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Interview: DIE STREUNER
Titel: Mit Ehrfurcht vor der Historie

Wem es nach einem repräsentativen Querschnitt aus durchdachter Tavernen- und Marktmusik aus ganzen sechs Jahrhunderten heftig dürstet, ja, der wird von diesen fünf aufgeweckten Spielleuten bestens bedient.

Das frohsinnige Quintett aus Datteln in Nordrhein-Westfalen wurde vom mächtigen musikalischen Schicksal im Jahr 1993 erstmals listig zusammengewürfelt, als Roland Kempen alias Romata bei einem waldigen Bratfest auf ein (musik)ideell gleich gesinntes Weibe mit Namen Miriam Petzold „stieß“. Aus tiefer Zuneigung entstand im Zuge dessen neben allerlei inniglicher Gefühlsvielfalt auch nicht minder anregendes Liedmaterial von unterhaltsamer Anmut.

Und noch heute zelebriert Meister Romata innerhalb dieser schlitzohrigen Gesandtschaft höchst angenehme Historienklänge aus Laute als auch von klingelnden Schellen. Und das standhafte Mannsbild geizt auch nicht mit beschwingt gestimmtem Gesang.

„Ich wusste zwar, seit ich vier Jahre alt war, dass ich eines Tages von Musik leben wollen würde. Dass ich meinen Lebensunterhalt aber mit genau dieser Musik bestreiten würde, hätte ich niemals gedacht. Die anderen Streuner vermutlich genauso wenig“, eröffnet Romata, der Kahlköpfige, und berichtet mir auch gleich noch zu privaten Belangen:

„Mein größtes Pläsier ist meine Freundin Ulla. Ich wünschte, wir hätten doch etwas mehr Zeit füreinander. Ansonsten finde ich Wirtschaft und Börsengeschehen sehr spannend. Bliebe dann noch etwas Zeit, würde ich gerne weiter Spiele entwickeln, wie in meiner Jugend. Das war eine tolle Zeit.“

Als privater Besucher kommt er schon viele Jahre nicht mehr dazu, kommerzielle Mittelaltermärkte zu frequentieren, so Romata nachfolgend. „Hätte ich mal die Gelegenheit, würde ich gerne eher Festivals besuchen und abwägen, ob Die Streuner da ihren Platz fänden. Ansonsten haben große wie kleine Märkte ihre speziellen Vor- und Nachteile, wie ich finde.“

Wir sprechen im Weiteren darüber, worin für den Lautenspieler der größte Reiz darin liegt, sich mit der Epoche des Mittelalters auseinanderzusetzen.

„Was die Geschichte anbelangt, sind es meist die Werte und auch die Achtung sowie die Ehrfurcht vor Dingen, die heute so alltäglich sind wie Trinkwasser im Klo oder Heizung. Ich würde gerne wissen, worüber sich Menschen vor rund 1.000 Jahren im Alltag wirklich gefreut haben und wie Menschen heute bei ähnlichen Situationen reagieren würden. Und was sind in der menschlichen Evolution bitteschön schon 1.000 Jahre? Was den Reiz des Marktgeschehens für mich an sich anbelangt, hier ein kurzes Statement dazu: Es ist und bleibt eine gesunde Nischensparte. Die großen Industriellen wittern keine große Beute und die ganz kleinen Fische können es nicht an sich reißen. Herrlich! Die Szene bleibt im gesamten Kommerz-Gefusel etwas apart und kann sich so entwickeln, wie sie es eben tut. Das gefällt mir.“

So würde mein Dialogsgeselle laut eigenem Bekennen ganz gerne in uralten Tagen für einen ebensolchen mit Roland de Roncevaux, der bekannten Persönlichkeit aus dem Mittelalter, für einen Tag tauschen:

„Immerhin ist er ja auch mein Namensvetter.“

Nur sehr wenige Künstler aus dem Bereich des mit mittelalterlichen Inhalten gefüllten Musikbereichs machen ihre Klänge so beschwingt, individuell und letztlich so authentisch anmutend am Leben gehalten wie Die Streuner.

