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Interview: CRAVING
Titel: Gezielt ausgebaute Weiterführung

Mittels ihrem gleichnamigen 2012er Debütalbum-Brocken errichteten Craving einen beachtlich stabil stehenden Grundstein für ihr weiteres Schaffen, auf welchen die Oldenburger Band kürzlich das zweite Langspielbollwerk „At Dawn“ aufbaute.

Und der russischstämmige Gitarrist und Sänger Ivan Chertov, der zweite Klampfer Thorsten Flecken, Bassist Leonid Rubinstein und Drummer Maik Schaffstädter erschufen ebenso große wie packende Melodic Black Death Metal-Momente. Auf „At Dawn“ präsentiert sich das eindeutig noch viel leidenschaftlicher gewordene Feuerquartett nämlich nicht nur spielkulturell und kompositorisch auf multiple Art verbessert.

Sondern Craving spielen sich auf diesem herrlich mitreißenden Impulsivdreher buchstäblich ständig das prall aufgeblähte Herz aus der spirituell so hungrigen Individualistenseele heraus, wie man dabei spannend erleben kann.

Den Hörer erwartet eine einstündige musikalische Achterbahnfahrt durch zehn individuelle Stücke, so Ivan.

„Von weich bis ganz hart ist alles dabei: Aus Death Metal-Passagen kann man unerwartet auf Chöre gelangen. Freunde des Hymnischen können sich auf epische und mitreißende Stücke freuen. Freunde des Schwarzen können sich auf die Schwärze freuen. Freunde des Traditionellen können sich auf die Soli freuen. So könnte ich jetzt die ganze Zeit weiter aufzählen.“

Das neue Material ist überraschend melodisch und griffig geworden.

„Ja, das was von Anfang an genau so beabsichtigt. Wir wollten vom Stil nicht abweichen. Zwar haben wir uns als Band weiter entwickelt, aber die Melodieführungen sollten dem Sound von Craving erhalten bleiben. Ich kenne einige Bands, die von ihrem Anfangsstil mit der Zeit sehr stark abgewichen sind, und das möchte ich bei Craving absolut nicht haben. Ich möchte unseren eigenen Stil eher weiterführen und ausbauen. Zum Beispiel Rotting Christ, Dimmu Borgir, Cradle Of Filth etc. gelingt es wie ich finde ganz gut.“

Danach befragt, wie es dazu kam, dass die neue Scheibe überhaupt so einen markanten qualitativen Sprung nach vorne mit sich bringt, konstatiert der Axeman:

„Das Ding ist, dass das Debütalbum an sich, wenn man das so betrachtet, in der Zeit von 2006 bis 2009 komponiert wurde. Zum Beispiel ,Revenge‘, der Song wurde von mir am 24.04.2006 erschaffen, ich war zu dem Zeitpunkt neunzehn Jahre alt. Die späteren Stücke wurden 2009 zu Ende komponiert. ,At Dawn‘ wurde jedoch vom erwachseneren und erfahreneren Ich erschaffen. So handelt es sich dabei um das Material von Ende 2011 und 2012. Außerdem wurde die CD von mir aufgenommen, was uns Zeit gelassen hat, um an den Details zu feilen. Man merkt zum Beispiel, dass der Gesang einiges an Abwechslung gewonnen hat. Hätten wir uns unter Zeitdruck in einem kommerziellem Studio befunden, wären solche detailreichen Arbeiten mit dem Budget, was wir hatten, nicht möglich gewesen.“

Er selbst erachtet die Abwechslung und die größer gewordene emotionale und kompositorische Tiefe des neuen Materials als die beiden allergrößten Stärken von „At Dawn“, wie Ivan konkretisiert. Mehr:

„Meine eigenen Kreationen werden eigentlich immer vielmehr durch das Leben an sich beeinflusst als durch die Kunst anderer, zumindest erlebe ich es so bei mir. Ich kann jetzt nicht für Leonid sprechen, seine Texte sind stellenweise tief philosophisch gehalten.“

Die Arbeit an „At Dawn“ hat sich ziemlich entspannt gestaltet, so der Craving-Frontmann im Weiteren.

„Es war sehr spannend dabei zu sehen, wie sich die Musik der Band entwickelt hat und was jedes einzelne Bandmitglied dieser Platte beigefügt hat. Das Endergebnis aus den Iguana Studios hat uns auf die Folter gespannt; wir wussten nicht was uns erwartet, denn Christoph ist dafür bekannt, den Produktionen seiner Band-Klienten immer einen ganz individuellen Stempel aufzudrücken.“

Worin er mittlerweile die ganz speziellen Kompetenzen seiner eigenen Band sieht, das ist für Ivan schwer zu sagen, wie er unumwunden offenbart.

