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Interview: SUCH A SURGE
Titel: Purer Individualismus

Das neue Album „Rotlicht“ wird von ihren zahlreichen Fans bereits sehnsüchtig erwartet. Das Warten auf neues Material des nonkonformen Quintetts, welches in seinen stark rhythmusbetonten Liedern Elemente aus Hip Hop, Crossover und Rock verbaut, hat sich mehr als gelohnt. Denn „Rotlicht“ zeigt Such A Surge erneut mal wieder wie schon gewohnt von einer bisher eher ungewohnten kreativen Seite.

Den aktuellen Kompositionen der fünf beständigen Braunschweiger Individualisten entströmt neben deutlich hörbarer Ambitioniertheit auch eine bedrückende mentale Schwere, so scheint es. Sie weisen nämlich eine ausgeprägt nachdenkliche und sehr düster wirkende Grundstimmung auf, welche mit ihrer vertonten Melancholie einen hohen Wirkungsgrad auf das Gemüt der Hörer und Hörerinnen ausübt.

Die psychotische, atmosphärisch und entrückt klagend anmutende Melodik, wie sie die Band hier auf „Rotlicht“ bietet, passt hervorragend zu neuen Songs wie „Sag jetzt nichts“, „Alles muss raus“, „So viele Fragen“ oder „Fremdkörper“. Sänger Oliver Schneider stellte sich mir bereitwillig zu einem informativen Gedankenaustausch.

Wie lief euer letztes 2000er Album „Der Surge Effekt“ denn im Großen und Ganzen so?

„Ja, wir können uns wirklich nicht beschweren. Die Platte kam gut an und was das Wichtigste für uns dabei war: Die Leute wollten uns immer noch live sehen. Die Tour zu der Platte war so gut wie komplett ausverkauft und wir hatten eine Menge Spaß. Verkaufszahlen allein bleiben halt nur eine Zahl, mit der man nichts anfangen kann. Erst wenn man die Leute auf den Shows vor der Bühne abgehen sieht, weiß man, dass es doch einen Sinn hat, das zu machen was wir machen. Musik.“

Wie reagierten die alten Fans auf die darauf gebotene stilistische, etwas poppigere neue Direktive, welche darauf zu hören war? „Man kann es nie allen Recht machen und das wollen wir auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass wir bei jedem Album Fans gewinnen und verlieren; so läuft das eben, wenn man das macht, was man selber will. Wir können auch jetzt noch nicht abschätzen wie `Rotlicht` bei den Leuten ankommen wird. Hauptsache ist doch wohl erst mal, dass wir es gut finden. Auf das, was danach vor der Stereoanlage der Kids passiert, haben wir keinen Einfluss mehr. Entweder sie drücken den Repeat-Knopf, oder das Album wird schneller auf Ebay angeboten als wir gucken können. Mal sehen.“

In der Bandinfo ist von einem erstmals sehr poppig orientierten Album die Rede, wenn es um „Der Surge Effekt“ geht. Inwieweit teilt ihr diese Einschätzung? „Ich will endlich über `Rotlicht` sprechen. `Surge Effekt` ist drei Jahre her. Pop muss nicht immer schlecht sein und sicher gab es eine Stiländerung. Die gab es aber auch schon wieder bei der neuen Platte, welche wesentlich härter und düsterer daherkommt. Nur das ist unser Antrieb. Wenn wir immer das Gleiche gemacht hätten, wären wir nicht zehn Jahre dabei.“

Wie kam diese Stilmodifikation zustande, und war das beabsichtigt? „Es ist halt immer der Zeitabschnitt, der das bestimmt und was man in diesem Augenblick machen will. Damals war es eben poppiger und heute wieder härter und noisiger. Wir gehen nicht nach einem `Wir müssen wieder anders klingen`-Plan vor, wenn wir neue Songs schreiben. Es kommt einfach aus uns raus, ohne Hintergedanken, und bisher hatten wir vielleicht ja auch nur Glück damit.“

Wie wurde denn euer 2002er Best Of-Album „10 Jahre“ von euren Fans aufgenommen? Besonders die beiden Bonus-Tracks „Keinen Schritt weiter“ und „So wie ich das seh´“? „Wenn ich ehrlich bin, kann ich das gar nicht genau sagen. Wir kennen weder die Verkaufszahlen noch haben wir ein Feedback von den Fans dazu bekommen. Ich denke, die Best Of-Veröffentlichung war zum einen etwas für die echten Surge-Fans, die einfach alles haben müssen, und zum anderen etwas für die Leute, die sagen: `Hey, da ist alles drauf von den Jungs was gut ist, die kaufe ich mir jetzt doch mal.` Wir haben zwar versucht die Scheibe so interessant wie möglich zu machen, aber am Ende war es vielleicht doch unnötig, dass eine Band wie wir so etwas heraus bringt. Wer weiß das schon genau?“

Was habt ihr denn in der Zeit zwischen „Der Surge Effekt“ und dem Beginn des Kompositionsprozesses für „Rotlicht“ so getrieben? Sicher wart ihr schwer beschäftigt mit den ganzen Side-Projects?

