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Interview: AGATHODAIMON
Titel: Gewohnter Facettenreichtum

Gut Ding braucht Weile, eine alte Weisheit. „Serpent´s Embrace“, ein neues Album. Auf letzteres trifft diese Weisheit zu, dessen durchweg überzeugende Kompositionen wiederum treffen einen aufgeschlossenen und auf Qualität fixierten Melodic Black Metal-Anhänger direkt ins Mark. 1995 gegründet, legt das Mainzer Quintett nun also sein viertes Album vor.

Die Stimmung innerhalb des Fünfers ist derzeit sehr gut, wie mir Frontmann Martin ,Sathonys‘ Wickler gleich zu Beginn entgegenbringt. Denn die ersten Kritiken und Resonanzen zum neuen Album seiner Band Agathodaimon sind glücklicherweise sehr positiv, allerdings auch überraschend unterschiedlich.

„Als Musiker wundert man sich mitunter, welch scheinbar seltsame Einflüsse oder Stilelemente andere Personen in der eigenen Musik hören, oder was in die Songs hinein interpretiert wird. Aber wie gesagt, bislang gab es nur positive Stimmen, und es ist sowieso noch zu früh, ein Resümee zu ziehen. Wir sind jedenfalls sehr zuversichtlich und zufrieden mit dem, was wir geleistet haben.“

Wie der Gitarrist und Sänger weiter berichtet, wurde eine Menge Zeit und Geld in die Produktion von „Serpent´s Embrace“ gesteckt, um auf internationaler Ebene konkurrenzfähig zu sein beziehungsweise ein professionelles Produkt abzuliefern.

„Ich denke, wir haben unser ausgefeiltestes Album produziert und können zu Recht stolz auf das Ergebnis sein.“

Agathodaimon hatten mit Kristian „Kohle“ Kohlmannslehner bereits das Vorgängeralbum „Chapter III“ aufgenommen, waren also genau im Bilde über das, was auf sie zukommen wird. Sathonys erinnert sich zurück:

„Natürlich wussten wir, dass er ein gnadenloser Tyrann ist und einen zur Not auch hundert Takes am Stück spielen lässt, bis eine bestimmte Note endlich sitzt. Aber da sind wir bereitwillig und auf dem Zahnfleisch durch gegangen“, scherzt er mit schelmischem Grinsen.

Er hängt an: „Nein, im Endeffekt war die Atmosphäre sehr relaxt, man kennt sich ja schon länger, und so war es keine reine, unpersönliche Arbeitsstimmung vor Ort. Jeder hat sein bestes gegeben, und jeder wusste, wo die Stärken und Schwächen des anderen liegen. Die Arbeit wurde sehr effektiv durchgezogen, und auch wenn man sich immer wünscht, noch mehr Zeit zum feilen an Details und Mix zu haben, sind wir doch auch jetzt, einige Wochen nach Ende der Aufnahmen, noch sehr zufrieden. Bislang gab es immer etwas, das mich an den älteren Alben gestört hat, aber in punkto Sound hätte ich beispielsweise bei `Serpent’s Embrace` nichts zu meckern. Wir haben beispielsweise ein paar aktuelle Alben wie die letzte In Flames-Scheibe vor dem Mix und Mastering analysiert und verglichen, und sogar der Mitarbeiter im renommierten Mastering-Studio House Of Audio meinte, das wir im Vergleich soundtechnisch besser abschneiden. Was Anekdoten anbelangt, nun, erstaunlicherweise ist diesmal im Studio weder etwas explodiert noch sind Masterbänder verschwunden oder ähnliches. Die Aufnahmen gingen somit recht glatt von der Hand. Auf der CD wird aber unter anderem ein kleines `Making Of` für PC-User als Multimedia-Teil enthalten sein, der den Aufnahmeprozess aus einer nicht ganz ernst zu nehmenden Sicht portraitiert. Was Pannen anging, gab es die eher beim Videodreh zum Titelsong, als plötzlich die PA-Boxen zeitlich verschmorten, Deckenbefestigungen von Haltestangen die Background-Tänzerinnen erschlagen wollten, die Boden-Nebelmaschine versagte etc. Dennoch liefen auch die Arbeiten daran recht gut, glücklicherweise.“

Laut weiterem Statement von Sathonys wurde das zuletzt veröffentlichte Agathodaimon-Album von den Fans sehr gut aufgenommen:

„Natürlich gibt es immer Leute, die eines der anderen Alben besser fanden, dieses Phänomen kenne ich ja selbst. Mitunter gefällt einem das Album einer Band am besten, welches man zuerst hörte. Objektiv gesehen bekamen wir aber im Schnitt die besten Kritiken für `Chapter III`, da es die Stärken der ersten Alben in sich vereinen sollte, also die düstere und aggressive Seite des Debüts mit der Experimentierfreudigkeit von `Higher Art Of Rebellion`, welches ja leider an der schlechten Produktion litt.“

