Interview: | TURISAS |
Titel: | Individuelle Spontaneität |
Für eine echte Überraschung sorgen die finnischen Battle Metaller mit ihrem neuesten Album!
Tatsächlich schlicht und einfach „Turisas2013“ benannt, kündet allein schon der Titel vorab vom massiv angestiegenen künstlerischen Selbstwertgefühl der skandinavischen Erfolgsmodelle. Was sich schon mittels des 2011er Vorgängers „Stand Up And Fight“ ankündigte, findet jetzt seine Entsprechung: Progressiv, episch und vor allem betont theatralisch wagt das noch immer rot-schwarz geschminkte Sextett mutig seinen eigenen stilistischen Befreiungsschlag.
Und dass sich das Ganze bisweilen gar wie eine klassische Rock Opera anhört, ist laut Gitarrist und Gründungsmitglied Jussi Wickström auch ganz genau so gewollt.
„Die neue Veröffentlichung ist diesmal im Gegensatz zu unseren vorherigen Scheiben kein Konzeptalbum, was uns eine viel größere musikalische Vielfalt erlaubte. Zudem gingen wir diesmal gezielt ,organisch‘ vor, indem wir uns eine spezielle Produktionsphase erlaubten. So konnten wir selbst die frühesten Songwriting-Ideen für die neuen Lieder verwenden, weil wir alles aufnahmen und konservierten, was entstand, und nicht erst im finalen Studioprozess“, gibt der Mann ebenso entspannt wie frohgemut zu Protokoll.
Überhaupt scheint es im Gespräch, als hätte der Griffbrett-Artist überhaupt keinen großen Rechtfertigungsbedarf, was die stilistische Neuausrichtung seiner Combo anbelangt. Wickström:
„Alles lief ganz locker ab diesmal. Wir schüttelten bewusst jedweden Druck von uns ab, um ein absolut individuelles, jederzeit spontanes und letztlich umfassend authentisches Album hinzubekommen. Ich verschanzte mich mit unserem Sänger Mathias Nygård, der auch wieder einen Großteil der Songs produzierte, hierfür in einem alten und entlegenen Haus, tief in den finnischen Wäldern. Dort fanden wir im Dezember 2012 genau die richtige Atmosphäre und Stimmung vor, die uns für ,Turisas2013‘ gemeinsam vorschwebte.“
Derart abgeschirmt von dem ganzen Helsinki-Trubel, konnten sich die beiden dort voll und ganz dem neuen Turisas-Material hingeben, wie zu erfahren ist. „Mathias war schon seit September da und hatte alles vorbereitet, was sich als optimal erweisen sollte. Diesmal eben ganz ohne Konzept im Hinterkopf, widmeten wir uns jedem Song absolut individuell, was für neue veränderte Klangbild maßgeblich ausschlaggebend werden sollte. Mit das Beste daran war ebenfalls, dass wir auch die Arrangements jeweils ganz spontan kreieren konnten.“
Kühne Abenteurer: Wer sie bislang stoisch in der Schublade „Viking Metal-Unverbesserlichkeit“ abgelegt hatte, der soll jetzt also von einem ungewöhnlichen Werk überrascht werden, welches beinahe sämtliche Konventionen des Genres hinter sich lässt.
Deutete bereits der gewohnt epische 2011er Vorgänger-Exkurs „Stand Up And Fight“ eine Hinwendung zu betont progressiv und theatralisch arrangierten Inhalten an, so zeigt das neue Album „Turisas2013“ die finnische Band um Sänger Mathias Nygård nun voll und ganz auf solchem Kurs.
Damit liefern Turisas eigentlich genau die faustdicke Überraschung, die ständig von den weltweiten Kritikern des Metiers gefordert wird.
Und dass diese so unbändig variantenreiche Platte kurzerhand mit angehängter Jahreszahl selbstbetitelt wurde, spricht ebenfalls eine allzu deutliche, von großem Selbstwertgefühl akzentuierte Sprache.
„Wir dachten lange über einen passenden Titel zur aktuellen Veröffentlichung nach“, lässt Violinist Olli Vänskä anschließend verlauten, „aber am Ende blieb und keine andere Alternative um dem neuen Stil bestmöglich gerecht zu werden. Davon abgesehen, ist ,Turisas2013‘ auch ein starkes Statement. Das sind wir jetzt. So hört sich Turisas in 2013 an. Keine Voreingenommenheit, keine geschönten Stories drumherum.“
Als die skandinavische Individualistenvereinigung an das Songwriting zum neuesten Dreher heranging, so erinnert sich Olli, entschieden sie sich kollektiv, das Alte einfach loszulassen, das sie so viele Jahre dominiert hatte.
