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Interview: ATROCITY
Titel: Aus dunkelsten Kapiteln

Betont theatralisch, ausweitend episch und opulent arrangiert erheben die Baden-Württemberger Death Metal-Vorreiter die Songs des neuen Albums „Okkult II“.

Mittels cineastisch-monumentalen Passagen werden haufenweise überdimensionale Stimmungsbögen errichtet. Simultan schwenken Atrocity damit aber auch wieder schnurstracks auf kompromisslosen Old School Todesblei-Kurs ein.

Und die spezielle Symbiose ist ebenso originell wie effizient und wirkungsvoll. Letzteres generieren die Düsterdiener um Sänger, Mainman und Produzent Alexander Krull zudem mit gehörig impulsiven Thrash-Attacken.

„Wir bekommen gerade schon die ersten begeisterten Reaktionen auf das neue ‚Okkult II‘-Album, was uns natürlich sehr freut! Bereits die Feedbacks auf die Ende 2017 vorangegangene EP ‚Masters Of Darkness‘ waren fantastisch. Viele Fans freuen sich über unsere Melange aus Dunkelheit und Brutalität“, haut Frontmann Alex mit aller Freude raus.

Dem schließt sich Gitarrist und Bassist Thorsten ‚Tosso‘ Bauer nur zu gerne an.

„Es ist bei jedem neuen Album ein tolles Gefühl, wenn es nach langer und aufwändiger Arbeit endlich auf die Menschheit losgelassen wird. Von daher dominieren Freude, Stolz und Neugierde auf das Feedback der Fans. Die bisherigen Reaktionen sind auf jeden Fall schon mal absolut top.“

Alle vier Tracks der EP sind nun auch auf „Okkult II“ enthalten. Bequeme Wiederverwertung? Alex verneint überzeugt: „Wir haben neue Versionen mit unseren alten Weggefährten L-G Petrov von Entombed A.D. und dem ehemaligen Morgoth-Shouter Marc Grewe aufgenommen. Somit unterscheiden sich die neuen Versionen von denen auf der EP.“

Der Grundgedanke dahinter war, so der Sänger, auch durch den vollzogenen Wechsel der Plattenfirma bedingt. „Wir hatten ja zwischenzeitlich wieder bei unserem früherem Label Massacre Records unterschrieben. Und dort war man von dem neuen Material derart begeistert, dass die Idee aufkam, sofort eine 7“-Vinyl mit zwei Tracks herauszubringen! Diese Idee fanden wir genial, denn unsere erste und einzige 7“-Single war bis dato ‚Blue Blood‘ von 1989. Und so haben wir letztendlich ‚Masters Of Darkness‘ als 7“-Release als Two-Tracker und die EP als 4-Track-CD herausgebracht. Der perfekte Vorbote zum neuen ‚Okkult II‘ Werk.“

Die Zusammenarbeit für die Gastbeiträge des Kehlenboliden Lars Göran Petrov im Song ‚Devil's Covenant‘ und von Brüllwürfel Grewe in ‚Gates To Oblivion‘ war ein Wiederhören mit guten Freunden, lässt Alex mit nostalgischer Stimmung wissen.

„Wir kennen uns aus den ‚goldenen Tagen‘ des Death Metal-Undergrounds Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. 1989 waren wir mit Atrocity zusammen mit Morgoth, Autopsy und Pestilence auf Tour. Solange kenne ich Marc schon. L-G und Entombed habe ich 1990 erstmals nach Deutschland auf die ‚Support The Underground‘- Festivals mit Carcass, Atrocity, Pungent Stench etc. geholt. Die Festivals hatte ich selbst veranstaltet, und es waren mit die ersten Death Metal-Festivals auf internationaler Ebene und fanden in Deutschland, Frankreich und Belgien statt. L-G und die Entombed-Jungs waren uns sehr dankbar dafür. Marc und L-G waren auch beide auf unserer Atrocity-Film-Doku ‚Die gottlosen Jahre‘ mit dabei. Als wir sie nun gefragt hatten, ob sie als Gastsänger bei ‚Okkult II‘ dabei sein wollen, waren beide sofort mit voller Begeisterung dabei. Die Kooperationen sind auch richtig geil geworden!“

