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Interview: END OF GREEN
Titel: Alles andere als artifiziell

Welches Wetter könnte für eine Band dieser stilistischen Ausrichtung bei Studioaufnahmen wohl besser geeigneter und kreativ ergiebiger sein als all die dauerverregneten und gefühlt eiskalten Düsterwochen der letzten Zeit? Genau, und somit konnten die beständigen Schwaben um Ausnahmesänger Michelle Darkness ihren hochemotionalen Düsterrock für das neue Album „High Hopes In Low Places“ in absolut optimaler Stimmungslage einspielen.

Aufgenommen und produziert wurde diese gehaltvolle Scheibe wieder in den Münchner Weltraum Studios bei Reglerdreher-Profi Corni Bartels, welcher sich einmal mehr mit den Göppingern und ihrer einzigartigen Schwerenötermusik verbrüderte.

Gesanglich verblüfft der Nachfolger zum vorherigen Schwerwerk „The Sick’s Sense“ gar in bislang selbst von Brummröhre Darkness so nicht gekannter voluminöser Tiefe.

Für Freitag, den siebten Mai luden Band und Studioleitung erneut nach München ein.

Es galt, die zehn neuen Kompositionen mittels erster Berichterstattung in den Wissensstand der anvisierten Genreliebhaber zu hieven.

Eingefunden haben sich zu diesem Zwecke in der Landsberger Straße 191 an diesem Tag diverse Schreiberlinge.

Als alle anwesend waren, sollte es nach kurzem Smalltalk und diversen gereichten Getränken nebst Knabbereien dann in den Vorführraum gehen.

Nachdem Platz genommen wurde, legte Mischpultmann Corni mit dem ersten Song „Blackened Eyes“ los, welcher auch voraussichtlich als Opener auf dem Album angedacht ist: Schleppend-doomig hoch zehn, in urtypischer End Of Green-Manier. Klage-Rock mit subtil-hoffnungsvollem Unterton.

Sofort fällt mir auch erwähnte Wahnsinnsstimme von Michelle auf, welcher die Art von Klangschwere wohl nur mit unzähligen Zigaretten und Schnapspullen erreicht haben kann. Nach dem tragischen Tod von Peter Steele ist Darkness wohl der einzige verbleibende Mensch auf diesem Erdball, der solcherlei extreme Oktavenabgründe zu erreichen imstande ist.

Die Band hat diesem Fakt schlauerweise vollauf Rechnung getragen.

Und somit ist diese unglaubliche Herzenszerrerstimme auf dem Album auch wie ein vollständig tragendes Instrument verewigt worden.

Überhaupt, „Blackened Eyes“ fühlt sich blitzschnell an wie eine im Vollsuff ausgelebte üble Depression. Eine Erfahrung, welche durch die nachfolgenden Nummern nur noch potenziert wird.

Den Anschluss macht `Goodnight Insomnia`, ein schmissig-kantenreiches Stück mit eigentypischer, finnisch anmutender Grundlage. Es soll die erste Single-Auskopplung von „High Hopes In Low Places“ werden, so die Band.

Weiter geht es mit den Liedern „Tie Me A Rope... While You’re Calling My Name“ und „Carpathian Gravedancer“, beides hochgradig bedeutungsschwangere als auch beschwörend in die Sinne gehende Atmosphärenstücke, eines melancholischer und bittersüßer als das andere.

Darkness zeigt sich auch hierbei zweimal in der Form seines Lebens.

Im Anschluss erklingt „Under The Sway“, viereinhalb Minuten lang: Hierbei geht es vom Fleck weg mit Schmackes zur Sache.

End Of Green rocken schwungvoll und kompromisslos ab, als wäre das Morgen pure Fantasie.

Stück Nummer sechs, auf den Titel „Saviour“ getauft, mutet glatt an wie ein Hoffnung generierender Kompensationsversuch für unermesslich erlebtes Seelenleid.

Ihm folgt „An Awful Day“, ein glatt rührseliges Musterbeispiel für die unvergleichliche Anmut der End Of Green-Leidenslieder.

Dann ist es an der Zeit für den phänomenalen Titelsong, einen unerbittlich treibenden Melancholikerrocker mit sehr viel Bumms! Der charmevolle Track, ein aufwühlendes Midtempo-Spektakel, geht sofort ins Blut, weil er ebenso souverän besungen ist als wie er auch mit hervorragender Melodieführung versehen ist.

Tolle Mischung, welche die Band da erneut hinlegt – überhaupt ist das Stück einer der besten Songs der ganzen Platte an sich, was nicht zuletzt am festen Biss der Komposition liegt.

