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Interview: MELKOR
Titel: Instinktiv

Ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnliches erstes Albumwerk legte vor kurzem der löblich eigenwillige Black Metal-Musikant Patrick Baumann vor.

„Ferne“ betitelt, bietet diese neue Melkor-Düsterplatte nicht nur haufenweise hochinteressante Ideenvielfalt und hypnotisch dunkle Melodien dar, sondern auch spürbar purste Leidenschaft des Urhebers für dieses Genre.

Maincomposer und Individualist Baumann spielt die überwiegenden Instrumente wie beispielsweise Gitarre, Bass und Keyboard für „Ferne“ selbst, für die Studioaufnahmen allerdings konnte er sich der Unterstützung durch geübte Gastspieler sicher sein.

Da die aktuelle Veröffentlichung vor allem in Sachen signifikanter Stimmungstiefe bei mir ziemlich hoch punkten kann, wollte ich im Gegenzug mit dem Macher im Interview-Zwiegespräch so gut als möglich jeweils auf den inhaltlichen Punkt kommen.

„Ich finde Black Metal an sich sowohl aggressiver als auch tiefgründiger als alle anderen Metal-Stile. Das Genre ist vielseitiger als andere. Der Stil hat eine eigene Aura, die aus weit mehr besteht als nur Härte und Aggression und bei mir einen bestimmten Nerv trifft. Die Thematik des Black Metal, unabhängig von der Plakativität, ist fragender und suchender als irgendwelche Texte über allerlei Ekelthematiken“, posaunt der denkerische Kerl anfangs einen Fakt heraus, zu dem er meine vollste Zustimmung erhält.

Patrick spielt zwar schon ziemlich lange Gitarre, wie er mir erzählt, hält sich selbst aber „mit Sicherheit“ für keinen guten Gitarristen, weil er sehr wenig übt. Wir erfahren dazu:

„Zumindest live will ich aber vorbereitet sein, daher kann es sein, dass sich das mit dem Üben demnächst ändern wird. Ansonsten experimentiere ich hauptsächlich herum und versuche, neue Riffs zu schreiben, sobald ich eine Gitarre in die Hand nehme – was auch schon mal ein paar Wochen lang gar nicht der Fall sein kann. Ich sehe mich daher hauptsächlich als Songschreiber und weniger als guter Musiker, zumindest bisher.“

Ist es dabei nicht etwas belastend, Multiinstrumentalist zu sein? Es folgt sympathische Bescheidenheit: „Am Bass und am Keyboard komme ich gerade so weit klar, wie es für meine Musik nötig ist, daher ist der Ausdruck Multiinstrumentalist wohl ein Stück zu hoch gegriffen. Die Grundstrukturen der Songs entstehen an der Gitarre, die anderen Instrumente richten sich danach. Beim Aufnehmen hat es natürlich Vor- und Nachteile, wenn man den Großteil selbst spielt: Einerseits mehr Kontrolle über das Resultat, andererseits mehr Mühe.“

Wir gingen dazu über, wie sich solch ein Leidenschaftscharakter, zumal einer mit solch’ großer Begeisterung für mystische und dunkle Themenbelange, seine einstige eigene Beerdigung auf diesem Planeten vorstellt. „Die angenehmste Vorstellung wäre für mich, wenn meine Asche ins Meer gestreut wird. Der Begräbnisort bindet ja die Erinnerung an den Toten an sich, man kehrt dorthin zurück, um an ihn zu denken – und wenn das der weite Ozean ist anstatt einem Erdloch zwischen hundert anderen ist das doch viel würdiger. Außerdem kann man dann nicht lebendig begraben werden und in einem Sarg aufwachen.“

Wie es live demnächst laufen wird für Melkor, wollte ich anschließend wissen. Auftritte geplant, Patrick? „Wir sind noch nicht ganz so weit, dass wir schon Auftritte planen könnten. Der Kern der Band steht zwar, aber noch sind wir nicht einsatzbereit. Sobald sich das ändert, werden wir versuchen, eine gute Liveband zu werden.“

Melkor sind als deutsche Black Metal-Repräsentanten leider in der weltweiten Szene noch immer relativ unbekannt. Wie beabsichtigt der Gitarrist das zu ändern? Und: Soll es sich überhaupt ändern? „Wir werden in erster Linie einfach weitermachen und darauf vertrauen, dass die Qualität der Musik sich durchsetzt. Melkor wird es noch lange geben, egal ob erfolgreich oder nicht. Wenn sich Möglichkeiten ergeben, damit Erfolg zu haben, werden wir sie natürlich nutzen, uns aber nicht dafür prostituieren – und das sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.“

Das wird sich ja nun glücklicherweise mit dem neuen Release sowieso sehr schnell ins Gegenteil ändern. Welche Hoffnungen verbindet mein Gesprächspartner damit? „Es geht erstmal darum, dass die Band überhaupt mal richtig auf der Bildfläche erscheint und einigen Leuten im Bewusstsein bleibt, worauf man dann mit den kommenden Alben aufbauen kann. Ich erwarte nicht, dass das Album eine Lawine lostritt. Ich hoffe einfach, dass die Musik gewürdigt wird und die Leute erreicht, die etwas damit anfangen können.“

Was kann er mir über seine der aktuellen Platte voraus gehenden musikalischen Beweggründe berichten?

