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Interview: CULTUS FEROX
Titel: Spielmanns-Piraterie

Diese verdammt aufmüpfigen Berliner Haudegen zählen exakt zu denjenigen Formationen aus der Ecke der Mittelaltermusik, welche bei ihren Anhängern als ebenso künstlerisch aufrichtig wie auch ideell gefestigt anhaltend beliebt sind.

Ende 2002 würfelten die Beteiligten ihre kreativen Geschicke zusammen, heraus kam der pfiffige Haufen mit Namen Cultus Ferox.

Und was sich aus dem Lateinischen übersetzt als „wilde Lebensart“ offenbart, das wird von dem in jüngerer Zeit nicht selten kernig rockenden Spielmannstrupp auf musikalische Weise nicht minder ausgelassen und zügellos zelebriert.

Teils scheinen die Sackpfeifen gar platzen zu wollen, so heftig werden sie bei diesen spielfreudigen Piratenseelen in die Pflicht genommen. Piratenseelen? Ja, ganz richtig gelesen, denn die aus ehemaligen Musikanten von Corvus Corax, Tanzwut, Fabula Aetatis und Wolgemut bestehende Meute um ihren Anführer Brandanarius musiziert seit einiger Zeit schon im gefürchteten Zeichen der Totenkopf-Flagge.

„Geht so! Könnte besser laufen“, beantwortet Sackpfeifer, Klampfer und Barde Brandanarius die Frage nach seinem Befinden. Der Überzeugungstäter, der mit seiner Rotte laut eigener Aussage momentan noch mitten in den Arbeiten zu einem in absehbarer Zeit kommenden und bis vor wenigen Tagen noch unbetitelten Langspieler steckt, nennt mir gleich auch noch Gründe für seinen latenten Missmut:

„Da die Mittelaltermarktgruppen heutzutage nur noch aus drei Spielleuten bestehen, und den Veranstaltern nichts daran liegt den Strom abzuschalten, um dann wieder mit Fackelschein und mehreren Dudelsackspielern Radau zu machen, haben wir es sehr schwer bestehen zu können. Es gibt ja nur noch eine Handvoll an guten Veranstaltern, die sich wirklich darum bemühen, gute Bedingungen zu schaffen. Und genau dort können wir dann so sein, wie wir sind: Ausgelassen, trinkfreudig und hoffentlich unterhaltsam. Das Volk weiß das zu würdigen, also braucht man keine Beschallungsanlage um einen Marktplatz zu bespielen, sondern einfach nur eine kräftige Spielmannsgruppe.“

Wir sprachen anschließend darüber, wie Cultus Ferox eigentlich auf den Dreh mit dem Piraten-Ding gekommen sind beziehungsweise welche Grundidee dahinter steckt. Der ewige Spielmann bilanziert in aller Entschlossenheit:

„Ich war schon früher Pirat … und einmal Pirat, immer Pirat. Johnny Depp hat ja nicht das Piratendasein erfunden, aber war auch schon als Kind Pirat und hat Sir Francis Drake bewundert oder die Schatzinsel als Lieblingsbuch auserkoren. Unser erster Fototermin als Großgruppe Cultus Ferox war an der Ostsee, wo auch sonst? Und meine Anfänge in der Folklorezeit waren auch durch das Piratentum geprägt. Ich bin auch durch meine Mutter, welche die historischen Aufführungen in Ralswiek mitgespielt hat, ein großer Fan von Klaus Störtebeker geworden und habe mich total aufgeregt über die beschissene deutsche Verfilmung, in der geredet wird wie in einer Teenie-Soap! Warum haben die mich nicht gefragt? Dann hätte ich denen gerne das Drehbuch umgeschrieben. So sind die Johnny Depp-Piratenfilme allesamt jetzt schon Kult für mich und sie werden es auch noch für unsere Kinder und Enkel bleiben. Eine Grundidee? Das ist bei uns der Gedanke, sich allem widersetzen zu wollen und unser Leben so zu führen, wie wir denken, dass es gut so ist. Wir selbst bräuchten die meisten Regierungsämter gar nicht. Die machen das Volk arm. Also endlich weg damit und einfach an den guten alten Kodex halten, sage ich!“

