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Interview: CORVUS CORAX
Titel: Feierlich

Mit ihrer letzten Veröffentlichung „Sverker“ konnten die ebenso beliebten wie geschätzten ostdeutschen Spielleute 2011 breitenträchtig bestens abräumen. Und da damit nicht nur der Erfolg allein, sondern auch die Freude der Beteiligten am Befassen mit derlei altnordischer Thematik anstieg, widmen sich Corvus Corax auf dem im November erscheinenden Nachfolger „Gimlie“ einmal mehr historischen skandinavischen Sagen, Legenden und Überlieferungen.

Aus diesem Anlass luden die standhaften Berliner Originale für Dienstag, den 27. August bei bestem Wetter diverse Medienrepräsentanten in ihren in vielerlei Belangen kultigen Probekeller ein, welcher vor langer Zeit unweit des berühmten dortigen Alexanderplatz in die Erde gehauen wurde. Nebenan befindet sich das umfangreiche Instrumentenlager der Mittelalter-Formation nebst einer Werkstatt zum Bau derselbigen. 


Empfangen wurde ich auf Höhe Prenzlauer Berg erfreulich herzlich von Langzeit-Managerin Doro, Vokalist Castus und Perkussionist Norri Drescher. Kurz danach gesellte sich auch Gründungsmitglied und Sackpfeifer Wim dazu.

Obwohl die Gruppe erst kürzlich von einer sehr anstrengenden und enorm ereignisreichen Tour heimkehrte, die sie diesmal sogar auch nach Kanada führte, herrschte purer und unweigerlich ansteckender Positivismus vor.

Wer von seiner Reise hungrig oder durstig geworden war, der konnte sich an köstlicher Speis und kühlem Hopfentrank vor der Listening-Session ausgiebig den Wanst auffüllen.

Als schließlich gegen 18:00 Uhr der allergrößte Teil der geladenen Gäste vor Ort war, begab sich die Schar in das kleine Tonstudio der fidelen Rabenmusikanten.

Castus und Harmann positionierten sich nachfolgend vor dem Mischpult und hielten zusammen gewohnt charmant eine informative Einleitungsrede zum Inhalt von „Gimlie“. Zu hören gab es anschließend diverse Rough-Mixes der neuen Kompositionen, jeweilig kurz kommentiert von den beiden Musikanten. Alle Stücke waren zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht komplett im viel zitierten Kasten, aber einen guten Überblick über die neue Ausrichtung der Musik konnte man sich allemal machen.

So fällt mir gegenüber dem Vorgänger „Sverker“ auf, dass „Gimlie“ nicht mehr ganz so mystisch und düster, zeitgleich aufhellender, ja, gar feierlich auf den Hörer wirkt.

Die zuvor angeschlagene Stilistik wird indes vollauf beibehalten. 


Und wie Meister Castus, der neben beschwörenden und bezwingend mythisch erscheinenden Gesängen diesmal auch wieder für Dudelsack, Schalmei, Cister, Gjallarhorni und Urhorn verantwortlich zeichnet, im Weiteren noch zu erzählen weiß, täuscht den Autoren dieser Eindruck beileibe nicht.

„Schließlich steht der Titel ,Gimlie‘ für das goldene Zeitalter, welches in der nordischen Mythologie Ragnarök, dem Weltuntergang beziehungsweise dem Untergang der Götter nachfolgt. Nicht nur im entsprechenden Völuspá-Götterlied wird ,Gimlie‘ erwähnt, sondern auch die Kelten zelebrierten dieses Ereignis feuchtfröhlich, wie man als Kundiger weiß. So ein angenehmes Ereignis soll man natürlich sowieso unbedingt ausgelassen und munter feiern! Dementsprechend gestimmt haben wir uns auch ans Erarbeiten der neuen Lieder gemacht.“



Die Trackliste der von den weltweiten Fans bereits innig herbeigesehnten Scheibe wird ganze 13 Songs umfassen:

„Die Seherin (Völva)“, „Gimlie“, „Unicornis“, „Der Schrei“, „Königinnen werden ihr neiden“, „Derdriu“, „Grendel“, „Béowulf Is Mín Nama“, „Sigeléasne Sang“, „Intro Crenaid Brain“, „Crenaid Brain“, „Krummavísur“ und „Twilight Of The Thunder God“.