Aufgrund des aktuellen Plattentitels speziell auf seine besondere Faszination zum Okkultimus angesprochen, entgegnet der bullig shoutende Hüne mit interessiertem Antlitz: „Ich glaube, einen Hang zu geheimnisvollen, düsteren Geschichten und Themen gab es bei mir schon immer. Die Faszination für gewisse Literatur, Filme oder Schriften kennt bestimmt jeder, der sich dafür interessiert oder vielleicht Liebhaber von anderen spannenden und vielleicht nicht ganz so alltäglichen Dingen ist. Was man davon für sich rausziehen möchte oder ob man sich einfach aus dem Alltag in eine andere Welt ausklinken will, ist jedem selbst überlassen. Für unsere Arbeit als Künstler und Musiker ist es jedenfalls das perfekte Futter und zudem kann durch derartige Texte ein gewaltiges Kopfkino für unsere Hörer und Fans extremer Musik entstehen. Schon bei unserem ‚Blut‘-Album von 1994 mit seinem dunklem Vampirkonzept war es faszinierend, Recherchen in Transsilvanien, der Heimat meines Großvaters, anzustellen und tief in die Thematik einzutauchen. Später haben wir dort auch ein Musikvideo auf einem Spukschloss gedreht, das war eine einmalige Erfahrung. Spätestens bei den sehr umfangreichen Arbeiten zum ‚Atlantis‘-Konzept im Jahr 2004 gab es eine derartige Bandbreite von verschiedenen Quellen und Berührungspunkten, die von wissenschaftlicher, archäologischer Arbeit, mythologischen Sichtweisen über esoterisch angehauchte Theorien, obskuren Auslegungen von Okkultisten im Dritten Reich bis hin in die abgespacte Welt der Ufologie gegangen sind. Sodass ich mir dachte, das nächste Konzept muss über die Mysterien der Weltgeschichte und die dunkle Seite der Menschheit geschrieben werden. Und ein Album wäre dafür nicht genug. Deshalb die ‚Okkult‘-Trilogie!“

Auch rein musikalisch geht es oftmals so intensiv und druckvoll wie lange nicht mehr bei Atrocity ab. Tosso stimmt dazu motiviert ein:

„Wir hatten auf jeden Fall Bock auf eine düstere, brachiale Scheibe! Für mich als Gitarrist ist das Tolle und Herausfordernde dabei natürlich, möglichst viele geile Riffs abzuliefern. Ich glaube es sind allerlei Riffs und auch generell Refrains auf der Platte, die man nach dem Hören nicht mehr so schnell aus dem Kopf kriegt.“

Die Instrumentalsektion zieht auf „Okkult II“ sämtliche Register - immer wieder trifft brachiale Death Metal-Erdbeben-Manier auf furios-thrashige Ausbrüche … alles wurde gekonnt verzahnt und synchronisiert. Alex’ Resümee dazu: „Für mich ist das die perfekte Mischung! Gitarren-und Drum-technisch bleiben keine Wünsche offen! Bei den brutalen Gesangseinlagen habe ich auf Abwechslung Wert gelegt. Chöre, symphonische Elemente und die Horrorfilm-artigen Klänge sind perfekt in den harten Metal-Sound integriert. Mir persönlich gefällt dabei, dass wir es trotz aller Härte schaffen, richtig geile Songs zu schreiben, eine sehr düstere Atmosphäre erzeugen und diese okkulte Grundstimmung in den Songs transportiert wird.“

Dem ekstatisch Knallharten und verheerend Derben in den Kompositionen steht in oftmals drastischem Kontrast der cineastisch-monumentale (Choral)Bombast bei, den man beispielsweise aus so einigen, alten Hollywood-Bibelverfilmungen her kennt. 



