend wie nährend, genauso verwirrend wie aufrüttelnd, genauso vernichtend wie erschaffend sein. `Hexenwind` ist demnach ein mystisches Bild für ein besonderes Bewusstsein, ein zyklisches Erwachen, Entdecken und Erneuern im Innen wie im Außen. Man könnte `Hexenwind` auch umschreiben als `freie Bewegung der Fantasie` – im Spannungsfeld von Gegensätzlichkeiten. Für uns selbst beschreibt `Hexenwind` einen ursprünglichen und lebendigen Zustand, ein Zu-Sich-Kommen und Sich-Öffnen.“

Ein musikalischer Unterschied zu ihren früheren Alben ist laut Evíga der, dass Dornenreich der Musik auf „Hexenwind“ weit mehr Raum zur Entfaltung geben, als sie dies bisher getan haben. Und auch, dass die Musik sowohl im Klanggewand als auch in den Kompositionen selbst mystischer angelegt ist:

„Von einem meist einfachen und mitunter hypnotischen rhythmischen Fundament ausgehend, laden die neuen Stücke mit ihren variantenreichen Arrangements zu einer Reise ein, die den geneigten Hörer durch eben diesen hypnotischen, schamanischen Grundcharakter über Musik und Text hinaus auf die Fährte seiner eigenen Vorstellung und Sehnsucht führt. Musik und Text haben wohl noch auf keinem unserer früheren Alben so gut harmoniert wie im Rahmen von `Hexenwind`, was die Botschaften des Albums ungemein bildhaft werden lässt. Zudem ist die Sprache der Texte so visuell suggestiv und schlicht wie noch nie zuvor. Zweifelsohne haben wir uns über die Jahre weiter entwickelt und könnten unsere früheren Alben heute auch bestimmt nicht mehr so aufnehmen, doch zum jeweiligen damaligen Zeitpunkt spiegelten sie unseren Entwicklungsstand authentisch wider. Für uns war es diesmal primär bedeutsam, ein Album entstehen zu lassen, das einen spirituellen Kern mit einem organisch lebendigen, abenteuerlich verspielten Geflecht umgibt.“

Und sowohl bei den Texten als auch bei der Musik bis hin zu der Gestaltung des CD-Booklets war es dem Duo wichtig, bis zum letztmöglichen Abgabetermin offen für frische, bereichernde Ideen zu bleiben; was auch gelang, so Evíga:

„Generell kann ich sagen, dass sich der Kompositionsprozess für `Hexenwind` absolut intuitiv gestaltete. Wir versuchten, einen traumähnlichen Fluss an Ideen und Bildern entstehen zu lassen, insbesondere in `Zu Träumen wecke sich, wer kann`, dem letzten Stück des neuen Albums.“

In erster Linie geht es somit im Rahmen der Lyriken von „Hexenwind“ darum, Vorstellungskraft in den Mittelpunkt zu rücken und Hörer dazu heraus zu fordern, ihre eigene Stimme aus den Stücken heraus zu hören:

„Die Sprache der Texte ist zwar metaphern- und symbolreich, im Grunde ist sie jedoch sehr klar und einfach. Und `Hexenwind` bietet nicht nur textlich, sondern auch musikalisch viel Raum für individuelle Annäherung. Weiter will ich auf die einzelnen Texte nicht eingehen, denn `Hexenwind` ist und bleibt: eine Herausforderung. Während die Liedtexte für unsere früheren Alben oftmals noch vor der Musik entstanden, verfasste ich die `Hexenwind`-Texte ausschließlich zu den Bildern, welche die Musik in mir aufsteigen ließ. Es war dies also eine durchaus meditative Erfahrung, die Wort und Ton in besonderem Ausmaß zu verbinden wusste.“

Wann dieses faszinierende neue Album live beworben wird, das steht laut Evíga derzeit noch in den Sternen. „Und es ist fraglich, ob wir das Album überhaupt auf die Bühne bringen werden, da sich das Wesen des Werkes im Grunde der Live-Situation entzieht. Wir werden sehen. Ich persönlich spiele ungemein gerne live, ja. Es ist immer wieder berauschend schön, die eigene Leidenschaft auf der Bühne tanzen und toben zu lassen und einzigartige Momente mit ähnlich gesinnten Wesen zu erleben. Wenn mir nicht gerade eine Gitarrensaite reißt, ich mir nicht gerade selbst das Kabel aus der Gitarre trete und der Monitorsound auch mal wirklich das tatsächliche Vorhandensein weiterer Musiker bestätigt und ein Zusammenspiel ermöglicht, dann ist die Bühne ein bebender Boden, der mich wundervoll ekstatische und intensive Augenblicke auskosten lässt, denn, ja, wir lieben es die Stücke live wirklich zu leben.“

Abschließend offenbart der Sänger mir noch Zukunftspläne. „Wir erhoffen uns von der Kooperation mit Prophecy, dass wir zusammen weitere interessante Vorhaben werden verwirklichen können. Derzeit sind wir dabei, neue Ideen zusammen zu tragen und haben soeben die Vertonung eines Hermann Hesse-Gedichtes abgeschlossen, das wohl in absehbarer Zeit veröffentlich werden wird. Vielen lieben Dank für die interessierten Fragen, Markus!“

© Markus Eck, 24.10.2005

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