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Interview: LOVE LIKE BLOOD
Titel: Extravagante Rollenspiele

Welcher Musiker - egal aus welcher Branche - träumt nicht davon, sich einmal in die Staffage seiner frühen Idole zu werfen und seinen irdischen Körper mit den verrückten Klamotten der einst die pubertierende Seele ausfüllenden Helden zu verhüllen? Auch die beiden Brüder Gunnar und Yorck Eysel, unter Gothic Rockern sicher besser bekannt als Love Like Blood, machen da keine Ausnahme. Die zwei beileibe nicht auf den ersten Blick als Geschwister zu erkennenden Musiker verfolgen ihre musikalische Ausrichtung nun schon seit mehr als zehn Jahren mit unstillbarer Leidenschaft.

Auch favorisierten die Brüder über die Jahre hinweg einige Bands und Kultfiguren der schwarzen Szene. Und diese Szene deckt sich nun auch schon seit zehn Jahren aus einer Ladenkette mit allem ein, was eine abgefahrene stilistische Präsenz unter Gleichgesinnten garantiert. Die Rede ist von den XtraX-Shops, in denen es wirklich alles zu geben scheint, was einer imaginären entrückten Weltflucht dienlich ist. Geografisch verbindet die Wohnorte der Brüder mit der Ulmer Geschäftsstelle der Gothic Shops eine eher geringe Distanz und zwischenmenschlich eine sehr gute Bekanntschaft.

Einen Katzensprung entfernt vom Wahrzeichen der Stadt, dem Ulmer Münster, befindet sich der XtraX Undergroundfashion-Shop, eine der drei Zweigstellen, von denen die anderen beiden in Berlin und Karlsruhe zu finden sind. Was liegt da also näher, als sich dort endlich mal mit all den unglaublichsten Kleidungsstücken einzudecken und sich auf richtig durchgeknallten Fotos darzustellen? So lassen die beiden blutsverwandten schwäbischen Musiker nicht lange auf sich warten.

Das außergewöhnliche Ereignis wollen sich auch zwei Mitarbeiter des Geschäftes nicht entgehen lassen und so bieten die beiden gerne ihre Hilfe an. Letztere können Yorck und Gunnar auch sehr gut gebrauchen.

Denn angesichts der Fülle an nonkonformen Kleidungsstücken weiß hinterher bald keiner mehr, was aus- und anzuziehen ist. Als passender Ort für unser Vorhaben wird die in der Nähe liegende Wilhelmsburg gewählt, welche aufgrund ihrer Abgeschiedenheit hervorragend geeignet ist. Was sich als kluge Wahl herausstellt, denn Gaffer hätten einiges zu sehen gehabt und mit ihren voyeuristischen Blicken auch die Intimität der Aktion zerstört.

Kurz nach der Ankunft auf der wunderschönen historischen Ruine gibt Yorck sich als „beinharter Shania Twain-Anhänger“ aus und offenbart sein „Faible für Country und Western-Musik“ mit aller ernsthaften Deutlichkeit.

Anschließend äußert der begeisterte Cineast noch seinen lang gehegten Wunsch, „Filmvorführer in einem kleinen Kino zu sein, in dem alte Filme mit alter Technik vorgeführt werden.“

Sein Bruder Gunnar, der nach der Anprobe der ersten Fummel zu unserer immensen Belustigung schon recht bald große Ähnlichkeit mit dem Sänger der englischen 80er Punk-Popper Sigue Sigue Sputnik aufweist, bekennt sich als „überzeugter Carbage-Fan.“ Deren Sängerin Shirley Manson sei „eine der besten und ausdrucksstärksten Sängerinnen überhaupt.“ Schon nach einigen Augenblicken ziehen die beiden sich diesbezüglich gegenseitig auf, „sich bei den Zillertaler Schürzenjägern in der ersten Reihe gesehen zu haben“, was noch einige andere Witzeleien nach sich zieht.