Das Cultus Ferox-Logo hat den Wolf in sich. Fühlen sich diese Berliner Spielleute also als Wölfe unter den Piraten? Brandanarius konstatiert sprunghaft:

„Mir gefällt das sehr gut so. Die Idee dazu kam beim Biertrinken mit Brian von Fabula. Der Wolf bei uns steht aber nicht für den ganzen neumodischen Vampirwahn, sondern für eine Art Rudelverhalten. Es gibt immer einen Leitwolf, der aber auch weg gebissen werden kann, wenn ein jüngerer Rudelführer einen besseren Plan hat, Nahrung zu organisieren. Und letztlich klappt die Jagd aber nur, wenn alle zusammen halten. Das ist für uns der tiefere Sinn des Logos.“

Der angeregte Dialog bewegte sich im Weiteren in Richtung des weltweiten Historienmusik-Genres und worin beziehungsweise in welcher Position mein Gesprächspartner Cultus Ferox inmitten des Ganzen sieht. Er raunzt:

„Wenn man das rein instrumentell betrachtet, sind die Schotten mit ihrer militär-exakten Spielweise oder die Bulgaren, Rumänen mit ihrer Blubbertechnik meilenweit voraus. Ich sehe das Ganze aber musikalisch, und darin sind alle Spielmannsgruppen in Deutschland bemüht, Melodien zu spielen, die man sich merken kann, oder die ein Mittelaltermarkt-Fan noch am Feuer pfeifen kann. Genau das ist glaube ich unser weltweiter Auftrag: Cultus Ferox sieht sich da nämlich selbst dabei, ein paar Tänze mit in die Runde zu werfen. Ich bin stolz darauf, dass auch schon einige unserer Werke von anderen Gruppen gespielt werden. Dies manchmal zwar ohne uns vorher zu fragen - Stichwort: Anstand -, aber man bekommt dann und wann auch mal einen Humpen Met dafür ausgegeben oder ein Schulterklopfen. Was mir noch sehr wichtig ist, ist, dass gerade aus der alten DDR-Punkszene heraus eben diese doch sehr deftige Bühnenpräsentation bei uns entstanden ist. Beides zusammen ergibt genau diese eine neue Musikrichtung und die kommt aus Deutschland. Das ist doch herrlich, oder?“

Und wie es gegenwärtig aussieht, wird gute handgemachte Mittelalter-Musik auch weiterhin in unserem Land erfolgreich sein. Meister Brandanarius zeigt sich hierzu voller Freude:

„Ja, gut so, denn da wir durch zwei Weltkriege viel an alter Kultur verloren haben, können wir versuchen, durch die Musik unseren alten Göttern ein wenig näher zu kommen, ohne dass das gleich immer so einen rechtsradikalen Anstrich hat. Leider muss ich in vielen Mittelaltergruppen feststellen, dass der Dudelsack häufig nur für Geld gespielt wird und nicht aus Überzeugung. Das macht mir Sorgen. Wir Spielleute der alten Generation haben also noch viel zu vermitteln und müssen mit der Jugend etwas Geduld haben, um nicht zu belehren, sondern einfach nur Navigator-mäßig alles auf einen guten Kurs zu bringen.“

Wir zwei gingen nachfolgend dazu über, was genau die geneigten Hörer auf musikalischer Ebene auf dem kommenden Cultus Ferox-Album erwartet.

