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Interview: RELIQUIAE
Titel: Gezielt eingesetzte Vielseitigkeit

Auf der Bühne fühlen sie sich erst so recht zuhause, wie Reliquiae verkünden. Und ihre Einflüsse sind laut eigenem Bekennen ziemlich weit gefächert, was sich bei diesen Osnabrücker Spielleuten hauptsächlich von irischer, bretonischer und osteuropäischer Folklore-Musik bis hin zu klassischen und sogar auch modernen Klängen bewegt. Heraus kommt bei diesem spielfreudigen Ensemble ein vielfältig anmutender kreativer Reigen, welcher ebenso zeitlos wie inspiriert erscheint.

Und künstlerische Grenzen, gleich welcher Art, werden dabei haushoch und beschwingt übersprungen. Was sich da also zu Anfang des Jahres 2009 zusammentat, das mündete alsbald in überaus hörenswerten Stücken. In Letzteren zeigen sich Filia von Museberg, Bastus der Graf, Fragor der Schlagfertige, Morti Lokison und Zsolt Dobos nicht selten von ihrer spritzigsten musikalischen Seite. Das aktuelle Album dieser ausgesprochenen Freigeister erhielt den Titel „Audi Vide Tace“, und die enthaltenen Kreationen sind alles andere als lasche Kost.

Für Geigerin, Schalmei-Spielerin, Sackpfeiferin und Sängerin Filia stand von Anfang an ganz klar fest, dass sie etwas Stabiles mit der Gruppe aufbauen wollte, wie sie zu berichten weiß.

Kollege, Sänger, Bouzouki-Mann, Perkussionist und Beutelbläser Bastus fügt hinzu:

„Wir wollten schon eine Nische finden, aber unser Ziel war es, durch musikalische Vielseitigkeit nicht in eine bestimmte Schublade zu passen. Wir haben in die neue Platte somit viele verschiedene Ideen und Einflüsse eingebracht. Und wir haben hart daran gearbeitet, eine CD zu produzieren, die authentisch und druckvoll klingt, ohne vielen technischen Schnickschnack.“

Ein Statement, welches Dudelsack- und Nyckelharpa-Spieler Fragor in diesem Kontext zu folgender Aussage animieren kann: „Gerade in der heutigen Zeit werden oft elektronische Schweinereien zur Hilfe herangezogen, um das Ganze klanglich aufzuwerten. Leider hört man das dann dem Endprodukt auch sehr stark an. Und darum haben wir darauf verzichtet.“

Wir gehen zur Bedeutung des Titels der neuen Albumscheibe „Audi Vide Tace“ über, was übersetzt „Hör', sieh und schweig!“ bedeutet. Eigentlich hat sich gegenüber dem finsteren Mittelalter in Sachen Vernunft der Menschheit auf meinungsmäßiger Ebene recht wenig geändert, wie die Gegenwart aufzeigt, in der die Massenmedien „Wahrheiten“ zu predigen scheinen. Und auch heutzutage existieren geradezu inquisitorische Meinungsmacher, die mit Rückhalt der Systeme ungeniert und frech auf ihre digitalen Kreuzzüge gehen. Wie stehen Reliquiae als Künstlergruppe zu solcherlei Gegenüberstellung von Historie und Moderne?

Bastus expliziert hierzu ganz spontan: „Da habe ich eine einfache Antwort: Der Titel des Albums ist bewusst provokativ gewählt, und die Interpretation Desselbigen überlassen wir jedem Hörer ganz individuell.“

Nun fühlt sich Filia auch wieder auf den Plan gerufen:

„,Alles wiederholt sich nur im Leben, ewig jung ist nur die Phantasie; was sich nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nie.' Sagte schon ein Mann weit vor unserer Zeit. Die Merkmale einzelner Epochen zeigen, dass die Menschen sich immer wieder auf historische Ideale beziehen und diese aufleben lassen. So bilden zur Zeit beispielsweise die Mittelaltermärkte einen Kontrast zum Alltagsleben. Historische Bezüge wird es wohl immer geben.“

Wie Meister Bastus im Weiteren gut gelaunt zu Protokoll gibt, ist für ihn und seine Gruppe jedes Reliquiae-Konzert ein einmaliges Erlebnis, genauso wie auch für den Zuschauer. „Dementsprechend gehen wir auf jedes Publikum anders ein und spulen nicht jedesmal das gleiche ,Band‘ ab.“

Der weitere Gesprächsverlauf befasst sich mit der Musik des Osnabrücker Historientrupps an sich.

„Wir haben schlicht gesagt genau das gemacht, worauf wir Lust hatten und es sich nachfolgend einfach entwickeln lassen“, legt Morti dar, bei Reliquiae seines Zeichens zuständig für Sackpfeifen, Schalmeien, Flöten, Maultrommel und Bouzouki. Und die Idee, sich mit den Reliquiaen der Weltmusik so tief auseinanderzusetzen, liegt dem Konzept der Band zu Grunde, so Gevatter Bastus: „Daher auch unser Gruppenname. Reliquiae ist vielfältig, stets humorvoll und mit viel Spass und Elan bei der Arbeit. Das hoffen wir auch jedesmal erneut den Besuchern unserer Konzerte zu vermitteln.“

Reliquiae sind also definitiv eine Mittelalter-Vereinigung mit gehobenem Anspruch. Die an der Gesprächsrunde beteiligten Musiker der Gruppe setzen sich im Folgenden damit auseinander, was sie am immer wieder gleichen und letztlich ärgerlich stereotypen Klangbild der allermeisten typischen Mittelalter-Bands stört. Davul-Spieler und Schlagwerker Zsolt offenbart:

„Das Problem tritt auf, wenn zum hundertsten Male die alten Schinken unbearbeitet und lieblos herunter gedudelt werden. Schade ist, wenn dabei die Hälfte der Melodie verloren geht. Als Musiker sollte auch einfach der eindeutige Anspruch vorhanden sein, schöpferisch und künstlerisch kreativ zu sein.“

Fragor schließt sich dieser Meinung an und steuert hierzu sogleich noch bei: „Auch wenn man den ,Traubentritt‘ nun ,Wolfstanz‘ nennt, so ist er immer noch der ,Traubentritt‘, ganz egal, wie liebevoll man das Ganze auch umsetzt.“

Plötzlich haut Bastus, davon sichtlich eingenommen, wieder laut in die Runde:

„Es ist auffällig, dass viele Menschen sich von dieser Musikrichtung faszinieren lassen und selbst gerne in diesem Bereich musizieren möchten. Das ist toll und löblich zugleich. Man sollte dabei aber sehr darauf achten, seine Instrumente gut zu stimmen und ausreichend zu üben, bevor man damit die Öffentlichkeit beglückt.“ Und, so der entschlossen wirkende Spielmann abschließend, wenn er doch einmal musikalischen Hunger nach Musik aus der Mittelalter-Szene verspürt, so finden sich dabei oft sehr ausgefallene und unbekanntere Bands, aber auch die „Größen“ des Genres in seinen Ohren.

© Markus Eck, 07.08.2011

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