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Interview: AD INFINITUM
Titel: Route: Individuell • Kompass: Selbstreflexion • Wunschziel: Unverfälschte Intentionen

Vieles werden sich diese auch live immer populärer gewordenen Schweizer zu ihrem neuen Album „Abyss“ anhören, vorwerfen und gefallen lassen müssen - doch eines garantiert nicht: Nämlich, dass sie sich selbst wiederholen!

Besagter fünfter Langspieler zeigt die außerordentlich anspruchsvolle Formation um Sängerin Melissa Bonny nämlich in einer ziemlich markanten Wandlung, welche die Allerwenigsten so dermaßen tief ausgeprägt erwartet haben dürften. 



Obligatorische Symphonic-Metal-Elemente wie Streicher hatten das Nachsehen, wofür allerlei - teils sogar trendpoppigen - Modern- und selbst Extreme-Metal-Fragmenten dafür der kreative Vorzug gegeben wurde. Auch und vor allem gesanglich wird damit für viel Überraschungen gesorgt werden.

Gitarrist Adrian Thessenvitz berichtet in bemerkenswert offener, merklich gelassener Besonnenheit über die vollzogene Entwicklung seit dem 2023er Albumvorgänger „Chapter III - Downfall“.

„Unser ‚Bruch‘ mit den symphonischen Elementen war - auch mit angestiegener zeitlicher Distanz zum aktuellen Songwriting sehe ich das ganz klar so - im eigentlichen Sinne nicht bewusst durchgeführt worden. Wir bemerkten einfach unleugbar immer noch deutlicher, dass wir so gar keine Lust auf ‚Geigen-draufkleistern’ in uns verspürten, ohne den eigentlichen Sinn dahinter zu hinterfragen bzw. uns selbst zu fragen: ‚Ist das nun wirklich ein Plus für den Sound oder die generelle Ästhetik des Klangbildes?‘. So überdachten wir den Kontext nachfolgend komplett, während wir uns völlig einig waren darin, es künftig nur noch so zu machen wie zuvor wenn es für einen Song dann auch wirklich ein eindeutiger Zugewinn ist. ‚Symphonische Elemente um der symphonischen Elemente willen‘ ist doch ehrlich gesagt eine verdammt unmusikalische Entscheidung und damit für meinen Geschmack insgesamt auch viel zu gleichförmig.“



Und wie sich herausstellen sollte, vermisste niemand in Ad Infinitum nach der Produktion von ‚Abyss‘ die Geigen etc. Adrian:

„Wir stiegen ja komplett auf Synthesizer und moderne Gestaltungsmittel um, was auch nach finaler Fertigstellung der Lieder die absolut vollständige Zustimmung der kompletten Bandbesetzung bekam. Ich kann also nun offiziell sagen: Ad Infinitum sind definitiv ‚weg‘ von dem Sound der ersten drei Alben.“



Er selbst hörte sich über die Jahre eher wenig an aus der Stilistik Symphonic Metal, so lässt Adrian verlauten. „Wenn, dann späte Within Temptation. Ich selbst komme geschmacklich ohnehin aus einer ziemlich anderen ‚Ecke‘ und habe für Ad Infinitum das, was ich so alles in mir fühlte und verspürte, in Riffs umgesetzt, bevor die Streicher-Arrangements da draufgelegt wurden - das war gewissermaßen so eine Konzeptentscheidung, aus der wir aber eben herausgewachsen sind, was ich sofort unterstützt habe. Ich hörte beispielsweise immer schon gerne Bands wie Beartooth und feiere die Richtung ab, in welche sie sich weiterentwickelten - dass es nun nicht mehr so depressive Texte bei ihnen gibt, soll mir doch nur recht sein. Es ging bei denen irgendwann voll in die ‚Powerman-Richtung‘ - und ich finde es nur geil, wenn man da auch voll als Band dahintersteht. Für Musiker ist es doch eigentlich das Größte, aus einem ‚Moment-in-time‘ mit einem Lied berichten zu können und dies aus einer völlig realen Perspektive heraus! So hörten wir viel von Bad Omens und erwähnten Bring Me The Horizons, als wir die Songs für ‚Abyss‘ schrieben - und fühlten uns eben richtig wohl dabei.“



