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Interview: ANOMALIE
Titel: In einer anderen Welt

Dass bei einem derartigen Bandnamen und der auserkorenen Schwarzmetallstilistik eigentlich einzig obskurer und schroffer, verstörend-unheimlicher Ausbruchssound entstehen kann, darf erwartet werden. Die durchdachte Läuterungsmusik der im November 2018 veröffentlichten EP „Integra“ verwehrt sich jedoch erfolgreich vorschnellem Abwinken, mit dem die Urheber unreflektiert in die Gummizelle des Genres gesteckt werden sollen.

Schließlich kultivieren Anomalie ihren hymnisch aufwühlenden Atmospheric Black Metal nicht nur mit grimmiger Inbrunst, sondern pflegen auch allerlei sakral beseelende Momente mit einem Übermaß an Andersliebe.

„Ehrlich gesagt gab es nie einen bewussten Grund Musik zu machen, es fühlt sich einfach richtig an, mich auf diesem Weg auszudrücken, da meine Talente sicherlich am stärksten in der Klangbildung verwurzelt sind, anders als beispielsweise visuelle Künstler. ‚Intensiv‘ trifft den Nagel wohl auch ziemlich gut auf den Kopf, jedoch muss ich bei bei ‚stockdunkel’ und ‚kalt’ doch etwas widersprechen, da Feuer und Licht immer wieder zentrale Themen meines aktuellen Schaffens sind“, konstatiert Multiinstrumentalist und Vokalist Christian ‚Marrok‘ Brauch.

Der Name Anomalie stammt noch aus seiner Schulzeit, als der niederösterreichische Freigeist nach einem Überbegriff für dieses anfängliche Nebenprojekt suchte.

Und er macht keinen Hehl daraus, dass ihn und seine beiden Sessionmusiker, Drummer Lukas Schlintl sowie Tieftöner Thomas Dornig, nicht gerade ein kuschelig gesinntes, gesellschaftliches Dazugehörigkeitsgefühl eint.

„Auch wenn sich seither quasi alles verändert hat, passt das Wort immer noch sehr gut zu unserem Standpunkt innerhalb der modernen Gesellschaft. Ich könnte über dieses Thema seitenlang ausschweifen. Kurz formuliert verbinde ich heutzutage den Bandnamen mit der Kernaussage, dass es für jeden Einzelnen essenziell ist, sich abseits der hirnlosen Massenbewegungen unserer Mitmenschen mit gesundem Menschenverstand einen eigenen Weg zu bilden. Dieses Ideal konsequent umzusetzen ist eine harte und lange Herausforderung und erfordert ein großes Maß an Disziplin und Überzeugung, die daraus resultierende Unabhängigkeit und Freiheit ist im Gegenzug jedoch ein unbezahlbar wertvoller Preis!“

Die Zusammenarbeit für das aktuelle Werk „Integra“ lobt der Mann als reibungslos. „Nachdem ich diesmal auch den Bass selbst eingespielt habe, war neben Produzent Markus Stock nur mein Schlagzeuger Lukas Schlintl mit mir im Studio. Wir kennen uns alle nun schon einige Jahre und sind ein eingespieltes Team. Es war eine sehr entspannte und gleichzeitig fokussierte Produktion, in der ich mich ohne Ablenkungen völlig auf den Kreativfluss der Aufnahmen konzentrieren konnte.“

Als künstlerisches Hauptziel nennt er, seinen eigenen, immer höher werdenden Ansprüchen gerecht zu werden.

„Mir kommt es sozusagen auf die kompromisslose Umsetzung meiner musikalischen Identität an, nicht mehr und nicht weniger. Jede Veröffentlichung von Anomalie ist eine völlig authentische Momentaufnahme meines künstlerischen Ausdrucks und gemessen an meinen Vorstellungen jeweils das absolut Beste was ich zu diesem Zeitpunkt imstande war zu leisten.“

Die vier Songs auf „Integra“ sind bereits innerhalb weniger Wochen nach dem Abschluss des im 2017er März veröffentlichten Albums „Visions“ entstanden, so Marrok, und haben für ihn emotional einen starken Zusammenhang.

„Die Überlegung, daraus ein volles Album zu machen, war vorhanden. Ich folgte jedoch meinem Bauchgefühl und entschied mich, die Tracks als EP in der nun bekannten Form zu veröffentlichen. Als jemand, der noch nie ein Demo, eine EP oder einen Split-Release heraus gebracht hat, war ich sehr gespannt zu beobachten, wie Fans und Presse auf solch eine Kurzveröffentlichung reagieren.“

Als jemand, für den Anomalie schubladentechnisch überaus gerne komplett im Abseits steht, erträgt der Vielseitige mit seiner Kunst den Term ‚Post Black Metal‘ nur schwer. Und sein Gesicht wirkt wie versteinert, als er darüber spricht.