Gunnar, der den Tieftöner bei Love Like Blood bedient, ist als ´68er Jahrgang auch nicht unbeschadet an den Modeströmungen der Vergangenheit vorbeigekommen. So trug er unglaublicher Weise zwölf Jahre die selben Cowboystiefel, wie er bekennt. Mehr:

„Bis eines Tages die Schwiegermutter die Dinger auf dem `Sondermüll` entsorgte.“ Ob man seiner anschließenden Aussage, dass er nach einigen Tagen in diese Stiefel gestrullt hat um deren Paßgenauigkeit zu erhöhen, Glauben schenken soll ist ein anderes Thema. Der blonde Bassist hat jedenfalls schon nach kurzer Zeit „riesigen Durst auf Gerstensaft“ und nach hartnäckigem Fordern fährt der XtraX-Mitarbeiter endlich ein Sixpack Pils holen.

Nach erfolgter Rückkehr nimmt Gunnar erstmal einen kräftigen Schluck zu sich. Den hat er auch bitter nötig, denn der erste von noch vielen Reißverschlüssen klemmt trotz seiner relativ schlacksigen Figur schon derart, daß ich lachend Hand an den Mann anlegen muss. Er dankt „erleichtert.“

Nachdem er seinen Thorax freigelegt hat, packt uns alle das Grauen. Kann man so dermaßen dünn sein? Ja, er kann. Und um noch einen drauf zu setzen, zieht er dann noch seinen Bauch ein, sodass jede einzelne Rippe wirklich nur noch von kalkbleicher Haut überzogen ist. Mit dieser Vorführung hätte er sich garantiert auch beim chinesischen Staatszirkus profilieren können.

Als die erste Lederhose geschafft ist, folgen superspitze Schnallenstiefeletten der Marke „Reifenstecher“. Diese muß er nun mit der schon ohnehin knallengen Röhrenhose bewältigen, was ihm stellenweise die Standweise eines Flamingos abverlangt und uns zu Lachanfällen hinreißt. Einige Male entgeht der hochgewachsene Blondschopf nur mit knapper Mühe einem Fall zu Boden, was er jedoch durch artistisch anmutende Körperbeherrschung und sprungfederhaftes einbeiniges Hopsen effektiv zu verhindern weiß. Derweil ist die XtraX-Verkäuferin mit seinem Bruder Yorck beschäftigt, dem Sänger und Gitarristen von Love Like Blood. Dieser läßt sich unter unseren interessierten Augen zum typischen 80er New Wave-Gruftie herrichten; die Kleidungswahl könnte klischeehafter wohl kaum ausfallen.

Gunnar ist inzwischen zum „Fields Of The Nephilim-Frontmann Carl Mc Coy“ mutiert, was der gewählte Hut noch mal ganz besonders verdeutlichen soll. Wir witzeln, daß „die speckige Dunstkiepe Mc Coys nach der pausenlosen und mehrjährigen Tragezeit mit der Zeit wohl zu einer filzähnlichen Einheit mit dem Haupthaar verwachsen sein müsse“, was einmal mehr einen allseitigen Lacher garantiert.

Aktuelle Veröffentlichung von Love Like Blood ist eine Zusammenstellung mit Coverversionen von 20 Bands aus 20 Jahren mit dem Namen „Chronology Of A Love Affair“, auf der das Duo Eysel „wichtige Inspiratoren neu vertont hat“.

So fällt die weitere Wahl der Klamotten in erster Linie auf typische Vertreter der dunklen Musikrichtungen aus den 80ern, die auch auf der erwähnten Platte vertreten sind. Mittlerweile sind die beiden Helden des Tages fertig hergerichtet und das Ablichten kann beginnen. Nach den ersten Schnappschüssen steigert sich die Freude und Begeisterung an der Sache sichtlich, da die beiden mit jedem Foto immer entspannter werden.

Auch haben wir es glücklicher Weise mit begnadeten Akteuren zu tun, die ihre Posen mit traumwandlerischer Sicherheit im Griff haben. Zwischen den beiden stimmt die Chemie einfach; die körperlichen Beschaffenheiten unserer „Modelle“ könnten ebenfalls nicht besser sein. Denn auf den nachfolgenden Fotos erweisen sich die endlos langen und spindeldürren Beine der beiden als nicht mehr zu übertreffen.