Befragt, welche Inspirationen dazu zu nennen sind, und wie das mit heutiger Software kreiert wurde beziehungsweise wie anspruchsvoll bis schwerlich der Entstehungsprozess dieser Chöre und Arrangements lief, gibt Tosso zu Protokoll: 



„Wir wollten ganz bewußt eine düstere, bedrohliche Atmosphäre wie bei alten Horror-Filmen erzeugen. So einen Sound bekommst du nicht mit Software oder Computern hin, dazu braucht es echte Menschen und echte Chorstimmen. Du hörst also auf ‚Okkult‘, ‚Okkult II‘ und auch auf ‚Masters Of Darkness‘ echte Chorstimmen. Die Chorpassagen haben wir orientiert an Alex’ Gesangslinien geschrieben und verfaßt. Da wir unser eigenes Mastersound Studio haben, konnten wir auch hierin die Chöre aufnehmen, was in der Tat immer recht aufwändig ist, aber auch viel Spaß macht. Ich persönlich stehe auf Chorharmonien wie in Mozarts ‚Requiem‘ oder aber auch das georgische Chorstück ‚Zinskaro‘ welches auch in Werner Herzogs ‚Nosferatu‘ zu hören ist. Mit ‚Wagnerianischer Schwere‘ wurden Atrocity ja auch bereits zu ‚Todessehnsucht‘-Zeiten beschrieben.“

Der lyrische Gesamtkontext des neuen Werkes der Baden-Württemberger Schwermetall-Formation regt aufgrund seiner expliziten und bedeutungsschwangeren Botschaft zum tieferen Befassen damit an.

Das Dritte Reich, es scheint tatsächlich präsenter denn je, wenn man die unzähligen Dokumentationen darüber der Medienlandschaften vor Augen hat.

Und die derzeitige Entwicklung in Europa mit allerlei verblendeten Extremisten gibt leider erneut großen Anlass zur Sorge.

Wie gehen Atrocity damit um, lautet die Frage - mittels vollem Reinknien in die eigene Kunst, um von dem ganzen Irrsinn nicht mental runter gezogen zu werden?

Alex sagt darauf: „Wir zeigen mit unseren Songs die böse Fratze der Menschheit, den Spiegel der abgrundtiefen Bosheit. Kunst muss und soll nicht immer erklärt werden - die Wirkung und emotionale Erfahrung reicht manchmal schon ganz alleine aus, um zu begreifen worum es geht und sich vielleicht auch mit der Thematik näher zu beschäftigen. Sogenannte Randgruppen-Musiksparten wie Metal, Punk oder Gothic sind durchaus auch als Ventil und Gegenpol der globalisierten, gleichgeschalteten Ellenbogen-Gesellschaften zu verstehen. Natürlich geht es vorrangig um Musik, aber für viele Fans ist das mehr und auch eine Lebenseinstellung. Wenn man sich das alles heutzutage anschaut, fragt man sich wirklich, wer hier eigentlich völlig übergeschnappt ist: Der langhaarige Metal-Fan, der Szenen-Gruftie oder die politischen Eliten, die in ihrem Streben nach immer mehr Macht und Reichtum über Leichen gehen? Das ist ja nichts Neues, es wird nur immer offensichtlicher. Was in der Weltpolitik abgeht, ist quasi ‚Game Of Thrones in real life‘.“

Dazu befragt, wieso der Homo Sapiens eigentlich grundsätzlich zu Extremen neigt, bis hin zu monströs erschallender Todesmusik, und ob derlei Verhaltensmuster am Ende ein archaisches Überbleibsel in denen Genen aus der Steinzeit sind, gerät Alex ins Lachen.

„Gute Frage, vielleicht liegt es wirklich daran. Was die Musik und künstlerische Arbeit betrifft, habe ich damit kein Problem. Als Künstler ist natürlich immer der Reiz da, nach neuen und extremen Herausforderungen zu suchen. Gerade wenn man schon etwas länger dabei ist. Mit Atrocity haben wir wahrscheinlich deshalb so viele Grenzen überschritten und Extreme ausgelotet.“

Überaus spannend ist auch, was der Frontmann im Weiteren dazu berichtet, worum es thematisch in den neuen Songs auf „Okkult II“ geht und was den Urhebern dafür jeweils als Einfluss beziehungsweise Anregung in Form von Büchern, Dokus oder Filmen diente.