„Ich kann das mittlerweile echt nicht mehr sehen, da kein Mensch weiß, was man davon überhaupt noch erwarten kann. Die Musikpresse steckt in diese Kategorie doch alles mit rein, wovon sie nicht weiß, wo genau es eigentlich stilistisch platziert werden muss - unter anderem zum Beispiel spezielle Bands wie Alcest, Lantlôs oder Deafheaven. Soweit so gut, die genannten drei sind zwar schon recht unterschiedlich, aber immerhin noch vergleichbar. Doch was haben nun diese Acts beispielsweise mit Anomalie gemeinsam? Musikalisch gibt es bedingt Überschneidungen, wie zu vielen anderen Stilen auch, doch inhaltlich und ästhetisch liegen wir ganze Welten auseinander. Natürlich mag ich manche Bands die berechtigt unter dieser Bezeichnung vermarktet werden, doch mit Typen, die als völlige Quereinsteiger ohne jeglichen Sinn für die Materie wie aus dem Nichts heraus Black Metal in Uni-Mensen imitieren, möchte ich mit meinem Schaffen einfach nicht in einen Topf geworfen werden!“

Die Gründung der Band vollzog sich im Jahr 2011. Marrok bilanziert auf Anfrage den Werdegang des Songwritings bis heute:

„Die Art und Weise Songstrukturen zu schreiben ist technisch immer noch sehr ähnlich. Seit damals hat sich jedoch im Endergebnis und in der inhaltlichen Herangehensweise, so denke ich, sehr deutlich enorm viel getan. Mein Output aus frühen Jahren lässt sich nur noch äußerst bedingt mit dem vergleichen was Anomalie anno 2018 ist.“

Die aktuelle Bandbesetzung zeichnet sich primär durch Hingabe und Effektivität aus, so ist nachfolgend zu erfahren. „Wir haben quasi ein dreistufiges Line-Up, in dem jeder seine Position und seine Aufgaben klar kennt und mit viel Herz und Einsatz erfüllt. Im kreativen Bereich ist Anomalie immer noch mein Alleingang. Bei Antritt im Studio ist bereits jeder Ton geschrieben. Mein Schlagzeuger und mein Bassist verstehen es dann sehr gut, den Songs durch ihre Spielweise noch weiteres Leben einzuhauchen. Ich bin sehr froh darüber, so fähige Freunde an meiner Seite zu haben. Live konzentriere ich mich gerne vollkommen auf die Umsetzung der Vocals, wodurch ich für Konzerte noch drei ausgezeichnete Gitarristen im Boot habe. Und da wir seit 2015 nun bereits vier Europatourneen gemeinsam bestritten haben, ist das interne Gefüge heutzutage auch stärker denn je!“

Die geneigten Hörer bekommen laut Einschätzung Marroks mit der neuen Platte grundsätzlich die kompromisslose Umsetzung seiner eigenen musikalischen Identität geboten.

„Nicht mehr und nicht weniger. Jede Veröffentlichung von Anomalie ist eine völlig authentische Momentaufnahme meines künstlerischen Ausdrucks. Und dies gemessen an meinen Vorstellungen, jeweils das absolut Beste zu geben, was ich zu diesem Zeitpunkt imstande war zu leisten.“

Jedes Lied für sich auf dem neuen Werk „Integra“ versetzt ihn sofort in einen unbeschreiblichen metaphysischen Zustand, so offenbart der Mann.

„Manche Songs sind sehr an spezielle Orte gebunden, andere an Personen oder Erlebnisse. Ich kann hier keinen Song spezifisch hervorheben, da am Ende nur das Material veröffentlicht wird, welches mich in der ein oder anderen Form tief bewegt. Und somit hat jeder Track seine eigene lange Hintergrundgeschichte.“

Befragt, ob Bühnenauftritte dann von seiner Band als vergeistigte Live-Rituale zelebriert werden, lässt den Frontmann ein wenig distanzierter wirken.

„Ich bin heutzutage mit solchen Begriffen ziemlich vorsichtig, da es zur unguten Gewohnheit vieler wurde, mit derartigen Ausdrücken unglaublich inflationär umzugehen. Im Kontext deiner Frage stimme ich dir jedoch schon zu, denn ein gewisser meditativer Ablauf direkt vor einer Show ist für mich stets Teil der Sache. Und während eines Auftritts lässt sich unser mentaler Zustand wohl kaum mit irgendeiner anderen Lebenssituation vergleichen.“

Die aktuelle EP ist für Marrok abgeschlossen, so sagt er.

„Und ‚Integra' ist damit ein weiterer, zufrieden stellender Teil meiner Laufbahn. Was andere Menschen damit machen, habe ich nicht unter Kontrolle. Aber ich freue mich natürlich über jeden, der sich die Zeit nimmt, sich mit ‚Integra‘ auseinanderzusetzen! Ich arbeite gerade am nächsten Album und bereite parallel eine sehr spezielle Live-Show vor, die wir in absehbarer Zeit zu besonderen Anlässen umsetzen werden. Nach außen wird 2019 allerdings sicherlich ein ruhigeres Jahr, nicht jedoch hinter den Kulissen!“


© Markus Eck, 19.12.2018

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