Hitqualität hoch zehn – man wippt mit, ob man nun will oder nicht. Den Abschluss machten die beiden Nummern „Slaves“ und „Starlight“ – während ersterer federleicht gespielt erscheint und trotzdem gewohnt schwer geworden ist, überzeugt der andere mit für End Of Green außergewöhnlich anmutender Besinnlichkeit.

„Starlight“, erfüllt von mitreißenden Dualgesängen, lädt fordernd zum In-sich-gehen ein. Ein Stück, das man so schnell nicht vergisst.

Gerne hören die Anwesenden die zwischen den Songs gemachten Statements von Gitarrist Sad Sir an, welche ebenso aufrichtig wie herzlich von diesem zum Besten gegeben wurden.

Hierbei ist eben auch zu erfahren, dass der erdige Gesamtsound der neuen Platte nicht von ungefähr kommt.

Denn die Gruppe bediente sich uralter Verstärker, welche für ein überraschend organisches Klangbild verantwortlich sind.

Nach dieser wunderbaren, weil mehr als hörenswerten Listening-Session enterten alle Beteiligten in der tiefsten Münchner Innenstadt ein urbayerisches Spezialitätenrestaurant.

Bei diversen Bieren und deftiger Kost kulminierten gute Laune und Mitteilungsfreude dabei nicht selten in voller Lautstärke, was den anwesenden Gästen eins ums andere Mal von Befremdlichkeit gezeichnete Mienen aufs Antlitz zauberte.

Drummer Lusiffer sorgt auf dem Höhepunkt der Stimmung gar für den Dialog der Kulturen. Und zwar in der von ihm eigens zur Schau gestellten Elitedisziplin des „Bierdeckel-Lupfens“, wobei er einem von diesem juxigen Treiben angesteckten japanischen Touristen zur Freude aller am Nebentisch tatkräftig zur Hand ging.

Ganz im Gegenteil zur kreierten Tränenmusik erwies sich die Göppinger Truppe einmal mehr also als höchst humorige Zusammenkunft von scherzfreudigen Individualseelen.

Mit ihrer aktuellen Nachfolgescheibe zum letzten Langspieler „The Sick’s Sense“ stehen die Erfolgszeichen für End Of Green also endlich ganz oben, was den Beteiligten allemal zu gönnen ist, schließlich halten sie das wuchtige Banner bezirzend gefühlvoller Klangtragik schon seit vielen Jahren unbeirrt in den immer fauliger miefenden Wind der Zeitströmungen.

Apropos, Flüssiges und Wolken: In seine hörbar arg malträtierte Kehle ließ Michelle die letzten Jahre auch nicht gerade wenig Hochprozentiges hinab rinnen, wie der bekennend starke Raucher im überaus unterhaltsamen Gespräch noch offenherzig preisgibt.

„Sogar ganz bestimmt hat dies zur heutigen Prägung meiner Stimme geführt. Dennoch muss ich mittlerweile schon ein wenig aufpassen auf meine Gesundheit – man wird ja schließlich nicht jünger - von meiner Ernährung lieber erst gar nicht zu sprechen“, gibt er brummig grinsend vor.

Wie der mittlerweile nebenbei auch als Steinmetz schuftende Vokalist im Weiteren eröffnet, meißelt er im Zuge dessen schon auch hin und wieder mal einen Grabstein.

„Eigentlich begann ich meinen Berufsweg mit einer Lehre als Modellschreiner und landete nachfolgend im Landschaftsgartenbau – bis ich dem Steinmetz, der heute mein Chef ist, eines Tages mal half, sein Haus zu bauen und nachfolgend in seiner Firma eingestiegen bin. Ich lerne dieses Handwerk derzeit noch und es macht mir sehr viel Freude, trotz der harten Arbeit, die damit verbunden ist. Mittlerweile wollen die Leute aber auch hierbei sparen, so bestellen immer mehr Kunden bei uns bereits fertige Standard-Grabsteinmodelle.“

Mittlerweile gewann der Sänger mit der voluminösen Stimmbandleistung seit der Beendigung der Studioaufnahmen einen ganz kleinen Abstand zum neuesten eigenen Werk, so berichtet er.

Und dass Michelle, wie er zu erzählen weiß, „High Hopes In Low Places“ noch immer beinahe täglich sein Gehör schenkt, spricht nur für die Veröffentlichung. Wir erfahren:

„So richtig gelöst von der Zeit des Songwritings beziehungsweise von den Tagen im Studio habe ich mich noch nicht – es war alles einfach gesagt zu intensiv, um nachfolgend binnen kurzer Zeit wieder davon lassen zu können. Aber das stört mich persönlich überhaupt nicht, denn ich selbst bin nach wie vor von der Platte schwer begeistert!“

Spricht’s mit tiefsonorem Gleichklang und kann sich ein deftig-wohliges Grinsen nicht verkneifen, dem deutlich hörbar riesige Zufriedenheit ob der erbrachten künstlerischen Leistung innewohnt.