„1. ‚Masters Of Darkness‘:


Das Lied umschreibt den Wahnsinn und den Okkultismus im Dritten Reich: Menschenverachtende Ideologien, eine absurde Weltanschauung und Deutung der Weltgeschichte vereint als ‚Schwarzer Orden‘ der ‚Religion des Blutes‘ und dem Schwur auf die ‚Blutfahne‘.

2. ‚Shadowtaker‘:

Hier geht es um den Wiedergänger slawischer Prägung. Eine interessante Quelle ist von Karl Ferdinand von Schertz, der 1704 das Buch ‚Magia Posthuma‘ verfasst hat, und von unerklärlichen Vorfällen von Wiedergängern, die Menschen angreifen, berichtet. Die Opfer sterben innerhalb weniger Tage. 1732 sorgt ein Bericht über Vampirismus des Stabsarztes Johann Flückinger an den Wiener Hof für große Furore und befeuert das Interesse und den Glauben an die Existenz der Untoten. Eigentlich wurden derartige Untersuchungen über Vampirismus im Auftrag der habsburgischen Obrigkeit mit dem Ziel durchgeführt, dem ländlichen Aberglauben in den slawischen Gebieten den Gar auszumachen. 1755 ergeht sogar eigens dafür der sogenannte ‚Vampir Erlass‘ mit diversen Verboten unter Androhung von Strafen. Unter anderem wurde das Öffnen der Gräber, das Pfählen, Köpfen und Verbrennen von Leichnamen, die man für Wiedergänger gehalten hat, verboten und unter Strafe gestellt.

3. ‚Bloodshed And Triumph‘:

Den keltischen Druiden bescheinigt man hohes Ansehen, Zauberkräfte und Autorität. Die Magier gehörten zur Elite der keltischen Stämme und ihre Wahrsagungen hatten großes Gewicht bei den Stammesfürsten. Dafür brachten sie angeblich Menschenopfer in ihren Ritualen dar, und konnten durch einen Dolchstoss und den Todeszuckungen der Opfer die Zukunft deuten. Große Weidegeflechte symbolisierten ein Abbild der Götter, auch bekannt als ‚Wicker Man‘, und wurden mit lebenden Menschen gefüllt, die darin grausam geopfert und verbrannt wurden. Keltische Druiden sahen angeblich auch den Untergang Roms voraus.

4. ‚Spell Of Blood‘:

Magie mit Hilfe eines Blutzaubers wird mit alten Hexenkulten in Verbindung gebracht. Es heißt, Blut verleiht einem Zauber besondere Kraft. Die Anwendung der Blutmagie gab es bei Azteken, Druiden und völlig verschiedenen Kulturkreisen in der Menschheitsgeschichte. Der Song ‚Spell Of Blood‘ beschreibt einen Blutfluch, der mit Hilfe schwarzer Magie Verderben bringen soll.

5. ‚Menschenschlachthaus’:

‚Menschenschlachthaus‘ umschreibt den realen Horror des Ersten Weltkriegs auf Grundlage einer wahren Geschichte. Der deutsche Lehrer Wilhelm Lamszus hatte schon im Jahre 1912 über einen maschinellen Vernichtungskrieg bis ins Detail berichtet. Ein dunkle Prophezeiung, die grausame Realität werden sollte. Zwei Jahre später musste er selbst als Soldat in den Ersten Weltkrieg und wurde Zeuge seiner dunklen Visionen. Initiiert von den Mächtigen der Welt und ihrer Hetze wurden Hunderttausende im Schlamm der Schützengräben durch die moderne Kriegsmaschinerie dahingerafft.