„Wir sind halt eine Einheit und jeder hat seine Aufgabe in der Band, das ist wohl jetzt unsere Stärke. Wir spielen mittlerweile seit sechs Jahren mit Maik und seit fünf Jahren mit Thorsten, Leo ist erst seit 2012 dabei. Also werden sich die Stärken noch markanter herauskristallisieren. Ich bin vom jetzigem Line-Up aber jedenfalls sehr überzeugt. Und wir harmonieren gut bis sehr gut miteinander. Wir haben jede Menge Spaß zusammen und es ist jedes Mal eine Freude für mich, mit der Band unterwegs zu sein. Auf künstlerischer Ebene kann ich diesbezüglich nur von Leonid sprechen, denn leider ist es bisher zu keiner entsprechenden Kooperation mit Thorsten und Maik gekommen. Mit Leo hat es bisher gut geklappt, er liefert tolle Ideen an und hat sowohl die Fähigkeit, diese umzusetzen als auch zu arrangieren. Zum Beispiel die Gesangparts auf ,In die Nacht hinein‘ wurden von Ihm umarrangiert. Jedoch bin ich stets die letzte Instanz in Craving, was das Songwriting angeht.“

Apropos, das komplette Songwriting für „At Dawn“, bis auf den Song „Dance With The Wind“, den er mit Leon zusammen geschrieben hat, stammt allein aus seiner eigenen Feder, berichtet der Griffbrettschrubber anschließend.

„Die Musiker haben lediglich ihre Parts angepasst, Leo und Maik haben ihre jeweiligen Partituren umarrangiert. Die Texte der neuen Stücke stammen größtenteils von Leon oder von mir. Manchmal finde ich es zwar schwer, bestimmte Worte für irgendetwas zu finden, ich habe jedoch immer die Idee und die Struktur der Geschichte im Kopf, die ich erzählen möchte.“

Der weitere Dialog geht im aktuellen inhaltlichen Kontext dazu über, welche Themen für „At Dawn“ vertont wurden.

Aufgrund der Tatsache, so Ivan, dass man russische Dichter in Deutschland so gut wie gar nicht kennt, hat er sich bereits auf dem Debütalbum dafür entschieden, die Gedichte von Nikolay Stepanowich Gumilev zu benutzen.

„So befinden sich auch auf dem neuen Album wieder zwei entsprechende Texte, einmal der Opener ,Mik‘ und ,Olga‘. ,Olga‘ beschäftigt sich mit der slawischen Geschichte und erzählt die ,Vier Rachen‘ der Olga von Kiew. ,Mik‘ ist ein episches Gedicht, bestehend aus vier Teilen, von dem ich lediglich nur den ersten Teil benutze. Dabei geht es um einen Überfall auf ein Dorf in Afrika. Im weiteren Verlauf behandeln wir verschiedenste Themen. So wird zum Beispiel etwas recht Außergewöhnliches in unseren Texten besprochen, so handelt ,Sons Of The Rebellion‘ von Luke Skywalker und dem Angriff auf den Todesstern. ,Targaryen Wrath‘ handelt von der Protagonistin Daenerys Targaryen vom Geordge Martins Epos ,The Song Of Ice And Fire‘. ,In die Nacht hinein‘ wiederum ist die Vertonung eines Sturmes und ist einer Person gewidmet, die während der Aufnahmen nach einer tragischen und langen Krankheit verstorben ist. Der Text wurde von mir während eines Gewitters geschrieben und von Leo stark aufgewertet. Beim Lied ,Schwarze Flügel‘ handelt es sich um Leos deutsch getextete Interpretation zu meinem Text zu ,Hellraiser‘, es geht um seine Emotionen sowie um die Sklaverei und Ausnutzung der Gefühle anderer, verpackt in eine Dämonengeschichte. Gesungen wird das Stück von Agalaz von Obscurity. Die Musik basiert auf einem alten Song aus unseren ,Demo 2006‘-Zeiten, nämlich ,The Last Day‘. ,Dance With The Wind‘ ist ein Appell an die Freiheit des Geistes – man sollte seine Zeit nicht verschwenden. Ursprünglich war der Text als eine Art Aufruf gedacht, der die Menschen dazu bewegen soll, nicht ihre Verbindung zur Erde und der Natur zu vergessen, denn dies geschieht in den letzten 300 Jahren immer mehr. Lediglich nur der zweite Teil des Refrains handelt davon. ,Garden Of Bones‘ stammt musikalisch von der 2008er EP ,Revenge‘ und war uns zu schade um in Vergessenheit zu geraten. Lyrisch geht es um das Überleben in einer Wüste wo tagsüber Temperaturen von +40°C und nachts -30°C herrschen. Im Lied ,Breath After Breath‘, das zweisprachig verfasst wurde, geht es um das anlaufende Projekt 2045.com, es ist eine Art Protestsong gegen dieses verrückte und gleichzeitig so reale Projekt. ,Hellraiser‘ ist ein besonders persönlicher Titel, zu dem ich den Text nicht veröffentlichen möchte, es geht darin um vielschichtige persönliche Gefühle gegenüber verschiedenen Situationen.“

In letzter Zeit hat der bekennende Bücherliebhaber viele Novellen von Terry Pratchet oder Gebrüdern Strugatzki gelesen, wie er wissen lässt, aber auch Science Fiction von Clifford D. Simak. Die nachfolgende Frage, ob er denn jemals wieder ganz in Russland leben wollen würde, bringt ihm zunächst erstmal ein Stirnrunzeln aufs Antlitz.

„Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich und meine Familie haben zehn Jahre unseren Lebens dafür gekämpft um in Deutschland leben zu dürfen. Ich habe keinerlei deutsche oder jüdische Wurzeln und so ist es unglaublich schwer hier Halt zu finden. Trotz des akademischen Grades meines Vaters war es unglaublich schwer an eine Aufenthaltsgenehmigung zu kommen. Ich befinde mich seit 1998 in Deutschland und bekam erst 2005 ein dauerhaftes Visum. Davor waren es immer auf sechs bis acht Monate befristete Visen ohne eine Arbeitserlaubnis, was mir zum Beispiel untersagt hat, eine Ausbildung anzufangen. Erst elf Jahre nach meiner Einreise erhielt ich im Jahr 2009 deutsche Papiere. In Russland herrscht ein, sagen wir mal ,anderes System‘, was ich auch in Deutschland zu spüren bekommen habe. Ich kann mir nicht vorstellen, jetzt dort wieder zu leben. Wenn das Land es schafft, sich globalen Veränderungen zu öffnen und sich mehr um seine eigene Bevölkerung kümmert, dann werde ich es mir noch einmal überlegen. Zurzeit herrscht dort jedoch brutaler Kapitalismus, was den Spagat zwischen arm und reich um so heftig vergrößert. Keiner kümmert sich um die Armen, nur wenige sorgen für Verbesserung. Akademiker verdienen nichts, Lehrer verdienen nichts, Ärzte verdienen nichts, was dazu führt, dass gute Ärzte in private Kliniken flüchten, die für einen Normalverbraucher finanziell nicht möglich zu besuchen sind und Wissenschaftler auswandern. Außerdem wäre es, denke ich mal, wiederum auch recht schwierig für mich, wieder an die russische Staatsbürgerschaft ranzukommen.“

Welches für ihn seine wichtigste, liebste oder wertvollste (Metal)Platte ist, kann Ivan nicht minder schwer beantworten.

„Es ist immer eine sehr schwierige Frage, denn es gibt sehr viele wichtige Platten. Hier sind ein paar davon: Die ,Ocean Machines‘ von Devin Townsend zählt für mich zu den emotionalsten und insgesamt am meisten tiefgehenden Werken, die ich bisher in meinem Leben gehört habe. Erstaunlicherweise musste ich im Nachhinein feststellen, dass genau diese CD außergewöhnlich viele Anhänger speziell im gehobenem Metal-Bereich hat. Die ,Jaktens Tid‘ von Finntroll zählt für mich zu den wichtigsten Alben, da es das erste Mal war, dass ich diese einzigartige, wild gemischte Metal-Kombination mit fremdem Einfluss gehört habe. Für mich markiert die CD den Höhepunkt deren Karriere. Ebenfalls zu sogenannten zeitlosen Alben gehören für mich das Debütalbum von Wintersun, als auch diverse Cradle Of Filth-Platten. Ebenso ,The Number Of The Beast‘ von Iron Maiden, die Liste könnte so weiter gehen. Außerhalb des Metal-Genres zähle ich u.a. ,The Book Of Secrets‘ von Loreena McKennitt zu einem meiner Lieblingsalben.“

Ab zehnten Oktober ging es für Craving auf Tour zum neuen Album. Die vier Musiker waren dabei in Polen, Deutschland, Belgien und in Tschechien unterwegs.

„Aufgeregt war ich davor nicht. Denn wir proben regelmäßig und außerdem spielen wir die (Keyboard)Samples live mit ab, diese geben den Auftritten jetzt zusätzlich eine gewisse Tiefe. Wir waren zusammen mit Hell:on und Sinful aus der ehemaligen UDSSR unterwegs. Es war eine sehr gute Reise, doch leider viel zu kurz. Die zwei Wochen kamen mir vor wie zwei Tage. Neue Freundschaften wurden geschlossen, neue Erfahrungen gemacht! Mir persönlich hat die Zeit neben Deutschland natürlich auch in Tschechien sehr gut gefallen. Die Atmosphäre im Land ähnelte sehr derjenigen in Russland, die Menschen waren sehr offen und freundlich und das Bier preisgünstig. Die Zuschauer waren sehr extrovertiert und machten bei Auftritten als Publikum gut mit. In Mlada Boleslav haben wir in einem ehemaligem Weinkeller gespielt, der aus allen Nähten platzte, so voll war es dort. Wir würden sehr gerne wieder kommen, mal sehen was 2014 mit sich bringt.“

© Markus Eck, 28.11.2013

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