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Interview: CREMATORY
Titel: In aller Konsequenz

Einfach nicht totzukriegen von den vielen Trends, Moden und gnadenlosen Businessmechanismen des Musikgeschäftes, meldet sich der massive Pfälzer Gothic Metal-Felsen mit dem neuen Album „Oblivion“ aufrecht und unbeirrbar zurück.

Immer für kreative Neuerungen und weiterbringende Maßnahmen zu haben, ging Drummer und Bandkopf Markus Jüllich mitsamt Stammproduzent Kristian ‚Kohle’ Bonifer abermalig interessante neue Wege. So strotzt der aktuelle Nachfolger zum 2016er „Monument“ vor Überraschungen und Raffinessen, an denen auch zusätzlich ins Boot geholte Composer und Ideengeber beteiligt waren.

Schließlich sollte das Ergebnis originell, frisch und zeitlos in einem werden. Ganz so also, wie es die Fans eben von Crematory seit so vielen Jahren schätzen und lieben. „Oblivion“ ist bereits das dritte Crematory-Album auf dem aktuellen Label. Wie der Trommelbolzen bestätigt, darf dahingehend berechtigt angenommen werden, dass die Formation rundum zufrieden ist mit deren Arbeit, Betreuung etc.

„Ja klar, denn Olly ist ein alter Hase im Musikgeschäft und weiß gut mit verrückten Musikern umzugehen“, gibt der Familienmensch lachend vor.

„Nein im Ernst die Zusammenarbeit läuft hervorragend und wir fühlen uns rundum wohl bei Steamhammer/SPV. Hoffentlich bekommen wir auch unseren Vertrag verlängert, der mit dem aktuellen Album ausläuft!“

Denn leider, so bedauert Jüllich mit gestrenger Miene, wird der Zeitgeist des Miteinanders immer unpersönlicher. Er holt weit und wuchtig aus:

„Vor allem kotzen mich diese beschissenen Downloads und Streams so dermaßen an, dass ich mir schon überlegt habe mit der Musik ganz aufzuhören! Denn die Musik ist den Leuten anscheinend nichts mehr wert. Das Allerschlimmste sind meiner Meinung nach Streamings bei iTunes, Spotify, Deezer, Napster und den ganzen anderen Plattformen, denn hierbei bleibt fast nichts bei der Band hängen. Wir haben eineinhalb Millionen an Streams von unserem letzten Album zu verbuchen und verkaufen nicht mal mehr ein Prozent davon an CDs oder LPs. Das kann und darf einfach nicht so weitergehen! Und das geht uns mit Crematory nicht alleine so, nur haben wir eben die Eier und sagen jetzt mal was Sache ist, damit die Leute endlich wachgerüttelt werden und die Wertigkeit der Musik und der Künstler honorieren und würdigen, indem wieder mehr CDs und LPs gekauft werden und die Musik nicht auf irgendwelchen Festplatten, USB-Sticks oder SD-Karten in minderwertiger MP3-Qualität verschwindet und untergeht. Wir hoffen, dass die Leute verstehen werden, wie ernst die Lage ist und werden deshalb bei unserem neuen Studio-Album ‚Oblivion‘ einen besonderen Anreiz zum CD-Kauf schaffen, damit CDs oder LPs erworben werden und keine Downloads oder Streams. In jeder CD und LP liegt daher ein Zehn-Euro Merchandise-Gutschein bei, der bei unseren Konzerten oder Bestellungen über unsere Homepage eingelöst werden kann. Somit ist der CD- oder LP-Kauf inklusive Gutschein billiger als jeder Download und man hat ein tolles Digipak mit Booklet, Texten, Fotos und Poster in der Hand. Also Leute“, lautet der entschlossene Aufruf des kritischen Schlagwerkers, „kauft unsere CDs und LPs und keine Downloads oder Streams, denn wenn sich das diesmal mit dem neuen Album nicht ändert, dann wird es kein nächstes Crematory-Album mehr geben. Wir haben auch noch nach 27 Jahren voll Bock darauf, einige Jahre weiter zu machen - aber das entscheidet alleine nur ihr!“

Der Album-Opener wurde „Expectation“ betitelt. Zu Erwartungen und etwaigen, mehr oder weniger routinierten Hoffnungen bezüglich des neuen Albums befragt, gerät der Meister wieder zurück in die alte, sagenhafte Lässigkeit.

„Angespannt bin ich immer! Denn in jedem meiner Alben steckt eine Menge Herzblut, Zeit und Arbeit. Das ist für mich so als wenn ein Kind auf die Welt kommt. Ich bin sehr gespannt wie die Fans das neue Album finden werden, denn ich habe mein Bestes gegeben und bin sehr zufrieden damit.“

„Salvation“ zeigt die ‚neuen‘ Crematory vom Fleck weg in Vollendung auf - hart, druckvoll, einnehmend hymnisch, rhythmisch packend, melodisch mitreißend.

‚Erlöst‘ ist der Drummer immer erst dann, wie er offenbart, wenn das Mastering des Songmaterials fertig ist.