Auf die anschließend gestellte Frage, ob der seinen Gesang dann eigentlich überhaupt noch in irgendeiner Art oder Weise für steigerbar halte, entgegnet der Kerl, den man niemals ohne seine große Sonnenbrille zu sehen bekommt, betont lakonisch:

„Das muss möglich sein, bisher ging es ja auch immer noch für jedes neue End Of Green-Album. Wobei ich in diesem Kontext auch noch sagen muss, dass Fortschritte jedweder Erscheinung von mir selbst immer total unbewusst hervorgebracht worden sind. Das vollzog sich jedes Mal ganz automatisch. Ich bin ja keiner, der sich vorher unzählige Gedanken um seine Gesangslinien macht. So etwas liegt mir überhaupt nicht. Ich will viel lieber meine Texte möglichst authentisch besingen beziehungsweise deren Inhalte möglichst gefühlstreu wiedergeben. Erzwingen kann man da ohnehin rein gar nichts.“

Guter Stichpunkt: Wie er dazu gleich noch höchst angeregt konstatiert, drehen sich auch die neuen Texte von „High Hopes In Low Places“ wieder einmal rein um die Beschäftigung mit dem eigenen Ich und sonst um gar nichts, so Michelle.

„Da hat sich eigentlich seit den ersten Songs von damals bis heute nichts geändert. Ich möchte meine eigenen Erlebnisse und Gefühle so gut und so ergiebig als möglich verarbeiten. Daher lässt sich schon sagen, dass meine Textzeilen immer noch sehr persönliche Bezüge aufweisen. Und es könnte gerne dahingehend auch so formuliert werden, dass ich meinen eigenen Beitrag zur Verbesserung der kritischen Selbstsicht unserer Hörer in einer beschissenen Welt leiste.“

Dann wird es noch persönlicher. Fans und Medien kennen den schwäbischen Kehlenschleifer bislang ja nur von einer ganz gewissen, zur kreierten Musik bestens passenden Wesensseite, optisch stets konform zu End Of Green.

Doch was steckt beziehungsweise passiert eigentlich hinter den „Kulissen“ von Michelle Darkness?

Er stöhnt auf, um dann lachend zu offenbaren:

„Eine Selbsteinschätzung? Also, grundlegend bin ich ein viel zu gutmütiger Mensch, wie mir das Leben immer wieder – und hin und wieder schon auch mal recht ärgerlich – zu spüren gibt. Aber ich fühle mich alles in allem ziemlich wohl in meiner Haut, und das ist mir sehr wichtig. Genauer gesagt, mit Rockstar-Gehabe habe ich überhaupt nichts am Hut. Damit würde ich auch, so glaube ich, ziemlich blöd aussehen. Genauer gesagt: Ich bin und sehe mich selbst eher als ganz normaler Mensch“, verlässt es seinen Mund, erneut nicht ohne ein dröhnend bäriges Lachen.

Michelle erwähnt dazu noch: „Wenn also heute jemand an mich herantreten würde und mir nahe legen würde, an meinem Outfit was zu ändern, da hätte ich absolut keinen Bock drauf. Mir geht es wie erwähnt rein um die Musik bei uns und sonst eigentlich um gar nichts.“

Von der Gewissheit um die hohe Qualität der neuen Veröffentlichung umfassend bestärkt, wollen Label und Band diesmal, so ein konkretisierender Michelle, auch einen Schritt weiter vollziehen, was die Präsentation von End Of Green anbelangt.

„Ein vor- beziehungsweise umsichtig anvisiertes Ziel ist es beispielsweise, mehr im Ausland beziehungsweise sogar in Amerika Fuß zu fassen. Wobei uns allen ganz deutlich bewusst ist, dass es für deutsche Rockbands in USA unglaublich schwer ist, bekannt zu werden; geschweige denn akzeptiert oder gar beliebt. Obwohl von `da drüben` sehr viel Schlechtes an Musik kommt, wie ich persönlich finde.“

Wie sich im weiterführenden Gesprächsverlauf herauskristallisiert, hat die Band jüngst die „Volljährigkeit“ erreicht. Denn End Of Green bestehen seit ganzen 18 Jahren. Darkness resümiert kurz und gerne: „Diesen Gedanken empfinde ich als sehr interessant. So habe ich das selbst noch gar nicht gesehen, das gefällt mir gut.“

© Markus Eck, 11.07.2010

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