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Interview: TRISTANIA
Titel: Organische Komplexität

Mit ihrem 1998 erschienenen Debütalbum „Widow´s Weeds“ etablierten sich diese Norweger schlagartig unter den besten Gothic Metal-Bands der Welt. Zwei Jahre zuvor in Stavanger von Keyboarder Einar Moen sowie Sänger und Gitarrist Morten Veland gegründet, verzückte das Sextett um die berühmte Goldkehle Vibeke Stene unzählige Hörerherzen im Weiteren mit ebenso symphonischem wie opulent arrangiertem Material.

Als 1999 das zweite Album „Beyond The Veil“ folgte, überschlugen sich sowohl zahlreiche Anhänger als auch etliche Rezensenten beinahe vor Lob über dieses famose Zauberwerk an atmosphärischem und verträumtem Gotikstahl. Umjubelte Konzertreisen waren die Folge, Tristania waren von einer breiten Öffentlichkeit fokussierte Genrestars geworden. Doch gesellten sich indessen leider auch massive künstlerische als auch zwischenmenschliche Unstimmigkeiten innerhalb der Band dazu. Die infolgedessen gegen Ende 2000 vollzogene Trennung von Maincomposer Veland zog so einige Veränderungen nach sich, welche sich auch stilistisch niederschlugen, wie der 2001er Langspieler „World Of Glass“ offenbarte.

Während „World Of Glass“ aufgrund erstmals defizitärer kompositorischer Qualitäten bei vielen Tristania-Fans glattweg durchfiel, nahm sich Veland neuen Mut und gründete Sirenia. Tristania zogen sich daraufhin zurück und pausierten erstmal. Veland veröffentlichte im selben Jahr mit dem Debütalbum „At Sixes And Sevens“ eine gehörig begeisternde Scheibe, deren Inhalt genau da weitermachte, wo seine Vorgängerband 1999 aufhörte.

Auch mit dem superben Nachfolger „An Elixir For Existence“ bewies Veland einmal mehr, wozu er fähig ist. In neuer Siebenerbesetzung melden sich nun auch Tristania nach Jahren endlich wieder auf der Bildfläche zurück. Das vierte Album „Ashes“ ist mit dabei, ein auf weiten Klangstrecken auffallend ruhig und besinnlich segelnder Silberdiskus. Auf ihrer 2004er Europatournee mit Therion präsentierten Tristania vor der eigentlichen Albumveröffentlichung bereits zwei Kompositionen von „Ashes“, nämlich „Libre“ und „Equilibrium“.

Ich besuchte die Band am neunten November bei ihrem Münchner Gig im New Backstage:

„Momentan sind wir etwas müde, da unser Tourbus irgendwo ein Loch oder eine Öffnung zu haben scheint, wo Feuchtigkeit reinkommt und wir aufgrund der so entstandenen Kühle nicht ganz so gut geschlafen haben letzte Nacht. Ich hoffe, das Problem wird schnellstens gelöst. Ansonsten läuft die Tour wirklich bestens, wir haben eine Menge Spaß dabei. Das auffallend positive Feedback der Besucher trotz unserer längeren Pause lohnt unsere Mühen und gibt uns Kraft für neue Taten. Morgen Abend spielen wir in Italien, genauer gesagt in Milano, worauf wir uns ebenfalls schon riesig freuen. Es fühlt sich verdammt gut an, zurück zu sein“, berichtet mir Anders Høyvik Hidle aus betont lässiger Sitzhaltung heraus, seines Zeichens langjähriger Gitarrist und Hauptkomponist bei Tristania.