6. ‚Gates To Oblivion‘ (feat. Marc Grewe):

Bei ‚Gates To Oblivion‘ geht es um das ‚Saeculum Obscurum‘, dem dunklen Jahrhundert des Vatikans und dem ‚Regiment der Huren‘ und ‚Pornokratie‘. Ein Sumpf aus Intrigen, Morden, Inzest, Ausschweifungen und Betrug. Die Mätressen übernahmen quasi die Macht im Vatikan. Marozia, Mätresse des Papstes Sergius III, stach dabei besonders hervor, sie sorgte durch Mord und Intrigen dafür, dass der Papststuhl an ihren Sohn Johannes XI und später auch ihren Enkel Johannes XII überging.

7. ‚Infernal Sabbath‘:

Die Geschichten von der ‚Kathedrale des Teufels‘, den Höhlen von Zugarramurdi im Baskenland, wo bis zum 17. Jahrhundert Hexenkult und Hexensabbate praktiziert worden sein sollen, hat mir Maite Itoiz (Elfenthal) als Inspirationsquelle für ‚Okkult II‘ ans Herz gelegt. Ein magischer Ort, an dem Ortsansässige in dieser Zeit ausschweifende, heidnische Riten und Feste unter dem Vorsitz des Teufels höchstpersönlich abgehalten haben sollen. Die Spanische Inquisition hat hier besonders hart und grausam zugeschlagen. Es wurden mehrere ‚Hexen‘ zum Tode verurteilt, ein Teil überlebte die ‚peinliche Befragung‘ nicht, und stattdessen wurden Puppen symbolisch hingerichtet und verbrannt.

8. ‚All Men Must Die‘:

Zur Zeit des 30-jährigen Krieges gab es eine Reihe von Prophetinnen, die Weissagungen machten. Sie hatten zum Teil sehr düstere Visionen, die sie ihren Mitmenschen teils unter eigenen Qualen und wiederkehrenden Paroxysmen mitteilten. Eine dieser ‚Besessenen‘ war Anna Fleischer aus Freyberg, die angeblich in Trance und über dem Boden schwebend, ihre Weissagungen machte.

9. ‚Phantom Ghost‘:

Ende des 19. Jahrhunderts und im Zuge der okkultistischen Bewegung der Moderne war die Blütezeit der Geisterbeschwörung. In einer sogenannten ‚Séance‘, Sitzungen, bei denen man die Seelen aus dem Jenseits beschwören wollte, kam man bei geheimen Treffen in verdunkelten Räumen zusammen, um dem Schauspiel beizuwohnen. Ein ‚Medium‘ sollte die Verstorbenen im Jenseits erreichen. Levitationen und sich von allein bewegende Gegenstände, Stimmen aus dem Jenseits oder Erscheinungen galten als besondere Attraktionen. Viele Scharlatane mischten sich dabei unter das Volk, und zum Teil wurden im Nachgang die Geschehnisse als Täuschungen und billige Tricks entlarvt. Allerdings nicht alle Sitzungen sind bis heute vollkommen erklärbar. Jeder, der vielleicht selbst übersinnliche Erfahrungen gemacht hat, die man nicht erklären kann, weiß wovon ich spreche.

10. ‚Devil's Covenant‘ (feat. LG Petrov):

Gilles de Rais gilt als einer der unbarmherzigsten und brutalsten Massenmörder aller Zeiten. Einst war er ein gottesfürchtiger Adliger, großer Feldherr und Waffenbruder von der Jungfrau von Orleans, Jeanne d’Arc. Nach ihrer Hinrichtung verprasste er sein Vermögen und driftete in eine sadistische, bizarre Welt des Schreckens ab. Er versuchte durch satanistische Rituale, Geisterbeschwörungen und Alchemie wieder zu Reichtum zu gelangen. Gleichzeitig führte er eine Abordnung von Kirchenmännern in seinem Gefolge mit sich. Er und seine Kumpanen ermordeten und folterten zahllose Kinder, die er von seinen Dienern aus den Dörfern seiner Untertanen entführen ließ. Auf bestialische Art und Weise und im Blutrausch wurde er zu einem reuelosen Monster und veranstaltete ‚Schönheitswettbewerbe‘ mit geschminkten, abgeschlagenen Kinderköpfen. Vor seiner Verurteilung zum Tode, hielt er eine perfide Ansprache, in dem er Eltern dazu aufforderte, besser auf ihre Kinder aufzupassen.