Die Veröffentlichung von „Chapter III“ ist ja schon eine Weile her, so bitte ich meinen Interviewpartner, den Fans das neue Album ein wenig vorab zu beschreiben. Er expliziert:

„Unsere Fans werden wissen, dass wir ein recht breites Spektrum abdecken. Von einer Ballade mit Frauengesang, die gänzlich ohne Gitarren auskommt, bis hin zum lupenreinen Black Metal-Song - Letzterer fehlt auf der Vorab-CD - ist etliches vertreten, was im Metal-Bereich denkbar ist. Im direkten Vergleich zum letzten Album klingt `Serpent’s Embrace` vermutlich etwas moderner, da der Sound eine Ecke kerniger und auch die Keyboards/Synthie-Passagen ausgefeilter sind, zudem weniger nach den genre-typischen Flächen beziehungsweise pseudo-Streichern und Minimal-Piano klingen. Wenn ich von meiner Sichtweise aus gehe, würde ich behaupten, dass `Serpent’s Embrace` die Schnittmenge der bisherigen Alben ist, und die Entwicklung der Band auf harmonischer Weise ebenso vorangetrieben hat. Erneut konnte sich jeder Musiker einbringen, und natürlich haben auch die beiden Neuzugänge, Keyboarder Felix und Bassist Eddie ihren Teil dazu beigetragen, ein abwechslungsreiches Album einzuspielen. Die Musik ist erneut düster, aber teilweise melodischer, weshalb wir auch bewusst sehr rhythmisch orientierte Songs und Passagen eingebaut haben, um die Balance zu halten. `Serpent’s Embrace` klingt auf alle Fälle nach Agathodaimon, weist aber auch einige neue Facetten auf, wie es bislang jedes unserer Alben tat.“

In der Vergangenheit haben sich die Mainzer Dunkelmänner eine Auszeit genommen, um die neuen Musiker einzuarbeiten, die Bandchemie wieder auf ein ausgewogenes Maß zu bringen und ihre Live-Performance zu verbessern.

„Jeder hat hart an sich gearbeitet, und natürlich hat auch das Songwriting, Proben und die Vorproduktion seine Zeit benötigt. Es ist ja meist so, das hinter den Kulissen einiges passiert, und der Fan lediglich die Veröffentlichungsdaten der Alben registriert. Wir hatten einige personelle Umbesetzungen, die erst einmal überwunden werden mussten. Wir sind keine Band, die in reinem Arbeitsverhältnis agiert, es muss ein Zusammenhalt bestehen, der über das gemeinsame Musizieren hinausgeht. Insofern war die Suche nach neuen Musikern etwas, das lange Zeit in Anspruch nahm.“

Laut Sathonys’ Meinung sollten Albumtitel abgeschafft werden, da scheinbar jeder in der Ergründung der Bedeutung irgendwie den Sinn des Lebens vermutet, stellt der Gitarrist mit einigem Sarkasmus fest.

„Aber gut, wir haben diesmal bewusst wieder einen vielschichtigen Hintergrund verwendet und somit auch hier ein paar schöne, viel zu tief gehende gedankliche Ansätze. Der Titel selbst beschreibt für mich zum einen aus recht abstrakter Sicht einige persönliche Erlebnisse beziehungsweise Erfahrungen, die ich und andere in der Band bislang erlebt haben. Allerdings müssten wir für nähere Erläuterungen ein paar religiöse Exkursionen vornehmen, da der Hintergrund ein wenig mit biblischen Motiven beziehungsweise Querverweis Schlange <-> Symbol des Bösen <-> Verführung spielt. Ebenso ist auch erneut ein Bezug zum Albumnamen gegeben. Wer sich mit der Band auskennt, hat vielleicht schon ein paar Bedeutungen des Namens entdeckt. Unter anderem spielt eine Schlange dabei eine Rolle, wobei einige Gnostiker die These vertreten, das Christus und die Schlange ein und dieselbe Figur darstellten, das Messias in Hebräisch „MshICh“ bedeutet und Schlange „NChSh“, was den gleichen numerischen Wert von 358 ergibt und somit aus kabbalistischer Sicht identisch ist. Die Schlange, welche der Menschheit Wissen vermittelt, ist vergleichbar mit dem Geschenk des Prometheus, des Feuers, mittels dessen der Mensch erst zum Mensch wurde. In diesem Zusammenhang ist Prometheus ebenfalls Luzifer, der Lichtbringer.“