„So einige unserer kompositorischen Gewohnheiten fielen dieser Entscheidung nachfolgend zum Opfer, die wir uns wohl während der ersten Alben verinnerlicht hatten. So fielen beinahe sämtliche Barrieren hinsichtlich dessen, wie Turisas klingen sollte beziehungsweise könnte. Ich bin mir im Moment noch nicht ganz sicher, aber irgendwie verdichten sich die Anzeichen, dass wir unseren traditionellen Sound weit hinter uns gelassen haben, und das sogar auf folkloristischer Seite“, feixt der fingerflinke Violinist ausgelassen.
So nennt Fidel-Gevatter Vänskä das Ganze bewusst „abenteuerlich“, wie zu vernehmen ist. „Ich bin der Auffassung, das Endresultat unserer Bemühungen ist letztlich gleichfalls ziemlich interessant als auch recht kühn geworden. Nicht zuletzt ist ja auch die Produktion von ,Turisas2013‘ puristischer geworden als auf jedem anderen Album von uns.“
Einige Hörer werden darüber ganz sicherlich auch regelrecht geschockt reagieren, bestätigt der Finne, Lässigkeit demonstrierend.
„In meinen Augen ist das sogar gut so. Ein kleiner Schock peppt das Ganze hin und wieder würzend auf. [lacht] Schließlich nahmen wir ja schon vor zehn Jahren unser Debüt ,Battle Metal‘ auf, und mittlerweile hat sich doch die gesamte Szene an sich ziemlich differenziert und ausgefächert. Was einst frisch klang, mutierte mit der Zeit beinahe weltweit zu einem Klischee. Wir aber bleiben viel lieber einen Schritt voraus, als auf Nummer Sicher gehend irgendwo am Alten hängenzubleiben. So ist es doch nur gut, sich ständig selbst zu erneuern, vor allem auch bezüglich des gemeinsamen Standpunktes im Songwriting.“
Was die Inspirationen für all die verwendeten Ideen anbelangt, da ist sich der Kerl nicht so ganz sicher. Aber Olli konstatiert dazu schließlich mit repräsentativ reibungslos fließender Stimme:
„Es kam alles wie von selbst, wir folgten wie erwähnt schlicht unseren ganz persönlichen Neigungen und experimentierten zudem mit für uns Neuem. Es ist ja so einfach, neue Musik nach altem bewährtem Eigenmuster zu machen - gemäß den alten Drumbeats, derselben Akkord-Entwicklung, demselben Stil, immer und immer wieder. Davon wollten wir gezielt weg, wollten sogar gewissermaßen dagegen rebellieren. Ohne Rücksicht, wer nun was genau von uns erwartet etc.“
Es gibt laut Aussage des Violinisten so viele etablierte Bands, die sich in ihrer eigenen kleinen stilistischen beziehungsweise erprobten Komfortzone sicher eingerichtet haben, wie er in aller Entschlossenheit sinnbildlich auf den Tisch haut.
„Das mag für die eventuell ganz in Ordnung sein, aber zu Turisas passt sowas ganz sicher nicht! Das führt doch am Ende nur immer zu langweiligen Alben und zu Stagnation.“
Nachfolgend auch noch danach befragt, welche speziellen Visionen in seinem Geist aufsteigen, während er das neue nonkonforme Turisas-Material spielt, fängt die Miene des Musikanten beinahe magisch an zu strahlen.
„Ich verspüre einen gewissen angenehmen Frieden in mir. Es fühlt sich dabei gewissermaßen glatt so an, als könnte ich köstliche frische Luft atmen. Und ich fühle sogar eine energische Art von frecher Punk-Attitüde durch mich hindurchfließen.“
Direkte musikalische Einflüsse, die zu den neuen Songs führten, kann beziehungsweise möchte Olli hier nicht nennen, jedoch:
„Die Lieder sind einfach viel zu bunt und viel zu vielfältig geworden, als dass ich sie auf irgendwelche einzelnen Einflüsse beschränken möchte. Ich persönlich hörte in der letzten Zeit beispielsweise Bands wie Disfear, und 2012 zog ich mir viel von Slayer rein. Ebenso lief bei mir sehr viel Punk und sogar Pop Punk, was mir viel spritziges Feeling gab. Die Songs entstanden sowieso immer auf ungewöhnliche Weise. Ich erinnere mich noch genau, als ich die grundlegende Idee zu ,The Days Passed‘ hatte: Ich heizte die Sauna mit nacktem Arsch auf, es war eine wirklich wunderbare und kalte Herbstnacht.“
© Markus Eck, 14.08.2013
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