Dennoch stürzten sich die vier wandelbaren Eidgenossen beileibe nicht kopfüber in die neuen Dimensionen, wie zu erfahren ist. „Wir haben uns bewusst mehr Zeit als bisher gelassen. So gab es diesmal zwei jeweils einwöchige ‚Songwriting-Camps‘ - wobei im Vorfeld entschieden wurde, jeden einzelnen Song in gänzlich gemeinschaftlicher Vorgehensweise zu erstellen. Vorher war der Prozess ja viel mehr ‚remote‘-mäßig, soll heißen, wir sendeten uns die einzelnen Parts der Songs vielfach über das Internet hin und her und arbeiten individuell daran weiter etc. Auch gab es früher noch Zweierteams bei uns, welche zunächst die Grundzüge einer Kompositionen erarbeiteten, um dies dann für die Weiterarbeit als Basis vorzubereiten.“



Diese Heran- und Vorgehensweise erwies sich tatsächlich als weniger effizient, fßhrte letztlich aber, und darauf kam es den Machern an, so Adrian, dass schlßssigere Ergebnisse erzielt werden konnten.

„Vor allem erschufen wir damit Material, mit dem man sich auch gerne auf der Bühne zeigt, um es mal so zu sagen.“



Was nun die Erwartungshaltung in dem Quartett auf die dementsprechend polarisierten Reaktionen von Fans und Followern weltweit angeht, diese ist interessanterweise nicht ganz so entspannt wie bei dem Gitarristen.

„Ja, ein Teil der Band nimmt das schon deutlich anders als ich, aber das ist ganz natürlich so, es sind ja vier Menschen mit eigenem Kopf. Dabei denke ich vor allem die kommende Single ‚Surrender‘ die ja quasi ein einminütiges Synthwave-Intro hat. Ich selbst habe total ‚Bock‘ auf die zu erwartenden Kontroversen. Klar werden sich dabei vor allem die sogenannten ‚True-Metalheads‘ empört abwenden, aber auch bestimmt nicht wenige Sympho-Lover - was mich allerdings nicht im Geringsten (ver)stört. Wer unsere Musik nur dann wirklich hören will, wenn Geigen-Layer über Metal-Parts geklatscht werden, ist geschmacklich nicht offen genug für Ad Infinitum 2024, eindeutig. Ich persönlich empfinde und schätze es geradehin als Reichtum, wenn man als Künstler mit vielen verschiedenen, gerne auch total differierenden Dingen, Einflüssen etc. eine kreative Verbindung aufzunehmen und einzugehen imstande ist - im besten Falle entsteht dabei sogar eine richtig emotionale Verschmelzung.“



Egal was es nun ist, so offenbart Adrian weiter, er kann Dua Lipa genauso abfeiern wie einen Song von Bring Me The Horizon. „Das weiß mein Dasein einfach ungemein zu bereichern. Dann enttäuschte bis verärgerte Kommentare im Netz zu lesen wie in etwa ‚Boah, da sind ja nun keine Streicher mehr dabei!‘, das ist schon irritierend. Ich denke, man hört diese Streicher ja ohnehin nicht so explizit heraus in dem Metal-Brett, aber wer es auf seinem ‚schmalen Tellerrand’ unbedingt so sehen will, der soll. Ich finde es dagegen total fein, wenn jemand schreibt, dass er unseren neuen Sound respektiert, da aber nicht mehr mitgehen mag und künftig viel lieber die ersten Alben hört.“

Adrian bringt es nachfolgend auf den Punkt: „Für uns als Band ist es eindeutig das Wichtigste geworden über die Jahre, dass wir uns von unserer authentischsten Seite präsentieren können - denn nur dann ist auch eine ehrliche Bühnenperformance möglich. Und nur dann ist man als Band auch möglichst nachhaltig aufgestellt für die Zukunft. Es stauen sich in so einer Aufstellung dann auch keine unterdrückten Gefühle auf, die an bestimmten Punkten bekanntlich in den Leuten explodieren á la ‚… das war ja eigentlich sowieso noch nie so richtig meine Musik …’ - was für eine Band im schlimmsten Falle dann ja sogar das endgültige Aus bedeuten kann.“ 



Derart unverdrossen freigeschaufelt von allem möglichen Druck und Bedenken, lässt der geistig so offene Saitenschrubber dann puren Positivismus nachfolgen: „Ich weiß intuitiv, dass, wenn uns unsere neue Musik gut gefällt, es dann automatisch auch da draußen so einige Leute gibt, denen die Lieder ebenso gut zusagen werden. Ich werden jedenfalls mit Ad Infinitas den aktuellen Weg entschlossen und frohen Mutes genau so weitergehen. Genau genommen sind wir nämlich auf der Spur nach etwas Neuem für uns selbst.“

Š Markus Eck, 10.09.2024

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