Der zweite Durchgang wird konzeptionell an einem typischen The Cure-Fan ausgerichtet; dargestellt von Yorck. Gunnar schlüpft dem entgegen in damalig übliche Lacrimosa-Gewänder. Beide haben sich derweil richtig in der Sache vertieft und können sich unter unserem jubelnden Beifall und den eingestreuten Verbesserungsvorschlägen vollstens entfalten. Die beiden XtraX-Beschäftigten hatten wirklich an alles gedacht; so findet auch eine Perücke aus schwarzem langem Kunsthaar den Weg in den umfangreichen Fundus der Requisiten. Yorck zögert nicht lange und setzt sich diese auf, was einer Metamorphose vom Tag- zum Nachtmensch gleicht.

Nun wird es aber auch Zeit, unsere flippig gekleideten Nachtfalter entsprechend zu schminken, was aufopfernd und gekonnt übernommen wird. So entstehen unter flinken Fingern zwei Untote, denen keiner in der Nacht begegnet ohne einen Herzschlag zu erleiden. Hervorragende Optik ist das Ergebnis; anschließend wird gepost und gemimt, was das Zeug hält. Mit jeder Pose steigt sichtlich die Laune der beiden gotischen Rocker, wovon sich jeder einmal mehr nur zu gerne anstecken lässt.

Das ungelenke und unbeholfene Gangwerk, welches Gunnar in seinen Stiefeletten hinlegt, ist filmreif und löst einen Brüller nach dem anderen aus. Zudem ist das Schuhwerk Größe 42, während seine Fußsohlen jedoch Größe 43 aufweisen. Köstlich. Der krönende Abschluß soll jedoch erst noch bevorstehen. Nach den 80ern und den 90ern soll nun nämlich die musikalische Neuzeit ihre Würdigung erfahren. Futuristischer Drag Queen-Look und auch Bondage-Fummel, mit denen Tucken wie Marylin Manson den Nerv der Zeit perfekt treffen, müssen es sein.

Was wir dann zu sehen bekommen, kann wohl als einmalig deklariert werden: Beide Eysels in hautengen Ganzkörper-Kondomen aus Satin, schwarzen und auch farbigen Tunten-Jäckchen, schrill bis zum Geht-nicht-mehr geschminkt und mit abartig hohen Plateauschuhen aus schwarzem Leder.

Die beiden können kaum noch laufen; erschwerlich erweisen sich auch schallende Lachsalven, um das Gleichgewicht zu halten. Paradiesvogel Gunnar, der mit diesen obskuren Latschen bestimmt über zwei Meter Körperhöhe einnimmt, kontert meine Frage nach den Luftverhältnissen in seiner Kopfhöhe mit der Feststellung, „es röche da oben nach Zwergen“. Selten so gelacht.

Überhaupt, während der nachfolgenden Fotos haben wir den allergrößten Spaß an diesem Tag. So etwas hat wirklich keiner der Anwesenden jemals zuvor gesehen und jeder ist sich einig: So etwas muß man einfach mal zu Gesicht bekommen haben! Knallroter Lippenlack, schrillstes Make-Up, quietschbunte Fummel, Stolas, Federboas und coole Brillen verhelfen den beiden Wesen, die nun aus einer anderen Welt zu sein schienen, zu ihrer extraterrestrischen Vollendung.

Unglaublich. Da würde so manche Frauenseele angesichts Gunnars endloser Beine sicher mehr als neidisch werden, der in diesem Aufzug schon beinahe die männliche Nadja Auermann verkörpert. Er und auch sein Bruder werden sicher in der nächsten Zeit des Öfteren im Ulmer XtraX zu sehen sein, denn sie sind von der Sache sichtlich angetan und haben auch laut eigenen Aussagen „die eine oder andere neue Abendgarderobe“ für sich entdeckt.

© Markus Eck, 26.06.2001

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