Letzterer ist überraschenderweise tatsächlich eine Coverversion der populären schwedischen Viking Death Metaller Amon Amarth!

Castus hierzu: „Wir trafen die Jungs 2012 auf dem SummerBreeze-Festival und verstanden uns auf Anhieb einfach prächtig mit ihnen, nicht zuletzt ja auch aufgrund der auf ,Sverker‘ verarbeiteten, ihnen bestens vertrauten Thematiken. So reifte der Entschluss bei uns, den Titeltrack ihres 2008er Albums ,Twilight Of The Thunder God‘ in typischer Corvus Corax-Manier nachzuspielen. Wir hatten wirklich sehr viel Spaß dabei und hoffen, das Lied kommt ebenso gut an bei den Leuten, sind aber doch eigentlich bester Dinge diesbezüglich.“

Vielen wird der Name „Gimlie“ ohnehin bekannt vorkommen, und zwar aus der berühmten „Herr der Ringe“-Trilogie.

Der stimm- und blasgewaltige Frontmann führt dazu mit schalkhaft gestimmter Miene aus:

„Tolkien hat sich für seine Ring-Bücher ja immer wieder sehr gern bei altnordischen Begriffen bedient. Bei ihm hat der so benannte bärtige Zwerg jedoch eine ganz andere Bedeutung als das, was wir auf unserem neuesten Studioalbum vertonen und besingen.“

…und lachend ziehen sie weiter
Mit ihrem neuesten Album „Gimlie“ verlassen die vielfach so gepriesenen Könige der Spielleute also die Düsternis des 2011er Vorgängers „Sverker“.

Und dies tun die stets immens spielfreudigen Berliner Mannen um Vokalist Castus mit der vollen Absicht, sich musikalisch nun in erhellend feierlichen Gefilden einzufinden.

Gleichgeblieben ist jedoch der thematische Hintergrund, der auch die neuen Lieder auf „Gimlie“ ganzheitlich mit Altnordischem ausfüllt.

So dreht sich das Ganze diesmal, gemäß dem wohlklingenden Titel der neuen Veröffentlichung, um das seit vielen Jahrhunderten überlieferte „goldene Zeitalter“. Letzteres folgt in der nordischen Mythologie bekanntlich dem sagenhaften „Ragnarök“ nach, also dem dort ehrfurchtsvoll beschriebenen Weltuntergang beziehungsweise dem Untergang der Götter.

Und dass „Gimlie“ damals auch von den kulturell bedeutenden Kelten ebenfalls überaus feuchtfröhlich abgefeiert wurde, bestärkte die weltweit beliebten Berliner Bühnenhelden für ihre neuen Kompositionen doch enorm.

Wie Frontmann und Sackpfeifenseele Castus frohgemut und munter weiter zu berichten weiß, reiste er im Vorfeld von „Gimlie“ erneut nach Island, um dort neben einigen Tagen verdienter Erholung auch mal wieder in seiner favorisierten Eigenschaft als passionierter Sprachenkundler tätig zu sein.