„Ja genau. Uns kamen diese drei Jahre echt nicht sehr lange vor, denn jeder von uns hat ja irgendwie weiter gemacht. Wir haben ja erst zusammen noch die `Pain In The Ass`-Platte aufgenommen bevor sich dann jeder mal nach anderen Sachen umgesehen hat. Unser Drummer Antek hat mit `Revolver` eine Hammer-Rockscheibe zusammengenagelt, Dennis hat mit Jazzern aus Braunschweig eine Session-Platte unter dem Namen `Valentinswerder` aufgenommen und ich habe mit `Originalton` mit einem Soloalbum meine Hip Hop-Vergangenheit aufgearbeitet. Diese Zeit war wichtig für uns, um mal Luft zu holen, denn uns war ja allen klar, dass wenn wir noch eine Surge-Platte machen, sie nach Möglichkeit den `Surge Effekt` übertreffen sollte. Und siehe da ... es geht noch.“

Kommen wir aber nun endlich zum neuen Werk „Rotlicht“. Welche musikalischen Einflüsse wurden im Speziellen für diese neue CD verarbeitet? „Die Gitarren klingen zum Beispiel ganz anders. Ich denke, Dennis wollte einfach weg von diesen klassischen Groove-Riffs. `Rotlicht` ist wie gesagt atmosphärischer und viel kompromissloser als der Vorgänger. Auch die Beats, die Antek spielt sind perkusiver und klingen irgendwie anders. Das motivierte mich natürlich auch vielleicht mal mehr zu singen anstatt zu rappen. Wir stehen alle auf Bands wie Radiohead, Sonic Youth, Helmet oder Portishead und sicher hat uns das auch beeinflusst. Auch die Songwriting-Phase war anders, denn wir haben die Songs alle im Studio und nicht im Übungsraum während zwei- oder dreiwöchiger Sessions geschrieben. Wir waren dadurch konzentrierter und hatten die Möglichkeit, die neuen Ideen gleich aufzunehmen und weiter daran zu arbeiten, und wir hatten dadurch auch viel schneller Ergebnisse. Es war gut so zu arbeiten.“

Welche Emotionen wolltet ihr durch die neuen Songs hauptsächlich musikalisch reflektieren? „Das, was uns bewegt und gefällt. Für jeden von uns ist die Musik, die wir hören, nicht nur etwas, das nebenher läuft, sondern es spielt eine wirklich große Rolle in unserem Leben. Wenn wir es wieder geschafft haben, dass wir den Leuten das mit unserer Musik vielleicht auch geben können, was uns die Bands geben die wir mögen, dann ist es perfekt gelaufen. Wir wollen, dass die Leute unsere Musik anfassen, sie mögen und dass unser Sound die Hörer an die Hand nimmt und sie begleitet ... egal wohin es geht.“

„Rotlicht“: Was hat der Titel für euch zu bedeuten? „Gerade die vielen Interpretationsmöglichkeiten haben uns an dem Titel gefallen. Ich will das jetzt nicht kaputt machen. Sorry. Es ist auch nur ein Albumtitel – nicht mehr und nicht weniger. Wir haben uns schon was dabei gedacht, aber wir wollen, dass sich die Leute fragen, was der Titel bedeutet. Sie werden sich selbst die Antwort suchen und es wird auch in jedem Fall die richtige sein.“

Wie reifte dein Entschluß, die neuen Songs nach einstmals Englisch oder auch Französisch diesmal nur in Deutsch zu singen? „Es kam halt so. Ich habe bei meiner Soloplatte festgestellt, dass ich mich am besten in meiner Muttersprache ausdrücken kann und so habe ich halt automatisch nur deutsche Texte geschrieben. Sicher werden wir auch wieder mal Songs in den beiden anderen Sprachen schreiben, wenn uns danach ist.“

Inwieweit teilt ihr euch das Songwriting in der Band?

