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Interview: DISILLUSION
Titel: Abstrakte Seelenspiegelungen

Die „Desillusionierten“ wurden bereits 1994 gegründet. Es sollte jedoch schon noch einige Zeit dauern, bis diese deutschen Modern Progressive Death Metal-Heroen ihre eigentlichen Schaffensstärken entsprechend ungezwungen ausleben konnten.

Eine Dekade später: Das 2004er Debütalbum „Back To Times Of Splendor“ sorgte dem Titel entsprechend ob der enthaltenen innovativen Darbietung für einiges Aufsehen unter ergebenen Spartenenthusiasten.

Der stilistisch atemberaubend vielschichtige Aludiskus schlug schlicht gesagt ein wie die berühmte Bombe. Die darauf dargebotenen technischen Achterbahnfahrten, welchen die wirklich unglaublich intensive instrumentelle Performance dieser erzprogressiven Liebhaberscheibe glatt den Rang ablief, sind beileibe nicht von Pappe. Die Münder der damit Konfrontierten wiesen den jeweiligen oralen Ausnahmezustand auf: Sie standen nämlich entweder sperrangelweit vor sprachloser Begeisterung offen – oder blieben völlig überfordert dicht geschlossen.

Die Luft blieb jedoch jedem weg, der mit „Back To Times Of Splendor“ irgendwie in Kontakt kam. Nun steht die Veröffentlichung des noch komplexeren Albumnachfolgers „Gloria“ an. Ich nahm allen Konsumentenmut zusammen und setzte mich einer Diskussion mit Hauptkomponist, Kehlenquäler und Bass-Schinder Andy Schmidt aus.

„Bei uns hier ist soweit alles bestens. Wir sind, wie man sich vorstellen kann, natürlich sehr neugierig, wie die Reaktionen zu `Gloria` ausfallen werden. Wir haben echt verdammt hart an dem neuen Album gearbeitet und es fühlt sich schon gut an, es nun endlich fertig gestellt zu haben“, berichtet der singende Tieftöner eingangs aus seiner Heimatstadt Leipzig.

Er fährt fort: „Auch wenn wir eine Band sind, die primär aus dem Metal-Bereich kommt, heißt das für uns auch im aktuellen Falle noch lange nicht, dass wir irgendein dort vertretenes Subgenre bedienen müssten. Für Disillusion ist es eine wesentlich persönlichere Sache. Es hat uns eben nicht gereicht, im reinen Metal hängen zu bleiben. Unsere einzige Vorgabe an uns selbst is es noch immer, schwere, gitarrenlastige Musik zu erschaffen. Das ganze soll auf jeden Fall schwer grooven. Uns macht es eine Riesenfreude, sämtliche unserer privaten Musikvorlieben in die eigene Mucke einzubringen. Man kann daher fast sagen, dass wir mit jedem Jahr, das wir selbst älter werden, als Band musikalisch automatisch vielschichtiger werden.“

Somit war der Sprung, als Schwermetall-Truppe in die künstlerische Moderne zu schielen, laut Andy auch nicht schwer für die ostdeutschen Herren.

„Die Verquickung von Möglichkeiten und Klängen macht das auch Salz in der Suppe von `Gloria` aus. Wir haben auf fast alles Bock, was es überhaupt an Musik auf dieser Welt gibt. Wo unsere Grenzen als Hörer liegen, wissen wir selber nicht ganz genau. [lacht] Wir wollten all die differierenden Einflüsse nicht nur deuten, sondern auch mit unseren Instrumenten entsprechend eigenständig umsetzen beziehungsweise gleich neuartige Zusammenhänge erstellen. Diese Prämissen sind von Anfang an in die aktuellen Kompositionen eingeflossen. `Gloria` ist demnach für uns mehr moderne Soundcollage denn Musikalbum.“

Dass die stilistisch sekündlich wandelbare Gruppe mit ihrem neuen Produkt bei Puristen und Dogmatikern des Metiers wohl auch massiv aneckt, darüber ist man sich völlig klar, so Andy. „Darauf sind wir gut vorbereitet. Juckt uns nicht im Geringsten. Denn unsere Songs sollen das Label `Erschienen im Jahr 2006` vollauf verdienen, wir verlieren da keinen Gedanken an irgendwelche ewig starrsinnigen Metal-Traditionalisten.“

Wie er dann im Weiteren offen legt, hält er ohnehin überhaupt nichts von den ganzen Genre-Trennungen der Neuzeit. „Diese ganzen Kategorisierungen finde ich irgendwie schon sehr absurd. Sicher, Menschen benötigen immer irgendwelche Hilfsmittel beziehungsweise Orientierungen, um sich ganz gleich wo zurechtzufinden; auch die Metal-Fans. Aber letztendlich ist Musik doch auch stets ein Stück Zeitgeistgeschichte – und so sollte sie auch verstanden werden. Wir liefern zeitgemäßen Metal.“

Wir gehen zum aktuellen Albumtitel „Gloria“ über. Sehr interessant, wie mein Gesprächspartner diesen darlegt:

„Wir haben den Titel bewusst als ambivalenten Begriff gewählt, denn das passt perfekt zu unseren Liedern. `Gloria` ist ja sowohl als gebräuchlicher Frauenname als auch als Inbegriff für Herrlichkeit, Glanz und Erhabenheit zu verstehen. Unsere Songs sind ebenso zu verstehen. Das ist alles. Den Rest sollen die Hörer individuell interpretieren.“

Mehr dagegen ist zum Glück hinsichtlich der neuen Songtexte in Erfahrung zu bringen; wenn auch nichts zum jeweiligen Inhalt, sondern eher Explizites zur Entstehungsgeschichte derselben. Ungewöhnlich, aber effizient:

„Die Songs für `Gloria` waren bereits zum Großteil fertig gestellt, da entschied ich mich zu einem Spontanurlaub in der Türkei, genauer gesagt in Istanbul. Ich lief dort mit einem Kopfhörer auf den Ohren – unsere neuen Songs in den Gehörgängen – auf den Straßen herum und ließ die ganzen so entstandenen Eindrücke auf mich wirken. In diesem multikulturellen urbanen Moloch brodelt das Leben unaufhörlich. Die Hektik ist beinahe unbeschreiblich und doch gehen die dortigen Menschen auffallend harmonisch miteinander um, ja, geradezu menschlich mutet es in ganz Istanbul an. Ich kehrte mit den besten Songtexten heim, die ich mir als Liederlyriker überhaupt vorstellen kann.“

© Markus Eck, 25.09.2006

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