„Ich arbeite bis zur letzten Minute an den Liedern und versuche das ein oder andere immer noch etwas besser zu machen. Aber fertig wird man eigentlich nie, denn man kann immer noch Feinheiten finden und ändern. ‚Salvation‘ ist ein Hammer-Opener zum neuen Album, der Crematory mal von einer anderen Seite zeigt.“

„Ghost Of The Past“ ist ein waschechter, unvergesslicher und prima eingängig gehaltener Track, atmosphärisch und getragen.

Auch Markus selbst bleibt als trainierte Manager-Persönlichkeit nicht davon verschont, so lässt er offenherzig wissen, dass ihn hin und wieder Geister und Gespenster der Vergangenheit heimsuchen.

„Da ich ein alter Geisterjäger bin, habe ich das jedoch gut im Griff. Dieser Song ist für mich einer der Hits von diesem Album, welchen wir auch live spielen werden. Ein Crematory-Hit, so wie man ihn sich wünscht. Es wird auch ein exklusives Lyric-Video zu dem Stück geben.“

„Until The Dawn“ beginnt cineastisch, visionär und stimmungsgeladen, dann knallt der Metal los, mit einem ausgeklügelten Vokal-Mix aus Growls und klaren Refrain-(Duett)Gesängen. Episch, dramatisch und hoffnungsvoll in einem. Dass der kernige Beckenpeiniger das letzte Mal erfolgreich und gut gelaunt bis zur Dämmerung gefeiert hat, ist noch gar nicht so lange her, wird von ihm verkündet.

„Früher habe ich drei Tage gefeiert und einen Tag ausgeruht, heute feiere ich einen Tag und muss drei Tage ausruhen. Ja, man wir halt nicht jünger, aber dafür intensiver. Diesen Song habe ich mit meinem Co-Produzenten Stefan Glass geschrieben, genau so wie die anderen Songs, die auf diesem Album orchestral angelegt sind. Ich wollte damit mal eine andere Seite von Crematory zeigen, denn mit Orchester haben wir bis dato noch nie gearbeitet.“

Das semi-balladeske, passagenweise berührend gefühlvolle und erfreulich stark Hit-verdächtige „Revenge Is Mine“ beleuchtet die betont harmonische Seite von Crematory bis hin zur Perfektion. „Rachegefühle hat jeder einmal. Und bei mir ist es besonders schlimm, denn wenn mir jemand was antut, dann bekommt er es mindestens in dreifacher Stärke zurück - da bin ich gnadenlos und ohne Kompromisse unterwegs. ‚Revenge Is Mine‘ ist für mich so wie ‚Ghost Of The Past‘ auch einer der Hits des Albums, allerdings mit Wechselgesang zwischen Tosse und Felix, was das Ganze sehr Abwechslungsreich macht.“

Der sphärisch-schwebende Beginn von „Wrong Side“ leitet einen melodisch beachtlich großen Song ein.

In der Vergangenheit, so der Schlagzeugprofi dazu, hat er sich erfolgreich davor bewahrt, auf falsche Seiten, auf falsche Plätze, an falsche Menschen zu geraten.

„Ich bin immer sehr vorsichtig mit dem was ich mache und mit wem ich was mache. Und daher ist das bis jetzt immer ganz gut gegangen. Aber perfekt bin auch ich nicht - so hoffe ich, immer auf dem richtigen Weg zu bleiben. ‚Wrong Side‘ ist einer meiner Lieblingssongs auf dem Album, weil´s darin groovt wie Sau und weil der so geil zu trommeln ist.“

Wunderbar abwechslungsreich kommt das emotional wohltuende, erbaulich genuine „Stay With Me“ im Ohr an.

Und die massiv kräftigende Stimmung des Songs kommt beileibe nicht von ungefähr, wie in Erfahrung zu bringen ist.

„Echte Freunde hat man nur ganz wenige im Leben. Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind, so glaube ich, sehr wichtige Faktoren in einer Freundschaft. Dieser Song ist die Ballade auf dem Album, welchen Tosse mit seinen cleanen Vocals grandios umsetzt und der sogar auch im Radio laufen kann – und dies ohne dass es jemand wehtut.“

„For All Of Us“ schiebt mit kantigem, bulligem Nachdruck nach vorne, und wieder ein grandioser, clever arrangierter Refrain mit Klargesang!

Ihn selbst beschleicht in der schnelllebiger gewordenen Zeit, so lässt der Stockschwinger wissen, tendenziell das Gefühl, dass es gesamtgesellschaftlich immer weniger ‚wir‘ und immer mehr ‚ich‘ gibt.