„Dennis und Antek übernehmen die Hauptarbeit, was die Musik angeht und ich, was die Texte angeht. Michel schreibt die Texte, die er singt, natürlich selbst aber das ist auf `Rotlicht` leider sehr limitiert der Fall. Warum das so ist, müsste man ihn fragen. Es ist natürlich am Ende schon so, dass wir Ideen miteinander teilen und uns in manchmal auch nervigen, aber durchaus nötigen Diskussionen darüber auslassen, was jetzt wie gemacht werden soll. Zum Schluss kam dann alles zusammen und es gefiel jedem von uns. Das ist das, was zählt.“

In welcher Stimmung wurde meistens für das neue Album komponiert?

„Obwohl die Platte, wie gesagt wieder etwas dunkler klingt, waren wir alle sehr gut drauf im letzten Sommer und wir machten uns locker. Wir grillten, spielten Tischtennis oder tranken unnötig viel Bier. Dennoch scheint es so zu sein, dass wenn Dennis seine Gitarre oder ich den Stift zum Songschreiben in die Hand nehmen, etwas anderes mit uns passiert. Etwas, was hoffentlich nicht so belanglos und stumpf ist wie das, was wir sonst in unserer freien Zeit im Studio so gemacht haben. Zum Glück ist das, was unsere Songs ausmacht, dann meistens auch da, wenn wir Lust dazu haben neue Songs aufzunehmen. Wenn nicht grillt man eben Steaks oder Tofuwürstchen ... wie jeder andere auch, der Hunger hat.“

Wer hat die meisten Liedertexte verfasst? „Ohne arrogant sein zu wollen ... das war ich. So ist es eben und so war es immer und ich denke es wird auch immer so bleiben. Michel macht nicht so viel, aber dafür auch meist Sachen, auf die ich nie kommen würde. Auf `Rotlicht` speziell stechen seine beiden Songs schon ziemlich raus, aber sie sind halt einfach gut.“

In welcher Stimmung wurde meistens getextet? „Auch wenn es komisch klingt: Allein in einem Zimmer im Studio bei Kerzenlicht und Wein. Wenn ich glaube eine gute Textidee zu haben, dann bin ich wie in Trance und mich darf keiner stören. Es fließt dann und wenn ich das Glück habe, die Instrumentals, die die Jungs geschrieben haben, dazu hören zu können, schreibt die Musik den Text. Ich werde fast ferngesteuert von der Musik und es ist klar, was ich schreiben soll. Wow ... psycho.“

Worum geht es in den neuen Songtexten hauptsächlich? Lyrischer roter Faden vorhanden?

„Es geht meist um mich und meinen exhibitionistischen Hang dazu, den Leuten mitteilen zu wollen, was ich denke, fühle oder wie ich die Welt gerne hätte oder verändern würde wenn ich nur könnte.“

Ihr habt diesmal auf „Rotlicht“ bis auf einige Songs die komplette Produktion erstmals selbst gemacht; wie lief die Sache im Nachhinein betrachtet denn?

„Super. Aber man muss dann doch sagen, dass es da jemanden gegeben hat, der schon einen Einfluss ins Spiel gebracht hat. Jem war mehr als nur ein Co-Produzent, er ist während der Studiophase zu einem Freund geworden. Jemand, dem wir vertrauen und dessen Ideen mitdiskutiert wurden, als wären es unsere eigenen. Er hat viele gute Ideen und trägt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss zu `Rotlicht` bei. Es war für uns wichtig, dass wir das Bild, was wir zur Zeit von uns haben, zu 100 % umgesetzt sehen. Jem stand dem in keinster Weise im Weg, sondern hat uns sogar mehrmals gezeigt, dass man keine Angst haben muss, genau diesen Weg auch mal zu verlassen um einen neuen zu gehen.“

Das Frontcover von „Rotlicht“, was hat es damit auf sich? „Ein Bild von einem Freund. Es zeigt ein kleines Wesen mit einem großen Kopf und Flügeln. Ein Engel, eine Biene, ein Vogel? Keine Ahnung, aber es ist ästhetisch und angenehm außergewöhnlich. Passend zum Album, wie wir glauben. Kai Vöpel aus Berlin war schon für so einige Frontcover für uns da und wir stehen einfach auf das, was er macht. Er hat einfach Stil und vielleicht wären unsere alten Cover besser geworden, wenn er früher auch schon was für uns gemacht hätte. Wie man anhand meiner letzten zwei Antworten merkt, machen wir viel mit Freunden zusammen. Auch für die meisten unserer Videoclips war ein guter Freund verantwortlich. Wir glauben, dass es richtig ist, mit Leuten zusammen zu arbeiten die uns gut kennen. Die wissen, was wir sind und mögen und wir wissen, dass es gut wird, was sie machen. Optimal.“