Der lockige Corvus Corax-Barde spricht dazu mit beeindruckend bestimmendem Tonfall:

„Ich besuchte dort meine gute Freundin Arndis Halla Asgeirsdottir, um mich mit ihr historischen Inhalten zu widmen. Sie wiederum verweilt auch oft hier bei uns in Berlin. Arndis ist Opernsängerin und die bekannte Stimme von ,Apassionata‘. [Europas populärste Unterhaltungsshow mit Pferden; A.d.A] Sie hat für ,Gimlie‘ ein Lied eingesungen, ,Krummavisur‘, übersetzt ,Der hungernde Rabe‘. Eigentlich wollte sie dieses Stück auf ihre Solo-CD packen. Arndis hatte uns als Trommelbegleitung im Sinn, was wir sofort freudig bejahten. Schnell merkten wir beim Befassen damit, dass wir die Nummer auch auf ,Gimlie‘ haben wollten. Als Sänger fungiere ich dabei auf unseren kommenden Konzerten, auch wenn ich nicht so eine goldene und wundervolle Stimme wie Arndis habe. [lacht] Live werden wir ,Krummavisur‘ wohl aller Voraussicht nach auch ohnehin nicht naturgetreu spielen, da der Song insgesamt auch extrem kompliziert zu instrumentieren beziehungsweise zu rhythmisieren ist.“

Es geht darin, so Castus angeregt weiter, um einen Raben, der in einer dunklen Lavaspalte sitzt und erbärmlich friert.

„Und großen Hunger verspürt er auch. Plötzlich findet der Vogel einen toten Widder und lädt alle seine Kumpels zu diesem für die Tiere so freudigen Festmahl ein. Die Melodie des Liedes ist sehr alt, über 500 Jahre. Ziemlich kompliziert ist allerdings der Rhythmus, der ständig krass wechselt. Wir sind im Zuge der intensiven Beschäftigung mit dem Stück interessanterweise dahinter gekommen, dass die Wikinger diese Melodie aus dem orientalischen Raum mitgebracht haben. Das Ganze klingt eben auch gar nicht typisch isländisch. Aber sowohl Musik als auch Inhalt sind schon so alt und wurden bis heute so lange überliefert, dass wir das Stück einfach machen mussten; nicht zuletzt, weil der Text für uns einfach nur noch perfekt passt.“

Als Gastmusiker tummeln sich auf dem neuen Album der hochidealistischen ostdeutschen Rabenmeute diesmal gleich eine ganze Menge an Protagonisten, wie von dem Urgestein der Mittelalterspielleute in Erfahrung zu bringen ist. Castus:

„Brandan von Cultus Ferox beispielsweise fand sich mit seinem Dudelsack ein, von der Band spielte auch Mario Korneck etwas auf seiner Davul ein. Oder Robert Beckmann von den Inchtabokatables ist zu nennen, der uns bei den Aufnahmen gerne mit seinem Fidelspiel beistand. Harfenklänge gibt es hingegen von der Holländerin Jennifer ,Jenny‘ Evans van der Harten zu hören, bekannt von Omnia. Drehleiertöne und Obertongesang steuerte der deutsche Lutz ,Lutzelot‘ Jahr bei. Die beiden Russinnen Katharina Kontorovich und Anastasia Kulaga konnten wir wiederum für gesangliche Beiträge gewinnen.“

Ein Novum stellt wohl die Tatsache dar, dass sogar der Münchner Musikverleger der Berliner Rabenmeute, Dr. Wolfram Sauter, mit seinem Pusterohr für „Gimlie“ sozusagen „quer flötete“.

„Er ist glücklicherweise auch ein guter Freund von uns geworden, was weit über das Geschäftliche hinaus geht. Im Gegensatz zu vielen anderen in seiner Branche ist er mit aufrichtigem Herzblut dabei und hat sich nicht nur dem ,Nehmen‘ verschrieben. Die Gema [Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte; A.d.A.] bezeichnet ihn sogar als ,Gema-Rebell‘. Zudem hat uns schon oft vor finanziellem Schaden bewahren können.“

Danach möchte Castus auch unbedingt Diarmuid Johnson aus Irland erwähnen, der die Spielmannstruppe für das neue Werk ebenfalls mit - typisch irischen - Spiel auf der Querflöte beglückte.