11. ‚The Golden Dawn‘:

Hierbei geht es um den magischen Geheimbund ‚Hermetic Order Of The Golden Dawn‘. Die Grundlage des Ordens waren die Schriften und Lehren des ‚Cipher Manuscripts‘ und dessen beinhaltenden Ritualskizzen. Die angebliche Quelle dafür war eine gewisse Anna Sprengel aus Nürnberg, Mitglied der Rosenkreuzer Bewegung. Ihre wahre Existenz ist aber eher unwahrscheinlich. Die Geheimgesellschaft des Golden Dawn wurde Ende des 19. Jahrhunderts in England gegründet und wurde durch prominente Mitglieder wie Aleister Crowley weltweit bekannt.“

„Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen“, sagte vor langer Zeit ein weiser Geist. Dekadenz, Hass, Gier, Krieg, Zerstörung … Wiederaufbau, Besinnung, Aufstieg, Dekadenz etc. - es hört einfach nie auf. Liegt da ein schlimmer Fluch auf der Menschheit, Alex?


„Wenn man sich den Text von ‚Menschenschlachthaus‘ des neuen Albums genau anschaut, geht es auch um die verdorbene Moral und die von Menschenhand gemachte Apokalypse unter dem Deckmantel des Heldentodes. Es scheint tatsächlich ein Teufelskreis zu sein, in dem sich das Rad des Todes und der Selbstzerstörung der Menschheit immer wieder aufs Neue ins Verderben dreht. Das Schlimme dabei ist, die Waffen zur Vernichtung werden immer unvorstellbarer. Massenvernichtungswaffen mit nicht absehbaren Folgen in den Händen von größenwahnsinnigen Politikern, die in Korruptionen verstrickt sind – das ist tatsächlich zur Realität geworden, und keine Horrorvision mehr.“

Kann jemand wie Alex überhaupt noch richtig abschalten, nachdem er sich so sehr über Monate mit derartigen, schlimmen Themen auseinandergesetzt hat, werden sich viele fragen.


Der legt hierzu dar: „Es gibt zum Teil schon schwerverdauliche Kost, wie beim Song ‚Devil's Covenant‘. Klar, das ist starker Tobak. Andererseits können wir als Metal-Band Themen anpacken, an die sich kein Pop Act herantrauen würde. Gleichzeitig ist es auch eine Art von Ansporn, die krassesten Geschichten ausfindig zu machen, und textlich zu verarbeiten. In so verschiedenartige, dunkle und mystische Thematiken einzutauchen kommt fast schon einer abenteuerlichen Expedition gleich, bei der man immer wieder neue Entdeckungen macht. Für unsere extreme Art von Kunstform gibt das für mich viel mehr her, als beispielsweise reine Fantasy-Texte zu schreiben.“

‚Worldwide misery is a business model’ … die offenkundig okkult verschworenen ‚Eliten' verdienen sich jährlich dumm, dümmer und dämlicher an all den globalen Waffenverkäufen, während dieselben $-Wahnsinnigen ständig zu allerlei Spenden für Kriegsopfer und gegen die Nöte sogenannter ‚Dritte Welt-Länder‘ aufrufen. Die Frage lautet: Warum durchschauen das so wenige auf dieser Welt?

Alex wirkt bei dem Thema sehr nachdenklich. „Ohne hier großartig politisch werden zu wollen: Es scheint wirklich so, dass wohl keiner derjenigen, die genügend Einfluss und Macht besitzen würden, ein ernsthaftes Interesse daran zu haben scheint, etwas an dieser Schieflage zu ändern. Viele Menschen in der sogenannten ‚westlichen Welt‘ sind täglich selbst einem enormen Alltagsstress, beruflichem und finanziellem Druck ausgesetzt, und kämpfen deshalb um ihre eigene Existenz. Das wirtschaftliche Gefälle auch innerhalb unserer westlichen Gesellschaft ist vollkommen aus dem Ruder geraten. Eine riesige Schere von Arm und Reich klafft in der gesamten Welt auseinander. Das ferngesteuerte Finanzwesen ist nur auf Eigeninteresse und Profit gepolt. Ein Menschenleben zählt eigentlich nichts, solange man es nicht finanziell ausbeuten kann. Das ist die bittere Wahrheit.“