„Zu Hören werden ein paar versteckte Botschaften sein und neue Refrains zum mitsingen. [lacht scherzhaft] Wir brauchten neue Stücke für unser Rock-Programm. Also mussten Tänze erstmal hinten anstehen. Musikalische Einflüsse sind da nicht zu erkennen, da wir ja selber Einfluss nehmen wollen. Also ist unsere Art und Weise geblieben und die Lieder sind wie immer erstmal ungewohnt. Sie können aber bedenkenlos bei ‚Naseweis’ am Met-Stand, aber auch im Club gespielt werden.“

Mich interessierte dazu, wie hoch insgesamt Cultus Ferox ihre künstlerischen Ziele als Komponisten für das kommende Albumwerk „Beutezug“ angelegt hatten. Und sieht Oberpirat Brandanarius diese Ziele nun aktuell erfüllt? Der Kerl bläst die Backen auf:

„Das ist eine schwierige Frage, die ich so gar nicht beantworten möchte. Strahli hat immer sein Aufnahmegerät dabei und macht für seine Band mitten auf einer Veranstaltung ein Lied, oder spielt ein Klavier in einer Kapelle, was durch die Kreuzbögen ganz anders klingt als zu Hause. Boosi ist nur am rumrotieren und übt Schlagzeug für eine andere Gruppe. Babs hat jetzt ihre erste Aufnahme alleine gemacht, Rudi ist mit seinen Skeptikern unterwegs und ich habe das nächste Balladenalbum in Planung. Teufelchen ist damit beschäftigt, die anderen Straßenmusiker vom Alexanderplatz zu vertreiben und Nastie verdingt sich ab und zu in anderen Tanztempeln. Ich will damit sagen, dass wir alle keine Zeit haben über eine künstlerische Erfüllung nachzudenken. Ich glaube die Freude nach einem guten Marktkonzert überwiegt dann. Wenn’s richtig geknallt, alles gestimmt hat, wenn wieder mal einer von der Bühne gefallen ist und wenn wir leuchtende Augen bei den Fans sehen, dann sind wir glücklich und erfüllt.“

Cultus Ferox stehen, so der Berliner, mit der kommenden Veröffentlichung „Beutezug“ zeitlich ohnehin sehr weit hinten an.

„Da wir uns personell neu aufgestellt haben, gab’s ne Menge zu tun, um auf der Bühne klar zu kommen. Das hat alles viel Kraft gekostet, aber wir sind jetzt für die kommenden Live-Schlachten bereit. Das hat Zeit geraubt, so dass ich abergläubischerweise nicht über die kommende Plattenproduktion rede. Wenn die endlich fertig ist, dann frage noch mal, da dann alle lockerer sind. Ein paar Textauszüge sind ja jedenfalls schon bekannt wie beispielsweise ‚Verstoßen, Verrufen, Gefürchtet, Verwegen’ aus dem Lied ‚Ahoii’ oder ‚Wir wollen schon zu Lebenszeit die Allergrößten sein’ aus der Nummer ‚Helden’. Neu sind ‚Goldene Zeiten der Fährmann ruft’, ‚Wir drehen durch, haltet euch fest’ oder ‚Wir scheißen auf Verträge und die Obrigkeit’ und ‚Dann bist du frei…’. Das sind alles kurze Textausschnitte aus dem Album ‚Beutezug’. Mehr kann leider nicht verraten werden. Lasst euch überraschen.“

Der kecke Spielmannstrupp spielt auch für den Rest von 2011 laut Bekunden von Freigeist Brandanarius auf kleinen feinen Mittelaltermärkten und auch großen Veranstaltungen auf. „Ich freue mich besonders darauf, wieder einmal auf der Sparrenburg in Bielefeld aufzukreuzen und auch auf Schwarzenberg, dort hatten wir unseren ersten Markt als Cultus Ferox. Im kommenden Winter nehmen wir nach zwei Jahren wieder einmal die Clubs ins Visier und werden die dortigen Bühnen rocken. Ich erhoffe mir darüber hinaus, dass die Cultus Ferox-Bande, so wie sie jetzt ist, zusammen bleibt, sich verträgt, wir eine Menge Spaß haben werden und dass wir nicht elendig an Hunger sterben. Deshalb bleiben wir Piraten und nehmen uns unseren Teil.“

© Markus Eck, 27.05.2011

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