Seiner Meinung nach war die angesprochene Pause viel zu lang, wie er mir weiter offenbart: „Nach dem Release von `World Of Glass` tourten wir immens viel um den Erdball, das zehrte ganz ordentlich an Nerven und Konstitution aller Bandmitglieder. Irgendwann beschlossen wir, uns eine verdiente Pause zu gönnen und uns in aller nötigen Ruhe auf das nächste Album zu konzentrieren – dass dann nach der Trennung von Morten und den damit einhergegangenen Schwierigkeiten ganze drei Jahre draus wurden, konnte keiner ahnen.“

Böses Blut herrscht jedoch nicht vor, wie in Erfahrung zu bringen war: „Einige aus der Band haben noch Kontakt mit Morten. Wie es aussieht, hat er ziemlichen Erfolg mit Sirenia. Wir wünschen ihm jedenfalls das Allerbeste dafür.“

Wie groß der Erfolg für „Ashes“ werden wird, darauf sind alle schon sehr gespannt, gibt Anders vor. Der blonde Gitarrist nimmt aufrechte Haltung ein bei diesem Thema:

„Ich selbst finde es äußerst schwierig, unsere neue Musik zu kategorisieren bzw. in ein bestehendes Genre einzuordnen. Ich schrieb die neuen Songs zusammen mit unserem Keyboarder Einar, fertig ausgearbeitet und komplett arrangiert haben wir sie jedoch in Gemeinschaft. Diese Prozedere basierte primär auf Gitarrenriffs und Keyboardlinien, welche jeweilig als Grundgerüste verwendet wurden. Vollends ausgearbeitet haben wir unsere neuen Lieder ganz speziell mit den drei Vokalisten Vibeke, Østen Bergøy und Kjetil Ingebrethsen. So zeichnet Kjetil für all die extremen Gesänge auf `Ashes` verantwortlich, während Østen sich der melodischen Vokalisierung annimmt.“

Die Verwendung von drei Mikrofon-Akteuren entstand aus der ursprünglichen Idee heraus, den Songs ganz individuelle Gesichter zu verpassen, wie Anders dazu noch anfügt.

Für die diesmalig neu angefallenen Klangspektren macht mein Gegenüber primär die Einwirkung seines breit gefächerten Musikgeschmacks verantwortlich. Anders hierzu, merkliche lange schluckend:

„Ich höre mir von Tom Waits bis hin zu Black Metal fast alles gerne an. Alle Elemente daraus wurden von mir verarbeitet. So ist es wie gesagt überaus schwer für mich, unsere neuen Lieder auf `Ashes` mit adäquater Beschreibung darzustellen. Fakt ist, dass ich persönlich sehr glücklich mit unserem aktuellen Werk bin. Es hört sich definitiv wie Tristania an, jedoch auf eine gänzlich neue Art und Weise, mit einer völlig neuen Direktive.“

Seiner Auffassung nach ist „Ashes“ um einiges direkter und aggressiver als der Sound der vergangenen Tage. Dieses Statement mutet doch recht überraschend an, schließlich mag der eine oder andere Hörer das exakte Gegenteil für das neue Album konstatieren. Ich bat Anders darum, deutlicher zu werden:

„Wir haben viele neue Elemente verbaut, die um einiges mehr auf den Punkt kommen, als dies früher bei Tristania noch der Fall war. Außerdem legten wir sehr großen Wert darauf, dass `Ashes` ein in erster Linie auf Gitarren basierendes Album wird. Aus diesem Grund wechselten wir diesmal erstmals auch den Produzenten und das Studio. Anstatt Terje Refsnes im französischen SoundSuite nahm sich nun Børge Finstad in den norwegischen TopRoom Studios unserer Lieder an. Hier nahmen bereits Bands wie Vintersorg, Mayhem, Borknagar und auch Extol ihre Platten auf. Wir waren uns im Verlauf des Kompositionsprozesses ziemlich schnell sicher, dass die neuen Tracks einen anderen Produzenten benötigen würden. Schließlich ist `Ashes` unser bisher dynamischstes Stück Musik“, beteuert der Blondschopf.

Dynamisch wie nie zuvor? Das musste er explizieren, denn ich stellte das exakte Gegenteil seiner Behauptung in den Backstage-Raum. „OK, dass kann durchaus sein. Ich bin auch vollauf überzeugt davon, dass man mich in diesem Punkt erst nach einigen Hördurchläufen von `Ashes` so richtig versteht. Mann sollte hierbei beachten, dass die Produktionen sowohl für `Beyond The Veil` als auch `World Of Glass` jedes Mal sehr statisch aufgebaut war, was diesmal eine gänzlich andere Richtung einnahm. `Ashes` ist unser bisher komplexestes und auch organischstes Werk, daher mag es schon eine Weile dauern, bis man vollends damit vertraut ist. Letztendlich ist es aber natürlich auch eine Geschmacksfrage, soviel steht fest.“