Freimaurer, Illuminaten, Zionisten, Bilderberger, etc. - man kann den Eindruck gewinnen, dass Vieles davon absichtlich und arglistig ins gesellschaftlich-mediale Geschehen geworfen wird, damit sich all die Neugierigen, Wissens- und Wahrheitshungrigen, anstatt echte Erkenntnis zu erlangen, erst recht wütend und hetzend darüber streiten, wer der wahrhafteste Untergangs-Prophet unter den sogenannten ‚Verschwörungstheoretikern‘ ist.

Wie sieht Alex den Kontext - siegt 'Divide Et Imperae‘ einfach immer nach altbewährtem Rezept?

„‚Divide Et Imperae‘ wäre ein guter Song-Titel fürs nächste Album! Ja, es scheint so, als ob Schreckgespenster der Propaganda und Ängste zu schüren mehr denn je als politische Waffe funktioniert, um die Völker der Erde zu spalten. Angst ist schon immer ein probates und perfides Mittel gewesen, um die Bevölkerung aufzuhetzen, sie zu kontrollieren und machtpolitisch zu mißbrauchen. Unser erster Song und das erste Demo hieß übrigens ‚Instigators‘ (Hetzer), unser ursprünglicher Bandname war ‚Instigator‘. Wie ein roter Faden zieht sich diese Seuche der Verblendung, der Intrigen und der Korruption bis heute durch die Weltgeschichte. Ablenkungsmanöver oder taktische Komplotte inmitten von allgegenwärtiger Digitalisierung und globalem Medienzirkus. Man fragt sich wirklich, wie kann das sein? Es werden uns wirtschaftliche Untergangsszenarien vorgegaukelt, obwohl die Konzerne immer größere Profite einfahren, politische Revolutionen werden vorgespielt, mal werden Agenten um die Ecke gebracht - verseucht oder vergiftet - und Länder zündeln deswegen am Weltfrieden. Mal kehrt ein totgesagter Spion am Tag nach seiner angeblichen Ermordung zurück auf die TV-Bildschirme und erklärt, alles war nur eine Täuschung. Unfassbar. Trotzdem, oder erst recht, sollte man sich die Freude an Musik, Kunst und Lebensstil nicht nehmen lassen!“

Neuronale Konditionierung auf bedenklichem, omnipräsentem Erfolgskurs - die (Breaking)News der Meinungsmacher haben fatal-große Wirkung. Tosso nickt: „Das ist in der Tat so. Wenn man bedenkt, daß die deutsche Zeitungs- und Medienlandschaft von einer Hand voll alteingesessener Familien beherrscht wird, muß man das mit der Meinungs- und Pressefreiheit zumindest kritisch hinterfragen. Letzten Endes sollte man darauf achten, neugierig auf verschiedene und unterschiedliche Sichtweisen und sachliche Diskussionen zu sein, damit man nicht zum medienbombardierten Meinungszombie mutiert. Allein so ein Wort wie ‚Influencer‘ ist ja ein Zeichen der Zeit. In diesem Sinne gilt der gute alte Ausspruch aus der Aufklärung: ‚Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen‘!“

Der weitere Austausch mit Tosso thematisiert den gedanklichen Ansatz, wie Atrocity als altgediente Veteranen-Truppe den heftigen Wandel der Musik(Industrie) mittels digitaler Neuerungen etc. in Sachen Abverkäufe, (Künstler)Rechte-Wahrnehmung usw. erlebt.