Besagter Ire, so die musikalisch ohnehin vielseitig interessierte Frontfigur von Corvus Corax personell etwas tiefer gehend, spielt sein traditionelles hölzernes Blasinstrument mit vollem Körpereinsatz. Der Sänger erläutert mit vollem Respekt im Tonfall:

„Man braucht als klassischer Querflötist schon eine ganze Menge an Luft dafür, da ist also wirklich sehr viel an Atemleistung vonnöten. Die meisten modernen Aufnahmestudios schneiden die Einschnaufgeräusche, die während des nicht wenig anstrengenden Spiels beim ständigen Luftholen entstehen, ganz einfach heraus - wir aber haben sie ganz bewusst genau so belassen, wie sie entstanden sind, damit sein Vortrag so authentisch wie möglich zu hören ist. Wir möchten und wir werden ganz sicherlich noch des Öfteren mit ihm zusammenarbeiten. Eventuell nehmen wir ihn sogar eines Tages mit auf Bühne.“

Und noch etwas zeichnet Diarmuid Johnson ganz erheblich aus. Er macht sich neben seiner musikalischen Betätigung nämlich auch noch als Wanderwissenschaftler für die Rettung der keltischen Sprache stark.

„Johnson tut damit etwas, was uns beide sehr eng verbindet. Ich habe ihn einst in Bonn kennengelernt und mittlerweile ist eine sehr schöne und innige Freundschaft zwischen uns entstanden. Er ist begeistert darüber, dass wir ebenfalls dazu beitragen, die keltische Sprache an sich zu retten. Zwar beschränkt sich dies bei Corvus Corax bislang nur auf die mittelhochkeltische und altkeltische Variante, der wir mit mittelhochgälischen und altgälischen Worten huldigen.“


Wie Castus preisgibt, ließ er sich für die Musik von „Gimlie“ einmal mehr teils arg gehen.

Was da genauer darunter zu verstehen ist, konkretisiert der mitteilungsfreudige Musikus auch gerne.

„Ich liebe es regelrecht, hier in unserem Kellerstudio regelrecht durchzudrehen, wenn ich meine Passagen ganz alleine und vor allem vollkommen unbeobachtet aufnehme. Dabei entstehen immer noch die am allermeisten beschwörenden Refrains. Ich ging das ab dem Tag sogar noch heftiger und inbrünstiger an, als Norri eines Tages im Zuge der Aufnahmen zu ,Sverker‘ nach dem Anhören zu mir mit einem breiten Grinsen sagte: ,Du kannst ruhig noch mehr übertreiben!‘ Ich war erstaunt, vollzog es letztlich künftig aber genau in der Weise und entdeckte, dass es mir so noch viel mehr Spaß macht. Also, dabei ganz frei zu sein, sich sozusagen völlig frei zu fühlen beim Singen. Und ich denke, genau das hört man sowohl auf ,Sverker‘ als auch auf ,Gimlie‘ deutlich heraus. Mehr noch, für ,Gimlie‘ wurde gar blanker Wahnsinn daraus! Und genau diese selbstvergessene Art des Vortrags lebe ich nicht zuletzt live auf der Bühne auch jedes Jahr mehr aus, was dementsprechend aufs Publikum überspringt, wie ich immer wieder erfreut bemerke.“



Mit bestens gestimmter Miene offenbart Castus auch noch, dass er und seine Mitmusikanten bereits bei den Auftritten zu „Sverker“ ohnehin regelrecht Theater auf der Bühne spielten.

„Es kommt schon ganz gewaltig bei den Leuten an, wenn ich beispielsweise mit meinem großen Kampfhorn auf den Brettern hin- und her renne und das gewaltige Ragnarök ankündige. Ich freue mich ohnehin schon beinahe übermächtig darauf, unsere neuen Lieder bei kommenden Konzerten mit Corvus Corax so inbrünstig als nur irgend möglich zu zelebrieren.“

© Markus Eck, 01.09.2013

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