„Leider. Der Egoismus wird merklich schlimmer und jeder denkt bald nur an sich. Gemeinschaftlich etwas zu erreichen, beispielsweise mit einer Band, ist doch ein schönes Gefühl, welches man teilen kann und möchte. Das ist ein Grund, warum ich immer noch mit Freunden zusammen Musik mache - weil ich teilen kann und keinen Egotrip reiten muss, denn dann hätte ich bereits ein Soloalbum gemacht.“

Quirlig, impulsiv und dynamisch erschallt „Immortal“, auffallend modern und Synth-lastig produziert. Diesen Song und noch einige andere des Albums hat der Drummer mit Dirk Riegner erarbeitet. „Mit Dirk arbeite ich bereits seit Jahren zusammen. Er hat auch schon für Schiller und Heppner beziehungsweise Wolfsheim und zahlreiche andere Gothic-Bands Songs produziert und geschrieben. Er versteht es, hervorragende Ohrwurmmelodien zu arrangieren. ‚Immortal‘ wird unsere zweite Videoauskopplung werden.“

Der Titeltrack „Oblivion“ ist exzellent komponiert, raffiniert instrumentiert und höchst stimmig arrangiert. Denkt Markus hin und wieder darüber nach, dass mit der Musik von Crematory auch nach seinem eigenen Ableben etwas Einzigartiges, völlig Individuelles für Unvergessenheit sorgen wird? 



„Bestimmt“, sagt er, „denn es gibt wenige Bands wie uns, die bereits 27 Jahre lang erfolgreich sind und 14 Alben weltweit veröffentlicht haben, auf was wir besonders stolz sind. ‚Oblivion‘ ist ein old style Crematory-Song, der auch auf der 1995er ‚Illusions‘-CD mit ‚Tears Of Time‘ hätte sein können. Dieser Song macht das neue Album nochmals abwechslungsreicher.“

Das ebenso griffige wie schmissige, und von der Gewichtung der Gestaltungselemente gekonnt austarierte „Cemetary Stillness“ reiht sich nahtlos in die Stimmungsbandbreite der Tracklist ein.



„Hier kommt mein dritter Co-Produzent Walter Stobbe ins Spiel, mit dem ich auch zwei Songs für das neue Album geschrieben habe. Er ist für mich der Riffgott, der so fette Gitarrenriffs schreibt, dass man den Glauben wechselt. Hier geht´s mal fett nach vorne und etwas schneller zur Sache.“

„Blessed“ stellt für die Begriffe des Autoren den absolut glaubwürdigen Crematory-Song 2018 dar, den perfekten Mix aus Tradition, Selbsttreue und zeitgemäßer Moderne.

Inklusive berührender Vokalisierung und orchestraler Pracht und famosem Gitarrensolo! Welche Dinge stellen für Markus im Leben etwas ‚Gesegnetes‘ dar, neben beständiger Band, Gesundheit, Familie etc.? 



„Es gibt nichts Wichtigeres als Gesundheit und vor allem Glück, denn alle Menschen auf der Titanic waren gesund, hatten aber kein Glück! ‚Gesegnet‘ ist vielleicht etwas hochwertig ausgedrückt, aber ich bin sehr dankbar, denn alles, was ich bis jetzt privat oder beruflich angefasst habe, hat hervorragend funktioniert. Und deshalb kann man vielleicht doch sagen, dass ich mit dem Glück gesegnet bin eine hervorragende Familie zu haben und auch beruflich, so wie mit der Band, erfolgreich zu sein.“

Fett, mächtig, entschlossen und schwungvoll in einem macht „Demon Inside“ den Sack zu auf dem neuen Album, urkräftig und überlegen von Felix besungen. Ob Markus selbst beizeiten einen oder mehrere ‚Dämonen‘ in sich fühlt, die ihn reiten, wird er dazu gefragt - und wie er damit umgeht, um das im Griff zu haben. 



„Ich glaube, dass in jedem Menschen ein Engelchen und ein Teufelchen steckt. Je nach Laune erscheint das ein oder andere, was meiner Meinung aber auch gut ist, denn nur wer auch mal verliert, der weiß einen Sieg besser zu schätzen. Da ich von Sternzeichen her Zwilling bin, passt das auch ganz gut zu mir, denn auf der einen Seite ein extrem seriöser Geschäftsmann mit Versicherungen und Immobilien und auf der anderen Seite Schlagzeuger und Manager einer Metal-Band. Ich glaube, abwechslungsreicher geht es nicht.“

Einen Tag vor dem Interviewtermin besuchte Markus ein Konzert von Cradle Of Filth und Moonspell, und, als er das berichtet, verfinstert und erzürnt sich seine Miene vollkommen. Der Brummbär lässt nochmal heftig Dampf ab: „Da waren bei einem so hochwertigen Package gerade mal 600 Besucher, was meiner Meinung nach ein Witz ist! Die Besucherzahlen bei Metalkonzerten sind generell ohnehin stark am absinken. Was ist denn nur los mit den Fans? Ich sage: Geht auf Konzerte und unterstützt eure Lieblingsbands!“

Crematory selbst wollen nämlich eigentlich ab dem 27. April, verteilt über den ganzen Mai, ihre Deutschlandtour zum neuen Album spielen. Doch Achtung: „Dies wird aber nur möglich sein, wenn die Leute da draußen endlich mal den Arsch hochbekommen und Tickets für unsere Konzerte kaufen, da der Vorverkauf momentan total bescheiden läuft. Wenn das nicht sehr viel besser wird, werden wir diese Tour absagen und das Buch Crematory zumachen.“

© Markus Eck, 01.03.2018

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