„Ich bin froh, noch in einer Zeit aufgewachsen zu sein, als man sich Musik intensiv angehört hat und sehnlichst auf das neueste Werk seiner Lieblingsbands gewartet hat. Heute wird Musik weniger als Wert sondern als jederzeit zugängliche Ware gesehen. Wir haben versucht, dieser Entwicklung mit unserer ‚Okkult Treasure Hunt‘-Aktion entgegen zu wirken. Bei jedem Album der ‚Okkult’-Trilogie wird ein Song, den nicht einmal wir selbst mehr besitzen auf einer goldenen CD an einem geheimen Ort versteckt. Die Fans müssen sich so quasi auf die Suche begeben. Ziemlich geil, was?“

Atrocity genießen trotz oder gerade wegen der mutigen, stilistischen Experimente das seltene Privileg, sich auf treue Fans stützen zu können, die seit dem Debütalbum eng an der Seite der Formation stehen.

Alex gerät bei dem Thema geradezu in enthusiastische Wallung:

„Absolut! Wir haben ja zuletzt weltweit getourt und viele Fans in Lateinamerika, Asien, USA, Kanada, Europa oder bei der 70.000 Tons Of Metal-Cruise getroffen. Und es gab da einige, die uns von Beginn an verfolgen beziehungsweise unsere Werke von A bis Z verfolgt haben. Wir erlebten auf Tour sehr berührende Momente, die man nicht so schnell vergisst. Als wir das erste Mal in Puerto Rico, El Salvador oder Guatemala gespielt haben, trafen wir Fans der ersten Stunde, die seit Anfang der 90er auf einen Live-Auftritt von Atrocity gewartet haben. Da flossen Tränen, als sie uns gesehen und getroffen haben. Und wenn in Chile oder Mexico der komplette Live-Club austickt, das ist magisch und Gänsehaut pur.“

So passt der Bandname nun auch wieder so richtig zur Musik. Und wie Tosso zu den Gothic- und Symphonic Metal-Ausflügen der Vergangenheit sagt, standen Atrocity schon immer auf das Element ‚Gefährlichkeit‘ in der eigenen Musik.

„Dazu gehört eben auch beispielsweise, nicht so zu klingen wie alle anderen Bands. Als wir Alben wie ‚Die Liebe‘, ‚Calling The Rain‘ oder auch ‚Werk 80‘ herausgebracht haben, gab es ja solche Definitionen oder Szenen wie ‚Gothic Metal‘ oder ‚Symphonic Metal‘ noch überhaupt nicht. Ich glaube, wir waren auch die erste Metalband, die zum Beispiel beim Wave-Gotik-Treffen aufgetreten ist. Von daher sind wir sehr stolz auf diese musikalischen Abenteuerreisen im Grenzbereich, die damals sicher auch für andere Bands Türen geöffnet haben. Diese Alben sind auch Ausdruck unserer Liebe zur Musik generell, die wir immer mit Herz und Bauchgefühl angehen, anstatt zu sehr auf andere Bands, Trends oder Strömungen zu achten.“

Die erste „Okkult“-Scheibe und auch die ‚Masters Of Darkness‘-EP waren sehr hilfreich, so fügt der Axeman an, um ganz genau zu wissen, wohin die Reise auf dem neuen Album gehen soll.

„Deswegen gab es im Songwriting auch recht wenig ‚Ausschussware‘. Sondern nahezu alles aus dem Kreativ- und Songwritingprozess hat es auf das Album geschafft. Die Stärke dieses Albums ist wahrscheinlich genau das, wie fokussiert und auf den Punkt gebracht alles geschrieben und umgesetzt wurde.“

Bei der Fragestellung, wie die Atrocity-Fans ihre Band-Lieblinge auf der Bühne bei kommenden Gigs erleben werden - eventuell sogar in gespenstischen Gasmasken und schwarzen Uniformen? -, gerät Alex in lachende Haltung.


„Das wäre tatsächlich eine gute Idee! Wir werden definitiv eine Energie-geladene Performance mit ein paar Specials auf die Bretter zaubern. Für unsere Release Show beim Sunstorm Open Air haben wir jedenfalls schon unsere Vampir-Ladies mit am Start. Wir freuen uns auf die kommenden Liveshows und Erlebnisse!“

© Markus Eck, 13.06.2018

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