Was also hat die hierin wirkenden Musiker ideell wohl am Leben gehalten? Romata hierzu:

„Was uns groß gemacht hat, ist, dass wir uns nicht verstellen mussten. Das macht es echt und glaubwürdig. Das ist auch das Geheimnis, warum wir seit nun 17 Jahren ohne Unterbrechung zusammenarbeiten. Jeder in der Band darf auch sein wie er ist und wird von den anderen auch so akzeptiert. Das ist für eine professionelle Entwicklung in meinen Augen unabdingbar sowie ein seltenes Glück.“

Bald wird es von diesem Ensemble auch ein neues Album zu erlauschen geben. Der Meister freut sich darüber wirklich sehr, und daraus macht er beileibe auch keinen Hehl:

„Wir halten also bald eine neue CD in der Hand. Und wir können voneinander die Titel lernen und sie zu Hause proben. Neue Stücke für die Bühne. Hurra! Na endlich! Wenn man sieht, wie wir eine Produktion angehen; das glaubt uns echt kein Mensch! Unfassbar, so etwas. Da werden Titel aufgenommen, von denen die anderen Streuner nichts wissen. Unser Rabe, also Miriam, hat bis heute ‚Trink’ ich Bier oder Wein’ selbst noch nie gehört. Ist das zu glauben? Tja, was soll ich sagen? Zum Glück bin ich Produzent und entscheide, dass dieser Titel auf der CD seine absolute Berechtigung hat. Fakt ist aber, dass sich auch alle Streuner auf neue Titel freuen, nicht nur die Fans. Toll, was? Was mich persönlich anbelangt, so freue ich mich auch, endlich meinen Flügel bei mir zu haben. Ich habe über 20 Jahre auf genügend Platz in meiner neuen Bleibe gewartet. Nun ist es endlich soweit: Er steht im neuen Wohnzimmer und lächelt mich jeden Tag an. Was für ein Traum!“

Nur zu gerne geht Romata, der Impulsive, danach nochmals zum kommenden neuen Langspieler und dessen dahinter steckenden Themenkontext über.

„Wie lange wartet man durstig auf ein bestelltes Bier? Richtig: Zu lange! Kommt es dann, ist der erste Gedanke: Hurra, na endlich! Die Streuner gehören nicht zu den Bands, die jedes Jahr ein Album heraus bringen, egal, ob es gut ist oder nicht. Material sammeln und bearbeiten und dann aufnehmen, das dauert eben seine Zeit. 2007 war das Album ‚Fau’ auf dem Markt. 2009 haben wir, um allen Fans etwas Lustiges zu bieten, die Weihnachts-CD ‚Süßer die Streuner nie klingen’ gemacht. Gut’ Ding will nun mal Weile haben und ich produziere seitdem ich 19 Jahre alt bin CDs. Dazu darf ich sagen, dass ich bis heute keinen Schrott produziert habe und es auch nicht vorhabe. Falls es eben dauert, dann darf auch jeder sein ‚Hurra! Na endlich’ sagen, wenn es dann auch soweit ist. Ich setze auf Qualität, nicht auf Quantität. Das ist mir bei allem wichtig, ganz egal ob es um Frauen, Autos oder das Tonstudio geht. Bei Bieren mache ich aber schon mal eine Ausnahme“, feixt der Kerl.

Alles unter einen Hut zu bekommen ist für Romata jedoch auch immer eine enorme Herausforderung, wie er mir offenbart:

„Es ist eine Qual, Kreativität und einen Zeitplan zu koordinieren: Titel fertig zu mischen, um Kompilationen zu bereichern und dabei auch noch zeitgleich Booklet, Frontcover, Fototermine im Auge haben, Rechte Dritter einholen, Gastmusiker mit Noten füttern, das Büro leiten, die Auftritte parallel absolvieren etc. Das alles erfordert Kraft und Ruhe. Und diese haben wir oft nicht. Dazu dumme Kommentare von Leuten, die uns erzählen, man müsse wohl Prämissen setzen. Man reiche mir bitte die Axt, vielen Dank“, verlässt es den Mund des Glatzkopfes unter einem lauten Lachen.

Zunächst muss er, so der Lautenspielmann, bei neuen Titeln abwägen, was Potenzial hat mehr zu werden und was nicht. Er lässt verlauten:

„Dabei bin ich froh, das musikalische Schwergewicht der Gruppe zu sein. Den Respekt der anderen zu genießen, ohne ihn zu missbrauchen, das hat mich zu einem starken Verbündeten gemacht, wenn es darum geht, den Geist der Streuner zu bündeln und ihn so auf die CD zu zaubern, sodass er voll zur Geltung kommt. So konzentriert sich die Stärke jedes einzelnen zur Essenz, auf die es bei meinen Produktionen ankommt. Das ist mir bei jeder CD wichtig.“

Im Weiteren diskutierten wir angeregt über die Titelliste des kommenden Albumwerkes. Die Reihenfolge der Titel auf diesem Langspieler stand dabei gegenwärtig noch nicht fest, dennoch konnte ich Romata mit Erfolg bitten, jeweilig die bereits vorhandenen Titel ‚in own words’ für die Leser zu kommentieren.