„Zwischen den Aufnahmen und der Veröffentlichung lag eine ziemlich lange Zeit, daher habe ich sehr viel neues Material geschrieben. Das bedeutet, dass es sehr bald ein neues Album geben wird. Die Songs auf „Ferne“ sind zwischen 2003 und 2006 geschrieben worden, mittlerweile für mich also schon fast veraltet… Obwohl ich natürlich voll und ganz zu diesen Songs stehe. Aber in kreativer Hinsicht bin ich schon seit einiger Zeit über sie hinaus. Vor der „Ferne“ gab es das Demo „Call Of The Enchained“, das Ende 2004 aufgenommen wurde. Das ist aber mittlerweile nicht mehr erhältlich und ich möchte es auch vorerst dabei belassen, da ich im Moment lieber nach vorne schaue. Ich bin mir bewusst, dass ich mit „Ferne“ das Rad nicht neu erfinde, aber unter diesem Gesichtspunkt sehe ich Musik ohnehin nicht. Ich versuche instinktiv, Musik zu machen, die ich selbst gerne hören würde, nicht mehr und vor allem nicht weniger. Ich glaube, dass Melkor wieder erkennbar sind und ein eigenes Gesicht haben. Diese Eigenschaft hängt nicht damit zusammen, wie experimentell man vorgeht. Ich versuche nicht bewusst, etwas möglichst Originelles und nie Gehörtes zu schaffen, sondern die Energie meiner anfänglichen Ideen zu bewahren und möglichst kraftvoll herauszuarbeiten. Es gibt also immer einen bestimmten kreativen Moment, auf den viel Arbeit folgt, die sich hauptsächlich darauf richtet, aus diesem Funken ein Feuer zu machen und sich von diesem Ziel nicht ablenken zu lassen.“

Nörgel- und Hassbotschaften zu seinem Schaffen hat Patrick noch nicht erhalten, wie er mir kundtut: „Ich würde wahrscheinlich sowieso gar nicht darauf reagieren. Es gibt keine Musik, über die nicht genörgelt wird, und keinen Stil, über den mehr genörgelt wird als über diesen. So sind Menschen eben. Ich denke, die meiste Kritik an Black Metal kommt von Leuten, die sich über Unprofessionalität, „schlechten Sound“ usw. aufregen. Meistens aus dem Death Metal-Lager. Aber dieser Kult des technisch Anspruchsvollen und Professionellen ist generell im Metal so verbreitet wie in keinem anderen Genre und ist zu einem großen Teil schuld daran, dass die Musik so vieler Bands gesichtslos und glatt wirkt.“

Erneut schließt sich der Autor der Meinung des Befragten gerne vorbehaltlos an. Nachfolgend drehte sich unser Gesprächskontext darum, in welchen speziellen Stimmungen die aktuellen Songs von „Ferne“ entstanden. „In kreativen Stimmungen. Die jeweiligen Inhalte und Grundstimmungen der Songs werden mir eher im Nachhinein bewusst, weil ich in dem Moment, in dem ich neue Sachen schreibe, nicht darüber nachdenke und es spontan passieren lasse. Ich kann das nicht vorhersehen und mich auch nicht gezielt in einen dafür nötigen Zustand versetzen, das passiert einfach oder eben auch nicht. Das Schreiben der Texte gestaltet sich dann zwar auch intuitiv, aber etwas kontrollierter, weil die Musik in der Regel vorher da ist und einen Rahmen vorgibt.“

Für die Aufnahmen der neuen Lieder des aktuellen Albums ist die Melkor-Mannschaft in keinem Studio zugange gewesen, so Patrick: „Wir haben das Schlagzeug mit geliehenen Mikros im Proberaum aufgenommen und den Rest zu Hause am Rechner, ohne sonderlich hochwertiges und teures Equipment. Als alles aufgenommen war, haben wir es einen befreundeten Tontechniker mischen lassen. Es war also praktisch eine „No Budget-Produktion“, bei der diverse Leute ihre Zeit und Energie aus Enthusiasmus und Freundschaft hergegeben haben. Insgesamt war es nicht sonderlich angenehm, weil es viele Verzögerungen, Fehler und Chaos gab und weil es auch schlicht das erste Mal war, dass wir ein Album aufgenommen haben. Aber man lernt am besten, wenn man es selbst macht.“

In der Tat. Mich interessierte auch noch, wie ernst Patrick als Künstler an sich überhaupt genommen werden will. Er gibt mir bereitwillig zu Protokoll: „Im Idealfall merkt der Hörer, dass es an der Musik und den Texten etwas Ernst zu nehmen gibt, also dass es sich nicht nur um Spaß oder Nachahmung irgendwelcher Vorbilder handelt. Und wenn es niemand merkt, weiß ich es immer noch selbst. Ich bin relativ immun gegen Kritik, was nicht heißt, dass sie mich nicht trifft. Aber ich lasse mich wenig in dem beeinflussen, was ich für richtig halte.“

Vorbildlich. Als der Melkor-Mann laut nachfolgender Aussage circa zehn oder elf Jahre jung war, hat ihm ein Bekannter ein paar Tapes mit diversen Metalbands überspielt. „Es hat irgendwie klick bei mir gemacht und seitdem höre ich diese Musik. Eine vielleicht oberflächliche, aber sicher nicht ganz falsche Erklärung könnte sein, dass sie etwas in mir nach außen trägt, das sich nicht auf andere Weise äußern kann oder darf. Sie kanalisiert eine Art von Energie, die auf anderen Wegen vielleicht verdorren oder Schaden anrichten würde. Insofern glaube ich eigentlich, dass die meisten Leute, die Metal hören, mit der Welt, wie sie ist, unzufrieden sind. Aber vielleicht hoffe ich das auch nur.“

© Markus Eck, 23.02.2009

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