Wer lieferte die Idee für das Frontcover? „Man könnte fast glauben, dass die Zeichnung so eine ist, die man nebenbei beim Telefonieren gemacht hat. Keine Ahnung, mit wem er gerade gesprochen hat, aber seine Zeichnung war ein Volltreffer.“

„Die Songs „Fremdkörper“ und „Alles muss raus“ werden laut Info als Single veröffentlicht. Warum gerade diese? Waren die Songs die Wahl von Sony?

„Wir waren zum Glück alle derselben Meinung. Auch wenn man es kaum für möglich hält. So etwas gibt es noch. Alle sagen synchron: `Ja ... das sind gute Songs mit denen man sich nach drei Jahren wieder zum ersten Mal sehen lassen kann.` Dann geht man gemütlich in Berlin zusammen Essen und alle sind gut drauf. Die Major-Labels sind gar nicht böse ... wenn man auch viel von ihren Aufgaben längst übernommen hat.“

Bitte erzähle mir noch einige Worte zu eurem Hardcore Thrash-Projekt Pain In The Ass, auch als P.I.T.A. bekannt!

„Manchmal hat man schon Schmerzen im Arsch ... ja, meist nach Junk Food aus der Fettluke um die Ecke. Aber das kennt man ja. Wir hatten Zeit, Lust und ein Freund ein schönes Studio in Spanien, also machten wir die Platte. So einfach ist das.“

Wie entwickelte sich die Sache denn? Aus privaten Musikvorlieben heraus, die sich in der Hardcore- und Thrash Metal-Ecke bewegen?

„Sicher ist so was auch noch aus älteren Tagen bei dem einen oder anderem von uns in der Plattensammlung zu finden. P.I.T.A. sollte man aber nicht so heiß kochen. Es ist einfach ein Sideprojekt, mehr nicht. Die Leute sind immer sehr gut abgegangen, wenn wir früher P.I.T.A.-Songs gespielt haben. Wir wollten diesen Leuten auch einfach eine Freude mit dem Album machen. Ist halt nicht nur unser Hobby, sondern glücklicherweise auch noch unser Job!“

Wie liefen die beiden P.I.T.A.-Alben „Discovery Price“ und „Spain“? „`Discovery Price` war nur ein Tape, ein Demo sozusagen. Das war nach einigen Tagen Tour weg, denn es gab auch nur 300 Stück. `Spain` und P.I.T.A. generell ist halt nix für jeden Surge-Fan, entweder man mag es oder man kann es nicht ausstehen. Ich denke, das Album haben schon so Einige da draußen.“

Habt ihr damit als Band auch ein wenig Fuß im Metal- und Hardcore-Lager fassen können? „Ich glaube nicht, dass die eingefleischte Hardcore-Szene darauf steht. Das geben sich Leute, denen egal ist, wie man es nennt. Szeneunabhängig waren wir ja eigentlich auch schon immer. Das hören halt Leute, die Bock auf Rock und schräge Klänge haben.“

Zurück zu Surge: Gibt es schon Pläne, euer aktuelles Material auch live umzusetzen? „Ja, natürlich spielen wir live. Die Tourdaten stehen auch schon und ich persönlich freue mich wie ein kleines Kind darauf, wieder neue Songs live spielen zu können. Wir werden sicher 2003 des Öfteren auf der Bühne zu sehen sein. Dass ein Studioalbum immer anders als eine Live-Performance klingt, ist klar. Wir finden es auch in den wenigsten Fällen schade. Wenn die Leute genau das Gleiche wie auf CD wollen, müssen sie halt auf Techno-Band Konzerte gehen. Bei uns kann es schon sein, dass es jeden Abend anders klingt. Hoffentlich.“

Welches Musikpublikum soll mit der aktuellen CD „Rotlicht“ hauptsächlich angesprochen werden? „Jeder, der sich angesprochen fühlt, wenn er einen Song vom Album im Laden beim Reinhören, im Club, im Uni-Radio, auf Partys oder meinetwegen auf dem Anrufbeantworter seines durchgeknallten Kumpels hört. Jeder einfach.“ Zukunftspläne? „Viel live spielen in 2003 und dann mal sehen, was kommt.“

© Markus Eck, 07.01.2003

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