„‚Teufelswirtshaus’: Wenn der Teufel mit dem Wirt im Bunde steht, kann Saufen wirklich gefährlich werden. Vor allem, wenn die Hütte abfackelt. Ein irrer Text von Wilhelm Busch und eine Musik, wie sie nicht treffender dazu hätte komponiert werden können. ‚Krambambuli’: Ein Gesöff, dass das Unglaubliche bewirkt. Ist nicht jedes Gesöff ein bisschen ‚Krambambuli’? ‚Nein nein nein nein’: Unser Pinto der Schäfer mit einem Protestsong, der zum Denken anregt. ‚Die Schleifer von Paris’: Seit 1996 bei uns im Programm und niemals auf CD gebannt. Weil es schlicht vergessen wurde. Jetzt aber! ‚Es wollt ein Jäger jagen’: Wie so oft wird die Unschuld einer jungen Frau dahin gerafft. Entehrt wirft sie den Kranz nach einer Nacht mit dem König weg. Doch die Streuner ändern deutsche Literatur und dichten zeitgemäß eine Strophe hinzu, sodass das Lied ein Happy End findet. ‚The Glenside Polka’: Vollgas. Bis die Finger qualmen. Ein geiles Instrumentalstück. ‚Dans Les Prisons De Nantes’: Als Franzose darf ich darauf bestehen etwas Französisches ins Programm aufzunehmen. Pinto hat zu dem Titel eine schöne Bearbeitung abgeliefert. Ich freue mich, dass diese den französischen Versionen in nichts nachsteht und auch in Frankreich seine Liebhaber finden wird.“

Und nach einer kurzen Redepause erfahren wir weiter: „‚Warum’: Eine absolute Liebeserklärung, wie sie kaum zu überbieten ist. Mein Gott, der arme Teufel darin tut mir fast Leid. Frauenherzen werden dahin schmelzen und ihre Ansprüche an die Dichterkunst der Männerwelt ins Unermessliche anheben. Ist das gut? Ich kriege Angst, wenn ich daran denke. [grinst] ‚Trink’ ich Bier oder Wein’: Ein Sauflied in neuem Stil. Ich mochte die Vorstellung, dass einer, der sich nicht entscheiden kann, was er nun trinken will, zunächst so lange mal etwas anderes säuft. Und dies das ganze Lied hindurch, bis der Rausch den Tanz im Geiste rechtfertigt, der mit Sechzehntel im Basslauf a là Jaco Pastorius, einem Meister am Viersaiter, den Streuner-Stil um eine musikalische Variante bereichert, die sicher so noch keiner kennt. Ich liebe diesen Song. Meine Güte, geht das ab! Ich freue mich auf die Maxi-Dance-Version. ‚Gotta Get It Home When You Can’: Unser Matti hat da gezaubert und seine Interpretation vorgestellt. Es gab für mich keinen einzigen Grund an seiner Version zu werkeln. Manchmal muss man mal Dinge so lassen wie sie sind. Lasst euch überraschen!“

Mehr noch: „‚Who’s Gonna Say’: Die Geschichte zweier Brüder. Vielleicht die Geschichte meines Bruders und meine. Wer ist stark oder reich? Der, der reist und die Welt sieht oder der, der an Materiellem festhält und dafür die Sicherheit innehat? Es ist an euch, genau das bei diesem Lied zu entscheiden. ‚Egal’: Warum sein Herz an einen einzigen Mann verschenken? Erläutert dies unser ‚Roter Rabe’ aufgrund eigener Erfahrung? Kommt beizeiten zur Bühne vor und fragt uns selbst! ‚Das arme Schornsteinfegerlein’: Im Original ‚Das arme Dorfschulmeisterlein’. Unser Don Martino hat es pfiffig umgemünzt. Hier darf echt mal geschmunzelt werden, wie er, unfreiwillig vor dem Mikro agiert. ‚Wir werden saufen, heut’ Nacht’: Ja! Und auch rauchen. Und tanzen. Und auch schwitzen. Eine musikalisch umgesetzte Traumszene, ja sogar mit anmutigem russischem Chor am Ende. Pinto hatte immer einen Hang zum Osten; nicht zuletzt, als es damals um die Kaschuben auf der ‚Fau’ ging. Bei dem gesungenen Szenario, wäre man als Mann wohl gerne dabei. ‚Zechers Heimkehr’: Betrunken aus der Schenke kommen und denken, man stünde kerzengerade, aber alles um einen herum wäre schief. Was für eine grausame Vorstellung? Da geht man doch lieber ins Wirtshaus zurück. Prost!“

Haben sich die Streuner für ihre kommenden Bühnenauftritte schon etwas Besonderes einfallen lassen, um die neue Kompositionen entsprechend zu zelebrieren? Diese Frage beschäftigte uns im Anschluss.