Wie eben schon kurz angerissen, ist das textliche Gebiet also weit gesteckt. Wir erfahren:

„Vom puristischen, geradlinigen Black Metal-Song über sehr epische, poetische Texte ist vieles vertreten. Insgesamt ist es uns eher wichtig, anstatt bruchstückhafter Geschichten – aufgrund der Länge eines Songs ist es meiner Meinung nach eher Bands wie My Dying Bride vorbehalten, dies kunstgerecht zu erledigen – eben vorrangig Emotionen zu vermitteln, die Musik also durch Texte zu untermalen und dessen Stimmung zu verstärken. Dabei werden auch persönliche Erfahrungen aufgearbeitet, an die jeder mit unterschiedlicher Sichtweise heran ging. So unterscheiden sich die textlichen Beiträge von Frank `Akaias` Nordmann, unserem Neuzugang Eddie, meine eigenen als auch die Gastbeiträge von Julio Angel Olivares Merino und unserem alten Sänger Vlad deutlich voneinander, sind aber immer auf die jeweiligen Songs abgestimmt.“

Wie Sathonys im Weiteren konzentriert darlegt, sind die neuen Songs sehr organisch entstanden und nicht mit Kalkül zusammen geschustert:

„Natürlich haben wir diverse Ansprüche an uns selbst oder Dinge, die wir einbringen wollen oder eher vermeiden. Aber wichtig für uns ist eigentlich, in möglichst weiträumigen Ebenen arbeiten zu können und nicht auf eine Stilistik festgefahren zu sein. Einen Streitfall gab es allerdings, und zwar gibt es eine Keyboard-Melodie, die teils frappierend an Soilwork erinnert. Allerdings konnte uns unser Keyboarder Felix nachweislich versichern, Soilwork bislang nicht gehört zu haben, da er eher aus der Opeth/Anathema-Ecke kommt. Da sie sich aber sehr gut in den Song integriert hat, haben wir diese kleine musikalische Anspielung nicht im Keim erstickt sondern beibehalten. Vermutlich wird jetzt jedes zweite Magazin schreiben, das wir deswegen plötzlich wie Soilwork klingen. Interessant ist allerdings, das wir auf `Blacken The Angel` einen bewussten Ideenklau untergebracht haben, auf den wir bis heute kein einziges Mal angesprochen wurden, nämlich auf `Ribbons/Requiem` die Melodie von Entombed’s `Left Hand Path`, welche ihrerseits dieses Thema beim Film `Phantasm` beziehungsweise `Das Böse` klauten. Wie auch immer, musikalische Einflüsse die zu offensichtlich klingen, versuchen wir üblicherweise zu vermeiden und verwerfen derartige Ideen. Schließlich sind unsere persönlichen Favoriten auch so breit gefächert, das genug Spielraum bleibt. Von Black, Death, Thrash und Heavy Metal bis in unmetallische Regionen wurde eine Vielzahl an Stilistiken möglichst stimmig integriert. Was wir mit `Higher Art Of Rebellion` begonnen haben, konnten wir nun endlich – jedenfalls unserer Meinung nach – stimmig umsetzen.“

Sathonys selbst ist der Ansicht, dass sich Agathodaimon insgesamt gesehen verbessert haben.

Und letzteres ging gerade deswegen einher, weil die Beteiligten hart an sich gearbeitet haben und an ihren Schwachstellen gefeilt haben. Er stellt dazu klar:

„Musikalische Extravaganzen in Richtung häufiger Technik-Fuddeleien überlasse ich persönlich allerdings lieber Bands wie Children Of Bodom, deren Musik doch zum Teil von der instrumentalen Leistung lebt. Wir versuchen dafür etwas songdienlicher zu arbeiten und nicht unnötig zu beladen; was aber nicht heißt, das sich nicht der eine oder andere recht komplizierte Part bei uns einfindet.“

Solange das von ihm spaßhaft titulierte große „Rammstein-Budget“ noch fern am Horizont ist, werden Agathodaimon in punkto Showeffekten nicht sonderlich große Akzente setzen können, bringt Sathonys auf meine Frage hin ein.

„Wobei Feuerspucken aber auch beispielsweise ein Bestandteil wäre, insofern es am Auftrittsort erlaubt ist. Wir konzentrieren uns derweil noch auf eine energetische Bühnenshow; mir sind Bands suspekt, die auf der Bühne einen gelangweilten Eindruck machen und einen Aktionsradius von zwei Bierdeckeln besitzen. Toni Iommi ist natürlich aus dieser Bemerkung ausgenommen.“

© Markus Eck, 11.06.2004

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