Und genau diese Geschmacksfrage wird entscheiden, wem der größere Erfolg beschieden sein wird:

„Tristania und Sirenia sind nun auch stilistisch zwei völlig verschiedene Bands, da ist es doch ganz natürlich, dass sich zwei Lager von Anhänger bilden werden. Für uns als Gruppe war es schon immer von bedeutender Relevanz, eine ganz natürliche und unverkrampfte Entwicklung aufweisen zu können. Ich denke in diesem Zusammenhang sogar, dass `Widow´s Weeds` und `Beyond The Veil`, obwohl typisch Tristania, als zwei ganz verschiedene Alben zu sehen sind, die nicht soviel miteinander gemeinsam haben, als gemeinhin noch immer angenommen wird.“

Der modifizierte Gesamtsound sowie die Songs auf „World Of Glass“ geben ihm da nur Recht. Anders knüpft an:

„Ganz natürlich und künstlerisch individuell zu bleiben, das ist und war uns allen wie erwähnt überaus wichtig. Das ist mit der Hauptgrund, warum `Ashes` sich soweit von unseren früheren Sachen entfernt zeigt. Schließlich waren nicht umsonst mit der Zeit vollkommen verschieden gewordene Zukunftsvorstellungen, was die stilistische Ausrichtung von Tristania anbelangt, damals der vordergründige Trennungsgrund von Morten. In welche musikalische Richtung er genau gehen wollte, hört man ja heute mit Sirenia nur zu deutlich. Das kam für uns jedoch überhaupt nicht in Frage, denn wir wollten alles andere machen als uns zu wiederholen.“ Das erklärt so einiges.

Der Albumtitel „Ashes“ steht laut Aussage des Gitarristen für den Komplettinhalt des Comeback-Werkes. Er resümiert:

„Als wir Anfang Juli 2004 von den Aufnahme-Sessions heimkehrten und endlich das fertig aufgenommen Album in unseren Händen hielten, die Lieder anhörten und uns die Texte erneut durch den Kopf gehen ließen, fragten wir uns nach einem repräsentativen Titel für die Scheibe. Einem vor allem einprägsamen Titel, der aber auch auf ganz eigene Weise gleichzeitig den gesamten Albuminhalt bestmöglich aufsummiert.“

Und das neue Logo-Design von Tristania passt perfekt zur Albumtitulierung, findet Anders. „Auch das Frontcover sowie das Booklet-Layout wurde in Übereinstimmung dazu kreiert. Alles wurde, so wie ich hinsichtlich der neuen Songs bereits erwähnte, betont organisch gehalten, um abschließend eine einheitliche und geschmackvolle Gesamtheit zu erreichen. Wir sind dem Designer, einem jungen und talentierten Landsmann von uns namens Christian Ruud, allesamt sehr dankbar für seine gute Arbeit, die er geliefert hat. Denn seine Illustrationen im CD-Booklet treffen das Auge, genau wie unsere Musik das Ohr, schnell und ohne Umschweife.“

Ihren neuen Plattenvertrag wählten die jetzt einer allgemein riesengroßen Erwartungshaltung ausgesetzten Norweger Gothic Metaller dagegen in aller Ruhe aus einer Vielzahl von Offerten aus, wie mir Anders noch mit recht gelassenem Tonfall, nicht ohne Stolz in der Stimme, berichten kann:

„Geld spielte dabei die letzte Rolle. Für unser altes Label Napalm Records hatten wir den Vertrag erfüllt, nach drei veröffentlichten Alben waren wir frei. Die Wahl für die neue Plattenfirma Steamhammer fiel dabei genau auf dasjenige Label, welches uns das meiste und ehrlichste Interesse entgegenbrachte. Wir fühlen uns dort jetzt in einer werbetechnisch sehr vorteilhaften Position, denn von unserer Sorte haben die eigentlich sonst nichts unter Vertrag stehen. Was wiederum beweist, dass Steamhammer wirklich großes Interesse an uns haben.“

© Markus Eck, 14.11.2004

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