„Wir werden Stück für Stück die neuen Lieder ins Programm einbinden und diese den Live-Versionen anpassen. Das wird für uns eine Mordsgaudi und für die Fans auch, dessen bin ich mir sicher. Denn nach so vielen Jahren ist man längst keine ‚Band’ mehr, sondern genießt schon eher Familienstatus. Man kotzt sich aus, vertraut sich Dinge an und schweigt über anderes. Man sucht Halt, findet Trost und das schweißt den Haufen bald noch mehr zusammen, als er es dies eh schon ist. Andererseits geht man sich nach Auftritten auch mal gerne aus dem Weg und mancher Besucher wundert sich über den schnellen Abgang der Gruppe in alle Richtungen, während der letzte Ton noch über die Lautsprecher hallt. Unser Standardspruch: ‚Fünf Streuner, sechs Richtungen’.“

Der weiterführende Gesprächsinhalt behandelte dann die interessante Thematik, wie sehr Die Streuner eigentlich über Deutschlands Grenzen hinaus weltweit erfolgreich sind. Man erfährt:

„Emmuty Records bekommt Bestellungen aus Ghana, Kanada, Frankreich, Indonesien, Luxemburg und aller Herren Länder. In China kann man uns downloaden; na, was für ein Wunder? In Russland natürlich auch. Ja, und in Deutschland auch. Mit Erfolg hat das wenig zu tun, eher mit Internetpiraterie. Es ist und bleibt zum Kotzen, denn viele verstehen einfach nicht, dass ein Dreiminutensong eben nicht in drei Minuten im Studio erstellt ist, sondern viel Geld kostet. Sehr viel Geld. Es ist den Wenigsten klar, dass Brennerei und Gratis-Downloaden dieser Musikwelt nicht nur schadet, sondern sie auch vernichtet.“

Individualist Romata kommt anschließend auch überhaupt nicht umhin, den geneigten Lesern noch einen idealen Tag zu schildern, den er selbst als überaus leidenschaftlicher Musikant persönlich sehr gerne erleben würde. Der kernige Musikanten-Kerl gerät nun sogar urplötzlich ins merklich beseelt entrückte Dauerschwärmen:

„Meine liebe Ulla weckt mich. Langsam, sanft und liebevoll. Sie setzt sich auf den Bettrand und beugt sich über mich und erzwingt meinen Blick in ihre Bluse, dessen Inhalt sich prall vor meinen Augen offenbart und ich muss mit dem Atem stocken. Den Rest der Geschichte findet man in anderen Magazinen. Jedenfalls ist das mein idealer Start für späteren täglichen Tatendrang jeglicher Hinsicht; egal was ansteht, wenn ich denn auch dazu komme“, gibt er träumerisch preis.

Unser guter Romata, kann er sich wohl vorstellen, auch noch in 30 Jahren ausgelassen auf der Bühne zu spielen?

„Die große Frage ist: Wer von den Fans dann noch lebt, der uns hören will ... oder besser gesagt kann? Für meinen Teil gilt: Da ich nicht mit einer Rente rechne, werde ich Musik machen und damit Geld verdienen wollen, bis ich mir die Radieschen von unten angucken muss.“

Und was genau erhofft sich der Mann so alles für sich und seine Spielleute vom kommenden Jahr 2011?

„Dass die Gesundheit anhält und die Benzinpreise nicht noch weiter steigen, denn der Staat drückt mit seiner Mineralsteuer allen Bürgern die Kehle zu und ohne Besucher werden wir Bühnenleute sehr bald ganz neuen Schwierigkeiten entgegen sehen.“

Letzte Worte an dieser Stelle an die Leser: „Liebe Leute: Ich gebe euch einen Spruch mit. Er ist von Konfuzius: ‚Pflege der Musik, das ist die Ausbildung der inneren Harmonie.’ Und ich sage dazu noch: Pflegt aber auch bitte den Kühlschrank derjenigen, die dafür sorgen und meidet das CD-Brennen, denn echte Künstler, die euch begeistern, brauchen kein Lob. Sie brauchen primär etwas zu Essen. Und wichtiger noch: Macht andere darauf aufmerksam, dass dieses unsägliche Brennen für uns kreative Köpfe eine Katastrophe ist. Danke.“

© Markus Eck, 15.05.2011

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